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Titel: Jacques Baud: Westliche Politiker und Journalisten in Ideologie des Hasses gefangen

Datum: 20. Juli 2023 um 12:42 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ideologiekritik, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Rezensionen
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Noch immer gibt es keine Lösung für den Krieg in und um die Ukraine. Wer verstehen will, wie es dazu kam und warum er anhält, dem ist das kürzlich auf Deutsch erschienene Buch „Putin – Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud aus der Schweiz zu empfehlen. Er beleuchtet Zusammenhänge und Hintergründe, die bei den etablierten Medien unterbelichtet werden. Baud folgt dem Prinzip „Zurück zu den Fakten, zurück zum Dialog! Eine Rezension von Tilo Gräser.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Ob uns das nun gefällt oder nicht, am Ende heißt der große Sieger … Wladimir Putin.“ Diese Prognose für den Krieg in und um die Ukraine ist der letzte Satz in dem Buch „Putin – Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud, Schweizer Militärexperte und ehemaliger Nachrichtendienstoffizier. Er belegt in seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch, dass es dem US-dominierten Westen nicht darum geht, der Ukraine zu helfen, sondern Russland zu schaden. „Wenn wir der Ukraine wirklich helfen wollten, hätten wir viel früher gehandelt, um die Lösungen umzusetzen, für die wir uns eingesetzt hatten. Das haben wir nicht getan.“

Bauds Buch ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was „Faktenchecking“ wirklich sein kann, nämlich Fakten anhand von Informationen und Quellen objektiv zu überprüfen. Das Erfassen von Fakten könne nur erfolgen, „wenn man bereit ist, Ansichten zuzuhören, die nicht die eigenen sind“, schreibt der Autor. Mit diesem Vorgehen beantwortet er die im Titel gestellte Frage, ob Russlands Präsident Wladimir Putin „Herr des Geschehens“ sei.

Der Ausgangspunkt für das 2022 zuerst auf Französisch erschienene Buch sind Erklärungen und Behauptungen in französischen Medien in Bezug auf die russische Politik. Schon im Oktober 2021 habe eine Sendung des TV-Senders France 5 Putin zum „Herrn des Geschehens“ erklärt, so Baud. Ihm zufolge wird mit solchen Zuschreibungen die vereinfachte westliche Sicht wiedergegeben, wonach Russlands Präsident hinter (fast) allen Problemen nicht nur im Westen, sondern auch global steckt. Und: „Was am 17. Oktober noch ein Einzelfall war, wurde am 24. Februar 2022 zur Denkweise des Westens.“

Vorurteile verstellen den Blick

Der Schweizer Militärexperte betont, dass er mit seinem Buch nicht zu einer bestimmten Politik oder einem bestimmten Land Stellung beziehen will. Er wolle stattdessen zeigen, „dass wir unsere Politik nicht auf Vorurteile, sondern auf Fakten gründen sollten“. Dazu seziert er die westliche Politik gegenüber der Ukraine und Russland anhand von Fakten und einer Vielzahl von Quellen – wobei er auf offizielle russische Medien verzichtet.

Ausgehend vor allem von Aussagen in der erwähnten französischen TV-Sendung und anderen französischen Medien, beantwortet Baud Fragen zur russischen Politik und zur Rolle Putins. Er hat dabei nach eigener Aussage zwei Ziele, „nämlich aufzuzeigen, dass unsere Vorurteile nicht der Realität entsprechen; dass Entscheidungen, die auf unseren Vorurteilen beruhen, das Gegenteil von dem bewirken, was wir eigentlich wollen“. Zugleich setzt er sich mit dem „grundsätzlichen Einfluss der Medien auf die Meinungen unserer Entscheider“ auseinander. Zu diesem komme ein „struktureller Einfluss der Medien und ‚Experten‘ auf die politischen Entscheidungen, die das öffentliche Leben berühren“.

Im Unterschied zu den „Experten“ und den selbst ernannten „Faktencheckern“ öffentlich-rechtlicher und privater Medien auch hierzulande erklärt Baud zu Beginn seines Buches Vorgehen und Begriffe, die er verwendet. Damit kann er im Weiteren belegen, warum er der etablierten Politik und den mit ihr verbundenen Medien immer wieder Lügen, Falschaussagen und auch tatsächliche Verschwörungstheorien vorwirft. Das macht er in Auseinandersetzung mit zahlreichen westlichen Behauptungen über die Rolle Russlands und seines derzeitigen Präsidenten in zahlreichen internationalen Ereignissen, über die russische Politik und über die Lage in dem Land selbst.

Legenden behindern die Analyse

Er widerlegt damit Legenden wie beispielsweise die, dass Putin die UdSSR wiederherstellen wolle. Der Schweizer Ex-Geheimdienstoffizier erinnert an die simple Tatsache, dass das heutige Russland ein wirtschaftsliberales Land ist, „grundverschieden von der UdSSR in Bezug auf seine Ideologie und sein Funktionieren“. Dem russischen Präsidenten Sowjetnostalgie zu unterstellen, sei „faktisch falsch und politisch gelogen“. Putin habe sich nicht zur Aufgabe gemacht, die Sowjetunion wiederherzustellen. „Er möchte Russland auf der internationalen Bühne eine gewichtige Stimme geben, um seine Interessen zu verteidigen“, so Baud. Das ziele „im Wesentlichen darauf ab, wieder ein Gegengewicht zur sperrigen Omnipräsenz der Vereinigten Staaten zu schaffen, die nur für ihre eigenen Interessen zum Nachteil ihrer Alliierten und der übrigen Welt handeln“.

Das Spektrum des fakten- und quellenreichen Buches reicht vom westlichen Mythos vom russischen „hybriden Krieg“ und dem angeblichen Einfluss Moskaus auf Wahlen in anderen Ländern über die Energiepolitik und das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine bis zur Frage, ob Putin ein korrupter Diktator ist und wie die Bevölkerung ihn sieht. Immer wieder kommt Baud dazu zu dem Fazit, dass Politik und Medien aus Unwissen alles miteinander vermischen und frei erfinden. „Man urteilt nicht nach Fakten, sondern gemäß den Vorurteilen: Das ist die exakte Beschreibung einer Verschwörungstheorie.“ Und er benennt „das intellektuelle Elend unserer Politiker und Journalisten, die in einer Ideologie des Hasses gefangen sind“.

Das betrifft auch die wiederholte Behauptung, Russland wolle sich die Ukraine einverleiben oder diese gar vernichten. Das widerlegt der Autor mit dem Hinweis darauf, dass in einem solchen Fall die Möglichkeit eines Atomkrieges steigt – weil dann der Abstand zwischen der NATO mit der Atommacht USA und der Atommacht Russland verringert wird. Das sei für beide Seiten gefährlich, weil es die Vorwarnzeiten verkürze. „Auch aus diesem Grund hat Russland nie Anspruch auf ukrainisches Staatsgebiet erhoben“, betont Baud und fügt hinzu: „Es möchte nicht, dass die NATO sich seiner Grenze nähert, und es möchte sich nicht der NATO nähern.“

Einseitigkeit verhindert Erkenntnis

Aus seiner Sicht will Russland die Ukraine nicht besetzen, sondern ihr eine Form der „Neutralität“ aufzwingen. Und so beantwortet er die Frage, ob Putin danach strebt, das Nachbarland zu okkupieren oder gar zu vernichten, wie es unter anderem deutsche Politiker behaupten, mit einem kurzen und klaren „Nein“. Bei dem am 24. Februar 2022 von Putin verkündeten Ziel der „Entmilitarisierung“ der Ukraine gehe es zum einen darum, die Bedrohung für die Bevölkerung des Donbass durch die Angriffe ukrainischer Truppen zu beseitigen. Zum anderen sollten damit eine strategische Neutralisierung des Landes erreicht und die Installation westlicher und US-amerikanischer Waffensysteme auf ukrainischem Territorium verhindert werden.

Das andere verkündete Ziel, die „Entnazifizierung“, sei gegen die rechtsextremen und ultranationalistischen Milizen in der Ukraine gerichtet. Diesen wirft Russland „Völkermord“ vor, was durch die internationale Konvention über den Völkermord gedeckt ist, wie Baud nachweist. Und er stellt fest: „Untersucht man den Vormarsch der russischen Kräfte, dann stellt man ein hohes Tempo fest, mit geringeren Truppenstärken und Kollateralschäden als beispielsweise während der amerikanischen Offensive im Irak.“

Der Schweizer Experte kritisiert die etablierten Medien unter anderem deutlich dafür, dass sie sich nur auf ukrainische Quellen stützen. Sie würden zu wenig recherchieren und ihre Weltsicht mit den Fakten verwechseln. Das zeige sich insbesondere bei den „Faktencheckern“, die sich wie politische Aktivisten benehmen und sich „nicht an strenge Definitionen für die von ihnen verwendeten Begriffe“ halten würden. Baud verweist auch auf die Hintergründe der medialen Kampagnen wie die britische „Integrity Initiative“. „In Wirklichkeit geht es weniger darum, gegen die russische Desinformation zu bekämpfen, als das zu bekämpfen, was sich der westlichen Desinformation entgegenstellt. Dieses Bekämpfen beeinträchtigt unser Verständnis von Russland.“

Fakten ermöglichen den Dialog

Wenig überraschend gilt der Autor denn auch schweizerischen Medien als „Geheimdienstler auf Putins Mission“. Der Ex-Oberst der Schweizer Armee stellt in seinem Buch fest, wir sollten uns „ernste Fragen stellen zur moralischen und strafrechtlichen Verantwortung der Medien, die nicht nach den Kriterien der journalistischen Ethik arbeiten und unsere Wahrnehmung bewusst verfälschen wollen.“

Er geht auch mit jenen hart ins Gericht, die sich politisch und medial auf die vermeintlichen westlichen Werte berufen: „In Wirklichkeit rechtfertigen sie Folter, Krieg und die Einmischung in souveräne Länder. Wenn wir einen bewaffneten Konflikt in der Ukraine hätten vermeiden wollen, hätten wir für die Einhaltung des Völkerrechts gesorgt. Wir haben die russischsprachigen Menschen im Donbass sterben sehen, in der Hoffnung, dass dies zu einem Krieg führen würde, mit dem wir Russland besiegen können.“

Bauds Buch ist ein prägnanter Beitrag zur Aufklärung, der dem Motto folgt, das auf der Buchrückseite zu lesen ist: „Zurück zu den Fakten, zurück zum Dialog!“ Es sollten vor allem jene lesen, die zwar immer noch den „Verschwörungstheorien“ der etablierten Medien und Politik glauben, aber mit der Zeit doch daran zweifeln. Es kann helfen, die Ereignisse und Zusammenhänge besser zu verstehen und einordnen zu können, gerade weil der Autor aus der neutralen Schweiz kommt, für das Schweizer Militär und den Nachrichtendienst seines Landes ebenso wie für die UNO und die NATO tätig war sowie selbst als Gasthörer die russische Generalstabsakademie besuchte. Seine internationale Erfahrung und Perspektive können bei der Suche nach Frieden für die Ukraine helfen.

Jacques Baud: „Putin – Herr des Geschehens?
Westend Verlag 2023, 320 Seiten, ISBN: 9783864894268, 26 Euro


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