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Titel: Die Renaissance des Freund-Feind-Denkens – Indikator für einen neuen Totalitarismus?
Datum: 25. August 2023 um 11:09 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich: Redaktion
Immer häufiger werden in politischen Debatten Andersdenkende massiv ausgegrenzt. Ganz zu schweigen von der seit Jahren immer schlimmer werdenden „Cancel-Culture“, die auf die berufliche und soziale Vernichtung Andersdenkender aus ist. Solchen Vorgängen gemeinsam ist ein Denken, das dem „Anderen“ kein Recht mehr auf eine Meinung zugesteht, die von der Mehrheitsmeinung oder der Meinung der Eliten abweicht. Es wird nicht mehr argumentiert, sondern radikal ausgrenzt. Dies alles erinnert an den berühmten Aufsatz „Der Begriff des Politischen“ des Staatsrechtlers und politischen Philosophen Carl Schmitt. Für diesen bestand das Politische in der Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Er lieferte damit dem nationalsozialistischen Staat eine geradezu perfekte Legitimation für Terror und Krieg. Von Udo Brandes.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Wer war Carl Schmitt?
Carl Schmitt (1888-1985) war vor allem eines: der Prototyp eines skrupellosen Opportunisten. Dabei aber hochintelligent. Und obwohl er ein bekennender Nazi war, sind seine Publikationen bis heute in der Politikwissenschaft relevant. Und das hat seinen Grund, den man besonders gut mit seiner Schrift „Der Begriff des Politischen“ veranschaulichen kann. Er hat darin Politik bzw. das Politische beschrieben, wie es sich auch tatsächlich in der empirischen Wirklichkeit nachweisen lässt. Und es ist gar nicht so einfach, ihn zu widerlegen. Denn Schmitt argumentiert messerscharf. Der Spiegel (Autor: Thomas Darnstädt) schrieb 2008 in einem Spiegel Special Geschichte Folgendes über ihn:
„Carl Schmitt, Staatsrechtler in der Weimarer Republik und im ‚Dritten Reich‘, war der Prototyp des gewissenlosen Wissenschaftlers, der jeder Regierung dient, wenn es der eigenen Karriere nutzt. Wann immer die Nationalsozialisten Menschen beiseiteräumen wollten, der eitle Professor aus dem Sauerland lieferte ihnen die passende rechtliche Begründung.“
Und doch schaffte es nicht einmal der US-Chefankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, Robert Kempner, Schmitt als Mitverantwortlichen des Nazi-Regimes anzuklagen. Schmitt war einfach „nicht zu fassen“:
„Ganz am Ende, als alles vorbei war, haben die amerikanischen Besatzer den Mann verhaftet und ins Nürnberger Kriegsverbrechergefängnis gesteckt. Da haben sie den Gelehrten, der von Anfang an dabei war, immer wieder verhört. Ohne Ergebnis. Schließlich schickten sie ihn nach Hause. ‚Wegen was hätte ich den Mann anklagen sollen?‘, begründete der US-Ankläger Robert Kempner den überraschenden Schritt: ‚Er hat keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, keine Kriegsgefangenen getötet und keine Angriffskriege vorbereitet.‘ Carl Schmitt war nicht zu fassen. Der Staatsrechtsprofessor aus dem Sauerland hat die Weimarer Republik kaputtgeschrieben, den Nazis das passende Staatsrecht erfunden. Er hat seine Wissenschaft in den Dienst menschenverachtender Gesetze gestellt, die Feinde Hitlers entrechtet und den Krieg als Zweck der Politik verherrlicht. Na und? War das etwa verboten? Bis heute beurteilen manche Kollegen den 1985 verstorbenen Rechtslehrer nicht als Nazi-Verbrecher, sondern als Genie.“ (Quelle siehe oben).
Schmitts Begriff des Politischen
Was ist das „Politische“ nach Carl Schmitt? Worauf lassen sich politische Handlungen und Entscheidungen ihm zufolge zurückführen? Schmitt hat dafür ein Kriterium:
„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ (Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 25).
Bei dieser Definition spielt das Anderssein eine große Rolle:
„Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas Anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im Voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ (S. 26).
Schmitt betont immer wieder, dass diese Unterscheidung etwas „Seinsmäßiges“ sei, dass quasi durch sich selbst existiere. Oder anders formuliert: Das Politische (in der Form der Unterscheidung zwischen Freund und Feind) sei etwas Selbstständiges, das nicht von Eigenschaften wie „gut“ oder „böse“ oder anderen Eigenschaften abhänge. Deshalb gelte auch umgekehrt,
„was moralisch böse, ästhetisch hässlich oder ökonomisch schädlich ist, braucht deshalb noch nicht Feind zu sein; was moralisch gut, ästhetisch schön, und ökonomisch nützlich ist, wird noch nicht zum Freund in dem spezifischen d. h. politischen Sinn des Wortes“ (S. 26).
Es geht nicht um etwas Privates
Diese Freund-Feind-Unterscheidung im politischen Sinne dürfe auch nicht metaphorisch und im privaten Sinne verstanden werden, wenn man etwa einen beruflichen Konkurrenten, der versucht, einen auszustechen, als Feind ansieht oder einstuft:
„Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existentiellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen“ (S.27).
Und deshalb gelte:
„Feind ist also nicht der Konkurrent oder der Gegner im Allgemeinen. Feind ist auch nicht der private Gegner, den man unter Antipathiegefühlen hasst. Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d. h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht. Feind ist nur der öffentliche Feind, weil alles, was auf eine solche Gesamtheit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch öffentlich wird. Feind ist hostis (= Fremder, Feind, Landesfeind; UB), nicht inimicus (= feindseilg, unbeliebt, verhasst; UB)“ (S. 27).
Mit anderen Worten: Wenn ein Volk, ein Staat oder eine Gruppe als Feind im politischen Sinne gilt, dann ist die Haltung dazu – nach Schmitts Deutung des Politischen – keine private Angelegenheit mehr. Genau dies ließ sich in der jüngsten Zeit beobachten: Gerichte verurteilten Bürger zu Strafen, weil sie auf einer Veranstaltung, also öffentlich, das offizielle Narrativ zum Ukrainekrieg angezweifelt haben (siehe dazu den Bericht von Florian Warweg auf den NachDenkSeiten).
Auch dies ist wieder ein Beleg dafür, dass Schmitts Begriff des Politischen, so zuwider einem dieser als Demokrat auch sein mag, keine reine Theorie ist, sondern dass ein derartiges Verständnis von Politik tatsächlich in der real existierenden Politik immer wieder empirisch nachweisbar ist. Übrigens nach Schmitt nicht nur im Verhältnis zwischen Staaten und Völkern, sondern auch in den politischen Innenverhältnissen eines Staates. Man denke zum Beispiel an den Begriff des „Klassenfeindes“ oder des „Verfassungsfeindes“.
Die Frage ist nun: Was muss man daraus für Schlüsse ziehen? Ist Schmitts Begriff des Politischen tatsächlich so etwas wie eine Naturgesetzmäßigkeit? Läuft Politik also tatsächlich zwangsläufig immer wieder auf die Unterscheidung zwischen Freund und Feind hinaus? Dazu später eine Antwort. Zunächst noch ein paar Ergänzungen zu Schmitts Theorie.
Die Freund-Feind-Unterscheidung kann zu irrationalem Verhalten führen
Ein weiteres Detail aus Schmitts Schrift ist sehr interessant – weil man auch diese Behauptung Schmitts in der Realität, also der politischen Praxis, wiederfinden kann. Schmitt schreibt:
„Die reale Freund-Feindgruppierung ist seinsmäßig so stark und ausschlaggebend, dass der nichtpolitische Gegensatz in demselben Augenblick, in dem er diese Gruppierung bewirkt, seine bisherigen ‚rein‘ religiösen, ‚rein‘ wirtschaftlichen, ‚rein‘ kulturellen Kriterien und Motive zurückstellt und den völlig neuen, eigenartigen und von jenem ‚rein‘ religiösen, ‚rein‘ wirtschaftlichen und andern ‚reinen‘ Ausgangspunkt gesehen oft sehr inkonsequenten und ‚irrationalen‘ Bedingungen und Folgerungen der nunmehr politischen Situation unterworfen wird“ (S. 36).
Fällt Ihnen dabei etwas aus der jüngeren Vergangenheit ein? Mir fiel sofort die Sanktionspolitik der EU ein, die insbesondere in Deutschland zu erheblichen Schäden der Wirtschaft führte, mit der Konsequenz einer hohen Inflation, einer wirtschaftlichen Rezession und für viele Bürger wegen der stark gestiegenen Energiepreise zu wirtschaftlich existentiellen Bedrohungen führte. Umgekehrt wandelte sich Saudi-Arabien aus Sicht der Ampel-Regierung und dabei insbesondere für den Grünen-Politiker Robert Habeck zu einem politischen Freund. Menschenrechte waren plötzlich kein Thema mehr. Kann einem da nicht der Verdacht kommen, dass Carl Schmitt recht haben könnte?
Nehmen wir ein paar weitere Beispiele aus der jüngeren und jüngsten Zeitgeschichte: Ich beginne mal auf der internationalen Ebene. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gab George Bush, damals Präsident der USA, die Devise aus, „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Das ist exakt die Unterscheidung zwischen Freund und Feind a` la Carl Schmitt. In dieser Unterscheidung bzw. dieser Form des politischen Denkens ist kein Platz für für differenzierte Sichtweisen, unterschiedliche Interessen, Bewertungen oder Handlungsalternativen. Es gibt nur Freund oder Feind. Dementsprechend wandelte sich auch das innenpolitische Klima in den USA damals. Kritik an der Regierung wurde gefährlich. Und bis heute werden in Guantamano „Feinde der USA“ inhaftiert und sogar gefoltert. Ohne irgendeine Rechtsgrundlage, ohne Gerichtsprozess. Das ist die Schmitt’sche Auffassung des Politischen in Reinkultur.
Kommen wir nach Deutschland. Schon seit Jahren „blüht“ hier die Cancel-Culture, die darauf abzielt, Menschen, die eine andere Meinung als die herrschende Elite oder die Mehrheit vertreten, aus der Gesellschaft auszuschließen und als Feind zu betrachten, den man zwar nicht physisch, aber sozial und beruflich vernichten will. Auch wenn die Meinung der Andersdenkenden völlig im Rahmen unserer Verfassung bleibt. Ein Beispiel für dieses radikale Denken nach dem Freund-Feind-Muster ist das Mobbing von Medien, der Bonner Universität und Studenten gegen die Politologin Ulrike Guérot. Ihr „Verbrechen“: eine abweichende Meinung zur Corona-Politik der Bundesregierung und dem Ukrainekrieg. Das Interessante dabei: Ausgerechnet diejenigen, die ständig „Diversität“ einfordern, beweisen immer wieder, dass sie einem Homogenitätswahn verfallen sind und abweichende politische Meinungen oder sonstige abweichende Haltungen nicht ertragen können. Man könnte auch sagen: Sie haben ein Problem mit Pluralismus und Meinungsfreiheit. Und das heißt letztlich: mit Demokratie. Weil sie einem Verständnis des Politischen anhängen, wie es Carl Schmitt formuliert hat: der Unterscheidung zwischen Freund und Feind.
Welche Schlussfolgerungen muss man daraus ziehen?
Hat Carl Schmitt also recht? Bedeutet Politik die Unterscheidung zwischen Freund und Feind? Er hat in dem Sinne recht, dass ganz offensichtlich Menschen immer wieder Politik so verstehen, so denken und so politisch handeln. Aber: Das ist kein Naturgesetz. Sondern das ist eine Frage der politischen Kultur.
Carl Schmitts Begriff des Politischen ist die (politik)philosophische Entsprechung eines faschistischen Homogenitätswahnes und der Unfähigkeit, Interessengegensätze und Widersprüche auszuhalten. Demokratie aber heißt genau dies: Widersprüche, Gegensätze und Fremdes aushalten zu können. Das ist eine Fähigkeit, die nicht vom Himmel fällt und gesellschaftlich immer wieder neu eingeübt werden muss. Und die um so schwerer fällt, je mehr eine Gesellschaft von Krisen bedroht ist. Und davon hat unsere Gesellschaft ja nun wahrlich genug.
Was aber bedeutet es, dass sich in unserer Gesellschaft ein Freund-Feind-Denken immer mehr ausbreitet? Es bedeutet leider, dass sich eine antiplurale Haltung in der Gesellschaft ausbreitet. Und das wiederum bedeutet, dass die Gesellschaft empfänglich geworden ist für antidemokratisches und totalitäres Denken. Und das gilt keineswegs nur für die üblichen Verdächtigen, also für Rechtsextremisten. Auch in den Milieus, die sich selbst als „linksliberal“ oder „liberal“ verorten, aber auch in staatlichen Institutionen, kann man immer häufiger ein Verständnis von Politik erkennen, das nach dem Schmitt’schen Muster der Unterscheidung von Freund und Feind funktioniert. Und das ist brandgefährlich für eine Demokratie. Deshalb ist eines wichtig: Dass die Destruktivität und der totalitäre Charakter des Freund-Feind-Denkens immer wieder benannt wird. Egal, aus welcher Ecke oder von welchem politischen Akteur es kommt.
Quelle
Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, 9. Auflage 2015, Berlin, Verlag Duncker & Humblot.
Udo Brandes ist Diplom-Politologe, Journalist und Buchautor. Im Juli erschien sein Buch „Wenn die Jagd nach Erfolg das Leben zur Hölle macht“, das über Amazon bestellt werden kann. Das erste Kapitel können Sie auch hier auf den NachDenkSeiten lesen. Zurzeit arbeitet er an einem Buch über das Thema „Macht“.
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