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Titel: Urteil jetzt rechtskräftig: Kündigung des Journalisten Patrik Baab durch die Uni Kiel wegen Recherche in der Ostukraine war „rechtswidrig“

Datum: 20. Juli 2023 um 8:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Hochschulen und Wissenschaft, Medienkritik, Wertedebatte
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Die Christian-Albrecht-Universität (CAU) hat die Frist zur Anrufung des Oberverwaltungsgerichts verstreichen lassen. Damit ist das Urteil der 9. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 25. April 2023 rechtskräftig und das Verfahren zu Gunsten des ehemaligen NDR-Journalisten Patrik Baab endgültig abgeschlossen. Baab selbst nannte das Urteil eine Stärkung der Pressefreiheit mit Präzedenzcharakter für andere kritische Journalisten und Wissenschaftler. Mittlerweile liegt zudem die schriftliche Urteilsbegründung vor. Diese lässt kein gutes Haar an dem Vorgehen der Kieler Uni. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Patrik Baab war langjähriger NDR-Redakteur und erlangte Bekanntheit durch seine investigativen Recherchen im Fall Uwe Barschel. Zudem ist er unter anderem Autor des Buches „Recherchieren: Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“. Seit 2008 führte er regelmäßig Lehraufträge am Institut für Sozialwissenschaften der CAU durch. Ebenso war er Lehrbeauftragter an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin.

Nicht verifizierter t-online-Artikel führt zu Kündigung

Beide Lehraufträge waren mit sofortiger Wirkung gekündigt worden, mit Verweis auf Medienberichte, insbesondere von t-online, die behaupteten, Baab habe sich als Wahlbeobachter „bei den Referenden über den Anschluss von Teilen des ukrainischen Hoheitsgebietes an Russland im September 2022 in den betroffenen Gebieten der Ostukraine befunden und unter anderem an einer Pressekonferenz mit russischen Medien teilgenommen und zu Fragen der Einhaltung internationaler Wahlstandards im Rahmen der vom russischen Regime durchgeführten Referenden berichtet.“

Dieses Verhalten, so die weitere Begründung der Uni Kiel, habe dazu beigetragen, „den Scheinreferenden und dem Angriffskrieg Russlands den Anschein von Legitimität zu verleihen, da offizielle internationale Wahlbeobachter eine wichtige Rolle bei der Überwachung von rechtskonformen Wahlen spielen würden“. Weiter hieß es dazu:

„Das Vorgehen des Beklagten (Baab) ist dazu geeignet, die eindeutige Haltung zum Krieg in der Ukraine in Frage zu stellen. Es droht ein Ansehensverlust der Universität, da der Eindruck entstehen könne, dass es Dozierende gebe, die das völkerrechtswidrige Verhalten Russlands befürworteten.“

Eine Anhörung von Baab vor der Kündigung sei aufgrund der „Gefahr im Verzug“ und im öffentlichen Interesse „entbehrlich“ gewesen. So viel zur Begründung der Kieler Uni mit Verweis auf nicht verifizierte Veröffentlichungen aus der Feder des „Leitenden Redakteurs Recherche“ bei t-online, Lars Wienand. Dieser, das sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt, feierte übrigens offen die Entlassung eines journalistischen Kollegen, indem er allein in einem Artikel zum Thema „Deutsche Helfer in der Ostukraine – Scheinreferendum, hurra!“ zweimal stolz darauf verwies, dass die Kündigung aufgrund seiner Artikel erfolgte:

„(…) verlor nach der Berichterstattung von t-online seine Stelle an einer Hochschule.“
„Die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft reagierte umgehend auf den t-online-Bericht: Sie kontaktierte Baab (…) und trennte sich von ihm.“

„Journalistische Scheinobjektivität“

Des Weiteren zitiert t-online dann anschließend völlig unhinterfragt die vielsagende Begründung der Hochschule: „Es ist mit den Grundprinzipien unserer Hochschule nicht vereinbar, ihn weiter als Lehrbeauftragten einzusetzen.“ Die Hochschule distanziere sich ausdrücklich. Die „journalistische Scheinobjektivität“, mit beiden Seiten zu sprechen, trage in dem Fall zur Legitimation von Mord, Folter und Verstößen gegen Humanität und Völkerrecht bei.“

Wir halten fest: Als Journalist auf Recherchereise mit beiden Seiten in einem Konflikt zu sprechen, ist für die Medien-Hochschule „Scheinobjektivität“. In einem Gespräch mit der Journalistin und TV-Moderatorin Milena Preradovic ordnete Baab die weiteren Implikationen dieser „Begründung“ ein:

Widerspruch und Gerichtsverfahren

Am 13. Oktober 2022 legte der Journalist dann Widerspruch gegen die Kündigung der Uni Kiel ein. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass er weder, wie von der Uni und t-online behauptet, Wahlbeobachter gewesen sei noch sich als solcher geriert habe. Vielmehr sei er in Vorbereitung eines Buchprojekts zu Recherchezwecken in die Ukraine gereist. Er rügte zudem, dass er vor dem Widerruf des Lehrauftrags nicht angehört worden sei.

Diesen Punkt sah auch bereits in der Verhandlung der leitende Richter Malte Sievers kritisch: Die Uni habe sich in einer „Hauruck-Aktion“ von ihrem langjährigen Lehrbeauftragten getrennt. Dabei habe es nie ein Fehlverhalten oder eine Kritik an seiner Arbeit gegeben. Weiter erklärte er in der mündlichen Verhandlung gegenüber den Vertretern der Universität:

„Und dass Sie einem Journalisten eine Recherchereise vorwerfen, klingt etwas merkwürdig.“

Juristische Klatsche für die Uni Kiel

Im jetzt vorliegenden schriftlichen Urteil gehen die Richter noch weiter. Sie führen unter anderem aus, dass die Uni Kiel „die Grundrechte des Klägers“ nicht hinreichend beachtet habe, und verweisen dabei auf die im Grundgesetz geschützte Wissenschaftsfreiheit, welche als Abwehrrecht fungiert, „vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe.“

Weiter verweisen die Richter darauf, dass sich Baab „als Journalist und Buchautor“ auf die im Grundgesetzt verbriefte Pressefreiheit berufen kann und erklären dann:

„Die Beklagte (Uni Kiel) greift mittelbar-faktisch in die Wissenschafts- und die Pressefreiheit des Klägers ein. Denn der Widerruf berührt den Kläger u.a. in seiner Art der Recherche als Journalist, also der Art der Gewinnung von Meinungen und Tatsachen.
Eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit des Klägers liegt außerdem auch insofern vor, als er davon abgehalten werden könnte, erneut in Kriegsgebieten zu recherchieren, weil er befürchten müsste, anschließend durch einen Hoheitsträger für seine Art und sein Auftreten während der Recherche negative Konsequenzen zu befürchten.“

Ebenso werden in der Urteilsbegründung die von der Uni Kiel vorgebrachten „Belege“ argumentativ regelrecht zerrissen:

„Die Entscheidung der Beklagten war maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne eine mögliche weitergehende Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen erfolgte. Sie hat (…) Feststellungen über das journalistische Verhalten des Klägers und eine denkbare politische Vereinnahmung im Rahmen einer Recherche in Kriegsgebieten nicht hinreichend eingeholt oder in Erwägung gezogen.
Ihre Entscheidung begründet die Beklagte nur mit u.a. bebilderten Online-Artikeln und den vereinzelt zitierten Äußerungen des Klägers. Dabei lässt sie bei der Entscheidungsfindung außer Acht, dass diese Berichte aus dem Kontext gerissen, unvollständig oder einseitig recherchiert und dargestellt sein könnten und zumindest weiterer Prüfung bedürften.“

Eine größere richterliche Klatsche für die Uni Kiel und in weiterer Folge für die Berichterstattung von t-online als Hauptreferenz für die Kündigung lässt sich wohl kaum formulieren.

Abschließend verwiesen die Richter zudem auf einen weiteren Punkt, der derzeit gerne in Vergessenheit gerät:

„Dem Freiheitsrecht liegt (…) der Gedanke zugrunde, dass eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freie Wissenschaft (i. S. v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“

Patrik Baab zeigte sich über das jetzt rechtskräftige Urteil erleichtert und verwies gegenüber den NachDenkSeiten auch auf den Präzedenzcharakter des Richterspruchs:

„Dieses Urteil hat in meinen Augen die Pressefreiheit gestärkt. Andere Journalistinnen und Journalisten, andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die der herrschenden Meinung nicht immer folgen wollen, werden sich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein berufen. Damit hat die Kammer in einem ungünstigen gesellschaftlichen Klima die Unabhängigkeit der Justiz unter Beweis gestellt und auch den Rechtsstaat insgesamt gestärkt. In einer Zeit, in der man den Eindruck gewinnen kann, die Lügen der Kriegstreiber genössen rechtlichen Schutz, wird dieses Urteil von übergreifender Bedeutung sein.“

Das Ergebnis der Recherchereise von Patrik Baab erscheint im Herbst 2023 unter dem Titel „Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“ im Westend-Verlag.

Titelbild: Screenshot vom schriftlichen Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts


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