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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 18. Oktober 2023 um 8:35 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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  1. Westliche Heuchelei: Wollen wir wirklich den “Big Bang” in Nahost?
  2. Internes Papier: Bundesregierung wirft Israel mangelnden Schutz von Zivilisten in Gaza vor
  3. Taoiseach says von der Leyen comments ‘lacked balance’
  4. Starke Stimme für den Frieden
  5. Trauer und Hilfe
  6. Das Debakel der Neocons
  7. „Zum Schweigen gebracht”
  8. CDU-Politiker: ‘Israels Sicherheit als Staatsräson’ – notfalls “mit unserem Leben verteidigen”
  9. Gastgewerbe: Bessere Arbeitsbedingungen nötig, um Arbeitskräftemangel zu überwinden
  10. Deutsche Bahn: Mit 20.000 Managern auf dem Weg zur Privatisierung?
  11. Preisanstieg bei Baumaterialien Zement fast 42 Prozent teurer
  12. Kitas in BW: Land will weniger Erzieher pro Gruppe ermöglichen
  13. Ambulante Versorgung in Gefahr
  14. Rezension: „Les origines du plan Marshall”
  15. „Menschenrechte und Menschenwürde wurden verletzt“

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Westliche Heuchelei: Wollen wir wirklich den “Big Bang” in Nahost?
    Die Propagandalinie heißt: Wir sind die “Guten”, sie die “Bösen”. Das ist nicht nur falsch, sondern könnte die Region in den Abgrund reißen. Was jetzt klug wäre. Gastbeitrag.
    Der Blitzkrieg der Hamas hat Politik und Militär in Israel kalt erwischt. So brutal und menschenverachtend er auch war, hat die “Bewegung des islamischen Widerstands”, arabisch abgekürzt Hamas, jetzt schon Geschichte geschrieben.
    Zum einen hat sie den Nimbus der israelischen Armee, nämlich unbesiegbar zu sein, nachhaltig erschüttert. Fast drei Tage lang hielten mehr als 1.000 Kämpfer der Hamas bis zu 25 israelische Ortschaften in Grenznähe unter ihrer Kontrolle, feuerten sie Tausende Raketen auf Israel, töteten wahllos Zivilisten und verschleppten rund 150 Israelis [heute sollen es nach neuesten Angaben bis zu 200 sein, Telepolis] in den Gazastreifen, wo sie ein düsteres Schicksal erwartet. Das ist, jenseits aller moralischen Erwägungen, ein bemerkenswerter militärischer und politischer “Erfolg”.
    Und zum anderen dürften die geopolitischen Karten in der Region neu verteilt werden. Bereits unter US-Präsident Trump erfolgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem jüdischen Staat und Bahrein, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Sudan und Marokko 2020/21.
    Gekrönt werden sollten diese “Abraham Accords” durch einen von Präsident Biden mit Nachdruck angestrebten Friedensvertrag zwischen Saudi-Arabien und Israel. Der saudische Machthaber Mohammed Bin Salman hat allen Grund, dieses Projekt auf unbestimmte Zeit zu vertagen.
    Quelle: Michael Lüders auf Telepolis

    dazu auch: Genozidforscher zu Hamas-Attacke: „Netanjahu hat den Wind gesät“
    Kann man Ursachen und Motive benennen, ohne die Gräueltaten zu rechtfertigen?
    Natürlich. Und als Historiker und politisch bewusster Beobachter Israels ist es meine Pflicht, die Ursachen zu betrachten. Sie reichen mindestens bis zum Krieg von 1948 zurück, in dem meine Eltern für die Gründung des Staates Israel kämpften und in dessen Folge die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung aus dem Land vertrieben wurde. Zu den Ursachen gehört seit 56 Jahren auch die Unterdrückung von Millionen von Palästinensern, die mit beschnittenen Rechten, ohne Aussicht auf Freiheit und Gerechtigkeit in den besetzten Gebieten leben, wo sich immer mehr ein Apartheidregime entwickelt hat.
    Dazu gehört auch die seit 16 Jahren andauernde Belagerung des Gazastreifens, durch die zwei Millionen Palästinenser in hoffnungsloser und demütigender Armut mit fehlender Grundversorgung gefangengehalten werden. All diese Faktoren führen zu Gewalt, zu Wut und Rachedurst. Das wäre zu verhindern gewesen. So wie der Krieg von 1973, in dem ich Soldat war und in dem Freunde von mir gefallen sind, hätte verhindert werden können, wenn die israelischen Politiker mehr Bereitschaft zu territorialen Kompromissen und Frieden gezeigt hätten. Als Historiker glaube ich, dass Ereignisse in der Geschichte Ursachen haben, und dass wir, wenn wir diese Ursachen erkennen und angehen, eine bessere Zukunft für uns und unsere Nachkommen schaffen können.
    Quelle: FR Online

  2. Internes Papier: Bundesregierung wirft Israel mangelnden Schutz von Zivilisten in Gaza vor
    Koordinierungsgruppe von Ministerien schockiert über Gewalt. Humanitäres Kriegsvölkerrecht als Unterschied zu Terroristen. Offiziell ist von Kritik wenig zu spüren.
    Vertreter des Auswärtigen Amtes und verschiedener Bundesministerien haben sich schockiert über die massiven Angriffe Israels auf den dicht besiedelten Gaza-Streifen gezeigt.
    In einem internen Papier einer Arbeitsgruppe der Ministerien und Bundesgremien vom gestrigen Montag ist von israelischen Angriffen in bisher nicht gekannter Härte die Rede. Zugleich heißt es in dem internen Protokoll, das Telepolis vorliegt, die israelische Armee gewährleiste keinen ausreichenden Schutz der Zivilbevölkerung.
    Sollte die israelische Armee weiterhin das Völkerrecht missachten, drohe sie sich auf das Niveau der islamistischen Angreifer zu begeben. Es sei daher wichtig zu betonen, heißt es in dem Papier wörtlich, “dass das humanitäre Kriegsvölkerrecht und der Schutz der Zivilbevölkerung das sind, was Demokratien stärker macht als Terroristen”.
    Diese klare Sprache im Protokoll der EU-Koordinierungsgruppe im Auswärtigen Amt ist bemerkenswert. Denn seit den Terroranschlägen islamistisch bewaffneter Gruppen auf Israel am 7. Oktober hat sich die Bundesregierung mit öffentlicher Kritik an den israelischen Streitkräften merklich zurückgehalten.
    Quelle: Telepolis

    dazu auch: Scholz und Biden besuchen Israel: Zwischen Solidarität und Diplomatie
    Israel hat das Recht sich zu wehren, betont Kanzler Olaf Scholz in Tel Aviv. US-Präsident Biden wählt mahnende Worte vor seinem Besuch am Mittwoch. […]
    Der deutsche Kanzler nutzte aber auch die Gelegenheit Israel zwischen den Zeilen an die Einhaltung des Völkerrechts zu erinnern. Israel und Deutschland verbinde, dass sie Rechtsstaaten seien. „Unser Handeln fußt auch in extremen Zeiten auf Recht und Gesetz.“ […]
    Um das Leben der Geiseln und der Menschen in Gaza zu retten und zu verhindern, dass ein neuer Zyklus von Gewalt die ganze Region in den Abgrund reißt, scheut Scholz auch nicht den Austausch mit Despoten. Vorzugsweise mit solchen, die gute Kontakte zur Hamas haben, wie eben Ägyptens Staatschef al-Sisi.
    In der vergangenen Woche bewirtete der Kanzler zudem den Emir von Katar zum Mittagessen. Bevor er sich am Dienstag nach Israel aufmachte, empfing Scholz den jordanischen König Adullah II bin al-Hussein zum Frühstück im Kanzleramt. Nach dem Treffen mit Abdullah erklärte Scholz, beide Länder verfolgten das Ziel, einen Flächenbrand in der Region zu verhindern. Er warnte im Beisein Abdullahs erneut „ausdrücklich die Hisbollah und den Iran, nicht in den Konflikt einzugreifen“.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Scholz und Biden stellen sich also auf die Seite Israels, versuchen aber gleichzeitig, auf alle Beteiligten, inklusive die israelische Regierung, mäßigend einzuwirken, um eine humanitäre Katastrophe und einen Flächenbrand zu vermeiden. Dazu sprechen sie, wie die taz befürwortend erwähnt, “auch […] mit Despoten” wie dem Militärdiktator von Ägypten, Al-Sisi, und dem Emir von Katar. Das wird harte Arbeit sein und wenig Spaß machen, aber es ist doch notwendig, um die weitere Eskalation zu verhindern oder wenigstens zu mildern. Nur: wenn an dieser Stelle und mit sehr guten Gründen Diplomatie betrieben wird, warum ist dann Diplomatie mit Putin “nach Butscha” und “wegen des völkerrechtwidrigen Angriffskriegs” tabu und schon die Erwähnung der Möglichkeit mit einem Fluch belegt? Israel, seine arabischen Nachbarländer und die Hamas haben jeweils mehr als ein “Butscha” an Kriegstoten und Attentatsopfern zu verantworten.

  3. Taoiseach says von der Leyen comments ‘lacked balance’
    (Eigene Übersetzung)
    Taoiseach sagt, von der Leyens Kommentare waren “unausgewogen”
    Taoiseach (Regierungschef, wörtlich “Häuptling”)Leo Varadkar sagte, dass einige der Kommentare von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Israel und Gaza “unausgewogen” seien und fügte hinzu, dass er “ihr das gesagt” habe.
    Seine Äußerungen folgen auf die Kritik von Präsident Michael D. Higgins an Frau von der Leyen, nachdem sie nicht gefordert hatte, dass Israels Vergeltungsmaßnahmen mit dem Völkerrecht vereinbar sein sollten.
    Im Dáil sagte Varadkar heute, Irland verurteile die Angriffe der Hamas auf Israel vorbehaltlos. Aber er sagte, es sei “nicht akzeptabel, dass Israel das internationale Recht verletzt”.
    Er sagte: “Niemand will, dass sich das ausbreitet.”
    Er reagierte damit auf die Vorsitzende der Sozialdemokraten, Holly Cairns, die die Äußerungen von Frau von der Leyen als eine “ernsthafte Überschreitung ihrer Autorität” bezeichnete.
    “Dies ist kein Krieg, es ist Völkermord und ethnische Säuberung”, sagte Cairns.
    Sie sagte, dass 6.000 Bomben auf ein Gebiet abgeworfen worden seien, das halb so groß sei wie die Grafschaft Louth. (Die kleinste Grafschaft in Irland. Anm.MM)
    Quelle: Raidió Teilifís Éireann

    Anmerkung Moritz Müller: Meiner Meinung nach gute Berichterstattung über Aussagen europäischer Politiker, die die Dinge beim Namen nennen.

  4. Starke Stimme für den Frieden
    Differenzierte Reaktionen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, Plädoyer für diplomatische Lösungen
    Wie bereits beim Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Rußland in der Ukraine äußerten sich zahlreiche Regierungen Lateinamerikas nach dem Angriff der Hamas auf Israel differenzierter als die USA und die meisten EU-Länder. Statt einseitiger Schuldzuweisungen, bedingungsloser Unterstützung eines der Kontrahenten, Waffenlieferungen und einer militärischen Eskalation in der Region fordern Vertreter lateinamerikanischer Länder diplomatische Lösungen. Sie kritisieren Gewalt und Terror auf beiden Seiten und verweisen auf die Ursachen des Konflikts. Brasiliens Außenministerium verurteilte »die Angriffe, die vom Gazastreifen aus auf Israel verübt wurden«, und rief beide Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf, um eine weitere Eskalation der Situation zu vermeiden. »Ich war schockiert über die Terroranschläge und bekräftige meine Ablehnung des Terrorismus in jeglicher Form«, schrieb Präsident Lula da Silva. (…)
    Kolumbiens Staats- und Regierungschef Gustavo Petro appellierte an beide Seiten, »sich an einen Tisch zu setzen«, um über den Frieden zu verhandeln und die Existenz von zwei souveränen Staaten zu akzeptieren. Palästinensische Kinder könnten nur in Frieden schlafen, wenn israelische Kinder in Frieden schlafen, so wie israelische Kinder nur dann Frieden fänden, wenn palästinensische Kinder in Frieden schlafen könnten. Ein Krieg werde dies nie erreichen, sondern nur ein Friedensabkommen. (…)
    Deutliche Kritik an Israel äußerten die Regierungen von Bolivien, Kuba, Nicaragua und Venezuela. Während das Außenministerium in La Paz »zur Deeskalation der Gewalt, zum Schutz des Lebens und der Menschenrechte« aufrief, erklärte Expräsident Evo Morales, Israel sei »den Vereinigten Staaten ebenbürtig, interventionistisch und expansionistisch«. Kuba äußerte sich »zutiefst besorgt über die Eskalation der Gewalt, die eine Folge von 75 Jahren der permanenten Verletzung der Rechte des palästinensischen Volkes« sei. Ähnlich argumentierend fordert Venezuela die »Einhaltung der Resolution 2334 des UNO-Sicherheitsrates, die von Israel die sofortige und vollständige Beendigung aller Siedlungsaktivitäten und der Besetzung palästinensischer Gebiete verlangt, da dies der einzige Weg ist, um Frieden zu erreichen«.
    Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
  5. Trauer und Hilfe
    Hunderttausende sind auf israelische Anordnung in den Süden Gazas geflüchtet. Doch auch hier fallen Bomben, Hunderte Menschen sind bereits gestorben. medico-Partner:innen helfen in ihren Einrichtungen.
    Majeda Al Saqqa ist eigentlich eine fröhliche Frau, die gerne und viel lacht und dabei Zigaretten raucht. In Kreuzberg würde sie nicht auffallen, in Gaza ist sie eine Ausnahmeerscheinung: kurze graue Locken, die sie nicht bedeckt, oft im Kapuzenpulli, im Herbst und Winter gerne auch mal mit Lederjacke. In diesen Tagen ist zumindest von Deutschland aus wenig von Majedas Fröhlichkeit zu spüren. Die Direktorin für Außenkommunikation der feministischen Culture & Free Thought Association (CFTA) ist erschöpft. In Sprachnachrichten informiert sie uns über die Situation in Khan Younis im südlichen Gazastreifen, die Stimmung unter ihren Kolleg:innen, bei sich zu Hause.
    „Es tut mir sehr leid: Das Projekt in Ga’al Al Gurein ist vollständig zerstört worden.“ Die CFTA hatte sich dort mit medico-Unterstützung um Kinder mit angeborenen Hörstörungen gekümmert, ihnen Hörgeräte besorgt, außerdem Workshops für Kinder und Jugendliche angeboten. Wie diese Arbeit weitergehen kann, ist angesichts des Krieges und der Zerstörung unklar. Neben diesem Projekt arbeiten wir seit Jahren mit CFTA in der Unterstützung von Krebspatientinnen in Gaza. Die Kolleginnen der Association kümmern sich rührend um die Frauen, betreuen sie gesundheitlich und psychologisch.
    Quelle: medico
  6. Das Debakel der Neocons
    Die neokonservative Außenpolitik der USA hat die Ukraine an den Rand des wirtschaftlichen, demografischen und militärischen Zusammenbruchs geführt. Was sollte die US-Regierung angesichts dieser drohenden Katastrophe jetzt tun?
    Die Ukraine markiert das Endstadium des 30-jährigen außen- und geopolitischen Debakels der US-Neocons. Der Plan, Russland in der Schwarzmeerregion durch die NATO einzukreisen, ist gescheitert. Die Entscheidungen, die die USA und Russland jetzt treffen müssen, werden von enormer Bedeutung nicht nur für die Region, sondern die ganze Welt sein.
    Vier Ereignisse haben die Hoffnungen der Neokonservativen auf eine NATO-Osterweiterung um die Ukraine, Georgien und darüber hinaus zunichte gemacht. Erstens: Die Ukraine ist auf dem Schlachtfeld verwüstet worden, mit tragischen und entsetzlichen Verlusten. Russland scheint den Zermürbungskrieg zu gewinnen, ein Ergebnis, das von Anfang an vorhersehbar war, das aber von den Neokonservativen und großen Teilen der Medien weiterhin geleugnet wird.
    Zweitens schwindet die Unterstützung in Europa. Polen spricht nicht mehr mit der Ukraine. Ungarn widersetzt sich seit langem den Neokonservativen. Die Slowakei wählte jüngst eine Anti-Neocon-Regierung. Die EU-Staats- und Regierungschefs von Macron, Meloni, Sanchez, Scholz bis Sunak haben in ihren Ländern mit viel höheren Ablehnungs- als Zustimmungsquoten in der Bevölkerung zu kämpfen.
    Der dritte Punkt ist die Kürzung der US-Finanzhilfe für die Ukraine. Die Basis der Republikanischen Partei, mehrere republikanische Präsidentschaftskandidaten und eine wachsende Zahl republikanischer Kongressabgeordneter lehnen weitere Ausgaben für die Ukraine ab. In dem Überbrückungsgesetz zur Aufrechterhaltung des Regierungsbetriebs haben die Republikaner neue Finanzhilfen für die Ukraine gestrichen. Zwar hat das Weiße Haus neue Hilfsgesetze gefordert, doch das wird ein harter innenpolitischer Kampf werden.
    Viertens, und aus ukrainischer Sicht am dringlichsten, ist die drohende Gefahr einer russischen Offensive.
    Quelle: Makroskop
  7. „Zum Schweigen gebracht”
    Der internationale Protest gegen die Absage einer Literaturpreisverleihung an eine palästinensische Autorin auf der Frankfurter Buchmesse schwillt an. Der Direktor der Buchmesse, Juergen Boos, hatte Ende vergangener Woche verfügt, „angesichts des Terrors gegen Israel“ könne das international hoch gelobte Buch „Eine Nebensache“ der Autorin Adania Shibli in Frankfurt nicht gewürdigt werden. Auch eine Diskussionsveranstaltung mit der Palästinenserin wurde gestrichen. Gegen die deutsche Maßnahme protestieren schon über 700 Schriftsteller, Übersetzer und Verleger aus aller Welt, darunter Nobelpreisträger sowie weitere weltbekannte Autoren: Kultur müsse „Verständnis und Dialog zwischen Kulturen“ fördern, heißt es in einem Protestbrief. Zudem ziehen sich Schriftsteller und Verlage aus der arabischen bzw. islamischen Welt von der Buchmesse zurück: Er wolle nicht mittragen, dass in Frankfurt „palästinensische Stimmen zum Schweigen gebracht werden“, erläutert ein ägyptischer Autor. Die Indienststellung kultureller Ereignisse zu Zwecken der deutschen Außenpolitik lässt sich bereits seit dem 24. Februar 2022 am Beispiel des Ausschlusses russischer Kultur beobachten; sie nimmt nun weiter zu.
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu auch: Abgesagte LiBeraturpreis-Vergabe an Autorin Adania Shibli: Keine Nebensache
    Die Verleihung des LiBeraturpreises an die palästinensische Autorin Adania Shibli wurde kurzfristig abgesagt. Der Vorwurf: „Eine Nebensache“ sei einseitig und israelfeindlich. Wer ihren Roman dafür kritisiert, kann ihn nicht gelesen haben
    Deutschland ist ein Ort, wo ein bayerischer Wirtschaftsminister mit antisemitischen Schmierereien davonkommt, während eine palästinensische Autorin, die über die historisch verbürgte Geschichte einer Vergewaltigung durch israelische Täter schreibt, wegen Antisemitismus gecancelt wird, schrieb der in Israel geborene Autor Tomer Dotan-Dreyfuß am Wochenende sinngemäß auf Facebook.
    Anlass dieser Zeilen ist eine umstrittene kulturpolitische Entscheidung. Am kommenden Freitag sollte Adania Shibli den LiBeraturpreis 2023 erhalten. Mit dem LiBeraturpreis, der seit 1987 vergeben wird und derzeit mit 3.000 Euro dotiert ist, zeichnet die Organisation für Übersetzungsförderung Litprom Autor:innen aus dem Globalen Süden aus. Eine Jury hatte Mitte Juni entschieden, ihren Roman Eine Nebensache auszuzeichnen. Darin erzählt die in Ramallah und Berlin lebende Autorin zwei Geschichten. Zum einen greift sie einen Missbrauchs- und Mordfall an einem Beduinenmädchen durch israelische Soldaten im Jahr 1949 auf, den Journalisten der links-liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz vor gut zwanzig Jahren aufgedeckt haben. Zum anderen spiegelt der Roman die Ich-Perspektive einer jungen Palästinenserin, die Jahrzehnte später dem Fall auf eigene Faust auf den Grund geht und dabei auf tragische Weise ums Leben kommt.
    Quelle: der Freitag

  8. CDU-Politiker: ‘Israels Sicherheit als Staatsräson’ – notfalls “mit unserem Leben verteidigen”
    Roderich Kiesewetter ist “Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss”. In den vergangenen Wochen war der Politiker regelmäßig zu Gast in den Talk-Sendungen von ARD und ZDF, um im Rahmen seiner Funktion die demnach unbedingte – auch militärische – Solidarität mit der Ukraine seitens Deutschlands erläuternd einzufordern.
    In einem Beitrag des ZDF am 15. Oktober irritiert Kiesewetter nun, in einem fließenden Übergang gleichlautender Statements, durch einen beeindruckenden Satz zum Thema “Israels Sicherheit als Staatsräson”.
    Der interviewte Kiesewetter teilt dabei den ZDF-Zuschauern mit, dass Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland, “vor mehreren Fraktionen des Bundestages und dem Auswärtigen Ausschuss” erklärt habe, dass “wir uns auf schlimme Bilder einstellen müssen.” Ob diese Bilder ausgehend von der Militäroperation gegen den Gazastreifen oder durch Aktionen der Hamas entstehen könnten, wird nicht weiter dargelegt. Prosor habe zudem mitgeteilt, dass es “noch schlimmer wäre, wenn die Existenz Israels gefährdet bliebe”, so der CDU-Politiker erläuternd.
    ZDF-Moderator Theo Kroll bezeichnet zu Beginn des Beitrags das Wort “Staatsräson” als “politischen Überbegriff”, der “genauso groß und aufgeladen, wie unkonkret” sei. Wenige Minuten später stellt der Beitrag die begriffsbezogene Frage, ob die aktuell medial-politisch forcierte Umsetzung einer “Staatsräson” gegenüber Israel als Begrifflichkeit in der Bedeutung “nicht zu groß” sei. Kiesewetter antwortet wörtlich in einer subjektiven Reaktion:
    “Ja, das bedeutet auch, dass wir (sic) bereit sind mit unserem Leben die Sicherheit Israels zu verteidigen.”
    Welche gesellschaftlichen Ebenen Kiesewetter mit der Formulierung “wir” dabei in Erwägung zieht, über potenzielle militärische Aktivitäten und Unterstützungen hinaus, wird nicht erfragt.
    Quelle: RT DE

    Anmerkung Christian Reimann: Was macht Herr Kiesewetter noch in Deutschland, wenn “wir” doch nun bereit sein sollen, “mit unserem Leben die Sicherheit Israels zu verteidigen”? Und wen um Himmels willen hat das Mitglied einer angeblich christlichen Partei eigentlich mit “wir” gemeint? Bitte lesen Sie dazu z.B. auch Nazi-Vergleich von CDU-Spitzenpolitiker Kiesewetter: „Ihr seid ja schlimmer als KZ-Wächter“ und Infantil, infantiler, Kiesewetter: CDU-Außenpolitiker reagiert auf NachDenkSeiten-Artikel und blamiert sich erneut.

  9. Gastgewerbe: Bessere Arbeitsbedingungen nötig, um Arbeitskräftemangel zu überwinden
    Die Coronakrise hat das Gastgewerbe hart getroffen. Viele Beschäftigte haben sich andere Jobs gesucht. Ohne bessere Arbeitsbedingungen werden sie nicht zurückkommen – und die Branche wird generell nicht attraktiver für Arbeitskräfte. Neben weiteren Verbesserungen bei der Bezahlung spielt dabei eine berechenbare Arbeitsorganisation eine wichtige Rolle, ergibt eine neue Studie für die Hans-Böckler-Stiftung.
    Vor Corona waren über zwei Millionen Menschen im Gastgewerbe tätig. Im April 2020 waren es 330.000 Beschäftigte weniger – trotz Kurzarbeit und anderer Unterstützungsmaßnahmen. Und bis heute ist das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht. Das geht aus der Untersuchung von Katrin Schmid und Dr. Stefan Stracke hervor. Die Fachleute von der Beratungsgesellschaft Wmp Consult haben die jüngsten Entwicklungen in der Branche analysiert, unter anderem durch die Befragung von mehr als 4000 Beschäftigten und von Betriebsräten. Sie schreiben: „Das bisherige Geschäftsmodell der Branche kam durch Corona ins Wanken und die Nachwirkungen sind immer noch zu spüren. Im Jahr 2022 waren noch rund 100.000 Beschäftigte weniger im Gastgewerbe tätig als vor der Pandemie. Die Frage ist, ob und wie sich diese Personallücke wieder schließen lässt.“
    Quelle: Hans Böckler Stiftung
  10. Deutsche Bahn: Mit 20.000 Managern auf dem Weg zur Privatisierung?
    Jetzt geht es endlich los? Die neue Aktiengesellschaft DB Infra-GO AG. Bei Kritikern schrillen die Alarmglocken. Ein Interview mit dem Infrastrukturexperten Carl Waßmuth.
    Zum Jahreswechsel werden die DB Netz und die DB Station & Service zu einer neuen Aktiengesellschaft DB Infra-GO AG zusammengefasst.
    Die DB InfraGO AG wird sich in Zukunft um das Schienennetz in Deutschland kümmern. Etwaige Gewinne fließen zurück in den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur, verspricht die Bundesregierung. So komme endlich mehr Verkehr von der Autobahn auf die Schiene. Ein Schritt in Richtung verkehrspolitische Vernunft? Keineswegs, findet Carl Waßmuth vom Bündnis Bahn für alle.
    Herr Waßmuth, “Bahn für alle” protestiert hartnäckig gegen die Infra-GO AG. Die Parole lautet: “Infra no go!” Dabei steht das GO im Namen doch für gemeinwohlorientiert – was haben Sie dagegen, dass das Schienennetz in Deutschland nicht mehr gewinnorientiert betrieben werden soll?
    Carl Waßmuth: Das Go! im Namen soll wohl andeuten, dass es jetzt endlich losgeht. Das wäre auch bitter nötig, denn die Infrastruktur ist im schlimmen Zustand. Aber Bahnsysteme auf der ganzen Welt funktionieren am besten, wenn Züge und Schienen aus einer Hand betrieben werden.
    Solche integrierten Systeme gibt es in der Schweiz, in Österreich, eigentlich überall da, wo der Schienenverkehr gut funktioniert. Dass der FDP-Verkehrsminister Volker Wissing an der integrierten Bahn sägt, lässt bei uns alle Alarmglocken schrillen.
    Wir befürchten, dass die Netz-Infrastruktur nach und nach aus dem Verbund herausgelöst wird, um die DB Fernverkehr und DB Regio für eine Privatisierung aufzuhübschen und zu verkaufen. Das wäre nach der Aufspaltung ohne weiteres möglich.
    Ein Beschluss im Aufsichtsrat genügt, nicht einmal ein neues Gesetz wäre nötig. Dabei bringt die Reform keinerlei Vorteile. Die DB wird aufgespalten und abermals neue Posten geschaffen, obwohl die Managementkosten bereits jetzt erheblich sind.
    Welche Kosten meinen Sie?
    Carl Waßmuth: Kosten für Verwaltung und Management. Als wir vor 30 Jahren die Bahnreform bekommen haben, gab es 6.000 sogenannte Bahndirektoren, was als verschwenderisch angeprangert wurde. Heute leistet sich die Bahn 20.000 Manager.
    Wenn jeder von ihnen 100.000 Euro Jahresgehalt bekommt, sind das bereits zwei Milliarden jährlich! Gleichzeitig wurden 190.000 Stellen eingespart in den Betriebsdiensten, in den Zügen, auf den Bahnhöfen und so weiter.
    Quelle: Telepolis
  11. Preisanstieg bei Baumaterialien Zement fast 42 Prozent teurer
    Bauen in Deutschland bleibt kostspielig. Vor allem die Preise für mineralische Baustoffe wie Zement, Kalk und Gips sind im ersten Halbjahr stark gestiegen. Etwas Entspannung gibt es bei den Holzpreisen.
    Die Preise für verschiedene Baumaterialien sind in den ersten sechs Monaten des Jahres zum Teil massiv gestiegen. Für Häuslebauer, aber auch Wohnungsbaugesellschaften bleiben neue Bauvorhaben damit teuer.
    “Die Preise für Baumaterialien bleiben auch im ersten Halbjahr 2023 hoch”, resümierte das Statistische Bundesamt zu einer aktuellen Statistik. Die Experten verweisen dabei auf den deutlichen Rückgang auf Bauvorhaben in Deutschland, der auch auf die gestiegenen Preise bei Baumaterialien zurückzuführen ist.
    Vor allem mineralische Baustoffe wie Zement und Bausand stiegen erheblich im Preis, nämlich um 41,7 Prozent, bzw. 22,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch die Preise für Kalk und Gips (plus 67,7 Prozent) lagen weit über dem Niveau des ersten Halbjahres 2021. Baustoffe, für deren Herstellung ebenfalls viel Energie benötigt wird – zum Beispiel Flachglas, etwa für Fenster – verteuerten sich in diesem Zeitraum um 45,4 Prozent.
    Quelle: tagesschau
  12. Kitas in BW: Land will weniger Erzieher pro Gruppe ermöglichen
    Kitas im Land sollen nach einem Beschluss des Kabinetts unter bestimmten Bedingungen von Personalvorgaben abweichen können. Damit dürften sie in Zukunft weniger Erzieher pro Gruppe einsetzen.
    Wegen des großen Fachkräftemangels will das Land Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg erlauben, unter bestimmten Bedingungen von Personalvorgaben abzuweichen und den Betreuungsschlüssel zu senken – also die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher pro Gruppe zu senken. Laut einer Regierungssprecherin stimmte das Kabinett am Dienstag der Einführung eines “Erprobungsparagrafen” zu. Der Landtag soll sich noch im Herbst mit dem Gesetzentwurf befassen und abstimmen.
    Ziel der neuen Regelung ist es nach früheren Angaben des Kultusministeriums, einen rechtssicheren Rahmen zur Erprobung neuer Ideen und Konzepte zu schaffen. “Mit dieser Neuerung ermöglichen wir Kindertageseinrichtungen, flexibler auf die individuellen Gegebenheiten vor Ort zu reagieren”, sagte Volker Schebesta (CDU), Staatssekretär im Kultusministerium, am Dienstag in Stuttgart.
    Quelle: SWR
  13. Ambulante Versorgung in Gefahr
    Kassenärzte warnen vor Verschlechterung der medizinischen Leistungen und Praxiskollaps.
    Seit spätestens Mitte August schreiben die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und das Bundesgesundheitsministerium Briefe hin und her. In ihrem aktuellen Schreiben, das am Dienstag die Runde machte, warnen die Kassenärzte, ohne Kurskorrekturen werde es »sehr zeitnah zu deutlich spürbaren Verschlechterungen der Versorgung kommen«. Die KBV unter dem Vorsitz von Andreas Gassen pocht unter anderem auf die versprochene Aufhebung des Kostendeckels für die Hausärzte, die Stärkung der ambulanten Versorgung, eine Entbürokratisierung und praxistaugliche digitale Anwendungen. Zusätzlich fordert die KBV die Entbudgetierung für alle Fachärzte. Die Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), wonach die Praxen auskömmlich finanziert seien, sei angesichts der stark steigenden Ausgaben eine »eklatante Fehleinschätzung«, kritisierten die Kassenärzte. Anfang Oktober hatte Lauterbach darauf hingewiesen, dass Ärzte nach Abzug aller Kosten im Jahr im Mittel (Median) auf 230.000 Euro kommen. »Diese Diskussion ist nicht zu gewinnen«, sagte KBV-Sprecher Roland Stahl am Dienstag gegenüber jW. Im übrigen finde er es »vollkommen in Ordnung, dass jemand mit der Verantwortung, die ein Arzt hat, auch gut verdient«. Es sei auch nicht das Ziel zu sagen, »die Ärzte sind arm«. Es gehe um die Rahmenbedingungen, die sich seit Jahren verschlechterten. Die Budgetierung führe dazu, dass zehn Prozent der Leistungen in Praxen umsonst erbracht würden. Und das bei 600 Millionen Behandlungsfällen, die die rund 100.000 niedergelassenen Ärzte jährlich versorgten, so Stahl. Zum Vergleich: In den Krankenhäusern seien es 20 Millionen – wenn auch schwerere – Fälle. Hinzu kämen Fachkräftemangel und steigende Kosten infolge der Inflation. Im Durchschnitt seien die niedergelassenen Ärzte 54 Jahre alt und viele Ärzte praktizierten sogar weit über das Rentenalter hinaus, erläuterte der KBV-Sprecher. Jungmediziner seien unter den derzeitigen Bedingungen schwer für den ambulanten Bereich zu gewinnen.
    Quelle: junge Welt
  14. Rezension: „Les origines du plan Marshall”
    Der Marshall-Plan? Das war, so lautet die im Westen gängige Ansicht, die auch in Deutschland von offiziöser Seite vertreten wird, ein selbstloses Wiederaufbauprogramm der Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 5. Juni 1947 vom damaligen US-Außenminister George C. Marshall öffentlich vorgestellt, sollte das Programm der wegen der Kriegsschäden immer noch darbenden „Wirtschaft in Europa wieder auf die Beine helfen“ und zugleich die „Ausbreitung des Kommunismus verhindern“: So erläutert es exemplarisch das von der Staatsstiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ getragene Webportal Lebendiges Museum Online (LeMO). Washington stellte demnach in den Jahren von 1948 bis 1952 völlig uneigennützig riesige Summen bereit, damals rund 12,4 Milliarden US-Dollar – nach heutigem Wert rund 157 Milliarden Euro –, um die Lebensverhältnisse in Westeuropa zu verbessern. Der Marshall-Plan – ein humanitäres Wunderwerk? Wer der offiziösen Historiographie nicht recht glauben mag, findet ausführliche Hintergründe in dem jüngsten Buch der französischen Historikerin Annie Lacroix-Riz über „Die Ursprünge des Marshall-Plans“ bzw., so der Untertitel, den „Mythos von der amerikanischen ‘Hilfe‘“.
    Quelle: German Foreign Policy
  15. „Menschenrechte und Menschenwürde wurden verletzt“
    Waren die Corona-Maßnahmen doch wirksam? Schulschließungen hätten „eindeutig die Zahl der Erkrankten und Verstorbenen gesenkt“ – so Christian Drosten in einem aktuellen Interview mit der ZEIT. Der Frankfurter Medizinprofessor Johannes Pantel hat die Daten, auf die Drosten sich nun bezieht, überprüft. Im Interview erklärt er, warum dessen Aussage unhaltbar ist, der Umgang auch mit den Alten in der Coronakrise falsch war und eine Aufarbeitung – die er gemeinsam mit mehreren Dutzend Professorenkollegen in zwei offenen Brief fordert – unumgänglich. (…)
    Multipolar: Nun könnte man sagen: Was wir hier besprechen, könnten Sie Drosten ja auch direkt selbst sagen. Warum sollte aus Ihrer Sicht aber auch öffentlich darüber gesprochen werden?
    Pantel: Ich glaube, in punkto einer ausgewogenen Wissenschaftskommunikation ist in den vergangenen drei Jahren sehr vieles schiefgelaufen. Das gilt insbesondere für den medialen und politischen Umgang mit wissenschaftlichen Inhalten und wissenschaftlichen Unsicherheiten, aber auch für die Wissenschaftsszene selbst. Hier gibt es einiges aufzuarbeiten und das kann man am Beispiel eines medial sehr exponierten Wissenschaftlers wie Herrn Drosten sehr gut tun. Im Übrigen habe ich mich mit meiner Kritik an dem Interview auch direkt an Herrn Drosten gewendet, bisher aber keine Antwort erhalten. Aber das ist vielleicht Teil des Problems.
    Multipolar: Wie haben Sie in der Coronakrise Drosten und sein Auftreten, seine Äußerungen, sein Wirken wahrgenommen?
    Pantel: Herr Drosten scheint für sich selbst häufig einen gewissen Alleinvertretungsanspruch anzunehmen. Dagegen werden diejenigen, die eine andere Auffassung vertreten, von ihm der „Desinformation“ bezichtigt oder als „Pseudoexperten“ degradiert, die bestenfalls eine „Privatmeinung“ äußern. Es entstand jedoch häufig der Eindruck, dass er das gleiche Cherry-Picking betreibt, das er seinen Kritikern immer vorwirft – also das einseitige sich berufen auf Studien, die die eigene Meinung stützen, während andere Erkenntnisse ausgeblendet werden. Da wird schon mit zweierlei Maß gemessen.
    Quelle: Multipolar


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