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Titel: Misere ohne Ende? Die Wohnkosten steigen und steigen. Ein neues Buch zeigt: Es geht auch anders
Datum: 3. Oktober 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Privatisierung, Rezensionen, Soziale Gerechtigkeit
Verantwortlich: Redaktion
Die Lage scheint aussichtslos. Überall steigen die Wohnkosten. Wer als Mieter in einer deutschen Großstadt nach einer neuen Wohnung sucht und auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen ist, muss tief in die Tasche greifen. Unter zwölf Euro pro Quadratmeter (netto kalt) ist in den meisten Städten nichts mehr zu finden. Besonders rasant sind die Preise von Wohneigentum in den vergangenen Jahren gestiegen; auch wenn sie zurzeit wieder etwas sinken, liegen sie im Vergleich zu früher auf sehr hohem Niveau. Müssen wir diese Preissteigerungen einfach hinnehmen? Caren Lay hat sich die Mühe gemacht, nachzuforschen. Die langjährige Expertin für Wohnen und Stadtentwicklung in der Fraktion der Linken im Bundestag stellte vor einigen Monaten ihr neues Buch über das Thema vor. Ihre zentrale These lautet: Die Spekulation mit Wohnraum verursacht die Mietenkrise. Ist das nicht etwas zu simpel? Hermann Kaienburg schildert in seiner Rezension die Ergebnisse ihrer Recherchen.
Leider haben wir uns zu sehr an die verbreitete Behauptung gewöhnt, an den Gesetzen des Marktes komme niemand vorbei. Das war aber nicht immer so. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließ sich kaum jemand gern auf den Markt. Die Bau- und Wohnungspolitik war streng reglementiert. Wegen der Kriegszerstörungen herrschte großer Wohnungsmangel. Auf welche Instrumente zur Deckung des hohen Bedarfs stützte man sich damals?
Wie ist es dazu gekommen?
Das ist der Inhalt des ersten Kapitels. Er lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Das Wohnen wurde zunehmend dem Markt überlassen.
Nach dem Krieg lief es zunächst besser. Die damalige Mietpreisentwicklung fußte auf:
Wieso wurde dieses Erfolgsrezept preisgegeben?
Wie die Mietpreisbindung abgeschafft wurde
Schon 1918 gab es eine erste Regulierung der Mietpreise in Deutschland wegen der Wohnungsnot. Nach 1945 galten Bestimmungen, die de facto Mietenstopp bedeuteten, und zwar auf dem Niveau von 1936. 1949 erfolgte die Aufhebung der Mietpreisbindung für Neubauten. Nach und nach wurden allerlei Zuschläge für Altbauten erlaubt. Das galt in der Bundesrepublik Deutschland für Altbauten bis Mitte der 1960er-Jahre; in Hamburg und München sogar bis Mitte der 1970er-Jahre, in Westberlin bis Ende der 1980er-Jahre. In der DDR gab es eine Mietpreisregulierung auch für Neubauten.
Lay berichtet, wie die Vermieter- und Immobilienlobby gegen die Regulierung agitierte. 1963/64 entstand der Lücke-Plan, benannt nach Bundesbauminister Paul Lücke. Der freie Markt sollte nun auch in der Wohnungswirtschaft Einzug halten. Der Plan wurde gegen den Widerstand von SPD, Gewerkschaften und einigen Ländern durchgesetzt, allerdings in mehreren Stufen. Bis Ende 1963 sollte die Mietpreisbindung in 397 Kreisen aufgehoben werden („Weiße Kreise“), wo angeblich keine Wohnungsnot herrschte. Dort waren sofort 25 Prozent Erhöhung möglich, zum Teil sogar 35 Prozent. In den übrigen 168 „Schwarzen Kreisen“ fiel die Bindung einige Jahre später. Die Folgen waren erheblich: steigende Mieten und viele Kündigungen. Seither gelang es mit keinem der dann eingesetzten moderateren Mittel (vor allem der Einführung von Mietenspiegeln Mitte der 1970er-Jahre und einer Mietpreisbremse 2015), den Mietpreisanstieg wieder zu stoppen. Die Mietpreisbremse zeigte z.B. kaum Wirkung; die Mieten stiegen 2015 bis 2021, also innerhalb von sechs Jahren, in Köln um 25 Prozent, in Stuttgart um 31 Prozent und in Berlin um 44 Prozent.
Das Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit
Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1990 gilt vielen Experten als der eigentliche Sündenfall der deutschen Wohnungspolitik. Die Grundidee der Gemeinnützigkeit war: Ein Teil des Wohnungsmarktes soll gemeinnützig bewirtschaftet werden; dies wird vom Staat belohnt.
Lay geht kurz auf die Geschichte ein. 1840 wurde erstmals eine Gemeinnützigkeit eingeführt. In der Weimarer Republik erfuhr sie ihre erste Blüte. Ab 1945 wurden so ca. vier Millionen Wohnungen gebaut; das waren ca. 30 Prozent der neu errichteten Wohnungen, in einigen Städten sogar 70 Prozent. In Großstädten gehörten damals den Gemeinnützigen ca. 30 Prozent aller Wohnungen mit ca. acht Millionen Mietern.
Das Herzstück der Bestimmungen war die Kostenmiete, das heißt, verlangt werden durfte nur, was zur Abzahlung und zum Unterhalt der Wohnung erforderlich war, also nicht die Marktmiete. Die Rendite war auf vier Prozent gedeckelt. Dafür gab es Steuererleichterungen.
Ende der 1960er-Jahre erstellte das Bundesfinanzministerium ein Gutachten zur Abschaffung der Gemeinnützigkeit. In den 1980er-Jahren trat die CDU für die Abschaffung ein. Es gab von vielen Seiten Widerstand dagegen. Aber der Betrugsskandal der Neuen Heimat gab der Abschaffung Auftrieb. Als den eigentlichen Grund nennt Lay: Die Vorschrift der Kostenmiete verdarb der privaten Wohnungswirtschaft die Preise.
Bereits bei der Beschlussfassung 1990 war klar: Auch für den Staat würde das teuer, wegen steigender Ausgaben bei Wohngeld und Sozialhilfe. Die Ausgaben für Wohnkosten bei Hartz IV sind in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen; sie betrugen zuletzt ca. 17 Milliarden Euro. [1] Die Kommunen mussten in den vergangenen Jahren oft die Wohnkostenzuschüsse für Hartz-IV-Betroffene erhöhen. Im Ergebnis finanziert der Staat also die Rendite der Wohnungskonzerne.
Schwindender Anteil öffentlicher Wohnungen
Die Unternehmenssteuerreform von 2000 trug erheblich dazu bei, die Spekulation mit Immobilien zu fördern. Dies machte die Privatisierung von ehemals gemeinnützigen Wohnungen erst richtig attraktiv: Sie lockte die internationale Finanzspekulation an. Es folgte eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte, z.B. die Zulassung von Hedgefonds auf Wohnungsmärkten. Private Equity Fonds spielten bei den großen Wohnungsprivatisierungen eine entscheidende Rolle. [2] Diese mussten dank der Reform bei Transaktionen keine Steuern mehr zahlen. Sie kauften in großem Maßstab Wohnungen und stießen sie oft nach kurzer Zeit mit Gewinn wieder ab. 2010 besaßen sie schon 850.000 Wohnungen in Deutschland. 2005 geißelte der SPD-Vorsitzende Müntefering solche Fonds als „Heuschrecken“, obwohl es die SPD war, die ihre Entwicklung durch Steuerverzicht gefördert hatte.
In Ostdeutschland war die Lage zunächst anders. Der Einigungsvertrag übertrug 1990 die staatlichen Wohnungen der DDR den Kommunen. Zugleich wurden ihnen aber die staatlichen Investitionen als Schulden in die Bücher geschrieben. Dadurch starteten die kommunalen Wohnungsgesellschaften hoch verschuldet ins geeinte Deutschland. Hilfen wurden nur gezahlt, wenn sie bis Ende 2003 15 Prozent der Wohnungsbestände verkauft hatten. „Das war Privatisierung per Gesetz.“ (S. 42)
Der aufhaltsame Niedergang des sozialen Wohnungsbaus
Die Bauleistung des sozialen Wohnungsbaus betrug in den 1950er-Jahren jährlich ca. 350.000 Wohnungen, in einem Jahr wurden sogar 450.000 errichtet. Das heutige (bei Weitem verfehlte) Ziel von 100.000 Sozialwohnungen (von 400.000 Wohnungen insgesamt) nimmt sich demgegenüber bescheiden aus.
In den 1980er-Jahren gab es ungefähr vier Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Heute sind es vermutlich unter einer Million. Experten schätzen, dass fünf Millionen Wohnungen für Bedürftige fehlen.
Seit den 1960er-Jahren ging es bergab. Ursache war laut Lay die Orientierung der Politik auf Eigenheime. 2001 gab es eine wichtige Änderung. Bisher war ein relativ hoher Anteil der städtischen Bevölkerung sozialwohnungsberechtigt. Dies wurde nun stark reduziert auf Geringverdiener, kinderreiche Familien und diskriminierte Bevölkerungsgruppen. Auch das Prinzip der Kostenmiete wurde abgeschafft. Die Fördersumme wurde stark verringert: 1998 waren es noch 13 Milliarden D-Mark, 2001 nur noch 230 Millionen Euro. Die Zahl der Sozialwohnungen sank daher dramatisch. Die FDP und das Land Hessen (CDU-regiert) forderten, den sozialen Wohnungsbau ganz abzuschaffen. 2007 wurden nur noch etwas über 9.000 Sozialwohnungen gebaut. Noch 2016 entgegnete ein Bundestagsabgeordneter Caren Lay auf ihre Forderung nach mehr sozialem Wohnungsbau, man solle doch „keine zweite Gropiusstadt“ bauen (S. 46).
2006 ging die Verantwortung für den Sozialen Wohnungsbau vom Bund auf die Länder über. Aber seit 2018 darf der Bund den sozialen Wohnungsbau wieder mitfinanzieren.
Ein großes Problem sind die Mietpreisbindungsfristen: Sie lagen bisher meist bei 15 Jahren. Dies ist ein wichtiger Grund für die Verringerung der Sozialwohnungen. Diese Befristung ist eine Fehlkonstruktion, die es in keinem anderen europäischen Land gibt.
Nach der Finanzkrise 2008 gab es drastische Zinssenkungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Daraufhin flüchtete noch mehr Kapital in die Finanzmärkte. Lay geht auch auf die Rolle Deutschlands als Paradies für Spekulation und Geldwäsche ein.
Praktiken der Wohnungskonzerne
Die Methode vieler Konzerne besteht darin, alte Wohnungsbestände zu kaufen, teuer zu sanieren und die Mieten stark zu erhöhen. Die „Modernisierungsumlage“ ermöglicht es, die Modernisierung nicht nur von Mietern bezahlen zu lassen, sondern die Miete dauerhaft zu steigern.
Die Private-Equity-Gesellschaften (Lay nennt sie „Geierfonds“), die in den 2000er-Jahren groß in das Geschäft mit Wohnungen einstiegen, wollten vor allem das schnelle Geschäft und zogen sich nach kurzer Zeit zurück. In der Folge entstanden große Wohnungskonzerne. Der größte Player ist Vonovia. 2021, vor Übernahme der Deutsche Wohnen, verfügte die Gesellschaft über 565.000 Wohnungen in Deutschland, Österreich und Schweden. Ende 2020 besaßen die sieben größten börsennotierten Wohnungskonzerne etwa eine Million Wohnungen in Deutschland.
Lay sieht in den Konzernen die Haupttreiber der Mietpreise. Ihre Mietensteigerungen seien deutlich höher ausgefallen als die der Gesamtmietpreisentwicklung. Besonders zeige sich dies bei Vonovia und der Deutschen Wohnen in Berlin: 2013 bis 2017 gab es dort Mietpreissteigerungen von durchschnittlich 18,3 Prozent.
Vonovia gelang ein kometenhafter Aufstieg in wenigen Jahren. Der Konzern zählt zu den 50 größten börsennotierten Aktiengesellschaften in der Eurozone. 2012 bis 2017 stiegen die Gewinne um 1.391 Prozent nach Steuern – also fast auf das 15-Fache. [3] Es gab fürstliche Gehälter an der Spitze: 2017 verdiente CEO Rolf Buch 5,67 Millionen Euro pro Jahr. Außerdem wurden hohe Dividenden ausgeschüttet. Vonovia zahlte auch gut Steuern: in fünf Jahren fast vier Milliarden Euro; „[…] da drückt man [in der Politik] offenbar gerne das eine oder andere Auge zu.“ (S. 58)
Eldorado für internationale Immobilienspekulation
Im Ausland wurden Investoren auf die günstigen Geschäftsaussichten in Deutschland aufmerksam. Da der Anstieg der Immobilienpreise in Nachbarländern früher erfolgte, galten die relativ niedrigen Mieten in Deutschland als attraktive Bedingungen. Über die Hälfte der privatisierten öffentlichen Wohnungen wurden von internationalen Fonds und Investoren gekauft, allein 2004 bis 2006 zwei Drittel von angelsächsischen Wirtschaftsunternehmen aus Großbritannien, den USA, Kanada und Australien. Außerdem waren dabei: der dänische Rentenfonds, ein chinesischer Staatsfonds, reiche Russen und der schwedische Konzern Heimstaden. Heimstaden kaufte im Dezember 2021 ca. 14.000 Wohnungen in Berlin und knapp 3.600 in Hamburg.
Die Deutsche Wohnen wurde von der Deutschen Bank gegründet, aber größter Aktionär war 2020 die Investmentgesellschaft BlackRock. Zahlen sind oft schwer zu erhalten. 2018 besaßen private professionelle Anbieter fast vier Millionen Wohnungen – mehr als die Kommunen. In Berlin gehören 15 Prozent der Wohnungen börsennotierten Wohnungskonzernen, weitere 25 Prozent großen privaten Unternehmern oder Eigentümern.
Bodenspekulation
46 Prozent der Deutschen leben in selbstgenutzten Eigenheimen oder Eigentumswohnungen (in Berlin 17 Prozent, in Bremen 28 Prozent, in Hamburg etwa ein Viertel). In den vergangenen Jahren sind die Preise in den großen deutschen Städten steil nach oben geschossen. Sie stiegen stärker als in den meisten anderen Ländern der Welt, z.B. in Berlin, Hamburg, München um 90 Prozent – das ist im internationalen Vergleich fast einzigartig. Dies ist größtenteils auf gestiegene Bodenwerte zurückzuführen.
In Deutschland gab es seit Ende des 19. Jahrhunderts eine starke Bodenreformbewegung. Wegen der Liberalisierung des Wohnungsmarktes entbrannte in den späten 1960er-Jahren eine neue Debatte über Bodenspekulation. Die SPD setzte 1970 eine Kommission ein; führend beteiligt war Hans-Jochen Vogel, damals Münchner Oberbürgermeister. Sie erarbeitete radikale Vorschläge, aber keiner der Vorschläge fand den Weg in ein Gesetz.
Die Überforderung von Politikern im Bundestag
Die Abgeordneten des Bundestages sind kein repräsentativer Durchschnitt der Bevölkerung. Viele in der politischen Klasse haben nie die Erfahrung gemacht, dass eine Mieterhöhung eine existenzielle Bedrohung sein kann. Viele profitieren von Immobilienaktien. In den Regierungsparteien herrschte eine Orientierung an den Mittelschichten vor; die Große Koalition plante in ihrer letzten Legislaturperiode dreimal so viel Baukindergeld ein wie für den sozialen Wohnungsbau. Ein Grund dafür war sicher auch, dass Arme weniger zur Wahl gehen, und viele Arme sind Ausländer. Mitte 2020 – also noch zur Zeit der Großen Koalition – wurden die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um ein Drittel gekürzt.
Lay kritisiert die oft ungenügenden Sachkenntnisse vieler Politiker im Bundestag. „Als Faustregel gilt: je komplizierter die Materie, desto ahnungsloser die Entscheider.“ (S. 88). Die Journalistin Utta Seidenspinner bezeichnete die rot-grüne Steuerreform des Jahres 2000 als einen „Schildbürgerstreich“ und mutmaßt: „Die Zauberlehrlinge aus der SPD hatten ihren eigenen Steuerpakt nicht verstanden.“ [4] Erst recht unklar dürfte den Abgeordneten gewesen sein, welche Auswirkungen die Zulassung von Hedgefonds und des Handels mit Derivaten im Immobilienbereich haben würde. „So müssen die meisten Abgeordneten Themen bearbeiten, auf denen sie nicht ausgebildet sind. Wir sind Amateure.“ (S. 89) [5] „Wenigstens von denen, die die Hauptverantwortung auf einem Themengebiet haben, kann man verlangen, dass sie wissen, was sie tun.“ (S. 89)
Seit 2022 müssen Lobbyisten sich beim Deutschen Bundestag in ein Lobbyregister eintragen. Auch wenn dies zu Recht als immer noch ungenügend kritisiert wird, gehen einige interessante Zahlen daraus hervor: Die Immobilienwirtschaft verfügt über ein jährliches Budget von etwa 8,2 bis 8,6 Millionen Euro mit 144 hauptamtlichen Lobbyisten. Dem stehen elf Hauptamtliche mit einem Budget von maximal 210.000 Euro auf Seiten der Mieter und Wohnungslosen gegenüber.
Eigene Fehler
Lay übt auch Selbstkritik, nicht nur an den Entscheidungen der rot-grünen Koalition unter Schröder, sondern auch am Wohnungsverkauf in Berlin 2004 mit Zustimmung der PDS. Die Privatisierungswelle in den 1990er- und 2000er-Jahren kommt heute viele Kommunen teuer zu stehen.
Ursachen der Preissteigerungen
Trifft Lays These zu, dass vor allem die Spekulation mit Wohnraum die Mieten nach oben treibt? Betrachtet man die Entwicklung genauer, dann lassen sich für die starken Erhöhungen auch eine ganze Reihe anderer Ursachen nennen:
Ursachen der Mietpreissteigerungen sind also nicht nur die Renditeinteressen der großen Wohnungskonzerne. Der Zuzug in die Städte spielt eine große Rolle, ebenso die ökologischen Modernisierungen und die Entwicklung der Baukosten. Die Politik legitimiert viele Erhöhungen durch gesetzliche Regelungen und politische Entscheidungen, weil ja angeblich gegen den freien Markt nichts auszurichten ist.
Die großen börsennotierten Wohnungskonzerne besitzen insgesamt nur ca. eine Million Wohnungen in Deutschland; dies entspricht einem Anteil von etwas mehr als zwei Prozent am Gesamtbestand. Auch wenn man die von Lay ebenfalls ermittelte Zahl von vier Millionen Wohnungen, die sich im Besitz von privaten professionellen Anbietern befinden, zugrunde legt, bleibt der Anteil unter zehn Prozent. Selbst wenn die großen Wohnungsunternehmen, wie die Autorin am Beispiel Berlins belegt, Spielräume bei den Mieten besonders schnell und weitgehend nutzen und damit die Preise treiben, ist ihr Anteil am Mietwohnungsmarkt zu gering, um als entscheidender Faktor zu gelten. Nicht einzelne Unternehmen sind Ursache der Entwicklung, sondern die Tatsache, dass die Preise dem freien Markt überlassen werden wie eine beliebige Ware. Es kommt darauf an, den Wohnungsmarkt zu regulieren und ihm einen möglichst hohen Anteil des vermieteten Wohnraums zu entziehen.
Alternativen
Welche Alternativen gibt es zur gegenwärtigen Wohnungspolitik?
Die Devise „Bauen, bauen, bauen!“, mit der einst der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz den Beginn einer massiven Bautätigkeit in der Hansestadt einleitete, um für eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen, hat sich als wenig erfolgreich erwiesen. Selbst wenn das Ziel der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen (davon 100.000 Sozialwohnungen) pro Jahr in Deutschland neu zu errichten, eines Tages erreicht werden sollte, wird dies nicht ausreichen, die Lage auf dem Wohnungsmarkt so zu beeinflussen, dass auch die Mietpreise sinken. Der Zuzug in die Großstädte wird anhalten und vermutlich aufgrund der hohen Migrantenzahlen sogar noch zunehmen. Um den Drang in die Großstädte besser zu steuern, wäre eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik erforderlich, etwa durch massive Gewerbeansiedlung abseits der Metropolen. Diese ist nicht in Sicht und würde auf massiven Widerstand der Wirtschaftsverbände und der wirtschaftsliberalen Eliten stoßen. Daher ist der Wohnungsbau unverzichtbar, auch wenn er nicht zur Dämpfung der Mietpreise ausreichen wird.
Beim Wohnungsbau ist ein erheblich größerer Anteil geförderter Projekte erforderlich. „Einmal gefördert, für immer günstig“ – dies muss der Grundsatz im geförderten Wohnungsbau werden. Die Befristung der Mietpreisbindung muss aufgehoben werden. Im Ausland ist sie auch nicht üblich. Die Behauptung der Wohnungswirtschaft, eine dauerhafte Bindung sei unrentabel, weil nach so vielen Jahren grundlegende Sanierungen erforderlich seien, ist falsch und purer Lobbyismus. Dies zeigen auch Berechnungen der Hamburger Volksinitiative „Keine Profite mit Boden und Miete“: Wenn nach 30 bis 40 Jahren die anfänglichen Kredite getilgt sind, sind die Eigentümer in der Regel besonders liquide, weil ein großer Teil der Kosten entfällt. Die Mietpreisbindung zu beenden ist daher unsinnig. Die Einnahmen aus den Mieten reichen für hohe Renovierungs- und Sanierungskosten aus, insbesondere wenn die Überschüsse nicht in private Taschen fließen. [7]
Diese Maßnahmen allein werden nicht genügen, um die großstädtischen Mieten für alle bezahlbar zu machen. Auch bei Bestandswohnungen müssen die Mieten effektiv gebremst und gedeckelt werden wie früher. Das Argument, dann werde der Wohnungsbau einbrechen, lässt sich entkräften. Die Errichtung neuen Wohnraums sollte wie früher möglichst weitgehend von Marktmechanismen entkoppelt werden.
Weitere flankierende Maßnahmen könnten unter anderem sein:
Eine Enteignung großer Wohnungskonzerne könnte vor allem in Berlin dazu beitragen, eine grundlegende Kehrtwende in der Wohnungspolitik einzuleiten und deutlich zu machen, dass Wohnen nicht zu Spekulationszwecken missbraucht werden darf.
Resümee
All dies mag nicht besonders realistisch klingen. Aber wenn es gelingt, für das Menschenrecht auf Wohnen eine ähnlich starke Bewegung in Gang zu setzen wie für die Umwelt, dann bestehen Chancen, dass die Politik sich in die richtige Richtung bewegt. Gelingt dies nicht, dann werden unsere Städte immer stärker in Viertel für Arme und für Reiche auseinanderfallen.
Caren Lay hat ein überaus nützliches Buch geschrieben, das eine Fülle wichtiger Informationen enthält. Besonders wertvoll ist der geschichtliche Rückblick. Hand aufs Herz: Wer wusste vorher, dass die Wohnungswirtschaft nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD jahrzehntelang stark durch Preisvorgaben reguliert war und die Wohnkosten durch einen großen Anteil öffentlicher Wohnungen, durch einen starken gemeinnützigen Sektor und durch hohe Förderung des sozialen Wohnungsbaus erträglich gehalten wurden? Der Rückweg dahin wird politisch nicht einfach durchzusetzen sein, aber das Ziel ist klar – dies ist der Weg zu bezahlbarem Wohnraum in der Zukunft!
Caren Lay: Wohnopoly. Wie die Immobilienspekulation das Land spaltet und was wir dagegen tun können, Frankfurt/Main 2022.
[«1] Zur Zeit der Abfassung des Buches (ca. 2021)
[«2] Private Equity Fonds sind Vermögensverwaltungsgesellschaften im mittleren Bereich, kleiner als z.B BlackRock, aber sie verfolgen häufig höhere Gewinnziele. Dazu gehören zum Beispiel Blackstone und Carlyle. Sie haben ihren Sitz oft in Steueroasen. Sie kaufen eher Anteile mittelgroßer Firmen, nicht von Aktiengesellschaften; denn Letztere unterliegen stärkeren gesetzlichen Regelungen, z.B. betreffend die Veröffentlichung von Bilanzen. Vgl. Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Köln 2018, S. 62ff.
[«3] Der rechnerische Verlust im Jahr 2022 ist vor allem auf umfangreiche Wertberichtungen bei den Immobilien zurückzuführen.
[«4] Utta Seidenspinner: Wohnwahnsinn. Warum Mieten immer teurer und Eigentum unbezahlbar wird, Berlin 2018, S. 114, zit. nach Lay, Wohnopoly, S. 88.
[«5] Hier sind nicht die normalen Abgeordneten gemeint, sondern die fachlich zuständigen Politiker, nach denen die anderen sich richten.
[«6] Den 76.800 Wohnungen, die in Hamburg von 2011 bis 2020 gebaut wurden, stand im selben Zeitraum ein Bevölkerungszuwachs von ca. 134.300 Menschen gegenüber, vor allem durch Zuwanderung aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland. Bei einer durchschnittlichen Wohnungsbelegung von 1,8 Personen reichten die Neubauten also gerade für das Bevölkerungswachstum aus. Und die Zuwanderung ist seither weiter gestiegen!
[«7] Wir haben nachgerechnet, in: Newsletter der Hamburger Volksinitiative „Keine Profite mit Boden und Miete“, Nummer 10/2021, S. 1, insbesondere S. 4, Abschnitt Mietpreisbindung.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=104512