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Titel: „Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs“

Datum: 12. März 2005 um 16:18 Uhr
Rubrik: Ökonomie, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
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Diesen Titel trägt der neueste Essay von John Kenneth Galbraith, in dem er viele Beispiele für den „Realitätsverlust der heutigen Wirtschaft“ abhandelt. Der 97-jährige Galbraith, einer der bekanntesten Wirtschaftswissenschaftler, kommt zu dem Schluss, „dass die wahren Verhältnisse auf keinem anderen Gebiet durch soziale oder auf Gewohnheit beruhende Präferenzen sowie materielle Individual- und Gruppeninteressen derart verschleiert werden wie in der Ökonomie und der Politik.“

Galbraith beschreibt, wie durch die „Umbenennung des Wirtschaftssystems“ vom „Kapitalismus“ in „Marktwirtschaft“, durch „die Komplizenschaft der Ökonomen“, durch den durch Machtinteressen gelenkten Glauben an „Scheinwelten“ und „Mythen“ bei vielen Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien ein Realitätsverlust eingetreten ist, „der sie zu unschuldigen Betrügern“ macht. „Die meisten Wegbereiter dessen, was ich hier „unschuldigen Betrug“ nenne, haben sich nicht absichtlich zu einen Helfershelfern gemacht. Sind sich nicht bewusst, welche Kräfte ihre Anschauungen formen, welche Glaubenssätze sie unterschwellig übernehmen.“

Galbraith Büchlein handelt von der Ökonomie im Allgemeinen und von der Macht der Großkonzerne, die „das gesellschaftliche Wertesystem entsprechend ihren Bedürfnissen und Interessen umformen“. Seine Beispiele beziehen sich auf amerikanische Verhältnisse, sein Vorwurf des „unschuldigen Betrugs“ lässt sich aber ohne weiteres auf viele Sozialdemokraten, Wirtschaftswissenschaftler und Journalisten hierzulande übertragen, die bei uns dem Agenda-Kurs und dem angebotsorientierten ökonomischen Dogma blind oder ohnmächtig vertrauen – zumindest auf diejenigen unter ihnen, die keine unmittelbaren Bereicherungs- und Machtinteressen verfolgen.

Bezogen auf die aktuelle Steuerdiskussion könnten unsere Ökonomen und Politiker vom Doyen der Wirtschaftswissenschaften lernen: „So gibt es vor allem keine Anhaltspunkte dafür, dass Steuererleichterungen … einem konjunkturellen Abschwung entgegenwirken könnten….Das einzige probate Mittel gegen eine konjunkturelle Abschwächung ist eine stabile Verbrauchernachfrage. Bricht diese Verbrauchernachfrage ein, ist eine Rezession unvermeidlich.“ Denn was wäre der Effekt von Steuererleichterungen für die Wohlhabenden: „Diejenigen, die anschließend mehr Geld in der Tasche haben, geben es nicht aus, und diejenigen, die gern mehr Geld ausgeben würden, haben es nicht.“

So einfach kann man die Wirklichkeit beschreiben, wenn man sich nicht durch „die jeweils herrschende (intellektuelle) Mode und das finanzielle Eigeninteresse“ von ökonomisch Mächtigen in die Irre führen lässt.

John Kenneth Galbraith, Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs, Siedler Verlag, München 2005


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