So lautet die zusammenfassende Überschrift eines Berichtes der Zeit über eine Grundsatzrede unseres neuen Bundesfinanzministers beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Frankfurt. Wer den Geist und die Praxis der großen Koalition erfassen will, sollte diese Rede wenigstens überfliegen. (AM/WL)
Zusammenfassende Berichte finden Sie in der Zeit und der Financial Times Deutschland.
Unser Kommentar:
- Steinbrück hat diese Rede direkt im Anschluss an die Klausur der Bundesregierung gehalten. Bei ihrem zweitägigen Treffen in Genshagen bemühte sich die Bundesregierung sichtlich, das 25-Milliarden-Investitionsprogramm als einen positiven und optimistischen Anstoß für die Konjunktur darzustellen. Der Bundesfinanzminister konterkariert dieses Bemühen um eine positivere Stimmungslage, indem er oberlehrerhaft den Deutschen die Leviten liest und weitere Schnitte ins soziale Netz ankündigt. Die Lage der öffentlichen Haushalte, ließe es nicht mehr zu, „einen vornehmlich konsumtiv, auf Alimentation ausgerichteten Sozialstaat weiterhin im bisherigen Volumen zu finanzieren“. Es könne nicht „das alleinige Ziel des modernen Staates sein, jeden Einzelnen gegen alle Unwägbarkeiten des Marktes zu schützen.“ Steinbrück setzt damit die Verunsicherungsstrategie gegenüber den auf staatliche Transfers Angewiesenen und gegenüber den um ihre Arbeitsplätze besorgten weiter fort. Gerade soziale Sicherheit ist jedoch eine elementare Voraussetzung für die Verbesserung des daniederliegenden Konsumklima in diesem Land. Wer in dieser Situation eines stagnierenden Binnenmarktes die Menschen weiter verunsichert, beweist damit nur seine makroökonomische Inkompetenz. Aber klar, in Kreisen von Industrie- und Handelskammern ist es populär, den starken Mann gegenüber den „kleinen Leuten“ zu spielen.
- Steinbrück polemisierte wie üblich gegen „übertriebene Anspruchshaltung“ und einen angeblich „auf Alimentation ausgerichteten Sozialstaat“. Offenbar hat er wichtige Elemente dieses Sozialstaats nicht verstanden oder er will sie einfach abschaffen. Der Sozialstaat hat solidarische Vorsorgesysteme, zum Beispiel die gesetzliche Rente oder die Arbeitslosenversicherung. Wenn ein Bürger im Alter eine Rente beansprucht, dann tut er das in der Regel, weil er vorher Beiträge gezahlt hat. Das hat nichts mit Anspruchshaltung zu tun und nichts mit Alimentation. Diese Art von sozialstaatlichen Regeln und Einrichtungen haben aber in Steinbrücks „modernem“ Staat offenbar nichts mehr verloren. Dies ist besonders realitätsblind angesichts der Tatsache, dass die Beitragszahler wesentlich zur Finanzierung einer Kernaufgabe des Staates, nämlich zur Finanzierung der Sozialleistungen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit beigetragen haben. 4 bis 5% Beitragsbelastung resultieren aus dieser falschen Finanzierung. Wer angesichts dieser solidarischen Leistung der Beitragszahler von Anspruchshaltung und Alimentation spricht, will offenbar diese Sachlage nicht zur Kenntnis nehmen.
- Steinbrück redet davon, die Leistungen des Staates müssten „strikt an die Art ihrer Wirkungen gebunden werden: was aktivierend wirkt, muss bleiben, und es kann sogar ausgebaut werden, wenn zugleich alles das abgebaut wird, was zu Passivität und übertriebener Anspruchshaltung führt.“ Der Finanzminister hat offenbar das nahezu komplette Scheitern der Hartz-Gesetze immer noch nicht zur Kenntnis genommen, er verweigert die Wirklichkeit, dass vom „Fordern und Fördern“ angesichts der Arbeitsmarktlage nur das Fordern übrig geblieben ist. Er müsste darüber hinaus auch wissen, dass es in diesem Land eine große Zahl von Menschen gibt, denen die Solidargemeinschaft helfen muss, ohne dass das Kriterium des Aktivierens zur Begründung allein ausreicht. Manche Leute sind krank und arbeitsunfähig, ältere Arbeitnehmer haben kaum eine Chance , dass sie wieder aktiv werden können, die psychischen Krankheiten nehmen zu, auch unter dem Druck der Arbeitslosigkeit, manche sind alt und brauchen Hilfe, manche Alleinerziehenden haben Kinder und brauchen Hilfe. Was soll angesichts dieser Realität die Lehrbuchweisheit der neoliberalen und sozialdemokratischen Moderne?
- Die CDU fabuliert von der „neuen Gerechtigkeit“, Steinbrück sorgt dafür, dass die „soziale Gerechtigkeit“ aus dem Denken verschwindet. Chancengerechtigkeit sei das Grundprinzip eines modernen Sozialstaates, dessen erstes Ziel es sein müsse, den Einzelnen zur Teilnahme und Teilhabe auf den Märkten zu befähigen. Das wirkt schon ziemlich makaber, angesichts der Befunde von Pisa oder anderer Studien zur zunehmenden Chancenungerechtigkeit gerade beim Zugang zu Bildung und Ausbildung und damit beim Zugang auf den Arbeitsmarkt.
- Immerhin tritt er für den starken Staat ein, für einen leistungsfähigen Staat, der seinen Preis habe. Dann erwähnt Steinbrück auch die Tatsache, dass wir in Deutschland mit einer Steuerquote von unter 20% weit unter dem Niveau des EU-Durchschnitts von 29% und auch unter der Steuerquote Großbritanniens von 29,4% liegen. Und dass selbst unter Einschluss der “der relativ hohen Sozialabgaben „Deutschland mit 34,6% Abgabenquote im unteren Mittelfeld positioniert“ sei. Und all dies, trotz der 4% für den innerstaatlichen Transfer von West nach Ost. Eigentlich müsste ein Finanzminister angesichts dieser Zahlen auf die Idee kommen, dass dieses Herunterfahren der Einnahmen des Staates durch Steuersenkungen und der damit verbundene Niedergang der öffentlichen Investitionen seit vielen Jahren gerade eine der Ursachen für den Niedergang unserer Wirtschaftsentwicklung sein könnte. Er kommt auf diese Idee nicht. Statt dessen weist er daraufhin, was Steuererhöhungen bei der hohen Mobilität von Kapital und der Konkurrenz internationaler Steuersysteme bedeuten würden. Da ist sie wieder die – angelernte – Drohung mit der Abwanderung des Kapitals. Wieso gilt das eigentlich nicht für das von Steinbrück selbst erwähnte Großbritannien oder für die noch höheren Steuersätze in Schweden und Dänemark?
- Zur Steuerpolitik der früheren und jetzigen Regierung hat sich Prof. Lorenz Jarass am 6.1.2006 mit einem Papier [PDF – 160 KB] zu grundsätzlichen und aktuellen Fragen der Steuer- und Finanzpolitik geäußert. Das passt zu der Rede von Steinbrück.
- Wie üblich baut Steinbrück Popanze auf. Schon der Hinweis auf die „Alimentation“ und „Anspruchshaltung“ ist ja beileibe keine zutreffende Beschreibung der bundesdeutschen Realität. Auch das Gegeneinanderstellen von Chancengerechtigkeit und Ergebnisgleichheit folgt diesem Muster etwas als Abschreckung darzustellen, was es gar nicht gibt. Wer hat je „Ergebnisgleichheit“ gefordert oder angestrebt? Das ist doch ein reines Ablenkungsmanöver angesichts der immer mehr auseinander driftenden Einkommens- und Vermögensverteilung und der zunehmenden sozialen Selektion bei Bildung und Berufschancen in unserem Land. Wer will denn das Gehalt von Herrn Ackermann dem der Verkäuferin anpassen? Wer darüber nur ein bisschen nachdenkt, der müsste, statt die Gefahr von Gleichmacherei zu wittern, auf das extreme und unanständige Auseinanderdriften von Arm und Reich in unserer Gesellschaft hinweisen.
- Steinbrück verspricht den Ausbau und die Stärkung des Private-Equity-Bereichs, aber er sagt überhaupt nichts über die Steuerbefreiung für die Gewinne beim Verkauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen. Diese von Schröder und Eichel eingeführte Subvention lässt er genau so unerwähnt wie das Ehegattensplitting, die Förderung der Minijobs zulasten der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverträge und die Förderung der Privatvorsorge. Den Ausbau der Riester-Rente, lobt er sogar noch ausdrücklich.
- Steinbrück setzt sich massiv für die Fortsetzung der Privatisierung staatlicher Aufgaben ein, also der Public Private Partnerships (Wir haben auf den NachDenkSeiten die Folgen der PPPs schon häufig analysiertet und kritisiert). Ihr Anteil soll von heute 4% an den öffentlichen Investitionen auf das Niveau anderer Industrieländer, 15%, angehoben werden. Klar, dass auch hier der Bundesfinanzminister nur nachvollzieht, was andere neoliberale geprägte Länder vorgemacht haben. Das Nachdenken, etwa darüber, dass die künftigen Bürger für diese Art von Privatisierung teuer bezahlen müssen, lässt Steinbrück sträflich vermissen.
Wie Steinbrück mit dieser Grundsatzrede „Vertrauen wecken“ will, bleibt sein Geheimnis.