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Titel: Braucht es eine deutsche Härte im Sport oder auch anderswo? Es braucht gute Bedingungen

Datum: 31. August 2023 um 10:17 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Deutschland ist eine große Sportnation. Viele Bürger sind darauf stolz und freuen sich, wenn gerade in populären Sportarten ein Medaillensegen über die Athleten kommt. Nur ist es so wie im richtigen Leben, das klappt nicht immer, wie gerade bei der vergangenen Leichtathletik-WM in Budapest. Trotz aller Mühen. Das Abschneiden der bundesdeutschen Athleten wird dennoch heftig kritisiert, in manchen Gazetten als Schande beschimpft. Schon wird moniert, dass es den Teilnehmern an der Einstellung, an einer fehlenden Härte, an Gier nach Erfolg fehlte. Es fehlte und fehlt anderswo. Ein Kommentar von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gewinnen gehört zur DNA der Deutschen

Die Unzufriedenheit der medialen Öffentlichkeit mit dem Abschneiden der deutschen Spitzensportler hinter den Medaillenrängen verrät anderes als die Enttäuschung über die Sportler. Es verrät die latente Arroganz der Kritiker, die meinen, dass im Sport wie im gesellschaftlichen Leben der erste Platz an der Sonne das Maß aller Dinge sei. Ist es nicht, finde ich, und wenn doch, dann müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Erfolg auf Erfolg errungen wird. Was stattdessen passiert, ist das Nichtbereitstellen und sogar der Abbau von wichtigen Voraussetzungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen und das vorsätzliche Bauen der Entscheidungsträger darauf, dass all die Defizite schon von der Basis ausgeglichen werden – Ehrenamt inklusive. Den Sportlern fehlende Gier vorzuwerfen, klingt wie der Vorwurf an Bürger, die in misslichen, gesellschaftlich verursachten Lagen leben, nicht genug Eigeninitiative zu zeigen.

Wir Deutschen bezeichnen unser Gemeinwesen als Leistungsgesellschaft. Schaffe, schaffe, Häusle baue. Von nix kommt nix. Und wer nix wird, wird Wirt, wird schon mal gespöttelt, obschon die, die mehr geworden sind, auf die Leistungen der Gastwirtschaften bauen, um sich bedienen zu lassen. Okay, wenn also geschafft wird, zahlte es sich hierzulande bisher traditionell aus, ist in den vielen Statistiken über die deutsche Wirtschaft, über den Sport, über andere Bereiche zu erfahren. Wir sind oft Weltmeister, jubeln in vielen Disziplinen. Wir wollen jetzt sogar wieder im Militärischen ganz vorn mitmischen. Gewinnen gehört zur DNA der Deutschen, große Gewinne machen auch. Besonders bei denen, die an der Spitze der Nation stehen, wird diese Eigenschaft gelebt. Bei ihnen gilt der gierige Spruch, dass der Gewinner alles kriegt.

Eine Schande?

Nun soll eine Schande stattgefunden haben, Deutschlands Sportler standen nicht auf dem Siegertreppchen im wunderschönen Stadion der ungarischen Hauptstadt. Es sei erwähnt: Täglich ereignen sich Schandtaten, ohne dass eine solche Überschrift dies anklagen würde. Diese kleinen und großen Taten oder auch die Nichttaten tragen dazu bei, dass wir Deutschen als Sportnation, als Wirtschaftsnation, als Land der Dichter und Denker, als Land mit einem Grundgesetz samt Artikel über die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ins Straucheln kommen wie die Leichtathletik-Staffel bei der Stabübergabe.

Medaillenlos sein ist nicht erfolglos. Deutschland gewinnt mal da und mal da

Sind wir Deutschen wirklich erfolglos, absteigend, nicht zu retten im Sport? Ich meine, wir sind schon mal keine homogene Einheit, wir sind so verschieden und eben mal erfolgreich und mal weniger vorn. Bei der Leichtathletik-WM in Budapest sind unsere wackeren Athleten medaillenlos geblieben. Germany holte im gleichen Zeitraum Edelmetall beim Hockey. Wir Sportfreunde freuen uns über das Jahr über Triumphe beim Bobfahren, im Handball oder in der Formel 1, beim Triathlon. Dass Deutschland aktuell Weltmeister im Faustball geworden ist, hat bei den Fans, die nicht so viele wie beim Fußball sind, herzliche Freude ausgelöst. Faust ballen, ja das können wir auch. In der ewigen Bestenliste der olympischen Disziplinen steht Deutschland übrigens bei allem Murren auf Rang 2 hinter unseren Freunden aus den USA. Was will man mehr?

Andere Länder fördern ihre Sportler besser

Zurück zur Schande, das Wort ist sicher vom Autor als knackige Überschrift über einen Boulevard-Artikel gedacht und verfehlt seine Wirkung beim Publikum nicht. Ein ehemaliger Leichtathlet beklagt in einer anderen Zeitung, dass den Sportlern die Härte abhandengekommen ist. Welche Härte? Die deutsche etwa, was soll das sein? Hat der Ex-Sportler sich mal bei den Athleten im Leichtathletikverband umgehört? Hat er auch vernommen, wie es mit der Unterstützung aussieht? Hat er sich Übertragungen aus der ungarischen Hauptstadt angeschaut und mitbekommen, als Frank Busemann als Co-Moderator der ARD im Angesicht eines furiosen Sieges einer holländischen Athletin erzählte, dass in unserem Nachbarland Niederlande Sportler im Leistungssport zwischen 3.000 und 5.000 Euro Honorar erhielten, damit sie sich auf ihre Ziele, einst auf dem Siegerpodest zu stehen, in Ruhe und in wirtschaftlicher Sicherheit konzentrieren können? Deutschland bietet, so Busemann, Sporthilfe an…

Der Ausstieg aus der Hamsterrad-Logik wird verhöhnt

Andere Kommentare über den Sport und den angeblichen Misserfolg beklagen, dass die Ursachen bei den Menschen zu finden seien, weil diese nicht mehr buckeln wollen. Man verhöhnt mit dem lästernden Ton des Ausdrucks „Work Life Balance“ die Bürger, die andere Lebenskonzepte versuchen, als wäre deren Ausbrechen aus der Hamsterrad-Logik Kokolores. Dass moderne Unternehmen ihren Mitarbeitern diese Balance-Möglichkeit zur Basis erfolgreichen und nachhaltigen Arbeitens bieten und damit Erfolg haben, weist darauf hin, dass es kein Unfug ist. Warum sollte ein Bäcker wie eh und je in der Nacht arbeiten, wenn andere Arbeitszeitmodelle ihm das Leben erleichtern und seine Kunden dabei nicht mal verhungern müssen?

Erfolg hat viele Väter und Mütter, heißt es so schön lyrisch. Ja, der Weg dahin ist steinig. Doch ist es wirklich eine Sache der Härte, wenn ein Kind in der Schule nicht so gut mitkommt und schlechte Noten mit nach Hause bringt, diesem dann das Wochenende schon mal in einer Atmosphäre der Ablehnung, der Ermahnung, der Sanktionen, der Arrestierung („So, du hast jetzt Stubenarrest!“) zu verderben? Wir freuen uns über Erfolge, wir sind schlecht, wenn es nicht so gut läuft. Aber was ist „gut laufen“? Ich schlage vor: Das Kind in den Arm nehmen bei einer schlechten Note, das ist eine echte Siegergeste.

Dem Achten kein Wort – eine Untugend von uns Deutschen

Seien wir ehrlich, wir freuen uns nicht oder zu wenig über die kleinen Erfolge, über die Mühen der Menschen, so wie im Sport. Für uns ist der zweite Platz schon nicht genug, der vierte erst, die Qualifikation gar nicht. Das macht uns Deutsche nicht sympathisch, sondern hart und unnahbar. Eine kleine Episode: Bei einem Vorlauf der Männer in Budapest (ohne deutsche Teilnehmer) hatten die TV-Kommentatoren ausschließlich die Spitze im Blick. Der Achtplatzierte, ein Sportler aus unserem Nachbarland Tschechien, wurde mit keinem Wort bedacht. Tschechien ist wie wir Sportnation, Wirtschaftsnation, Kulturnation, Leistungsgesellschaft. Dort freut man sich über einen ersten Platz genauso wie über einen fünften oder achten Platz. Ich fühlte mich als Zuschauer, der den olympischen Gedanken mag und dessen empathischen Hintergrund, von den Kommentatoren nicht mitgenommen, die kein Wort für den Tschechen übrighatten – das wäre aber schön gewesen. Was zählte, das war und ist und bleibt also ausschließlich der Erfolg, der Sieg. „The winner takes it all“, sang einst ABBA.

Beim Nachwuchsfußball gehen die Lichter aus?

Nach der Leichtathletik die nächste Pein. Mit Beginn der neuen Saison rollt ein weiterer Niedergang auf uns Sportfreunde zu, liest man: Dass Kinder im Fußball dank eines Modellversuchs Wettkämpfe austragen, deren Ansatz nicht vordergründig der Sieg, der Erfolg und folglich auch eine Niederlage, ein Misserfolg ist, lässt Experten und Traditionalisten aufheulen. Perspektivisch werde somit jede Nationalmannschaft, jedes Klubteam im internationalen Wettbewerb über Vorrunden nicht mehr hinauskommen, stöhnt man. Den Kindern werde das Sieger-Gen ausgetrieben, sie würden verweichlicht usw.

Mut zu einer anderen Philosophie, Erfolge zu erreichen

Warum aber so ein neuer Ansatz im Sport ausprobiert wird, derlei Inhalte finden sich in den Diskussionen darüber selten. Es ist so: Das Ziel ist die Änderung der Spiel- und Trainingsphilosophie. Es geht um die Freude aller Aktiven auf dem Platz, es geht um die Kinder. Alle. Bisher galt der Erfolg, also der Gewinn des Spiels, als Maßstab. Dem wurde vieles untergeordnet, Nachwuchstrainer agierten wie ihre Kollegen im Erwachsenenbereich, der Taktik, dem Gewinnziel galt der Vorrang. Die besten Spieler wurden im Team aufgestellt, die weniger Talentierten schmorten auf der Ersatzbank. Sogar Spielertalente, verspielte, geniale dazu, wurden diszipliniert, gebremst, das Risiko des Misserfolges so minimiert, denn Dribblings können funktionieren, sie können aber auch schiefgehen – darauf folgt der Konter und vielleicht sogar der Siegtreffer des Gegners. Das zu verhindern, die Kontrolle zu behalten, sind Gründe, das Dribbling, den Individualismus des Einzelnen, das Fantastische im Spiel geradezu zu unterbinden – deutsche Tugenden wie Disziplin, Taktiktreue, Härte, Laufen bis zum Umfallen sollen Erfolge bringen. Wirklich?

Zur Beruhigung: Das einfache Spiel wird nicht abgeschafft. Das Bolzen auf dem Platz hinterm Haus wird nicht abgeschafft. Das Training und die Art, wie Kinder Wettbewerbe austragen, werden lediglich anders ausprobiert, dem sturen Leistungsgedanken wird Mäßigung auferlegt. Gerade deshalb kann Deutschland trotzdem wieder mal Fußballweltmeister werden, vielleicht, weil behutsam die Talente, die Ideen gefördert und gelassen werden. Das klingt sympathisch.

Titelbild: Yuganov Konstantin / Shutterstock

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