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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 4. September 2023 um 8:26 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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  1. „Wertebasierter Völkermord“
  2. Ein Blick zurück ins Heute
  3. Neuer Bericht: USA schicken Uranmunition in die Ukraine
  4. „Wir arbeiten vom Territorium Russlands aus“ – ukrainischer Militärgeheimdienst-Chef
  5. Seekrieg aus Rostock
  6. Linke Pazifisten, bitte nicht verzweifeln! Ein offener Brief an die SP Schweiz.
  7. Ein genauer Blick auf die Annexion der Krim
  8. Arbeitsmigration rational betrachtet
  9. Die Bauern-Revolution
  10. Kindergrundsicherung: Für wen gibt Lindner Geld aus? Für Unternehmen, nicht für Kinder
  11. Bildungsmonitor: der verzweifelte Wunsch nach Ingenieursstudenten
  12. Nach A2-Crash: Wann holen wir die Lkws von der Straße?
  13. Blindflug im sozialen Wohnungsbau
  14. Fall Bonhoff: Ministerium bestätigt Filz-Vorwürfe – und wiegelt gleichzeitig ab
  15. „Schmutzige Denunzierung“: ZDF soll wegen Böhmermann 100.000 Euro an Ex-BSI-Chef zahlen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. „Wertebasierter Völkermord“
    Ein Ex-Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wirft Aserbaidschan, einem engen Kooperationspartner der Bundesrepublik, einen Genozid an der Bevölkerung Berg-Karabachs vor. Wie Luis Moreno Ocampo urteilt, der von 2003 bis 2012 für den IStGH tätig war, führt die seit Ende 2022 von Baku umgesetzte Blockade der international nicht anerkannten De-facto-Republik dazu, dass diese nicht mehr mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden kann; Moreno Ocampo beklagt, Aserbaidschan setze die „unsichtbare Waffe“ des Hungers gegen die dortige Bevölkerung ein. Deren Lage ist in der Tat desolat; es kommt zu ersten Hungertoten. Aserbaidschan kooperiert seit Jahren eng mit der Bundesrepublik und hat zuletzt zugesagt, seine Erdgaslieferungen nach Westeuropa von rund 12 auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu erhöhen. Bundeskanzler Olaf Scholz stufte das Land zuletzt als einen „Partner von wachsender Bedeutung“ ein. Während Baku Berg-Karabach von der Versorgung abschneidet, beobachtet eine EU-Polizeieinheit unter Leitung eines deutschen Polizisten die Lage an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan. Auch Bakus Zusammenarbeit mit der NATO ist eng.
    Quelle: German Foreign Policy
  2. Ein Blick zurück ins Heute
    Joschka Fischer hat die einst pazifistischen Grünen in eine Kriegspartei verwandelt. Wie die Grünen zu einer Nato-Olivgrünen Truppe wurden, beschreibt Arno Luik Ende 2001 in diesem Essay – das immer oder wieder aktuell ist: Die Geschichte eines Verrats.
    Darf man das? Darf man noch daran erinnern, woher die Grünen kommen? Kaum mehr zu glauben, aber wahr: Aus der Protestbewegung, der Friedens-, der Frauen-, der Anti-Atombewegung. Die Grünen – das war mal eine antiautoritäre Partei, eine, die das Establishment, wie es früher hieß, vorführte – respektlos und frech. Sand im Getriebe, das wollten sie sein. Konventionen? Nein, danke! Respekt vor Autoritäten? „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ Dieser Satz (für den er sich sofort entschuldigte) machte den jungen Abgeordneten Joschka Fischer, der schon immer gerne kräftig zuschlug, bekannt: „Es ist erwiesen“, meinte er als 26-Jähriger, „dass bei den Nato-Truppen, auch bei der Bundeswehr und teilweise auch beim Grenzschutz, systematisch geübt wird, was zum Einmaleins des Militärs im Kapitalismus gehört …: Folter.“
    Tja, wenn Joschka Fischer eine Meinung hat, dann hat er sie tausendprozentig. Und keine Selbstzweifel, keine Skrupel, das gibt ihm Kraft. Und wenn er seine Meinung ändert, was häufig geschieht, dann ändert er sie wieder tausendprozentig. Und tritt markig für eine Politik ein, die er kurz zuvor markig verurteilt hat.
    Bringt es also etwas? Soll man noch daran erinnern, dass im August 1995 Joschka Fischer gegen die Beteiligung deutscher Truppen in Ex-Jugoslawien war – wegen der deutschen Geschichte? Und dass er, ein paar Jahre später, im Kosovokrieg vehement für den deutschen Truppeneinsatz kämpfte – eben wegen der deutschen Geschichte? Wegen Auschwitz, „um ein neues Auschwitz“ zu verhindern.
    Quelle: Arno Luik in Overton Magazin
  3. Neuer Bericht: USA schicken Uranmunition in die Ukraine
    Auch die USA könnten der von Russland angegriffenen Ukraine Uranmunition schicken. Einem Bericht von Reuters zufolge wollen die USA panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran als Teil eines neuen Militärhilfepakets schicken. Dies soll offiziell nächste Woche bekannt gegeben werden. Die Nachrichtenagentur beruft sich dabei auf Regierungsdokumente und zwei hochrangige US-Beamte.
    Die Spezialmunition kann von amerikanischen Abrams-Panzern abgefeuert werden, die demnächst an die Ukraine geliefert werden sollen. Die US-Beamten erklärten gegenüber Reuters, dass der Wert und der Inhalt des jüngsten Hilfspakets noch nicht feststehe, wobei der Wert wahrscheinlich zwischen 240 und 375 Millionen US-Dollar liegen werde.
    Das Vereinigte Königreich hatte bereits Anfang des Jahres Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine geliefert, für die Vereinigten Staaten wäre es das erste Mal.
    Quelle: Berliner Zeitung

    dazu auch: Was macht die Ukraine mit Streumunition? Zivilisten beschießen!
    Manchmal tut man in Kiew bei all dem antirussischen Rausch noch kurz so, als hätte man dort irgendwelche humanitären Bedenken – wie bei der Streumunition. Und tut danach gleich wieder so, als würde sie nicht so eingesetzt, wie die Ukraine so etwas eben einsetzt – gegen die Zivilbevölkerung. (…)
    Die Kinder, die jetzt von der Streumunition bedroht sind, die im Donbass aufwachsen, mussten ihr ganzes Leben lang mit dem Donnern der Geschütze leben, mit dem Vibrieren des Bodens, mit den immer wiederkehrenden Schäden an ihren Schulen und Kindergärten, mit der Gefahr selbst auf dem Spielplatz. Letztes Jahr erst mussten sie lernen, was Schmetterlingsminen sind. Vermutlich können sie Geschütze am Klang besser auseinanderhalten als Musikinstrumente. Das zu beenden, war einer der Auslöser der russischen Militäroperation.
    Es wäre so viel billiger, leichter, menschlicher gewesen, einfach die Wahrheit zu berichten. Bei jedem einzelnen Schritt der Eskalation geht einem dieser Gedanke durch den Kopf. Die Ukraine darf nicht verlieren? Sie hat längst verloren, nicht nur militärisch, auch zivilisatorisch. Aber bei einem Stellvertreterkrieg ist es nicht nur der Stellvertreter, der beschädigt wird. Wenn Kiew dazu gebracht wird, immer weitere Grenzen zu überschreiten, wenn es zu Kriegsverbrechen ermuntert wird wie dem Einsatz von Streumunition gegen Wohngebiete, wenn ganze Jahrgänge der männlichen Bevölkerung für so etwas Nutzloses wie eine NATO-Mitgliedschaft ausgelöscht werden, dann sind es nicht nur die Ausführenden, die ihre Menschlichkeit verlieren. Es sind ebenso die Auftraggeber.
    Und Deutschland kann seine Verantwortung nicht abstreiten. Solange es weiter Waffen und Geld nach Kiew schickt, trägt es einen Teil der Schuld. Denn ein lauwarmer, kurzer Protest gegen die Lieferung von Streumunition ist nichts wert, keinen Pfifferling wert, sofern dem nicht eine entsprechende Handlungsweise folgt. Es mag sein, dass die deutsche Regierung keinerlei Einfluss hat, was die USA in die Ukraine liefern. Aber was Deutschland in die Ukraine liefert, das entscheidet sie immer noch selbst, und auch, ob überhaupt etwas geliefert wird, seien es Waffen oder sei es Geld. In den Jahren, als der US-Präsident Donald Trump hieß, wäre es sogar möglich gewesen, die Beteiligung am Projekt Ukraine ganz zurückzuziehen oder Druck auszuüben, um die Minsker Vereinbarungen endlich umzusetzen. Es ist nicht passiert. Darum gehen selbst die Streubomben auch auf das deutsche Konto.
    Quelle: Dagmar Henn in RT DE

  4. „Wir arbeiten vom Territorium Russlands aus“ – ukrainischer Militärgeheimdienst-Chef
    Der Drohnenangriff auf den Flughafen von Pskow in Russland, bei dem vier Militärflugzeuge getroffen wurden, ist nach ukrainischen Angaben von russischem Staatsgebiet aus ausgeführt worden. „Die Drohnen, mit denen der Luftwaffenstützpunkt ‚Kresty‘ in Pskow attackiert wurde, wurden von Russland aus gestartet“, erklärte der ukrainische Geheimdienstchef Kyrylo Budanow. Bei dem Angriff in der Nacht zu Mittwoch seien zwei militärische Transportflugzeuge des Typs IL-76 zerstört und zwei weitere „ernsthaft beschädigt“ worden.
    „Der Krieg muss auf andere Gebiete ausgedehnt werden – was für uns eindeutig Russland ist – und auf andere Gebiete, in denen sie Einfluss haben“, sagte Budanow am Donnerstag in einem Interview, das auf der War-Zone-Website veröffentlicht wurde. „Wir arbeiten vom Territorium Russlands aus“.
    Ohne zu sagen, ob der Angriff von ukrainischen oder russischen Agenten ausgeführt wurde, erklärte Budanow, dass die Drohnen auf die Oberseite des Flugzeugs – die Position der Treibstofftanks und einen kritischen Abschnitt des Flügelholms – zielten. The War Zone veröffentlichte auch Satellitenbilder von ausgebrannten Flugzeugen.
    Der Kreml hatte nach dem Angriff angekündigt, Militärexperten würden versuchen, mehr über die Drohnenrouten herausfinden, um solche Situationen in der Zukunft zu vermeiden. Die Region Pskow war bereits Ende Mai von Drohnenangriffen betroffen.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung unseres Lesers P.L.: „Der Krieg muss auf andere Gebiete ausgedehnt werden …“ sagt ein ranghoher Vertreter Kiews im Interview – das passt wunderbar zur kürzlich vermeldeten Absicht Kiews, einer der weltweit größten Kriegswaffenproduzenten zu werden. Kriegswaffen wozu? Wieso faseln hiesige PolitikerInnen immer noch vom Frieden, der durch westliche Waffenlieferungen angeblich gesichert werden soll? Das Budanow-Zitat ist doch nicht der erste Hinweis auf die Eskalationsabsichten Kiews.

  5. Seekrieg aus Rostock
    Deutscher Führungsstab leitet multinationales Großmanöver »Northern Coasts 2023«. Geübt wird der Einsatz gegen Russland
    Klappe, die nächste: Die Bundeswehr hat den Weltfriedenstag am Freitag genutzt, um erneut ein Ostseegroßmanöver als Übung für einen möglichen heißen Krieg gegen Russland anzukündigen. Rund 3.200 Soldaten aus insgesamt 14 Ländern werden ab dem kommenden Sonnabend (9. September) zu »Northern Coasts 2023« erwartet, um im Szenario eines klassischen zwischenstaatlichen Krieges taktische Operationen in küstennahen Gewässern zu proben. Schauplatz sind vor allem die Gewässer vor den Küsten Lettlands und Estlands einschließlich vorgelagerter Seegebiete, die russische Schiffe aus der Region um Sankt Petersburg nutzen müssen, um über die Ost- und die Nordsee in Richtung Atlantik zu fahren oder auch nur Kaliningrad auf dem Seeweg zu versorgen. Zum Einsatz kommen werden rund 30 Schiffe und U-Boote, bis zu 15 Luftfahrzeuge sowie Landeinheiten, die allerlei Operationen in enger Abstimmung miteinander üben sollen. Sammel- und Ausgangspunkt ist der Hafen von Riga. Beteiligt sind neben den Ostseeanrainern unter anderem Italien, Frankreich und die USA.
    Northern Coasts 2023 zeigt: Rostock wird eine spezielle Bedeutung für künftige deutsche Seekriege erhalten. Im Rahmen der Übung spielt Deu Marfor (Maritime Forces) eine besondere Rolle, ein Führungsstab für die Marinekriegführung, der in der Hansestadt angesiedelt ist – beim neuen Führungszentrum der Deutschen Marine dort.
    Quelle: junge Welt
  6. Linke Pazifisten, bitte nicht verzweifeln! Ein offener Brief an die SP Schweiz.
    Der Schweizer Politologe an der Universität Kyoto in Japan mit dem Forschungsschwerpunkt Neutralität, Pascal Lottaz, liest seinen Schweizer SP-Parteikolleginnen und -kollegen, die die SP zu einer Kriegspartei haben werden lassen, die Leviten – unterwegs im Flugzeug in den Laptop gehackt, spontan und umso persönlicher und ehrlicher.
    Eine rote Schande
    Wer hätte je gedacht, dass es ausgerechnet die Schweizer Sozialdemokraten – die pazifistischen, Armee-ablehnenden, Zivildienst-aufbauenden, 1914-die-Landesverteidigung-verweigernden, alle-Arten-von-Waffenexport-verbieten-wollenden – Sozialdemokraten sein würden, die jetzt lauthals Waffen und Munition in vollen Kübeln in einen Europäische Krieg schleudern möchten? Schweizer Kugeln für Europa, damit an der Ostfront mit noch mehr Gewallt noch mehr Menschen elendiglich krepieren dürfen? Es ist eine rote Schande. Dass die geldgierige FDP so was will, verstehe ich ja noch, da macht’s wenigstens Sinn, respektive hat Tradition. Aber die SP? Als linker Pazifist fühlt man sich doch nur noch von Judas geküsst.
    Schon in der Coronahysterie hat die SP einen Grossteil ihrer Grundwerte verraten und das Durchregieren bis in die Stuben und Körper der Bevölkerung im Namen des Gutmenschentums befürwortet. Hinter diesen Einstellungen konnte man wenigstens noch die nackte Angst ums Überleben vermuten. Menschen tun ja fast alles, wenn sie sich nur genug fürchten. Aber die Waffenfrage lässt sich noch nicht mal damit entschuldigen.
    Quelle: Globalbridge
  7. Ein genauer Blick auf die Annexion der Krim
    Die Bevölkerung der Krim sprach sich mehrmals für eine starke Autonomie aus und bei Ablehnung für einen Anschluss an Russland.
    Mit der UN-Resolution 68/262 hat die UN-Generalversammlung die Annexion der Krim als gesetzeswidrig[i] und unrechtmässig[ii] erklärt. Sie stützte sich auf folgende Tatbestände:

    • Das Budapester Memorandum von 1994 hat die territoriale Integrität (Unverletzlichkeit) der Ukraine garantiert;
    • Russland hat militärisch eingegriffen, um sich der Institutionen der Krim zu bemächtigen;
    • Das Referendum im Jahr 2014, das die Behörden der Krim organisiert hatten, war unrechtmässig.

    Im Westen stellt man die Abspaltung der Krim als einen Staatsstreich dar, der von Russland organisiert wurde. Für Wikipedia war es sogar eine (militärische) Besetzung. Auch Zeitungen wie die NZZ schreiben immer mal wieder von einer «russischen Besetzung» der Krim (zuletzt Auslandredaktor Ulrich von Schwerin am 26. August). Auch laut dem ZDF-Magazin «Frontal» vom 29. August «hat Russland die Krim besetzt».
    Eine Untersuchung der jüngsten Geschichte zwingt zu einer nuancierten und weniger einseitigen Sicht als diejenige, welche westliche Medien und Politiker darstellen.
    Das Grundproblem besteht darin, dass vor 2014 weder die Sowjets noch die Ukrainer das Selbstbestimmungsrecht der Krim respektierten. Wiederholt und mehrheitlich haben die Einwohner der Krim ihren Willen bekundet, von Kiew eine Autonomie zu erhalten oder sogar unabhängig zu werden.
    Quelle: Jacques Baud in Infosperber

  8. Arbeitsmigration rational betrachtet
    Der Nutzen der Arbeitsmigration ist viel kleiner und ihr Schaden viel grösser, als wir denken.
    Unsere Vor- und Nachdenker sind gemeinhin die Ökonomen und die Wirtschaftspolitiker (männliche Form bewusst gewählt). Diese haben leider extrem enge und dogmatische Vorstellungen davon, was Wirtschaft ist, und wie sie unser Wohlergehen beeinflusst.
    Sie machen vor allem zwei entscheidende Fehler, und die hindern uns auch daran, vernünftig über die Arbeitsmigration nachzudenken.

    • Fehler Nummer 1: Die Ökonomen interessieren sich nur für das, was wir gegen Geld tun.
    • Fehler Nummer 2: Sie unterschätzen die soziale Dimension massiv. Unser Wohlergeben hängt zwar auch von dem ab, was wir mit der Arbeit produzieren, aber ebenso wichtig ist die mit der Arbeit verbundene oder dadurch erschwerte soziale Integration.

    Wenn unser Glück nur vom Produkt der Erwerbsarbeit abhängt, dann fördern wir den Wohlstand, indem wir die bezahlte Arbeit immer genau dort einsetzen, wo sie am meisten Bruttoinlandsprodukt (BIP) produziert. Das ist die ökonomische Logik, die sich etwa hinter der «Personenverkehrsfreiheit» versteckt, welche in der EU als eine der «vier Grundfreiheiten» hochgehalten wird. Aus demselben Grund halten die Ökonomen auch die «Flexibilität der Arbeitsmärkte» für wohlstandsfördernd. Die Arbeitskräfte ziehen weltweit dahin, wo ihre Arbeitskraft am meisten BIP generiert. (…)
    Das ist ein doppelter Trugschluss. Erstens sind Arbeitskräfte immer auch Menschen, die in der Familie, in der Nachbarschaft und Vereinen und Parteien wichtige unbezahlte Arbeit leisten. Durch die Migration geht diese Arbeit verloren und die entsprechenden «Produktionsstätten» (die Familien und Nachbarschaften) werden entscheidend geschwächt. Noch wichtiger ist, dass dadurch auch soziales Kapital zerstört wird. Unbezahlte Arbeit mag zwar weniger produktiv sein, aber in Bezug auf den sozialen Nutzen ist sie der bezahlten Arbeit fast immer weit überlegen.
    Diese Überlegung verändert auch den Blick auf die Migration. Nur leicht überspitzt kann man es so formulieren: Die Arbeitskräfte wandern nicht dahin, wo sie am meisten verdienen, sondern dahin, wo das soziale Umfeld weniger kaputt ist. Sei es, weil es dort noch funktionierende Sozialsysteme gibt, sei es, weil sie dort auf die soziale Unterstützung der vor ihnen Geflüchteten zählen können. Auswanderung wird so zum doppelten Teufelskreis: Jeder Wegzug ist ein Grund mehr auszuwandern, und ein Grund mehr, dorthin zu ziehen, wo ein besseres soziales Umfeld lockt. («Wir kennen dort schon ein paar Leute.»)
    Quelle: Werner Vontobel in Infosperber

  9. Die Bauern-Revolution
    Die Proteste der Landwirte in Indien im Jahr 2021 geben Aufschluss über Big Ag in den USA und weltweit. Teil 1/2.
    Nach 200 Jahren Herrschaft der Britischen Ostindien-Kompanie (EIC) wurden die indischen Landwirte durch die Verfassung des Landes vor Zwangsversteigerungen, Landraub, Unternehmensverträgen und Ausbeutung geschützt. Die Landwirtschaft in Indien wird nach wie vor von den Bundesstaaten kontrolliert, was bedeutet, dass jede Provinz das Recht hat, die Gesetze entsprechend ihren regionalen Bedürfnissen zu erlassen. Doch die Modi-Regierung nutzte COVID-19 als Vorwand, um diese Gesetze zu verabschieden, ohne die Regierungen der Bundesstaaten oder die Landwirte zu konsultieren, was einen Verfassungsbruch darstellt. Die Landwirtschaftsgesetze werden zum ersten Mal Verkäufe an Unternehmen zulassen, die Begrenzung der Lagerkapazitäten für Verarbeiter beenden, die Vertragslandwirtschaft von Unternehmen rechtlich anerkennen und steuerfreie, private Mandis (Marktplätze von Unternehmen) für indische Bauern einführen. Diese Politik rief jedoch Widerstand hervor. Die Bauern in Gandhis Indien folgen dem Ruf zu den Waffen, um ihr Vaterland, ihr Lebensmittelsystem und ihre Würde gegen eine neue Welle der Korporatisierung zu verteidigen, die die Regierung von Premierminister Narendra Modi ausgelöst hatte.
    Quelle: Indra Shekhar Singh in manova
  10. Kindergrundsicherung: Für wen gibt Lindner Geld aus? Für Unternehmen, nicht für Kinder
    Wer viel verdient, der erhält viel Kindergeld – und wer arm ist, bekommt wenig: Wie der FDP-Finanzminister eine Sozialreform verhinderte, die spürbar Geld an ärmere Eltern umverteilt hätte […]
    Mit der neuen Kindergrundsicherung wollte Lisa Paus einen Paradigmenwechsel einleiten: Auch an Bürgergeldbeziehende sollte sie bedingungslos ausgezahlt werden. Und neben einem bedingungslosen Grundbetrag für jedes Kind sollten Eltern eine einkommensabhängige Leistung nur bis zu einem festgelegten Höchstbetrag erhalten: je höher das elterliche Einkommen, desto geringer die Zusatzleistungen. Ab einem bestimmten Jahreseinkommen sollten sie ersatzlos entfallen. So der Plan, den Lindner in wichtigen Teilen blockierte.
    Was nun als Gesetz kommen wird: Der bedingungslose Grundbetrag soll – wie von Lisa Paus ursprünglich geplant – dem Kindergeld in seiner jetzigen Höhe entsprechen, also monatlich 250 Euro. Als großen Erfolg betont die Familienministerin, dass dieser an das soziokulturelle Existenzminimum angepasst wird. Sie meint damit, dass die Höhe alle zwei Jahre anhand des Existenzminimumberichts vom Statistischen Bundesamt überprüft und angepasst wird. Das ist sehr erfreulich – die Leistungen wären aber auch ohne Kindergrundsicherung an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst worden. So wird aus Kindergeld Grundbetrag, sonst ändert sich nichts.
    Die eigentliche Neuerung besteht nun in dem einkommensabhängigen Kinderzusatzbetrag. Dieser wird nach Alter des Kindes und Einkommen der Eltern gestaffelt. Dafür wird der bisherige Kinderzuschlag weiterentwickelt und, das ist ein Fortschritt: Auch die Kinder, deren Eltern Bürgergeld oder Sozialhilfe beziehen, werden in diese neu ausgestaltete Leistung aufgenommen. Der geplante Clou der Familienministerin war jedoch, dass diese Leistung für sie bedingungslos erfolgt – und genau damit konnte sie sich nicht durchsetzen.
    Quelle: der Freitag
  11. Bildungsmonitor: der verzweifelte Wunsch nach Ingenieursstudenten
    Das Institut der Deutschen Wirtschaft analysiert seit 2004 den Zustand des deutschen Bildungswesens. Diesmal ist es besonders beunruhigt, weil der Nachwuchs an Mathematikern und Technikern nicht genügt. Aber die Industrie, die hinter dem IW steht, hat diesen Zustand selbst herbeigeführt. (…)
    Die Bildungsausgaben, auch ein Ergebnis dieser Studie, sind übrigens seit dem ersten Bildungsmonitor 2004 deutlich gestiegen, von 2005 bis 2021 um 87,7 Prozent. Das signalisiert, dass mangelnde Finanzierung nicht das Hauptproblem ist.
    Bezogen auf das Kernproblem für das IW, den fehlenden MINT-Nachwuchs, lässt sich das relativ einfach zusammenfassen. Nachdem diese Studiengänge immer schon eher von Kindern aus Nichtakademikerhaushalten belegt wurden und vor allem als Möglichkeit des sozialen Aufstiegs gedient haben, lässt sich das Problem nicht mit ein paar Fördermittelchen hier und ein paar Lehrern dort lösen. Manche Vorschläge, die das IW macht, wie eine noch stärkere Akademisierung der vorschulischen Erziehung, sind geradezu kontraproduktiv, weil sie den Abstand zwischen der Lebenswelt der Kinder, aus denen das IW gerne Ingenieure machen würde, und den Betreuern noch erhöhen. Andere, wie eine stärkere Gestaltungsfreiheit der einzelnen Schulen, würden die Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen verstärken, nicht verringern. Lösungen, die auf Kooperation setzen statt auf Konkurrenz, sind dem IW naturgemäß fremd.
    Aber der Knackpunkt bei einem Aufsteigerstudium ist, dass es dafür in der Gesellschaft tatsächlich die Möglichkeit eines Aufstiegs benötigt. Spätestens seit dem Jahr 2005 ist Deutschland eine Abstiegsgesellschaft, ein Zustand, der sich in naher Zukunft noch deutlich verstärken dürfte.
    Quelle: Dagmar Henn auf RT DE
  12. Nach A2-Crash: Wann holen wir die Lkws von der Straße?
    Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen mit Lkw-Beteiligung, wie vor sechs Wochen im bayerischen Landkreis Ansbach. Jährlich gibt es über 20.000 Unfälle mit Verletzten, an denen Lkws beteiligt sind, in fast 60 Prozent der Fälle sind die Lkw-Fahrer:innen die Hauptverursacher:innen.
    Die Unfallfolgen sind durch die Größe und Masse der Lkws oft besonders schwer. Das Risiko, bei einem Lkw-Unfall getötet zu werden, ist für Beteiligte mehr als viermal so hoch wie für die Insassen des Lkw.
    Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Lkws nicht geeignet sind, massenhaft Güter von A nach B zu transportieren. Ein anderer, wesentlicher Negativfaktor sind die Treibhausgase.
    Lkws verursachen rund zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen. Zum Vergleich: Pkws sind für 7,4 Prozent der Emissionen verantwortlich. Zudem gibt es seit den 1990er-Jahren in Deutschland keinen Rückgang bei den klimaschädlichen CO2-Emissionen im Verkehr.
    Und das liegt im Wesentlichen am Anwachsen des Güterverkehrs. Dessen Emissionen erhöhten sich zwischen 1995 und 2019 trotz technischer Verbesserungen von 39,3 auf 47,4 Millionen Tonnen, also um 21 Prozent.
    Insgesamt verursachen Lkws in Deutschland derzeit gut ein Drittel der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor. Das liegt an der hohen Fahrleistung und am Verbrauch (30 bis 40 Liter pro 100 Kilometer).
    Dazu kommen hohe gesellschaftliche Kosten. Allein die Klimaschäden des Lkw-Güterverkehrs belaufen sich auf rund 8,5 Milliarden Euro jedes Jahr. Dazu kommen Schadstoffe, Lärm (verantwortlich für allein vier Milliarden Euro an Unkosten jedes Jahr) und Unfälle, aber auch andere Umweltkosten, Verlust von Landschaft sowie Ökosystemen und vielfältige schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.
    Die externen Kosten von Lkws belaufen sich in Deutschland laut Berechnungen von 2017 insgesamt auf 32,5 Milliarden Euro. Ferner belasten Laster die Infrastruktur wie Brücken und Autobahnfahrbahnen. Sie sind Hauptverursacher von Schäden an Straßen.
    Quelle: Telepolis
  13. Blindflug im sozialen Wohnungsbau
    Neue Förderung für private Investoren ist wenig nachhaltig und geht zulasten der sozialen Bedarfe
    CDU und SPD haben seit langem den Traum, private Investoren für den sozialen Wohnungsbau zu begeistern. Mit der Regierungsübernahme durch die schwarz-rote Koalition und den neuen Wohnungsbauförderungsbestimmungen (WFB 2023) wittern sie nun ihre Chance, diesen Traum Realität werden zu lassen.
    Um private Bauherren für das jahrelang verschmähte Segment des geförderten Wohnungsbaus zu begeistern, wird die Wirtschaftlichkeit der Förderung enorm verbessert. Denn renditeorientierte Investoren lassen sich nur für den sozialen Wohnungsbau gewinnen, wenn die Konditionen auch tatsächlich Gewinne abwerfen. Dafür greift das Land nun tief in die Tasche.
    Der Fördermittelaufwand steigt mit der WFB 2023 auf bis zu 300.000 Euro pro Wohnung und versechsfacht sich damit gegenüber 2014 nahezu. Bei Baukosten von bis zu 4.200 Euro/qm muss durch diesen immensen Fördermitteleinsatz kein zusätzliches Fremdkapital auf dem Markt beschafft werden. Lediglich das notwendige Eigenkapital von 20% müssen Investoren fortan mitbringen, dieses wird jedoch durch den üppigen Fördermittelaufwand stärker verzinst als zuvor. Die Förderung besteht je nach Förderweg aus zinslosen und niedrigverzinsten Darlehen der öffentlichen Investitionsbank IBB und einem nicht rückzahlbaren Baukostenzuschuss von bis 1.800 Euro/qm. Eine weitere Neuerung sind die dynamisierten Kostenansätze, wonach die Fördermittel nahezu automatisch mit steigenden Baukosten anwachsen. Eine parlamentarische Kontrolle über den Hauptausschuss, der zuvor neue Mittel freigeben musste, wurde ersatzlos gestrichen. Damit droht die Wohnungsbauförderung zu einem Fass ohne Boden zu werden, zumal Bauherren nicht mehr angehalten sind, möglichst kosteneffizient zu bauen.
    Quelle: Berliner MieterGemeinschaft
  14. Fall Bonhoff: Ministerium bestätigt Filz-Vorwürfe – und wiegelt gleichzeitig ab
    Fördergelder in Millionenhöhe und gemeinsame Skiurlaube: Das Verkehrsministerium sieht darin überhaupt kein Problem. Und das ist ein Problem.
    Nach den Berichten über Filz im Verkehrsministerium in den vergangenen Wochen bestätigte Staatssekretär Stefan Schnorr am letzten Donnerstag auf einer Pressekonferenz, dass es tatsächlich gemeinsame Urlaubsreisen des Abteilungsleiters Klaus Bonhoff mit Lobbyvertretern und Empfängern von Fördergeldern gab – und Bonhoff zugleich an Kommunikation zu Förderanliegen beteiligt war. Es ist daher äußerst fragwürdig, dass das Ministerium die Vorwürfe trotzdem komplett zurückweist und keinerlei Problem in der Verstrickung sieht.
    Wir erläutern, warum sich die Filz-Vorwürfe im Fall Bonhoff nun tatsächlich erhärtet haben und der Umgang des Ministeriums mit dem Fall ungenügend und problematisch ist. (…)
    Das Ministerium räumte nun ein, dass Abteilungsleiter Bonhoff tatsächlich mit den beiden Chefs des Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbandes DWV gemeinsam in den Skiurlaub fuhr, wie Recherchen zuvor nahelegten. Das belegt, dass es sich hier nicht um beiläufige Bekanntschaften handelt, sondern dass es unverkennbar eine enge private Verbindung zwischen den Dreien gibt.
    Zum anderen bestätigte das Ministerium, dass die Skifreunde aus dem Verband sich in Bezug auf Förderanliegen persönlich an Bonhoff wandten und dieser die Anfragen dann auch weiterleitete (Quelle). Das belegt, dass Bonhoff an der Kommunikation zur Vergabe von Fördergeldern beteiligt war und sich nicht auf Grund der privaten Verbindung vollständig aus der Angelegenheit heraushielt. Nach Angaben des Ministeriums erhielt der Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband 1,4 Mio. Euro aus dem von Bonhoff verantworteten Fördertopf.
    Quelle: LobbyControl
  15. „Schmutzige Denunzierung“: ZDF soll wegen Böhmermann 100.000 Euro an Ex-BSI-Chef zahlen
    Seit dem 1. Juli heißt die Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Claudia Plattner. Die 50-jährige Mathematikerin gilt als international erfahrene Cybersicherheitsexpertin und genau das soll auch der Grund gewesen sein, warum sie für Arne Schönbohm eingewechselt wurde: Sie sei besser für den Job geeignet. Der 54-jährige Diplomwirt möchte nun gegen das ZDF und wohl auch gegen Jan Böhmermann vor Gericht ziehen. 100.000 Euro Schmerzensgeld fordert er vom Sender. Böhmermann warf in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ im Oktober 2022 Schönbohm zweifelhaften Lobbyismus vor – danach wurde Schönbohm entlassen.
    Zur Erinnerung: Das „ZDF Magazin Royale“, von und mit Comedian Jan Böhmermann, brachte Arne Schönbohm mit einem Lobbyverein einer Firma in Verbindung, die mit dem russischen Geheimdienst zusammenarbeite. Böhmermann stellte Schönbohm als „Cyber-Clown“ dar. Wenig später musste der Ex-BSI-Chef seinen Hut nehmen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) entließ ihn aus dem Amt, obwohl zu den Vorwürfen aus der ZDF-Satire-Show schnell Zweifel aufkamen. Die Folge der Late-Night-Show wurde mittlerweile aus der ZDF-Mediathek entfernt und ist nur noch auf dem YouTube-Kanal vom „ZDF Magazin Royale“ zu finden.
    Quelle: FR Online


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