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Titel: Ich muss weg! Gesundheitsminister verhindert unabhängige Patientenberatungsstelle und verkrümelt sich
Datum: 11. August 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Lobbyismus und politische Korruption, Privatisierung öffentlicher Leistungen, Verbraucherschutz
Verantwortlich: Redaktion
Gemeinsam mit den Krankenkassen serviert Karl Lauterbach die führenden Patientenorganisationen beim geplanten Aufbau einer wirklich unabhängigen Servicestelle für Ratsuchende im Gesundheitswesen ab. Der Vorgang sorgt allseits für Empörung und provoziert eine Sondersitzung des zuständigen Bundestagsausschusses. Trotz Sommerpause sind dessen Mitglieder fast komplett vertreten, bloß einer fehlt: der verantwortliche Minister. Der schickt lieber seine Staatssekretärin vor, die mit Wissenslücken glänzt und behauptet, alles laufe nach Plan, während in Wahrheit gar nichts läuft. So wird das nichts mit der neuen UPD-Stiftung. Auftrag erfüllt! Von Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Als sich am Mittwochabend die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestags zu einer Sondersitzung zum Thema „Unabhängige Patientenberatung Deutschland“ (UPD) zusammenfanden, glänzte die entscheidende Figur durch Abwesenheit. Obwohl das Treffen nur für ein Stündchen angesetzt war und dazu bloß als Online-Austausch, blieb Karl Lauterbach (SPD) der Runde fern. Für den Bundesgesundheitsminister gab es Wichtigeres zu tun. Den lieben langen Tag machte er Werbung für die elektronische Patientenakte (ePA) und das sogenannte E-Rezept. O-Ton: „Wir sind im Bereich der Digitalisierung unseres Gesundheitssystems ein Entwicklungsland. Das ist leider so, wir brauchen daher eine Aufholjagd.“ Nebenbei versprach er die zügige Einbringung eines Gesetzes, das der Forschung, der Pharmaindustrie sowie den Krankenkassen Zugang zu deutlich mehr Gesundheitsdaten verschaffen soll – natürlich „anonymisiert und mit höchsten Sicherheitsstandards“. Das Portal Netzpolitik.org hatte schon Ende Juni über die Planspiele befunden, dass die Reformen „zulasten der Versicherten und des Datenschutzes“ gingen. So wolle Lauterbach sogar den Datenhandel mit den USA intensivieren.
Die Aussicht, als gläserner Patient in der Entwicklungsabteilung von Bayer, Roche oder mithin Pfizer zu landen, dürfte viele Menschen verschrecken und nicht wenige animieren, das Gespräch mit einem Patientenberater zu suchen. Allerdings könnte die Suche erfolglos bleiben, weil es die UPD wohl schon bald nicht mehr gibt. So wie Lauterbach glänzt die dann nämlich auch durch Abwesenheit – und zwar auf Betreiben von Herrn Lauterbach. Die NachDenkSeiten hatten vor zwei Wochen im Beitrag „Abhängig beraten“ über die üblen Machenschaften zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beim (vermeintlichen) Aufbau einer UPD als neu zu gründende Stiftung berichtet. Planmäßig soll diese am 1. Januar 2024 an den Start gehen und die „alte“, noch unter dem Dach des Callcenterbetreibers Sanvartis befindliche UPD nahtlos ablösen. Das jedoch erscheint höchst unwahrscheinlich, weil praktisch noch keinerlei Vorarbeiten erledigt sind.
Katastrophe mit Ansage
Beschlossen wurde das entsprechende Gesetz erst im März und mit der Aufgabe, die neue Satzung anzufertigen, ausgerechnet der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) betraut. Das allein ist ein Irrwitz, sind es doch die Krankenkassen, gegen die sich die große Mehrheit der bei UPD eingehenden Beschwerden richtet. Vor allem geht es dabei um Konflikte rund um Leistungsabrechnungen. Der Spitzenverband habe schon seit den ersten Tagen der UPD alles unternommen, die Arbeit der gemeinnützigen, in gesetzlichem Auftrag tätigen Organisation zu „torpedieren“, sagte Gregor Bornes von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen (BAGP) gegenüber den NachDenkSeiten. Er ist überzeugt: „Die wollen das Ding kaputt machen, und jetzt holt man zum letzten Schlag aus.“ Der ehemalige UPD-Geschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler formulierte dies Anfang August in einem Beitrag für den Tagesspiegel so: „Für ihn (den GKV-SV) galt von Anfang an das erste Gebot, wonach die gesetzlich Versicherten keine anderen Ansprechpartner haben dürften als die Krankenkasse.“ Die „politische Havarie“ der UPD sei insofern ein „trauriges Beispiel für Staats-, System- und Politikversagen“ sowie „ein Pyrrhussieg der Engstirnigkeit“.
Das Mittel der Wahl ist dabei, den Gang der Dinge mit allen Tricks zu verzögern. Hier spielt den Kassen ein weiterer „Konstruktionsfehler“ in die Hände. Tatsächlich soll der GKV-SV nicht nur die Satzung schreiben, sondern die komplette Finanzierung von jährlich 15 Millionen Euro stemmen. Aus dieser Position heraus konnte der Spitzenverband dem BMG bereits im Gesetzgebungsprozess Zugeständnisse abringen, die im Falle der Umsetzung der Unabhängigkeit der Servicestelle abträglich wären. Das erscheint durchaus nachvollziehbar, denn als Zahlmeister will man immer auch über die Musik bestimmen. Dagegen hatte die Mehrheit der im Parlament angehörten Sachverständigen für eine steuerfinanzierte UPD plädiert, der Spitzenverband selbst riet sogar zu diesem Weg. Dass sich am Ende die SPD gemeinsam mit der FDP durchsetzte, mündete laut Kathrin Vogler in „eine Katastrophe mit Ansage“. Damit habe man den Krankenkassen das „Heft des Handelns überlassen und natürlich Begehrlichkeiten geweckt“, äußerte sich die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke im Gespräch mit den NachDenkSeiten.
Am Rockzipfel der Krankenkassen
Jedenfalls meldeten die Krankenkassen Wochen nach Verabschiedung des Gesetzes weitere Ansprüche an, und weil das Ministerium zunächst nicht lieferte, beschloss Mitte Juni der GKV-SV-Verwaltungsrat, die Arbeit an der Satzung kurzerhand zu boykottieren. Die Erpressung wirkte, denn ohne Satzung kann die UPD nicht rechtzeitig beziehungsweise niemals startklar werden. Also vereinbarten der Verwaltungsrat und Lauterbach vor drei Wochen in geheimer Kungelrunde, die UPD-Stiftung unter die Quasiherrschaft der Krankenkassen zu stellen. Demnach soll der Spitzenverband weitreichenden Einfluss bei der Bestellung des Vorstands, auf die Finanzen und die Beratungsinhalte nehmen. So sollen etwa Themen zur Pflege fast komplett aus dem Leistungskatalog gestrichen werden.
Das sorgte für einen Proteststurm bei den maßgeblichen Patientenorganisationen – darunter der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) –, die mit ihrem Zutun die neue UPD eigentlich mit Leben füllen sollen. Prompt kündigten sie an, ihre Beteiligung aufzukündigen, und bekräftigten dies am Mittwoch von Neuem. „Eine UPD am Rockzipfel der Krankenkassen ist für die Patient:innen nichts wert“, erklärte VZBV-Vorstand Ramona Pop. Sollte eine unabhängige und staatsferne Tätigkeit nicht zweifelsfrei möglich sein, werde sich ihr Verband vollständig aus der Mitwirkung an der UPD-Stiftung zurückziehen. „Denn ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende.“ Das wäre verständlich, aber eben auch genau das, was die Kassen wollen: eine UPD unter ihrer Fuchtel oder besser noch – gar keine UPD. Passend dazu folgerte am Donnerstag das bestens informierte Ärzteblatt, eine Stiftung ohne Patientenvertreter sei durchaus denkbar, „dann jedoch nur unter Aufsicht und Vorgaben von Politik und Krankenkassen“. Und weiter „Damit hätte der GKV-Spitzenverband sein Ziel erreicht, die UPD weitgehend abzuschaffen.“
Beschäftigte entsorgt
Ob mit oder ohne Patientenvertreter, eine arbeitsfähige UPD zum Jahresanfang ist schon jetzt nicht mehr vorstellbar. „Allein um den Rahmen der Stiftung zu schaffen, braucht es sechs bis acht Monate“, weiß der amtierende UPD-Frontmann Thorben Krumwiede. „Erst dann kann ein Vorstand berufen werden, der dann erst damit anfangen kann, neue Mitarbeiter einzustellen“, erläuterte er gegenüber den NachDenkSeiten. Aktuell befindet sich die UPD in Gestalt einer Sanvartis-Tochter in der Abwicklung. Die noch bestehende 120-köpfige Belegschaft erhält am 1. September ihre Entlassungspapiere, die zum Jahresende wirksam werden. Viele der Beschäftigten würden sich einen anderen Job suchen und stünden dann für den Neuaufbau nicht mehr zur Verfügung. Für Krumwiede „deutet alles darauf hin, dass man an der UPD kein großes Interesse hat“. Und aus seiner Sicht ist es „ziemlich sicher, dass der Betrieb mindestens vorübergehend eingestellt werden muss“.
Lauterbach hatte hingegen bis zuletzt weiszumachen versucht, die Geschäfte könnten übergangslos weiterlaufen und alle Beschäftigten in die neue Struktur überwechseln. Davon will BMG-Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD), die ihn bei besagter Sondersitzung des Gesundheitsausschusses vertrat, plötzlich nichts mehr wissen, was laut Ärzteblatt einer „vollständigen Kehrtwende“ gleichkommt. In einem vorab an die Ausschussmitglieder gerichteten Schreiben hielt sie fest, ein Betriebsübergang (also ein lückenloser Bestandsschutz für Arbeitnehmer) seitens des Gesetzgebers sei „bewusst nicht vorgesehen“ gewesen und man habe den Mitarbeitern keine verbindliche Arbeitsplatzzusage gemacht. Danach befragt, nannte sie die erfolgten Kündigungen in der Sitzung eine Formalie, die man nicht habe verhindern können. Die Geschassten hätten aber die Sicherheit, sich wieder bewerben zu dürfen. Nur warum sollten sie das tun, wenn eine Fortführung der UPD in den Sternen steht?
Gründung im Schweinsgalopp
Aber Dittmar ist Optimistin: Sie glaubt weiterhin an eine funktionstüchtige Stiftung zum 1. Januar, wie gestern das Ärzteblatt unter Berufung auf Beteiligte schrieb. Dazu solle die Satzung bis Mitte des Monats vorgelegt und bis Ende August durch das BMG und den Patientenbeauftragten der Bundesregierung geprüft werden, um sie Anfang September bei der zuständigen Stiftungsbehörde einzureichen. Laut Vogler von der Linksfraktion ist das ein „sportlicher Fahrplan“. Weil die Behörden der Länder teilweise bis zu zwölf Monate brauchten, um eine Satzung zu prüfen, „war von Anfang an klar, dass es keinen nahtlosen Übergang geben wird“. Allerdings weist die Frau Staatssekretärin noch andere Wissenslücken auf: Dass die Patientenorganisationen ihre Unterstützung annullieren wollen, wie sie dies mehrfach bekundeten, sei ihr nicht bekannt. Sie habe dazu kein offizielles Schreiben erhalten.
Nach Einschätzung des CDU-Gesundheitspolitikers Hubert Hüppe „haben sich die Bedenken eher verstärkt, dass die UPD am 1. Januar 2024 noch funktionsfähig ist“. Es sei verständlich, dass viele qualifizierte Berater sich jetzt andere Arbeitsstellen suchten, befand er am Donnerstag in einer Medienmitteilung. Zusätzliche Probleme erwüchsen durch die Beschaffung neuer Hard- und Software mittels einer europaweiten Ausschreibung. Der Fehler, die Stiftung durch die Krankenkassen zu finanzieren, müsse „dringend korrigiert“ werden, außerdem müsse der jetzige Betrieb um ein Jahr verlängert werden, „um den Aufbau vernünftig gestalten zu können“, empfahl Hüppe. Lauterbach warf er vor, die UPD „vor die Wand“ zu fahren.
Reißleine ziehen!
Das fürchtet auch Vogler, auf deren Antrag die Sondersitzung einberufen worden war. Wie sie davor schon angemerkt hatte, sei es praktisch ausgemacht, dass die Aufstellung der neuen Stiftung mindestens aufgeschoben wird, wobei „Verzögerung kann auch Verhinderung bedeuten“. Nach dem Treffen sind ihre Sorgen nicht verflogen. Durch den Kuhhandel mit Lauterbach könne der Spitzenverband eine UPD „ganz nach seinem Geschmack gestalten und die Patientenorganisationen zu Feigenblättchen machen“. Dass die das mit sich machen ließen, halte sie indes für unwahrscheinlich. Ihr Appell: „Es wäre jetzt an der Zeit, die Reißleine zu ziehen und eine Stiftung in öffentlicher Hand aus Steuermitteln zu gründen, die dann wirklich unabhängige Beratung organisieren kann.“
Wie lautete noch das Versprechen der Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag? „Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen.“ So wie es aussieht, wird daraus nichts werden, sprich: keine Staatsferne, keine Unabhängigkeit und vielleicht auf Dauer gar nicht existent. Selten gab es eine Lüge so gedruckt.
Titelbild: SevenMaps/shutterstock.com
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