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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: ARD und ZDF sollten endlich mal den ökonomischen Sachverstand ihrer Redakteure aufrüsten
Datum: 8. August 2023 um 16:34 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Fachkräftemangel, Medienkritik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Was sie zurzeit selbst in einschlägigen Sendungen wie „Wirtschaft vor acht“ (ARD) oder im Sommerinterview (ZDF) bieten, ist unterirdisch. Ich verweise zum Beleg beispielhaft auf die ARD von gestern Abend und auf das ZDF vom Sonntagabend, konkret auf das Sommerinterview mit dem AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla. Bitte beachten: Die AfD ist nicht Gegenstand meines Textes, es geht um die erstaunlichen ökonomischen „Einsichten“ der Redakteure des ZDF und um ihre heruntergekommene Moral. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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A. ARD „Wirtschaft vor acht“
Das hier sind drei Minuten und neun Sekunden Propaganda für die Aktienrente, angereichert mit falschen Behauptungen über die Gesetzliche Rente. Das war bornierte Unterstützung für das Projekt der Bundesregierung, Milliarden auf den Aktienmarkt zu lenken und damit der Finanzwirtschaft zu dienen und zugleich das Vertrauen in die Gesetzliche Rentenversicherung zu schwächen. Das Wichtigste, was zur optimalen Organisation der Altersvorsorge zu sagen ist, haben die NachDenkSeiten in einem Beitrag am 31. Juli 2023 gebracht. Siehe hier: Über die Lern-Un-Fähigkeit der Politik, dargestellt am Beispiel der Altersvorsorge. Dort wird (wieder einmal) erläutert, warum ein Projekt wie die Aktienrente und damit der Aufbau eines Kapitalstocks kein Problem löst. Die Versorgung der Rentner- und der Kinder-/Jugendgeneration muss von den aktuell arbeitsfähigen Menschen geleistet werden. Aller Sozialaufwand – so hat es der Ökonom Mackenroth vor Jahrzehnten formuliert – muss immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden. Entweder die ARD-Journalisten kennen diese Zusammenhänge nicht oder sie täuschen zur Fütterung der Aktienmärkte und damit im Interesse der Finanzwirtschaft über diese Einsicht hinweg.
B. ZDF Sommerinterview vom 6. August 2023
Eine Textfassung des Interviews gibt es nicht, dafür jedoch einen Faktencheck des ZDF-Redakteurs Nils Metzger. Dieser Text ist inhaltlich und in den Formulierungen über weite Strecken dem Interview angeglichen. Deshalb beziehe ich mich bei meiner kritischen Würdigung des Interviews auf diesen Text:
Faktencheck
Chrupalla im ZDF-Sommerinterview: AfD-Migrationspläne Risiko für Deutschland?
Von Nils Metzgervom 6. August 2023 11:59 Uhr
Kann Deutschland den Fachkräftemangel wirklich ohne mehr Migration bewältigen? …
Die Alternative für Deutschland (AfD) sieht sich bereit für Regierungsverantwortung. Wer das beansprucht, muss sich auch an seinen Inhalten messen lassen. Im ZDF-Sommerinterview präsentierte der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla abermals weniger EU und weniger Migration als Antwort auf die drängendsten politischen Fragen. Wie stichhaltig waren Chrupallas Argumente, wie korrekt die von ihm genannten Zahlen? Das Sommerinterview im Faktencheck.
Wie viel Arbeitsmigranten braucht Deutschland?
Deutschlands Wirtschaft hat mit einem wachsenden Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Schon jetzt finden viele Branchen kaum ausreichend Fachkräfte, der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm. Wirtschaftswissenschaftler und Arbeitgeberverband betonen: “Um dem Fachkräfte- und zunehmenden Arbeitskräftemangel zu begegnen und Wohlstand für alle zu sichern, brauchen wir auch mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland.” …
Eigentlich bräuchte Deutschland jedes Jahr 400.000 Zuwanderer gegen den Fachkräftemangel. AfD-Chef Tino Chrupalla spricht sich im ZDF stattdessen für mehr Nachwuchs aus. …
Chrupalla hingegen glaubt, diese Herausforderung ohne zusätzliche Migration stemmen zu können. “Wir haben in der eigenen Bevölkerung genügend Potenzial, das wir schöpfen müssen”, sagte Chrupalla unter Verweis auf rund 2,5 Millionen Arbeitslose und 2,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss.
Wir haben eine de facto Ein-Kind-Politik. Da müssen wir ansetzen, damit wir in 20, 30 Jahren aus eigener Kraft heraus (…) mit unserem Nachwuchs wieder die Fachkräfte generieren können.
Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge unterschätzt Chrupalla damit massiv das Ausmaß des Problems. Bis 2060 könnte die Zahl der potenziellen Arbeitnehmer um fast 16 Millionen Menschen sinken. Um den Bedarf auszugleichen, benötige Deutschland jedes Jahr eine Nettoeinwanderung von 400.000 Menschen, so die Bundesagentur für Arbeit. Im Jahr 2022 wurden zuletzt 739.000 Kinder geboren. Dass Deutschland seine Geburtenraten innerhalb weniger Jahre so steigert, dass Einwanderung dieser Größenordnung gänzlich unnötig wird, halten Experten für unrealistisch.
Auf dem heimischen Arbeitsmarkt sieht das Institut der deutschen Wirtschaft Köln darum kaum noch Potenzial: “Die Anzahl der Erwerbspersonen in Deutschland hat einen Höhepunkt erreicht. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung kann in Zukunft kaum mit weiteren Steigerungen gerechnet werden. Somit wird der Arbeitsmarkt als Quelle für weitere Wohlstandszuwächse schon in der mittleren Frist nicht mehr zur Verfügung stehen.” Eine höhere Erwerbsquote von Frauen oder unpopuläre Maßnahmen wie eine Rente ab 70 könnten den Mangel nicht voll ausgleichen.
Andere EU-Staaten stehen vor einer ähnlichen Herausforderung, daher werden Drittstaaten immer wichtiger beim Anwerben von Fachkräften. Laut der Bertelsmann-Studie sind jedes Jahr mindestens 146.000 Menschen von außerhalb der EU nötig.
So weit der Text aus dem Faktencheck des ZDF.
Bei Fachkräften müsste man Ähnliches annehmen: Menschen mit guter Ausbildung, die bisher nicht arbeiten, werden gewogen zu arbeiten, weil die Löhne und Gehälter steigen. Menschen lassen sich umschulen, weil in anderen Branchen, eben bei den „Fachkräfte-Mangelbereichen“, die Löhne steigen.
Wenn es wie jetzt 2,5 Millionen Arbeitslose gibt und viele Menschen keinen Beruf erlernt haben, dann müsste es nach der marktwirtschaftlichen Theorie Nachwuchs aus diesen Bereichen geben, und zumindest auf mittlere Sicht wäre der sogenannte Fachkräftemangel nicht mehr vorhanden.
So viel für heute zu unseren Leid-Medien.
Titelbild: Screenshot ZDF
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