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Titel: Schütz’ den Scholz! Wie Deutschlands oberste Cum-Ex-Jägerin abserviert werden soll
Datum: 27. September 2023 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht
Verantwortlich: Redaktion
Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist die profilierteste Ermittlerin bei der juristischen Aufarbeitung des größten Steuerdiebstahls in der deutschen Geschichte. Sie zerrt Topmanager vor den Kadi, klagt Großbanken an und hilft dem Staat, Hunderte Millionen Euro ergaunerter Beute zurückzuholen. Nun soll sie entmachtet werden, was anderen den Machterhalt sichert. Vielleicht ist einer davon gerade Bundeskanzler. Von Ralf Wurzbacher.
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Anne Brorhilker würde gerne richtig ranklotzen. Auf dem Schreibtisch der Kölner Oberstaatsanwältin türmt sich die Arbeit. Als Leiterin der Hauptabteilung H ermittelt sie gegen rund 1.800 Beschuldigte in über 100 Fällen, von denen gerade einmal ein Bruchteil vor Gericht gelandet ist. Fünf Prozesse hat die 49-Jährige im Zusammenhang mit dem bisher wohl größten Finanzskandal in der deutschen Geschichte durchgefochten, weitere Anklagen in ihrer Regie werden bereits oder demnächst verhandelt. Und alles, was sie anpackt, verspricht Erfolg: Fünf Mal setzte es gegen die Missetäter einen Schuldspruch. Und könnte sie, wie sie wollte, ginge es wohl noch viel mehr Missetätern an den Kragen.
Aber Brorhilker kann nicht so, wie sie will, weil man sie nicht lässt, wie sie will. In ihrem Umfeld sind Kräfte am Werk, die ihren Aufklärungseifer ausbremsen. Dabei ist ihr Einsatz geradezu legendär und ein Segen für den Rechtsstaat, dazu mit dem Zeug, das schwer erschütterte allgemeine Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden wieder ein Stück weit aufzurichten. Brorhilker ist so etwas wie der Racheengel der einfachen Leute, die sich von den Großkopferten ausgeplündert und über den Tisch gezogen fühlen. Denn wähnten sich davor schon viele und immer mehr Menschen im Land von den Reichen und Mächtigen belogen und betrogen, wurde ihr asoziales Treiben mit dem Auffliegen des Cum-Ex-Steuerraubs quasi aktenkundig.
Beispielloser Milliardenraub
Fast 20 Jahre bedienten sich Banker, Investoren, Spekulanten und ihre betuchten Kunden schamlos aus der Staatskasse, ließen sich riesige Steuersummen erstatten, die sie nie entrichtet hatten. Allein hierzulande wird der Schaden auf mindestens zwölf Milliarden Euro geschätzt. Nimmt man die artverwandten Deals der Sorte Cum-Cum hinzu, wurden weltweit mithin mehr als 140 Milliarden Euro ergaunert, das meiste davon in Europa. Brorhilkers Beharrlichkeit es zu verdanken, dass die Verbrechen überhaupt als solche gebrandmarkt und juristisch verfolgt werden können. Erst durch ihr Wirken bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) die Rechtswidrigkeit der Geschäfte. Dagegen wollten die Ganoven, ihre Anwälte und Berater ihre Hände in Unschuld waschen, indem sie dem Staat den Schwarzen Peter zuschoben oder behaupteten, „Marktineffizienzen“ ausgenutzt zu haben.
Seit 2013 hat sich die Juristin der Aufgabe verschrieben, die Diebe zu überführen und zur Rechenschaft zu ziehen. Sie hätte es sich leichter machen und die Fälle per Vergleich klammheimlich begraben können. Dann wären die Profiteure im Verborgenen geblieben, mit ihnen die schmutzigen Tricks der Finanzindustrie und ihre Netzwerke, die den Reibach erst möglich gemacht haben. Aber Brorhilker geht den beschwerlichen Weg und nimmt es mit den ganz Großen der Branche auf: Morgan Stanley, Barclays, Merrill Lynch, Deutsche Bank, dazu die hierzulande politisch bestens vernetzten Landesbanken, etwa die HSH Nordbank oder die WestLB. Das verschaffte ihr viel Respekt und Anerkennung. Sie sei „die Frau, die die Finanzwelt das Fürchten lehrt“, befand vor einem Jahr das Wirtschaftsmagazin Capital. Und der Finanznachrichtendienst Bloomberg listete sie in den Top 50 der „Menschen und Ideen, die 2021 das globale Geschäft bestimmen“.
Das Imperium schlägt zurück
Aber jetzt schlägt das Imperium zurück. Ausgerechnet in der Woche, in der ihr bislang größter Fang, der Hamburger Bankier Christian Olearius, zum ersten Mal auf der Anklagebank Platz nehmen musste, raunte durch die Presse die Nachricht von Brorhilkers „Entmachtung“. Wie zuerst das Manager Magazin (hinter Bezahlschranke) vor acht Tagen berichtete, zeichne sich eine „dramatische Schwächung“ ihrer Ermittlertruppe ab. Diese umfasst rund 30 Staatsanwälte, dazu Polizei- und Steuerfahnder, die sich seit Jahren praktisch ausschließlich mit der Aufarbeitung der Causa Cum-Ex aufreiben.
Für eine ganze Reihe von ihnen könnte bald Schluss damit sein. Wie es heißt, will der Chef der Staatsanwaltschaft Köln, Stephan Neuheuser, selbst erst seit wenigen Wochen an der Behördenspitze, den Laden umstrukturieren. Neben Brorhilker soll demnach ein zweiter Hauptabteilungsleiter installiert werden, der künftig eine Hälfte der Einheit befehligen werde. Bei unterschiedlichen Auffassungen müsste demnächst ihr beider Vorgesetzter entscheiden, also Neuheuser, schrieb am vergangenen Donnerstag das Handelsblatt (ebenfalls hinter Bezahlschranke).
Der Vorgang wirkt in vielerlei Hinsicht verstörend. Das geht damit los, dass der als Brorhilkers Aufpasser Gehandelte mit Cum-Ex praktisch nichts am Hut hat. Derzeit ist Ulrich Stein-Visarius im Justizministerium von Nordrhein-Westfalen (NRW) in leitender Position mit Jugendstrafrecht befasst. Seine Erfahrungen mit den Finanzkriminellen der globalen Eliteliga dürften gegen Null gehen. Pikant wäre auch der kurze Dienstweg im Falle seiner Bestellung. Stein-Visarius und Neuheuser hatten bis vor Kurzem gemeinsam im Justizministerium gearbeitet, Letzterer als Frontmann des Referats für Personalbedarf im Justizvollzug. Und als ehemaliger „Personaler“ ist der 54-Jährige auch in puncto Neusprech auf der Höhe. Eine Entscheidung in der Sache sei noch nicht gefallen, richtete eine Sprecherin des Justizministeriums auf Anfrage aus. Die „Prüfung von Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Hauptabteilung H“ dauere noch an.
Keine Angst vor Ackermann
Die personelle Neuordnung mit Effizienzgewinnen zu begründen, ist komisch und dreist zugleich. Bei ihrer Jagd auf die Cum-Ex-Diebe und ihre Beute konnte Brorhilker schon einige Male und spektakulär triumphieren. Zum Beispiel brachte sie den Kanzleipartner von Hanno Berger zum Reden, der in Deutschland schillerndsten Cum-Ex-Figur. Zehn Jahre nach Bergers Flucht in die Schweiz erwirkte die Oberstaatsanwältin seine Auslieferung. Daraufhin wurde dieser 2022 vor den Landgerichten Bonn und Wiesbaden zu jeweils rund acht Jahren Haft verurteilt, wobei die Entscheide noch nichts rechtskräftig sind. Brorhilker veranlasste Razzien in ganz Europa, in Steueroasen wie den Britischen Jungfern- oder den Cayman-Inseln, sie ließ Büros in Frankfurt am Main, Zürich, Luxemburg, London und New York auf den Kopf stellen und massenhaft Beweismittel beschlagnahmen. Sie hat sich mit mehreren Topmanagern angelegt, darunter den Ex-Chefs der Deutschen Bank Anshu Jain und Josef Ackermann oder deren früherem Investmentbanking-Leiter Garth Ritchie.
Vor allem: Ihre Verdienste machen sich für Staat und Steuerbürger verdient. 2015 spielte ein Insider dem NRW-Finanzministerium eine CD zu, durch deren Auswertung 129 Cum-Ex-Geschäfte aufgedeckt und 100 Millionen Euro an zu Unrecht erstatteten Steuern zurückgeholt werden konnten. Allein im Zusammenhang mit dem ersten Cum-Ex-Prozess vor dem Landgericht Bonn, der sich unter anderem den Machenschaften bei M.M. Warburg widmete, zog der Fiskus 176 Millionen Euro an Steuerschulden von dem Hamburger Bankhaus ein. Ginge es in dem Stil weiter, könnte die BRD mittelfristig vielleicht den Löwenanteil dessen zurückbekommen, was die Cum-Ex-Bande erbeutet hat, mitsamt Strafzahlungen sogar mehr.
Verschleppte Aufklärung
Aber das soll offenbar nicht sein. Schon in der Vergangenheit wurden Vorwürfe laut, die Kölner Staatsanwaltschaft käme bei der Cum-Ex-Aufarbeitung nur schleppend voran. Ein Grund dafür wäre die mangelnde personelle Ausstattung, zugesagte Stellen seien gar nicht, zu langsam oder inadäquat besetzt worden. Mit Kritik hervor tat sich zuletzt insbesondere der ehemalige NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). In dieser Funktion hatte er Brorhilker Anfang 2021 die Errichtung der Hauptabteilung H genehmigt und dafür allerhand Ressourcen mobilisiert, darunter 36 Cum-Ex-Planstellen, von denen aber noch immer sechs verwaist sind. Im März dieses Jahres reichte er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft ein, der damals noch Joachim Roth hieß, und dessen Stellvertreter. Biesenbach ist überzeugt, dass Brorhilker in ihrem Tatendrang behindert wird. Zitat: „Mir geht es darum, dass das größte Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegszeit möglichst zügig aufgeklärt wird. Dabei verweigert man mir Auskünfte.“
Biesenbach sieht hier letztlich seinen Amtsnachfolger Benjamin Limbach von der Grünen-Partei in der Verantwortung. Der stellt sich in der Angelegenheit bisher als verfolgte Unschuld dar. Und was den Umbau der Cum-Ex-Einheit angeht, zeigt er mit dem Finger auf besagten Stephan Neuheuser, den er erst im August zum kommissarischen Leiter der Staatsanwaltschaft ernannt hatte. Nach Limbachs Worten obliege es diesem, „in seiner Behörde zu gucken und zu überlegen, wie er diese Behörde organisieren und strukturieren will“. Und weiter: „Wenn er bestimmte Vorschläge machen will, dann wird er sie über den Generalstaatsanwalt an das Ministerium berichten. Und dann werden wir das prüfen.“
Justizminister in Erklärungsnöten
Nach Recherchen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) erscheint diese Version kaum haltbar. Wie aus einem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft hervorgeht, hatte das Justizministerium bei der Ausarbeitung der Pläne die Finger im Spiel. Entsprechende Gespräche seien zunächst direkt zwischen Ministerium und Staatsanwaltschaft Köln geführt worden, über die Behörde des Generalstaatsanwalts hinweg. Der heißt Thomas Harden, und im Kontext der Dienstaufsichtsbeschwerde durch Biesenbach hatte er diesem noch im Juli unterstellt, „bösartige Gerüchte“ zu verbreiten.
Nun denkt er offenbar anders. Der dem WDR vorliegende Bericht seines Hauses, der Anfang September an den Justizminister ging, macht deutlich, dass Harden die Aufspaltung der Abteilung H selbst nicht geheuer ist. In dem Papier heißt es, der Umbau erfolge offenkundig gegen den Willen Brorhilkers und erscheine zudem nicht zielführend. Schließlich würde sich bei zwei Chefs die Frage stellen, wer die Gesamtleitung innehabe. Dagegen ergebe die jetzige Struktur mit der Hauptzuständigkeit Brorhilkers wegen der Komplexität und Verwobenheit der Fälle inhaltlich Sinn. Und dann mahnt Harden noch, durch eine Aufspaltung könne der Eindruck entstehen, dass die Cum-Ex-Ermittlungen behindert würden.
Das Manager Magazin gab „Insider“ wieder, die dieselben Sorgen umtreiben. Demnach drohten bei zwei Leitern und einer nicht einheitlichen Linie Verfahren eingestellt zu werden und Beschuldigte davonzukommen. Weil zwischen den Fällen „zahlreiche Überschneidungen“ bestünden, ließen sich die Verfahrenskomplexe „nicht sinnvoll“ aufteilen, eher schaffe ein zweiter Chef neue Probleme, als bestehende zu lösen. Zitat: „Es dürfte darauf hinauslaufen, dass mehr Sand ins Getriebe kommt, das Ansehen der bisherigen Hauptabteilungsleiterin Brorhilker leidet und die Umorganisation am Ende mehr Nachteile als Vorteile produziert, etwa in Form von Reibungsverlusten.“ Intern mache bei all dem der Vorwurf der „Sabotage“ die Runde, schrieb die Wirtschaftszeitung.
Erinnerungslücken
Bei der Suche nach den Gründen und Ursachen der Vorgänge könnte ein Blick nach Bonn helfen und von dort in den Norden der Republik. In der früheren Bundeshauptstadt muss sich seit Anfang der Vorwoche der frühere Chef der Hamburger Warburg-Bank, Christian Olearius, wegen des Vorwurfs der besonders schweren Steuerhinterziehung in 14 Fällen verantworten. Dessen Nähe zum früheren Hamburger Regierungschef Olaf Scholz (SPD) – wohldokumentiert – ist dem amtierenden Bundeskanzler bekanntlich nicht mehr „erinnerlich“. Die Hamburger Finanzbehörde hatte 2016 auf eine Steuernachforderung in Höhe von 47 Millionen Euro gegen das Geldhaus verzichtet, und die Rolle, die Scholz dabei spielte, könnte im Falle der Klärung ein politisches Erdbeben auslösen. Obwohl gegen ihn selbst nicht ermittelt wird und er bisher auch nicht als Zeuge geladen ist, taucht sein Name mehrfach in der Anklageschrift gegen Olearius auf.
Zugleich beschäftigt sich in Hamburg ein Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft mit dem Fall, wobei die Abgeordneten auch hier mit allerlei Widerständen zu kämpfen haben. Das betrifft vor allem die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Kölner Staatsanwaltschaft. Diese hat ein Jahr lang Akten aus Ermittlungsverfahren zurückgehalten, die der Ausschuss wiederholt angefordert hatte. Zu den Dokumenten gehören vermutlich brisante E-Mails enger Mitarbeiter von Scholz, etwa des heutigen Kanzleramtschefs Wolfgang Schmidt oder seiner einstigen Büroleiterin, die bei einer Razzia sichergestellt wurden.
Lahmer Lieferservice
Erst nach einer vermeintlichen Intervention des NRW-Justizministers wurde den Parlamentariern die Zuleitung der erbetenen Unterlagen zugesichert. Limbach präsentierte mit der Staatsanwaltschaft Köln auch gleich einen passenden Sündenbock. Es gebe dort Herausforderungen, die zuvor nicht in dieser Dimension für ihn erkennbar gewesen seien, erklärte er Mitte August im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags. Dabei sei ein besonderes Schlaglicht auf die Organisation der Geschäfte in Brorhilkers Abteilung gefallen, so Limbach. Schon zwei Wochen davor hatte der bis dahin amtierende Chef der Staatsanwaltschaft, Joachim Roth, nach einem Disput mit Limbach seinen Hut genommen. Wie laut Handelsblatt aus Justizkreisen zu hören war, habe ihn das „Cum-Ex-Chaos“ dazu veranlasst. Prompt wurde er durch besagten Neuheuser ersetzt, der nun im Namen des Ministers angeblich den Laden auf Vordermann bringt und dabei vielleicht gleich einmal Brorhilkers Kompetenzen halbiert.
Ein Schelm, wer Böses denkt. Limbach jedenfalls ist auch zwei Monate nach seiner Ankündigung noch nicht mit dem Material herausgerückt, das womöglich auch Olaf Scholz kompromittiert. Wie am Dienstag der Hamburger CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker den NachDenkSeiten sagte, habe sein Büro bisher lediglich eine Zusage erreicht, dass die Auslieferung bevorstehe. Zur Rolle des NRW-Justizministers meinte er: „Herrn Limbach werden Ambitionen in Zielrichtung Bundespolitik nachgesagt.“ Am heutigen Mittwoch will der Minister den Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags über den Umbau der Kölner Staatsanwaltschaft unterrichten. Man darf gespannt sein.
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