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Titel: ARD am Limit: Wenn Hofberichterstattung zur Farce wird
Datum: 13. September 2023 um 13:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Tobias Riegel
Man ist einiges gewohnt von den öffentlich-rechtlichen Sendern, was unangemessene Nähe zur Regierungspolitik angeht. Unter vielem anderen die Darstellungen von Wirtschaftskrieg und Ukrainekrieg sind dort zu weiten Teilen inakzeptabel, weil sie dem Auftrag der Ausgewogenheit keinesfalls gerecht werden. Das kann man noch übertreffen: Mit der neuen Produktion „Ernstfall – Regieren am Limit“ hat der ARD-Sender SWR nun ein gebührenfinanziertes Heldenepos für die Bundesregierung vorgelegt. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die dreiteilige Doku-Reihe „Ernstfall – Regieren am Limit“ von Stephan Lamby über die Zeit vor und nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine lässt den kritischen Zuschauer sprachlos zurück: Die sorgsam bereitete Bühne für die nachdenkliche Selbstdarstellung von Scholz, Habeck, Baerbock und Lindner; die Distanzlosigkeit, die als journalistisch produktive Nähe verkauft wird; der unangemessene Umgang mit Geschichte und den Faktoren, die zum Ukrainekrieg geführt haben – all das führt dazu, dass die „Dokumentation“ zu einer intensiven Rechtfertigung für die fragwürdige Politik der Regierung wird. Die dabei angewandte Dreistigkeit (etwa beim Einsatz von Emotionen) muss man erstmal verarbeiten.
Keine Fragen offen…
Inhaltlich wird in dem Film der alles entscheidende Punkt nicht angemessen behandelt – nämlich die Prüfung der offiziellen Behauptung, dass man auf „Putins Krieg“ mit Eskalation, Waffenlieferungen und einem selbstzerstörerischen Wirtschaftskrieg hatte antworten müssen. Denn das ist nicht der Fall: Deutschland hat noch nie in dieser extremen Form auf einen der zahlreichen und permanent bestehenden Regionalkonflikte dieser Welt reagiert. Außerdem hätte der Einmarsch Russlands durch die Festschreibung von Sicherheitsgarantien von NATO-Seite im Vorfeld noch leicht verhindert werden können. Der Wirtschaftskrieg, den die EU praktisch gegen sich selber führt, ist grotesk und er bedient vor allem US-Interessen.
Kurz: Der Krieg hätte verhindert werden können. Und auch nach dem russischen Einmarsch hätte die Bundesregierung selbstverständlich anders reagieren können, hätte anders reagieren müssen, als sie es getan hat. Insofern ist die Aussage falsch, dass die Bundesregierung „unschuldig“ an den Folgen der eigenen Politik sei – weil eine andere Politik möglich gewesen wäre und noch möglich ist.
Diese zentrale Grundlage für die Beurteilung aller folgenden Entscheidungen der Regierung wird im Film über weite Strecken ignoriert bzw. es wird der Darstellung der Regierung nicht angemessen Skepsis entgegengebracht: Demnach gab es eben einfach eine Situation, auf die eindeutig mit Eskalation und Wirtschaftskrieg reagiert werden musste – keine Fragen offen. Etwa die Frage, ob eine Regierung eine Politik machen darf, die sich massiv gegen die eigenen Bürger richtet und die real keinen Sinn macht, außer dass US-Interessen und eine grün-militaristische Ideologie bedient werden – eine Politik, die zudem einen Krieg und das Leid der ukrainischen Zivilisten unmoralisch verlängert.
Einige „Fehler“, aber alles „gut gemeint“
Ein indirektes Fazit des Films lautet darum: Die Regierung ist unschuldig und sie tut, was sie kann, um die nicht selber verschuldeten Probleme in den Griff zu kriegen. Es wurden zwar möglicherweise innerhalb der wackeren „Rettungsaktionen“ der Regierung einige „Fehler“ gemacht, aber mindestens war es alles „gut gemeint“. Doch diese Botschaft stimmt einfach nicht. Zum Beispiel muss unter vielem anderen immer wieder betont werden: Etwa die aktuelle Politik der „Rettung der Energieversorgung“ ist nur nötig geworden wegen der Sanktionspolitik der Bundesregierung.
Die Doku versucht solche Fragen zu überlagern durch eine überbetonte Dramatik des Moments, die Alternativlosigkeit vorgaukeln soll. Und durch viel Gefühl, das die kalten Fakten vernebelt. Alles erscheint ein bisschen zu aufwendig, zu durchgeplant und zu stilisiert. Die zum Teil genutzte Hollywood-Ästhetik, die sich etwa in unserem Titelbild zeigt, ist gleich zweifach unangemessen: Zum einen sollte man diese Ästhetik als kritischer und seriöser Journalist prinzipiell nicht nutzen, schon gar nicht, um Protagonisten aus der Regierung indirekt als die „Fantastischen Vier“ erscheinen zu lassen, die ohne eigene Schuld in den Sturm der Geschichte geraten sind und sich nun tapfer schlagen. Zum anderen haben Scholz, Habeck, Lindner und Baerbock einfach nicht das Format, um die ihnen auf den Leib geschneiderten Superhelden-Attribute auszufüllen.
„Gerechtigkeit für die Ampel!“
Das alles geht sogar einigen Mainstream-Journalisten zu weit, die sanfte Kritik üben, wie etwa in der Zeit unter dem schönen Titel „Knapp zwei Jahre Geampel“. Andere sind mutmaßlich froh über die Schützenhilfe durch den Film, weil durch ihn der eigene Umgang mit der Regierung gerechtfertigt erscheint, etwa der Tagesspiegel, der die Darstellung von der Alternativlosigkeit der Ampel-Entscheidungen wohl gerne übernimmt:
„Gerechtigkeit für die Ampel! Was hätten sie denn anders machen sollen?
(…) Ins kalte Wasser geschmissen werden – und dann erst schwimmen lernen müssen: Darauf war niemand vorbereitet, darauf konnte niemand vorbereitet gewesen sein.“
Der Focus weist darauf hin, dass es neben der ARD-Produktion momentan eine weitere Schützenhilfe für die Ampelregierung gibt, in Form einer „Studie“ der Bertelsmann-Stiftung, die der Regierung bescheinigt, „trotz Streits“ „viele Versprechen“ aus dem „ambitionierten Koalitionsvertrag“ umgesetzt zu haben. Treffend schreibt das Magazin zu dem Film:
„Mit ‚Ernstfall – Regieren am Limit‘ hat der Dokumentarfilmer Stefan Lamby der Ampelregierung, vor allem ihrem grünen Teil, und hier Robert Habeck und Annalena Baerbock, ein Heldenepos geschenkt. Eine Regierungs-Bestätigungserzählung. (…) Gezeigt wird eine Regierung im Ausnahmezustand. Verzichtet wird auf die Dokumentation einer Bevölkerung im Ausnahmezustand – als Folge dieser Regierung an deren Limit.“
Dieser Befund trifft zu: Als „Volkes Stimme“, die ansonsten im Film weitgehend unter den Tisch fällt, werden ausgerechnet Klimakleber eingeführt.
Ein Graben tut sich auf
Eine schöne Szene am Ende des ersten Teils zeigt Annalena Baerbock, wie sie sich eine Antwort auf die Frage überlegt, ob sie Entscheidungen aus den letzten Monaten bereuen würde. Der Moment, bis Baerbock dann endlich eine „passende“, aber irreführende Antwort einfällt, zieht sich gehörig und zeigt: Selbstkritik (jenseits von der Feststellung, dass die Kommunikation der eigenen Politik „noch besser“ werden muss) steht hier nicht besonders hoch im Kurs. Das mindert auch die Hoffnung auf Einkehr.
So oder so muss man sich verdeutlichen, dass die für die hiesigen Bürger destruktiven Folgen der Regierungspolitik nicht etwa „Fehlern“ entspringen, sondern dass diese Folgen mutmaßlich kühl kalkuliert in Kauf genommen werden, wenn dies nötig erscheint, um geopolitische Wünsche der USA umzusetzen.
Ich frage mich, an wen sich Filme wie „Ernstfall – Regieren am Limit“ richten, wen sie wohl inhaltlich noch erreichen. Denn fest steht: Der Graben zwischen der dominanten öffentlichen Meinung – und der in Mainstreammedien veröffentlichten Meinung wird immer tiefer.
Titelbild: Screenshot ARD
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