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Titel: 50. Jahrestag des Putsches gegen Allende: Chile streitet um das richtige Gedenken

Datum: 23. Juli 2023 um 11:45 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage, Länderberichte
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Chiles Präsident Gabriel Boric hat im Zuge seines Aufenthalts in Spanien verkündet, dass er den 50. Jahrestag des Militärputsches gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende in genereller Übereinkunft mit allen politischen Kräften des Landes begehen wolle. Doch für diesen Vorschlag hagelt es Widerspruch von links bis rechts. Von Michael Roth.

Am 11. September 1973 putschte das Militär unter General Augusto Pinochet die sozialistische Regierung von Salavador Allende und seiner Unidad Popular blutig aus dem Amt. Bisher hat sich die Regierung Boric noch wenig festgelegt, wie sie das Gedenken im September offiziell begehen will. Das Konsensmotto des Präsidenten steht jedoch einer stark polarisierten Gesellschaft gegenüber. Erst kürzlich musste der vom Präsidenten eingesetzte Koordinator für die Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Chile, Patricio Fernández, nach relativierenden Aussagen zum Staatsstreich von 1973 zurücktreten.

Die Idee eines gemeinsamen Gedenkens wurde unter anderem von Frank Sauerbaum von der rechten Renovación Nacional bereits zurückgewiesen. Sein politisches Lager sei nicht bereit, eine Erklärung zu unterschreiben, die auch von der Kommunistischen Partei mitgetragen werde. Für das linke Spektrum sagte Senator Fidel Espinoza von der Sozialistischen Partei, dass er sich nicht neben Vertreter der ultrarechten Republikaner setzen werde, die im Moment versuchten, in die neue Verfassung einzuarbeiten, dass die wegen Verbrechen gegen die Menschenrechte Inhaftierten freizulassen sind.

Zu Beginn der Vorbereitungen erstellte das Kurministerium eine Webseite, auf der interessierte Menschen und Organisationen eigene, bisher meist künstlerische Beiträge und Veranstaltungen veröffentlichen können. In einem Interview vom Juni sprach Javiera Toro, Ministerin für staatliche Liegenschaften, von dem Plan, in jeder der 16 Regionen des Landes mindestens eine Erinnerungsstätte zu errichten. Dazu sollen ungenutzte Gelände, die heute im Besitz der Streitkräfte sind, umgewidmet werden.

Ultrarechte Kreise um die Republikanische Partei nutzen indes das Datum der Erinnerung, um einen Schlussstrich unter die gerichtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen unter der Militärdiktatur zu setzen. Der ehemalige Offizier und enge Mitarbeiter der Militärdiktatur, Enrique Cordovez, der äußerte, „den 11. September sollte man Freude feiern”, hat im Namen seines verurteilten Freundes Jaime García Covarrubias, Agent des gefürchteten Geheimdienstes DINA, eine Verfassungsinitiative auf den Weg gebracht, welche für alle über 75-Jährigen Hausarrest statt Gefängnis vorsieht. Cavarrubias und andere sitzen im luxuriösen Sondergefängnis Punta Peuco ein.

amerika21 hatte Gelegenheit, mit Carlos González, einem Überlebenden der Repression der Militärdiktatur, zu sprechen. Am Tag des Staatsstreichs war der damals 25-Jährige Angestellter und Gewerkschaftsvertreter im Wirtschaftsministerium. Als die Bombardements der Putschisten begannen, verließen alle das Gebäude durch den Hintereingang, und González kam einstweilig in der Nähe bei Familienangehörigen unter. Die neuen Machthaber befahlen, sich am nächsten Tag auf der ehemaligen Arbeitsstelle zu melden. Bei der Gelegenheit wurde González von einem Militärangehörigen unter Drohungen zur „freiwilligen” Kündigung gezwungen. Nach einigen Monaten Arbeitslosigkeit fand er Anstellung in der Computerabteilung einer Bank.

Im Mai 1976 erscheinen dort während der Nachtschicht DINA-Agenten mit seiner bereits verhafteten Lebensgefährtin und verschleppten beide. Es begann ein jahrelanger Leidensweg durch das Folterzentrum Villa Grimaldi sowie das Konzentrationslager für politische Gefangene, 3 y 4 Álamos. Die Folgen bei González sind ein kaputtes Knie, fünf schwere Rippenbrüche, Augenschäden und die Last psychischer Schäden.

Bei seiner Entlassung aus 3 y 4 Álamos ins Exil wurde ihm ein von Pinochet unterschriebenes Dekret übergeben, welches ihm eine eventuelle Wiedereinreise nach Chile verbot. Das Exil in Schweden und anderen Ländern war schließlich der Weg, den Carlos einschlug, wobei es auch zur Trennung von seiner Lebensgefährtin kam.

Nach Jahren des Exils kehrte er nach Chile zurück, um dort weiterzumachen, wo er gezwungen wurde aufzuhören: für ein gerechteres, demokratisches Chile zu kämpfen, in dem seine Bewohner in Würde leben können. Er erklärt, dass nicht zuletzt die sozialen Massenproteste vom Oktober 2019 gezeigt haben, wie aktuell die 40 historischen Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm Allendes heute noch sind. Das beflügele seine Generation, mit Vorträgen, Führungen an den Orten des Grauens, Diskussionveranstaltungen und anderen Aktivitäten den neuen Generationen die Regierung der Unidad Popular näherzubringen und die wahren Hintergründe des blutigen Militärputsches aufzudecken, damit das „Nunca mas” (nie wieder) lebendig bleibt und eingelöst wird.

Mit Unverständnis reagieren González und viele andere auf die Idee des Präsidenten Boric, die Erinnerung thematisch auf die Menschenrechtsverletzungen zu begrenzen, ohne die Regierungszeit Allendes zu würdigen und vielmehr diejenigen, die bis heute den Militärputsch verteidigen, in die Gedenkveranstaltungen mit einzubeziehen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.


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