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Titel: Hurra, wir sparen uns kaputt

Datum: 17. August 2011 um 9:38 Uhr
Rubrik: Schulden - Sparen, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Wie überall in Europa und den westlichen Industriestaaten bricht das Wachstum auch in Deutschland ein. Nur noch um 0,1 Prozentpunkte ist das BIP im Sommer gegenüber dem ersten Quartal 2011 gestiegen. Von wegen „Aufschwung XL“. Da in ganz Europa und in den westlichen Industrienationen nur noch massiv gespart wird, bricht nahezu überall das Wachstum ein. Das bringt logischerweise den deutschen Wachstumsmotor „Export“ ins Stottern. Trotz eines angeblich „robusten Arbeitsmarktes“ bremst eine schwache Binnennachfrage den „Aufschwung“. Da es in einer Art von Gehirnwäsche gelungen ist, die Banken- und Finanzkrise in eine „Staatsschuldenkrise“ umzudeuten, ist in den Regierungen eine Spar-Pandemie ausgebrochen. Während der letzte Wirtschaftseinbruch im Gefolge der Finanzkrise noch mit staatlichen Konjunkturprogrammen abgemildert werden konnte, werden jetzt, wo angeblich alles der „Staatsverschuldung“ geschuldet ist, mit einer knallharten Austeritätspolitik die Fehler der ersten Weltwirtschaftskrise wiederholt. Wenn kein Umdenken erfolgt, landen wir erneut in einer europa- oder gar weltweiten wirtschaftlichen Depression – mit kaum vorhersehbaren schlimmen Folgen. Wolfgang Lieb

„Die Dynamik der deutschen Wirtschaft hat sich nach dem schwungvollen Jahresauftakt deutlich abgekühlt: Im zweiten Vierteljahr 2011 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – preis-, saison- und kalenderbereinigt – lediglich um 0,1 % höher als im ersten Vierteljahr. Das Ergebnis für das erste Quartal 2011 wurde leicht nach unten korrigiert auf nun + 1,3 %.“

So lautet die ernüchternde Nachricht des Statistischen Bundesamtes.

Dazu die Grafik:

Bruttoinlandsprodukt

Quelle: Statistisches Bundesamt Siehe Ergebnisse der großen VGR-Revision

Von wegen „Aufschwung XL“

Sie erinnern sich sicher noch daran, als der damalige Wirtschaftsminister Brüderle ständig vom „Aufschwung XL“ schwadronierte. Noch im Juni lobte sich Kanzlerin Merkel für den von ihrer Regierung herbeigeführten „Aufschwung“. Wenn Regierungen Schönfärberei betreiben, gehört das vielleicht noch zur üblichen Regierungspropaganda, aber nicht einmal die SPD und die Grünen blieben auf dem Boden der Realität. Die beiden Oppositionsparteien stritten sich mit der Regierung ausschließlich darüber, wer sich denn den „Aufschwung“ ans Revers heften dürfe – also, ob es nun an der Agenda 2010 von Rot-Grün oder am „Wirtschaftsbeschleunigungsgesetz“ von Schwarz-Gelb lag, dass sich die Konjunktur nach dem tiefen Absturz von 2009 wieder ein wenig erholte.

Auch sämtliche Konjunkturprognosen sagten einen weiteren Aufschwung voraus, ja einige Konjunkturforschungsinstitute korrigierten noch vor kurzem ihre Prognose für das Jahr 2011 sogar nach oben. Die „fünf Weisen“ des Sachverständigenrates sahen „Chancen für einen stabilen Aufschwung“. Selbst das ansonsten kritischere Institut für Makroökonomie (IMK) hob seine frühere Prognose für die Zunahme des Bruttoinlandsproduktes für den Jahresdurchschnitt 2011 noch im Juni 2011 um 1,3 Prozentpunkte auf sage und schreibe 4 Prozent an. “Ich bin überrascht”, sagt nun Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK, “und natürlich enttäuscht: Alle Indikatoren haben auf ein höheres Wachstum hingedeutet.” Wieder einmal werden die Prognostiker von der Realität eingeholt und müssen vermutlich alle ihre schönen Prognosen nach unten korrigieren. Bankenvertreter haben schon eine solche Korrektur angekündigt. Die Ökonomen sind „ernüchtert“, was nur belegt, dass sie vorher trunken waren.

Und natürlich waren auch sämtliche Medien begeistert über den großartigen Aufschwung. Aber das ist ja nichts Neues, dass in der Medienlandschaft überwiegend nur nachgeplappert wird, was Regierung und „Experten“ vorsagen.

Wir haben auf den NachDenkSeiten ständig vor Euphorie gewarnt. Nicht etwa weil wir Politik, Wirtschaftsexperten oder den Wirtschaftsjournalisten in ihre köstliche Suppe spucken wollten, sondern weil wir nicht erkennen konnten, wodurch der Aufschwung eigentlich getragen sein sollte.

Überall wird gespart und die Wirtschaft bricht ein

Nun dürfte es so kommen, wie man realistischer Weise erwarten musste, der Aufschwung ist im zweiten Vierteljahr in sich zusammengefallen, die Wirtschaft stagniert.

Wie sollte die Wirtschaft auch weiter wachsen?

Im ersten Vierteljahr lebte das Wachstum von 1,3 Prozent im Wesentlichen noch vom Export vor allem in die sogenannten Schwellenländer. Schon damals dümpelte der Export in die Länder der Europäischen Union in der Flaute. Wie sollte die Nachfrage auch steigen, wenn überall in Europa geradezu eine Spar-Pandemie grassiert und damit die Konjunktur in unseren Nachbarländern kaputt gespart wird:

Sparen also, wo man hinschaut. Auch in den USA sollen 2,5 Billionen Doller eingespart werden. Die weltgrößte Volkswirtschaft schaffte bis zum Frühjahr gerade mal ein Plus von 0,3 Prozent. Die Arbeitslosenquote verharrt auf gut 9 Prozent.

In den 17 Euro-Ländern kommt die Konjunktur im zweiten Quartal „fast zum Erliegen“ und legte nach der europäischen Statistikbehörde Eurostat nur noch um 0,1 Prozent im Vergleich zum ersten Vierteljahr zu. 5 Millionen Jugendliche sind ohne Job, in Spanien sind es inzwischen 40 Prozent der jungen Leute arbeitslos.

Deutscher Wachstumsmotor „Export“ stottert

Die deutsche Exportquote – also die ins Ausland verschifften Waren und Dienstleistungen in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt – liegt derzeit bei 46 Prozent.
Wo sollte eigentlich in dem extrem exportabhängigen Deutschland Wachstum herkommen, wenn überall in Europa – in das 60 Prozent seiner Exporte gehen – gespart wird und somit Kaufkraft schwindet. Bislang setzten die deutschen Exportfetischisten ihre Hoffnungen auf eine Zunahme der Ausfuhren in die sogenannten „BRIC“-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China). Die Exporte dorthin verdoppelten sich zwar zwischen 2005 und 2010, doch sie machen nur ein Zehntel der deutschen Ausfuhren aus.

Der Rückgang der Ausfuhren in den Euro-Raum, kann durch einen Anstieg des Handels mit den „BRIC“-Länder also kaum ausgeglichen werden. Erschwerend hinzu kommt, dass unter der Rezession in den westlichen Industriestaaten auch die „Schwellenländer“ leiden werden. Das besonders exportabhängige Singapur mag da als Frühindikator gelten, der Stadtstaat meldete letzte Woche einen Rückgang seines Bruttoinlandprodukts um 6,5 Prozent für das zweite Quartal. Japan hat seine BIP-Prognose von 1,5 auf jetzt nur noch 0,5 zurückgenommen. Auch aus Russland oder Brasilien gibt es negative Signale. Selbst in China ging das BIP-Wachstum zwar von einem hohen Wert auf 9,5 zurück. Dasselbe ist in Indien zu beobachten.

Die deutsche Exportabhängigkeit rächt sich

Deutschlands Wirtschaftspolitik ist seit Jahren auf die Förderung der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ ausgerichtet. Mittels Lohn-, Sozial und (Unternehmen-)Steuerdumping war Deutschland bis vor kurzer Zeit „Exportweltmeister“ und konnte immense Leistungsbilanzüberschüsse ansammeln.

Leistungsbilanz

Quelle: Statistisches Bundesamt

Hauptmotor der deutschen Wirtschaft war der Außenbeitrag und in seinem Gefolge schwankende Bruttoinvestitionen im Inland.

Realer BIP

Quelle: Deutsche Bank Research [PDF – 580 KB]

Der private Konsum stieg jedoch kaum, z.B. von 2002 bis 2006 gerade einmal um 0,2 Prozent.

Konsumausgaben

Quelle: Statista

Der angeblich „robuste Arbeitsmarkt“ kommt am Binnenmarkt nicht an

Was wurde nicht noch vor kurzem beschönigend daher geredet: Der „robuste Arbeitsmarkt“, die Lohnerhöhungen oder günstige Finanzierungsbedingungen würden den privaten Konsum anziehen lassen und die rückläufigen Exporte wenigstens ein Stück weit ausgleichen. Der Sachverständigenrat prognostizierte in seinem letzten Jahresgutachten einen Anstieg der privaten Konsumausgaben um 1,5 Prozent für 2011. Vom „Kaufrausch“ der Deutschen und vom glänzenden Konsumklima redeten die Pulsfühler der Gesellschaft für Konsumforschung noch vor einem Monat. Der Konsumklimaindex stieg und stieg und wurde regelmäßig vom wichtigsten realen Indikator für den privaten Verbrauch widerlegt: dem Umsatz im Einzelhandel. Der Einzelhandel „ist nicht (etwa) schlecht, er ist eine Katastrophe“ schrieb Heiner Flassbeck. Wenn man das Jahr 2005 mit 100 ansetzt lag er 2010 real bei 95. Er ging also deutlich zurück.

Nun konstatiert auch das Statistische Bundesamt, dass die privaten Konsumausgaben die deutsche Wirtschaft im zweiten Vierteljahr 2011 „bremsten“.

Wie sollten die Deutschen auch mehr kaufen können?

In einer Reihe von Branchen wurden zwar Tarifsteigerungen für das laufende Jahr von rd. 3 Prozent vereinbart. Die steigenden Verbraucherpreise (im Juli 2,4 Prozent) zehrten jedoch diesen Zuwachs weitgehend wieder auf [PDF – 860 KB]. Hinzu kommt noch, dass in Westdeutschland nur noch rund 65 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung beschäftigt sind, im Osten liegt der Anteil sogar nur noch bei rund 54 Prozent. Das heißt, dass in immer mehr Betrieben nicht nach vereinbarten Tarifen, also meist weniger bezahlt wird.

Die Bundesregierung argumentiert ständig damit, dass die sinkende Arbeitslosenzahlen zu höherer Nachfrage der Verbraucher führten. Doch da der Beschäftigungs-„Boom“ vor allem bei niedrig bezahlten atypischen Beschäftigungsverhältnissen ankommt, wo oft nicht mehr verdient wird als in der staatlichen Grundsicherung oder wo sogar noch „aufgestockt“ werden muss, um über der Hartz IV-Regeleistung zu liegen, ist es nicht erstaunlich, dass trotz geschönter Arbeitsmarktstatistiken nicht mehr Geld in den Geldbeuteln der Verbraucher ankommt und damit auch kaum mehr Binnennachfrage ausgelöst wird.

Wie schrieb Heiner Flassbeck so sarkastisch: Jetzt wo der Export weg bricht, weil auch unsere Nachbarn sich nicht weiter verschulden können und wo aufgrund fehlender Massenkaufkraft die Konjunktur auch nicht von innen heraus angestoßen kann, brauchen unsere ideologisch bornierten Ökonomen und die ihnen blind folgenden Politiker „nur noch die Wesen vom Mars davon überzeugen, dass wir von nun an alles produzieren, was sie brauchen, und schon ist die Sache geritzt.“

Nichts aus der ersten Weltwirtschaftskrise gelernt

Im bitteren Ernst: Wo weder Nachfrage von außen noch von privater Seite von innen die Wirtschaft stabil halten können, blieben eigentlich nur staatliche Nachfrageimpulse, die die völlig aus dem Gleichgewicht geratenen Volkswirtschaften Europas und der westlichen Welt wieder einigermaßen stabilisieren könnten.

„In 80 Jahren nichts gelernt“ titelte dieser Tage die Süddeutsche Zeitung und wollte damit sagen, dass derzeit wieder die gleichen Fehler gemacht werden, die zur verheerenden Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 geführt haben:

Dem Spekulantentum an den Börsen wird nicht Einhalt geboten, die Politik lässt sich von den Finanz“märkten“ treiben, um die „Staatsschulden“-Krise, die im wesentlichen wiederum eine Folge der Finanz- und Bankenkrise ist, zu bekämpfen. So wird in der gesamten westlichen Welt eine massive Sparpolitik betrieben, die zumindest in eine weltweite Rezession, wenn nicht gar in eine wirtschaftliche Depression führen kann, ja führen muss.

Nach dem Ausbruch der Finanzkrise hat man wenigstens noch erkannt, dass mit Konjunkturprogrammen eine Wirtschaftskrise abgemildert werden kann. Und das mit einigem Erfolg. Doch jetzt, wo es mit einer Art Gehirnwäsche erfolgreich gelungen ist, die Banken- und Finanzkrise in eine „Staats-Schuldenkrise“ umzudeuten, wird nur noch an die Bekämpfung der Staatsschulden gedacht. Angesichts der immensen Belastungen der öffentlichen Haushalte für die Rettungsmaßnahmen für die Banken, ist der Schuldenstand in fast allen Staaten derart angestiegen, dass an finanzpolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der drohenden Wirtschaftskatastrophe kein Gedanke mehr ist.

Damit reiht sich die Politik ein in den Lauf der Lemminge und jagt dem Absturz entgegen. Hurra, wir sparen uns kaputt.

Anmerkung: Vielleicht werden nun angesichts solcher düsteren Aussichten manche Anhänger des „Postwachstums“ in Begeisterung ausbrechen, dass das Wachstum nun endlich ein Ende habe. Aber wo – bitteschön – sind die Vorschläge, dass eine Depression nicht gerade wieder diejenigen trifft, denen es ohnehin am schlechtesten geht.


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