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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Das Glück des Bäckers ist unser aller Glück – dafür danke, lieber Bäcker Max
Datum: 23. Juli 2023 um 15:00 Uhr
Rubrik: Chancengerechtigkeit, Rezensionen, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Redaktion
Max Kugel ist von Beruf Bäcker. Der junge Mann weiß sehr, sehr gut Bescheid über das Backen. Er belässt es nicht dabei, sein Wissen, sein Können, sein handwerkliches Geschick lediglich in seiner Backstube einzusetzen. Er schreibt mit „Wie ich auszog, um mein Handwerk zu retten“ (Westend Verlag, 236 Seiten) ein Buch über Brot und über viel mehr. Max Kugel schenkt den Lesern eine Schrift über das Leben, welches so einfach wäre, würden in der Mehrzahl rücksichtsvolle Entscheidungen für ein auskömmliches Leben getroffen. Max Kugel arbeitet rücksichtsvoll und umsichtig. Kugel beschreibt, dass um ihn herum ein einziger, ein ständiger Kampf stattfindet. Max stellt sich dem, er kämpft auch, er erzählt so ehrlich, wie er sein Brot backt. Eine Buchbesprechung von Frank Blenz.
Als ich das Buch „Wie ich auszog, um mein Handwerk zu retten“ gelesen hatte, wurde mir wieder einmal und nun umso mehr bewusst, wie gern ich doch zu einem richtigen Bäcker gehe, daheim und anderswo. Egal wo ich hinreise, das Wort Bäcker habe ich schnell in der jeweiligen Sprache drauf, das Wort Brot ebenso. Eine Bäckerei ist ein Ort des nach Hause kommens. Es ist ganz einfach, für mich sind Brot und dazu noch Butter und Salz ein Trio, das Heimat bedeutet. In meiner Kindheit war ich regelmäßig für das Brot und Semmeln Holen zuständig. Ich stand oft und lang in der Warteschlange vor dem Bäckerladen. Hatte ich dann endlich die noch warmen, duftenden Backwaren im Beutel, wurde ich beinah immer schwach und naschte vom Brot oder von der Semmel. Ich kann nur sagen, früher wie heute: Max Kugel und seinen Kollegen sei Dank.
Das tägliche Glück duftet nach gutem Brot
In Bonn gibt es eine Bäckerei. Dort kann man Brot kaufen. Nur Brot. Das tägliche Glück in einem einfachen Leben, es duftet nach gutem Brot. Die Reduzierung, die Konzentration, die Hingabe auf das Wesentliche tut gut und ist mehr als eine Geschäftsidee. Und nein, es geht nicht nur um Brot, es geht um das Gesamte, um das Drumherum. Das fängt schon damit an, geknickte Preisauszeichnungen nicht zu dulden. Bäcker Max Kugel schaut stets und eben auch in seinem Laden darauf, dass die Schönheit des einfachen Lebens Vorfahrt hat.
Die Leute spüren das, sie nehmen die Einladung an. Vor Ort. Das Brot ist oft ausverkauft. Der Chef des Ladens, der Brotbäcker Max Kugel (und sein Team), backt nicht nur, er sieht das Glück der Menschen, das Lächeln in den Gesichtern, vor Ort. Darüber hinaus sollen die Menschen auch vom Glück und wie man dazu kommt erfahren, stellt er selbstbewusst fest. Also zieht er sozusagen hinaus in die Welt, in die Öffentlichkeit, schreibend. Tu Gutes und rede darüber oder schreibe. Richtig so. Max Kugels Buch macht seine Geschichte, seine Philosophie über die Grenzen seiner Stadt hinaus bekannt.
Max, der auf dem Foto des Buchtitels „Wie ich auszog, um mein Handwerk zu retten“ aussieht wie ein trendiger Jungstar, T-Shirt, Basecap, fescher Bart, das Arbeitsgerät stolz in Händen haltend, ist, das steht nach der Lektüre fest: ein Universalgenie. Handwerker, Lebemann, Verkäufer, Botschafter, Ratgeber, Kämpfer, Stehaufmännchen, Familienmensch. Nur gut, dass er Bäcker geworden ist, das wollte er zunächst gar nicht, ist zu erfahren.
Und wirklich, Brot ist ein mächtiges, kraftvolles, schönes Wort, in das so viel einver laib t ist. Max schreibt nicht nur, es gibt auch viel zu sehen. Klappt man das Buch auf, beginnt eine Zeitreise, es ist ein Mitnehmen des Lesers voll hinein in die Backstube, rein in das Leben von Max Kugel. Das Einfache, das Naheliegende liegt vor uns. Das Einfache auszuleben ist alles andere als einfach. Das Buch erzeugt gute Laune und melancholische Gefühle, blättert man es wie ein Familienalbum durch, das ist wunderbar, weil Max etliche Fotos in Schwarz-Weiß seinen Zeilen beifügt. Schau, da war Max und dort. Stationen, Kollegen, Familie. Vater und Sohn.
Die Weltkarte, auf die er die Stationen seiner Wanderjahre auf dem Weg zum Bäcker, Mensch, Lebensphilosoph, der er heute ist, eingetragen hat, löst Lust, Fernweh, Bewunderung aus. Ach Max, wo du aber auch überall herumgekurvt bist.
Brot braucht nicht viel, Brot braucht sehr viel
Der Bäcker schreibt eindrucksvoll und fein verständlich über das Backen, über den Teig, die Zutaten, über das Nichtverwenden von Zusatzstoffen. Max Kugel gelingt ein Fachbuchtext, der kein abgehobener Fachbuchtext ist, der einen vielmehr ohne Umschweife verstehen lässt, was ein gutes Brot ausmacht: der Laib (so ein schönes altes Wort) braucht nicht viel, einerseits, das Brot braucht sehr viel, andererseits.
Schonungslos offen und mit viel Herz
Zunächst liest sich Seite für Seite noch etwas kantig, sachlich, doch bald geht der Teig der Maxschen Zeilen auf. Bäcker Kugel taut auf, er öffnet sein Herz, seine Gedanken offenbarend, man fühlt sich, als läse man in einem Roman. Mehr und mehr nehmen seine Zeilen Fahrt auf, der schreibende Bäcker ist gnadenlos offen, hingebungsvoll, wie er kompromisslos den Laib knetet. Es ist folgerichtig, dass Max heute Brot backt und damit seine Brötchen verdient.
Seine Kindheit, sein Dasein in einer Bäckerfamilie mit Vater, Mutter, seinen Geschwistern, die darin innewohnende Kompromisslosigkeit, die Tatsache, wichtiger Teil eines Betriebes zu sein, ein Rädchen im Getriebe, somit permanent verpflichtet zu sein, statt einfach „nur“ Kind auch Arbeitskraft zu sein, Kinderjahre sind keine Herrenjahre sozusagen – die Erzählung von Max Kugel über den Alltag daheim in Lahnstein geht einem nah und versöhnt, weil Max dennoch als Bäckerjunge Dank seiner Eltern ein froher Mensch war und bis heute blieb.
Ja und da war noch die Inge. Max erzählt liebevoll von der Familien-Haushaltshilfe Inge. „Für Normalität und Kindsein-Können hat in meinem Leben eine ganz besondere Person gesorgt: meine Inge.“ Der kleine Max begründete das so: „Bei ihr war alles möglich, was zu Hause undenkbar war. Zum Glück!“ Der große Max blickt zurück: „Sie hat mich Kind sein lassen und mir wichtige Dinge und viel Liebe mitgegeben. Deshalb war und wird sie immer meine Inge bleiben. Die Beste!“ Ich glaube, Vater und Mutter waren streng, weil sie von Inges Ausgleich wussten, Max war bestens versorgt mit Umsorgung, in der Erziehung.
Kapitalismuskritik
Max Kugel überzeugt, wie er beschreibt, was es heißt, einem unserer wichtigsten Grundnahrungsmittel zu gebührender Geltung und Liebe zu verhelfen, was es heißt, Bäcker zu sein, Unternehmer zu sein, ein Teil eines kleinen Familienbetriebs zu sein und sich permanent einem Kampf gegen die großen Mitspieler, gegen die Bürokratie und so weiter ausgesetzt zu sehen, was alles andere als gerecht ist. Bis heute gilt, so die Erkenntnis nach intensiven Kapiteln Max Kugel: Banken werden gerettet, Bäckereien eher nicht.
Er nutzt beim Backen keine Zusatzstoffe, er sorgt sich um seinen Berufsstand, die Kollegen, sorgt sich wegen steigender Energie- und Rohstoffpreise. Max Kugel sieht die Bäckerbranche in einer großen Krise. Die Krise bietet sicher auch Chancen. Besser wäre, es gäbe derartige Krisen nicht. So aber: Das gute alte Handwerk sieht sich dem großen Business gegenüber. Die Hälfte der Backwaren liegen in den Auslagen von Discountern in deren sogenannten „Backshops“. Die Chance dagegen ist, besser ist: Die Norm von Max’ Transparenz alltäglich zu machen, statt auf Mogelpackungen und schöne Sprüche zu setzen. Im Supermarkt heißt es „Frisch gebacken“, „Frisch aus dem Ofen“. Von wegen. Ein Supermarkt dürfte, ginge es nach der Maxschen Philosophie, erst dann die Erlaubnis bekommen, Backwaren anzubieten, wenn innerhalb dieser meist großen Gewerberäume ein echter Bäcker eingemietet wird. Einer, der backt. Oder bäckt. Es ist schlicht Beschiss, so zu tun, als wäre der Supermarkt mit seiner Backwarenabteilung eine Bäckerei. Kugel kritisiert das Vorgaukeln der Supermärkte, die industrielle Backmittel verwenden, um schöne, immer gleich aussehende Waren zu erzeugen.
Auch die Umwelt ist bedroht. Max Kugel kritisiert die Massenproduktion einer durchgetakteten konventionellen Landwirtschaft, einer Industrie, die Pestizide einsetzt, was das Wasser, die Böden, die Tierwelt schädigt. In vielen Lebensmitteln landen diese Mittel, diese schließlich beim Verbraucher, bei uns, den Menschen.
Warum werden Banken gerettet, Bäcker nicht? Wieso stellt er nicht die Frage, dass man seine Arbeit, sein Brot, subventionieren, also unterstützen, fördern sollte und somit unter Schutz stellen würde? Unternehmerischer, handwerklicher Stolz hin und her – andere, härtere Kapitalisten, Teilnehmer der Marktwirtschaft, unserer Welt des „Jeder ist seines Glückes Schmied”-Rennens – nimmt mit vollen Händen, voller Cleverness Förderungen, Subventionen, Steuererleichterungen, das Ausrollen des roten Teppichs des Staates in seine Kalkulation und Spekulation auf. Man schaue mal auf internationale Konzerne. Man schaue auf Milliardäre. Bäcker, kleine Handwerker verdienen ebenso Förderung und Beachtung – nicht nur die der Kundschaft, die zu ihnen steht.
Dann passierte das: „30 Jahre hatte Papa ohne freie Wochenenden gearbeitet.“ Er verlor alles, als er alles riskierte und als gemachter Mann und Unternehmer ein riskantes Investment tätigte. Die Großbäckereipläne, die Max’ Vater schließlich auf den Weg brachte, konnte er nicht erfolgreich verwirklichen, ja er machte eigene Fehler, aber ja, ihm wurde nicht die Geduld und Unterstützung zuteil, die große Unternehmen bekämen. Insolvenz. Tränen. Der Sohn sah seinen Vater weinen.
Das Handwerk ist zu retten – vielleicht so, wie es Kugel macht?
Bäcker Kugel macht sich einen Kopf. In der Backstube, als Unternehmer, als Bürger, als Visionär. Sein Handwerk wie einst auszuführen, die Zutaten für das Backwerk sorgfältig auswählen und verwenden, nah an den Menschen, der heimatlichen Region, dem Getreide zu sein, gehören dazu. Sich über Arbeitsbedingungen, seine, die seiner Mitarbeiter, viele Gedanken zu machen, auf dass man sich eben nicht krumm und bucklig schuftet für das täglich’ Brot, auch. Da gibt es diese Frage: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten? Kugel räumt damit auf, es gibt für ihn kein entweder oder, es ist die Mischung, die gute, die überlegte, wie beim Backen. Vielleicht regt es junge Menschen an, den Bäckerberuf zu ergreifen, wenn es möglich ist, neue Wege zu gehen mit alten Traditionen. Krumm und bucklig war mal, ausgeglichen, froh und doch ehrgeizig ist heute und morgen. Und die Gesellschaft, die „Rahmenbedingungen“, Preise, Vorschriften, Bürokratie usw. sollten ebenfalls modern und den arbeitenden Menschen zugewandt sein.
Vater und Sohn. Und die Mutter.
Damit ein Mensch sich entwickeln kann, braucht es auch Familie, Eltern, so wie Max es erlebt hat und erlebt. „Er hat in mir die Leidenschaft fürs Backen geweckt und den unbedingten Willen zu handwerklicher Qualität. Dafür werde ich ihm ewig dankbar sein.“ Das sagt Max Kugel über seinen Vater. Die Mutter, sie kommt weniger vor in dem Buch, sie kommt sehr vor im Herzen des jungen Mannes, weiß er doch, wie sie moderiert, den ganzen Laden, die Familie zusammenhält. Der junge Kugel lernte beim Vater, doch nahm er schließlich das eigene Unternehmen in Angriff. Vater ließ ihn ziehen. Am 24. August 2017 eröffnete Kugel seine eigene Bäckerei in Bonn. Wo? Kugel schreibt auf seiner Internetseite: „Da, wo es nur Brot gibt.“
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