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Titel: Kürzungshaushalt – Lindner lässt die Bürger an der „Heimatfront“ zur Ader
Datum: 5. Juli 2023 um 13:53 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, Finanzpolitik, Schulden - Sparen, Soziale Gerechtigkeit
Verantwortlich: Redaktion
Das Bundeskabinett hat heute den Bundeshaushalt 2024 verabschiedet. Es wird „gespart“, was das Zeug hält, speziell im sozialen Bereich. Die geplante Kindergrundsicherung wird zerkleinert, die Mittel der Ausbildungsförderung werden gekürzt und eine BAföG-Strukturreform auf unbestimmte Zeit verschoben. Und natürlich gibt es keine Steuererhöhungen, um damit die Corona-Altlasten sowie die Kosten der verfehlten Ukraine- und Energiepolitik zu begleichen. Bluten muss wie immer der einfache Bürger. Ein Kommentar von Ralf Wurzbacher.
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Beim Umverteilen geht es mithin martialisch zu. „Lindners Haushalt: Die nächsten Jahre werden blutig!“, titelte am Dienstag die WirtschaftsWoche (WiWo). Mit seiner krachenden Wortwahl wollte der Autor nicht an das Schlachtfeld in der Ukraine gemahnen, auf dem Osteuropäer wieder einmal durch deutsche Kanonen zur Strecke gebracht werden. Dabei liegen die Zusammenhänge auf der Hand. Während eine durchgeknallte Ampelregierung Deutschland unter maximalem Einsatz an Geld und Propaganda gegen den neuen, alten russischen Feind in Stellung bringt, wird das einfache Volk an der Heimatfront zur Ader gelassen. Lief das bisher noch vornehmlich auf dem Weg überteuerter Energie und Lebensmittel, folgt nun und für lange Zeit die Enteignung von Staats wegen.
Verbrieft ist dies mit dem am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf des Bundesetats 2024. Um den hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner mit seinen Ressortkollegen lange und hart gerungen, förmlich bis aufs Blut, um am Ende als triumphaler Sieger dazustehen. Die nackten Zahlen: Nach rund 476 Milliarden Euro für 2023 plant der FDP-Chef nurmehr mit knapp 446 Milliarden Euro für das kommende Jahr. Nach den krisenbedingten Mehrbelastungen wegen Corona und der Energiekrise stünden die Zeichen ab sofort auf „Sparen“, heißt es. Dafür wird auch die Neuverschuldung heruntergefahren, auf 16,6 Milliarden Euro und damit noch im Einklang mit der im Grundgesetz verankerten sogenannten Schuldenbremse, deren Bremskraft Lindner wieder zur vollen Entfaltung bringen will.
Welche fetten Jahre?
„Nach den fetten Jahren“ seiner Amtsvorgänger läute der neue Hausherr im Finanzministerium (BMF) nun „die mageren Jahre ein, die mit der biblischen Zahl ‚sieben‘ noch untertrieben sein könnten“, befand die WiWo. Fette Jahre? Für wen? Man erinnert sich, wofür während der Pandemie Steuergeld und Kredite in Massen verschleudert wurden: Für Milliarden an medizinischen Masken, die keiner braucht und die heute, weil über dem Verfallsdatum oder wegen Qualitätsmängeln, verbrannt werden müssen. Für Milliarden Dosen an Impfstoffen, in Wirkung und Sicherheit zweifelhaft, die ebenfalls der Vernichtung harren. Für Krankenhäuser mit leeren Betten, die mit fragwürdigen Fördermillionen über die Zeit gerettet wurden, Stichwort Divigate. Für die Kompensierung von Schäden durch Lockdowns, die wenigstens in der Nachbetrachtung sinn- und wirkungslos sowie folgenschwer waren. Die Liste ließe sich fortschreiben.
Der Punkt ist: Die Corona-Zeit war für die meisten Menschen im Land entbehrungsreich und „fett“ nur für Konzernprofiteure, für windige Maskendealer und einen wieder erwachten autoritären Staat, für dessen stümperhaftes Krisenmanagement der Normalbürger noch lange wird teuer bezahlen müssen. Und die nächsten Zumutungen folgten fast auf dem Fuß: Ein Sanktionsregime gegen Russland mit anschließender Preisexplosion, die an der Zapfsäule, der Ladenkasse oder beim Heizen bis heute gewaltige Krater ins oft schon schmale Budget reißt. Das Ganze flankiert von Milliardenkosten für den Bau von LNG-Terminals an deutschen Küsten, um überteuertes und dreckiges Frackinggas aus den USA anzulanden. Nicht zuletzt kommt dazu ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro, um die Bundeswehr zur Kriegstauglichkeit zu ertüchtigen, was wiederum Profiteuren der Rüstungsindustrie nie gekannte Gewinne beschert.
Sparstrumpf Kindergrundsicherung
Es war klar, dass für all den Irrsinn irgendwann die Rechnung aufgetischt wird, und mit Lindner tut dies der passende Wirt: einer, der sich selbst der Nächste ist, dem die einfachen Menschen egal sind und in dessen Weltbild das Gemeinwohl keinen Platz hat. Beispiel Kindergrundsicherung: Im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag ist deren Einführung als zentrales sozialpolitisches Projekt der Regierung apostrophiert. Seit Monaten obstruiert der BMF-Chef Bemühungen der grünen Familienministerin Lisa Paus, bei der Reform möglichst viel herauszuholen. Mit dieser sollen die bisherigen Familienleistungen – etwa Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinderfreibeträge, Bildungs- und Teilhabeangebote – zusammengefasst werden. Der Kern der Änderungen zielt darauf, die Betroffenen per Automatismus zur Einlösung ihrer Ansprüche zu bringen, während heutzutage viele die ihnen zustehenden Hilfen aus Unwissenheit oder Scham nicht abrufen. Weil so jeder zu seinem Recht käme, würden die staatlichen Ausgaben deutlich steigen.
Paus beziffert die Kosten auf zwölf Milliarden Euro jährlich, wobei sie auch die Leistungen als solche aufwerten möchte. Was bleibt von ihren Ambitionen? Im Finanzplan bis 2027 sind ab 2025 lediglich zwei Milliarden Euro dafür veranschlagt. Damit wird ein an sich fortschrittliches Vorhaben bis zur Unkenntlichkeit gerupft. Die Beteiligten tun jetzt aber so, als wäre allein die Vereinbarung, dass die Kindergrundsicherung überhaupt kommt, eine riesige Errungenschaft. So etwas nennt man Augenwischerei. Nach einer am Dienstag veröffentlichten Untersuchung lebten im Vorjahr „drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und damit mehr als jeder fünfte junge Mensch in Armut“. Für sie hat die Regierung bestenfalls sehr wenig übrig, während diejenigen, die schon viel haben, noch viel mehr bekommen.
Offene Milliardenrechnungen
Zum Beispiel der US-Konzern Intel, der für den Bau einer Mikrochipfabrik bei Magdeburg mal eben zehn Milliarden Euro an Beihilfen des Bundes einstreicht – also genau die zehn Milliarden Euro, um die Lindner die Kindergrundsicherung zerkleinert. Ebenfalls zehn Milliarden Euro lässt sich die Regierung die sogenannte Aktienrente kosten, als Auftakt zu noch viel mehr und verbunden mit dem „windigen Versprechen, damit das gesetzliche Rentensystem zu stabilisieren“. Dafür fällt der jährliche Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro in die gesetzliche Pflegeversicherung weg, womit der „Kollaps des Systems“ beschleunigt werde und die Beiträge „in die Höhe schießen“, wie heute die Präsidentin des Sozialverbands VDK, Verena Bentele, warnte. Ihr Appell:
„Viele Menschen in unserem Land fühlen sich zunehmend abgehängt und mit ihren alltäglichen Sorgen nicht mehr gesehen. Wir befürchten, dass sich diese Entwicklung weiter verschärfen wird, wenn auf dem Rücken der Ärmsten gespart wird. Der Sozialstaat darf nicht kaputt gespart werden.“
Genau das passiert seit Jahrzehnten und wird nun noch brachialer exerziert. Offene Rechnungen, die man den Bürgern unterjubelt, gibt es allerhand. Die Schulden aus den Corona-Jahren müssen abgestottert werden. Dabei geht es um über 100 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF. Bis 2027 will die Ampel das Sondervermögen für die deutsche Armee verpulvert haben. Danach soll der Wehretat um jährlich 20 Milliarden Euro aufwachsen, auf dann rund 70 Milliarden Euro, um die NATO-Vorgabe zu erfüllen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die „Verteidigung“ zu investieren. Spätestens ab 2031 muss dann auch der 100-Milliarden-Euro-Kredit für die deutsche Truppe getilgt werden. Dazu kommen noch Vorhaben wie das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die deutsche Industrie mit billigem Strom zu beglücken, oder in Teilen widersinnige Maßnahmen zum klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Ins Kontor schlägt außerdem die ungebremste Aufrüstung der Ukraine.
Kürzen beim BAföG
All das erfordert Opfer und die müssen in der Regel die erbringen, die sich nicht wehren können – Studierende zum Beispiel. Im Herbst 2022 war eine halbherzige Reform der Bundesausbildungsförderung (BAföG) in Kraft getreten. Die Zuschläge bei den Bedarfssätzen von 5,75 Prozent waren schon am ersten Geltungstag durch die Inflation aufgefressen. Die Leistungen wurden davor bereits jahrzehntelang von der Preis- und Lohnentwicklung entkoppelt. Immerhin versprach Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), noch in der laufenden Legislaturperiode mit einer großen BAföG-Strukturreform nachzulegen, wobei sie dazu seit Monaten eisern schweigt. Und nun? Statt substanzieller Nachbesserungen sieht der Bundeshaushalt 2024 einen um 440 Millionen Euro gekürzten Etatposten für Studierende vor, während bei den Schülern 212 Millionen Euro wegbrechen.
Die Begründung dafür ist dreist: Demnach entsprechen die eingeplanten Ausgaben den aktuellen wissenschaftlichen Prognosen dazu, wie viele Fördermittel im nächsten Jahr bei unveränderter Rechtslage erfolgreich beantragt werden. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens geht man im Bundesbildungsministerium (BMBF) offenbar davon aus, dass die jüngste 27. BAföG-Novelle verpufft. Dagegen war es das erklärte Ziel, eine „Trendumkehr“ bei den Gefördertenzahlen einzuleiten. Mehr als eine Stagnation auf niedrigem Niveau stellte sich im Nachgang der Reform aber nicht ein – zuletzt bezogen lediglich elf Prozent aller Hochschüler BAföG-Leistungen. Nun rechnet man sogar mit einem neuerlichen Einbruch bei den Förderungen, wohl auch deshalb, weil die damals angehobenen Elternfreibeträge infolge inflationsbedingt hoher Lohnabschlüsse wieder entwertet werden. Deshalb purzeln absehbar viele aus der Förderfähigkeit heraus.
Aufreger Elterngeld
Aus der Finanzplanung des BMBF lässt sich Zweitens ableiten: Zumindest fürs Jahr 2024 wird keinerlei Vorsorge für eine weitere, eigentlich längst überfällige Anhebung der BAföG-Sätze getroffen. Wäre dem so, bräuchte es dafür einen Puffer. Stattdessen schmilzt man die Mittel massiv ab. Damit wird auch die Zeit für die angekündigte Strukturreform immer knapper. Im Herbst 2025 ist Bundestagswahl und es erscheint kaum vorstellbar, dass ein FDP-geführtes Ministerium Schülern und Studierenden ein „Abschiedsgeschenk“ hinterlässt. Viel wahrscheinlicher ist, dass das Projekt noch einmal vertagt wird – auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Derweil prüft das Bundesverfassungsgericht seit über einem Jahr, ob das BAföG in puncto Bemessung und Höhe gegen das Grundgesetz verstößt – und vieles spricht dafür. Bis zum Urteil kann es noch dauern und es werden vielleicht Zehntausende ihr Studium wegen existenzieller Nöte hinwerfen müssen. Wen schert das? In der Regierung keinen!
Es ist bezeichnend, dass hingegen der einzig vernünftige Haushaltsansatz, nämlich Kürzungen beim Elterngeld, für helle Aufregung sorgt. Geplant ist, die Grenze der Einkommen von Paaren, die die Sozialleistung beziehen können, auf 150.000 Euro Jahreseinkommen zu senken. Bislang liegt die Schwelle bei 300.000 Euro. Dabei hat der Vorgang eine gewisse Komik: Der FDP-Finanzminister verdonnert Paus vom Familienressort zu „Einsparungen“, die daraufhin ein Instrument außer Kraft setzt, mit dem Vermögende aus Steuergeldern gepäppelt werden. Und dagegen läuft dann ausgerechnet und in vorderster Front die FDP Sturm, die ihre besserverdienende Klientel nicht vergrätzen will. Und zu allem Überfluss stört sich sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) an dem Vorhaben und wettert gegen „gleichstellungspolitischen Irrsinn“.
Reallöhne im freien Fall
Es gibt wahrlich Schlimmeres zu monieren. Warum greift man sich nicht noch mehr von denen, die es haben und sich immer mehr aneignen – mit einer Vermögens- oder einer wirksamen Erbschaftssteuer, mit einer höheren Unternehmensbesteuerung, mit der Schließung von Steueroasen, einer Börsensteuer et cetera. Angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ist dies leider fast schon eine rhetorische Frage. Und Widerstand gegen die Verhältnisse ist hierzulande auch nicht in Sicht.
Vielleicht rüttelt ja das auf, was das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in ihrem am Dienstag vorgelegten „Europäischen Tarifbericht“ konstatiert. In 26 von 27 EU-Staaten sind die Reallöhne 2022 gesunken, im Mittel um vier Prozent, in der BRD um 4,1 Prozent. Zitat: „Ursache ist die Inflation – getrieben zunächst von Energiepreisen, inzwischen zunehmend von höheren Gewinnmargen der Unternehmen.“ Soll heißen: Die Teuerung erklärt sich nur zum Teil krisenbedingt. Den Rest besorgten Konzernlenker, indem sie die Preise stärker anhoben, als es durch gestiegene Kosten nötig gewesen wäre. So ticken Abzocker. Für sie schaltet die Ampel auf grün.
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