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Titel: Leserbriefe zu „Der kafkaeske Weg zur „Durchführung der Zwangsvollstreckung“ des Urteils des Landgerichts Berlin gegen Bundespressekonferenz e.V.“
Datum: 12. September 2023 um 15:00 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
Verantwortlich: Redaktion
In diesem Erfahrungsbericht schildert Florian Warweg seine „geradezu kafkaeske Erfahrung“ im Zusammenhang mit seiner Klage gegen den privaten Verein Bundespressekonferenz e.V. Das Landgericht Berlin hatte entschieden, dass ihm „zu seinen Veranstaltungen und Angeboten wie einem Mitglied Zugang zu gewähren“ sei. Das Urteil sei „vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €“. Dieser Vorgang klinge recht einfach, habe sich jedoch über Wochen hingezogen. Wir danken für die interessanten Zuschriften. Hier nun eine Auswahl der Leserbriefe, die Christian Reimann für Sie zusammengestellt hat.
1. Leserbrief
Lieber Herr Warweg,
in der Tat eine Odyssee in Berlin zur Vollstreckung. Ich befürchte, auch das blaue Formular A39 hätte es nicht beschleunigt. Sie fragen:
„Welches Genie in der Berliner Verwaltung ist auf die Idee gekommen, dass man die Hinterlegungsstelle für Geldsummen dem Amtsgericht zuordnet, die Einzahlungsstelle für jene Hinterlegung aber wiederum dem Landgericht? Wieso zentralisiert man nicht beide Stellen an einem Ort und lässt stattdessen Menschen mit Barsummen im mindestens vierstelligen Bereich einen Kilometer durch Berlin laufen?“
Obwohl ich „aus der Justiz“ bin, teile ich Ihre Verwunderung, möchte aber zu „unserer“ Verteidigung etwas erläutern. Vieles ist kompliziert, dient aber der Sicherung von Rechten, auch wenn es oft mehr als Hemmschuh wahrgenommen wird, vor allem von Menschen aufrechter Gesinnung wie Sie: Sie wollen ja nichts Böses, aber alles ist so kompliziert. Das ist so, weil man immer damit rechnen muss, dass ein unlauterer Mensch kommt. Auch wenn die meisten wohl gut meinend sind. Und: Sie müssen bedenken, dass die Regeln des Zivilprozesses aus dem Jahr 1877 stammen. Da war nicht alles, aber Vieles anders. Nun mag man sagen, dass man das doch dann ändern sollte. Ja schon, aber es gibt auch noch gute Gründe für die Beibehaltung.
Hier also:
Irgendjemand dachte sich, dass eine Vollstreckung nicht rechtskräftiger Urteile möglich sein muss, aber gefährlich ist. Wenn der Verurteilte dann später etwa beim Kammergericht obsiegt, hat der Gewinner erster Instanz schon alles Vollstreckte verschleudert und der zu Unrecht in Anspruch genommene Schuldner kriegt nix zurück. Also muss man Sicherheit leisten. Das geht mittlerweile per Bankbürgschaft (die für Sie schwierig war, aber Ihr Anwalt hatte mit Recht dazu geraten). Sicherheit geht aber nur gem. § 108 ZPO, nämlich durch ebenjene Bürgschaft
„oder durch Hinterlegung von Geld oder solchen Wertpapieren zu bewirken, die nach § 234 Abs. 1 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Sicherheitsleistung geeignet sind.“
Wer will schon Wertpapiere hinterlegen oder hat gar welche?! Daher geht nur „Geld“, also Banknoten oder Münzen. Warum? Naja, wenn der Schuldner später kommt und die Sicherheit verlangt, muss der Staat liquid sein. Das ist er zwar immer, allerdings will er auch gar nicht erst in Bedrängnis geraten, dem hinterherzulaufen. Und wenn Sie etwa mit VISA, Paypal oder Sparkassenkarte bezahlen, dann weiß man nie, ob das nicht noch storniert wird und dann nicht eingelöst werden kann, Sie aber laufen bereits mit der Urkunde über die Sicherheitsleistung rum und vollstrecken, obwohl die Sicherheit gar nicht auf dem Staatskonto ankam. Darauf will sich der Staat – mit Recht – nicht einlassen. Daher ist nur Bares Wahres.
Warum macht man das beim Amtsgericht? Das liegt daran, dass es davon die meisten gibt, es sind praktisch „die“ dezentralen Dienstleister der Justiz für die Bürger (so auch in Erbschaftssachen, den Familiensachen etc. – möglichst nah an den Menschen). Daher klar im Berliner Hinterlegungsgesetz, § 1 Abs. 2: „Die Aufgaben der Hinterlegungsstelle werden den Amtsgerichten übertragen.“ Das dürfte in allen Ländern so sein, eben wegen der Ortsnähe, damit man nicht seine 5.000 EUR viele km weit rumtragen muss und man überfallen wird.
Daher hatte man auch immer die Gerichtskassen bei allen Amtsgerichten, früher wurde natürlich viel mehr bar eingezahlt, so auch die Gerichtskosten etc.. Irgendwann aber kam die Sicherheitsideologie und man meinte (so auch hier in Hessen), dass es gefährlich sei, wenn in allen Gerichten Bargeld rumliegt. Daher zentralisierte man die Gerichtskassen, es gab eh nur noch wenig Bargeldfälle im Gericht. Und so kam man wohl auf das LG Berlin, man hätte auch ein anderes Amtsgericht nehmen können, aber das mag man sehen, wie man will. So kam es (wohl) zum Auseinanderfallen von Hinterlegungsstelle und Gerichtszahlstelle. Einigermaßen bescheuert in der Praxis, aber so herleitbar.
Dass im Amtsgericht kaum jemand die Hinterlegungsstelle kannte, ist nicht verwunderlich. Kaum ein Mensch hinterlegt mehr was (hinterlegen kann man gem. § 372 BGB übrigens „Geld, Wertpapiere und sonstige Urkunden sowie Kostbarkeiten“ – Kostbarkeiten finde ich cool). Mich würde allerdings interessieren, wann das letzte Mal „Kostbarkeiten“ in der BRD hinterlegt wurden; vielleicht von Leuten, die mal das Grüne Gewölbe besucht haben.
Ich will mit all dem nicht sagen, dass das die beste Lösung ist und man das nicht anpassen sollte. Aber wie so oft, so finde ich, klingt eine Geschichte echt irre, ist aber doch plausibel zu machen. Dahinter stehen also Überlegungen, die nicht wirklich irre sind.
Kafkaesk kann die Realität aber schon sein. Dem widerspreche ich nicht.
Beste Grüße
Prof. Dr. Carsten Schütz
Direktor des Sozialgerichts Fulda
2. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Warweg,
die Schikanen sind eine Schande und das merkwürdige Konstrukt, dass die Bundespressekonferenz von einem privaten Verein durchgeführt wird, der auch noch das Monopol darauf hat, ist ein Indiz für die Zustände in dem Land, das alles andere als eine “Demokratie” ist.
Danke für ihre Standhaftigkeit und die Energie, diesen Sumpf zu dokumentieren.
Asterix und Obelix passen nicht ganz genau in die Liste der möglichen Vergleiche. Die haben 50 Jahre v. Chr. noch gegen ein Imperium auf der Höhe seiner Macht ausgehalten. Dafür passt Kafka umso besser. Der hat die Zustände eines dekadenten, im Zerfall befindlichen Systems beschrieben, Österrreich-Ungarn vor dem 1. Weltkrieg. Das dekadente, im Zerfall befindliche System, das Sie beschreiben, heißt, wahlweise aber immer gleich, “der Westen”, NATO, EU oder BRD. EU und BRD, diese Bezeichnungen sind mir wichtig. Weder ist EU mit Europa zu verwechseln noch BRD mit Deutschland.
Mein Gott, ich bin schon lange Europäer aus Überzeugung und liebe die Vielfalt von Kultur, Sprachen und Völkern in dieser Gegend der Erde. Und zu Deutschland, meinem Vaterland, aber nicht mehr meiner Heimat, habe ich immer noch eine herzliche Beziehung. Aber was da jetzt abgeht, kann man ja nur noch als eine absurde Scheiße bezeichnen (präzise soziologische Analysen, mit korrekt wissenschaftlichem Diktum und womöglich historischen Vergleichen, mögen andere anstellen, die den nötigen juristischen Hintergrund haben, sich gegen einen Strafbefehl wegen “Verharmlosung” zur Weh zu setzen).
Ganz liebe Grüße,
Rolf Henze
3. Leserbrief
Ich möchte den Leser sehen, der bei dieser Geschichte nicht spontan an den “Passierschein A38” aus dem Asterix-Trickfilm dachte…
Aber die Winkelzüge, die der “eingetragene Verein” BPK hier vollzieht, mit der Weigerung des Zugangs, dann der Berufung und Behinderung der Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils war leider so zu erwarten. Man will eben unter sich bleiben, also im “Club” von Journalistendarstellern, die dort “Dienst nach Vorschrift” schieben, und überhaupt kein Problem damit haben, wenn oben auf der Bühne von sachunkundigen Pressesprechern und Politikern Sprechblasen abgesondert werden.
Daß man dort überhaupt einen Thilo Jung (“Jung und naiv”) noch gewähren läßt, ist erstaunlich genug. Und dieser Zustand ist ja schon älter, als die meisten den Beginn des Verfalls des “Qualitätsjournalismus” spontan datieren würden
Ich erinnere nur an die PK zur Vorstellung des 2. Kabinetts Merkel im Jahr 2009, als es einem niederländischen Journalisten vorbehalten blieb, die Kanzlerin zu fragen, ob sie es denn für eine gute Idee halte, eine Person zum Finanzminister zu bestimmen, der sich (angeblich) immer noch nicht erinnern konnte, wie einst die 100.000 DM des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber in seine Hände gekommen war.
Die versammelte Journaille lachte verstohlen in sich hinein, aber keiner hatte den Schneid, dem einzigen Mutigen in der Runde zu Hilfe zu kommen, und eine befriedigende Antwort von der Kanzlerin einzufordern!
In solch einer Runde ist halt kein Platz für Journalisten, die ihren Beruf noch ernst nehmen.
Gruß Ole.
4. Leserbrief
Sehr geschätzter Florian Warweg,
“Wir werden unsere Leser auf jeden Fall auf dem Laufenden halten.” – ich bitte darum!
Und bitte wieder mit so viel Esprit ?
Zum üblichen Verwaltungswahnsinn ist mir ein älteres Lied von Reinhard Mey in den Sinn gekommen – “Einen Antrag auf Erteilung eines Antragformulars”.
Hier der Link.
Herzliche Grüße
Andreas Rommel
5. Leserbrief
Sehr ernüchternd, was Hr. Warweg – in der Tat was “War (das ein )Weg” ! – aus den Gerichtsgebäuden in Berlin berichtete. Ein gutes Beispiel dafür, welche Hürden der Bürger erst überwinden muss, die bei besserer Organisation in den Ämtern niedriger ausfallen würden.
Jetzt bin ich noch mal so gespannt, ob Hr. Warweg demnächst wieder aus der BPK berichten kann.
L. Salomons
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