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Titel: Wut des Volkes in Frankreich gegen Polizeigewalt – Macron sagt Deutschlandbesuch inklusive seiner Rede an die europäische Jugend ab
Datum: 3. Juli 2023 um 11:26 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Innere Sicherheit, Länderberichte
Verantwortlich: Redaktion
Frankreichs Bürger (nicht alle) erleben schwere Zeiten. Einerseits jubeln gerade die oberen Kreise dank ihrer Vorteile, trunken und eitel ob ihrer Machtfülle und berauscht von ihrem Reichtum durch obszöne Eigentumsanhäufung und Anmaßung. Andererseits werden die vielen kleinen Leute tagtäglich in die Schranken gewiesen, im Auftrag und zum Vorteil der Eliten (wobei Elite nicht qualitativ gemeint ist) – wenn es sein muss, auch mit Waffengewalt. Hinzu kommen die Folgen einer jahrzehntelang dysfunktionalen Integrationspolitik und einer so in anderen Ländern nicht bekannten Ghettoisierung von „Problemgruppen“. Es fehlt nur noch der Funke, der dieses toxische Gemisch entzündet. Nichts anderes geschah jetzt, als ein Polizist einen 17-Jährigen bei einer Verkehrskontrolle erschoss. Der Präsident indes will eine schöne Rede an die jungen Leute halten – in Deutschland. Ein Kommentar von Frank Blenz.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Viele Medien zeigen, in ganz Frankreich wird wütend protestiert, entlädt sich Verzweiflung, die Gewalt der Straße eskaliert einschließlich die der Polizei. Man sollte die Gewalt der randalierenden Jugendlichen nicht bagatellisieren. Aber auch die Gewalt des Staates sollte nicht bagatellisiert werden. Man stelle sich vor, 45.000 Beamte sind im Einsatz, befohlen vom Präsidenten Emmanuel Macron, der diese Woche nach Deutschland reisen und mit unseren neoliberalen Führungskräften schöne heile Welt spielen wollte. Das hat er jetzt abgesagt, nachgeholt wird der Besuch aber, klar, wenn der Rauch in Frankreich verweht ist. Und dann wird Macron seine „epochalen Worte“ an die europäische Jugend (einschließlich der französischen) richten. Ob er sein Verhalten gegen sie erwähnen wird?
Macron sei hier eindringlich gesagt, Frankreich braucht endlich eine wirkliche soziale Ausrichtung, der reaktionäre, selbstgefällige Kurs von ihm, dem neoliberalen Präsidenten, und seiner Gefolgschaft muss beendet werden. Die berechtigten sozialen Bewegungen im Land sind stark, allein sie sind noch nicht stark genug, oder sie werden massiv und mächtig bekämpft. Macron und Co müssen damit aufhören. Derweil entlädt sich wegen der unnachgiebigen, rücksichtslosen Politik die Wut in vielen Städten, Ausdruck von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht der einfachen Menschen – auch und gerade der jungen Menschen.
Nicht erst seit der gerade geschehenen Ermordung eines jungen Franzosen während einer Verkehrskontrolle mit anschließendem landesweitem Aufschrei und wütenden Protesten befindet sich Frankreich im Aufstand, im Ausnahmezustand. 2023 ist für viele Menschen kein Sommer der lässig leichten französischen Lebensart, selbst wenn das Zentrum von Paris in voller Schönheit einlädt wie seit einigen Jahren nicht mehr. Die Stimmung – sie ist bedrückend, es liegt ein permanent Gewalt vorausahnendes Gefühl in der Luft.
Die Regierung hat nun das Rentenalter angehoben, trotz dessen, dass das sie gewählt habende Volk es nicht wollte, trotz dessen, dass seitens des Volkes massiv, lang andauernd und ausdauernd gegen diese „Reform“ protestiert wurde, trotz dessen, dass im Parlament bis zuletzt durch die progressive Opposition versucht wurde, den Regierungskurs aufzuhalten.
Das Leben ist hart. Die Lebenshaltungskosten schießen durch die Decke, was mit Ansage geschieht und nicht naturgemäß. Frankreich ist ein Land, das erdrückt wird von Unterdrückung, Ungerechtigkeit, staatlicher Arroganz, Gier, die unersättlich tobt. Gerade braucht man sich nur die gewinnträchtigen Pläne zur Rüstung, das Ausschalten von Diplomatie, um ja Kriege und kriegerische Konflikte weltweit nicht zu beenden, anzuschauen, um zum Schluss zu kommen, dass Regierung und Establishment restlos von der Leine gelassen sind, als gäbe es kein Morgen, als sei denen das Wohl des Landes, das Wohl der Menschen egal. Es ist dem so. Schlimmer noch, sie verkaufen es als volksdienlich, als alternativlos. Wie geschmacklos.
Was sagt der reichste Mensch der Welt, bekanntermaßen ein Franzose, zu den Verhältnissen? Lebt dieser tatsächlich in schönen Palästen und merkt nicht, was los ist? Wenn nicht der Reichste, Präsident Macron muss es wissen, allein schon sein zynisches Statement zur Ermordung eines Jugendlichen durch einen seiner Beamten wirkt wie „ich sage das jetzt mal so, obschon ich es anders denke“.
Über einem früheren Artikel meinerseits zum Thema Frankreich stand die Frage „Verschoben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?“ betreffs gesellschaftlicher Änderungen hin zu sozialer Gerechtigkeit und einem gelebten Umsetzen des französischen Revolutionsspruches Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diese Frage über das Verschieben einer Politik für eine befriedete Gesellschaft ist, beobachtet man die Entwicklungen bei unseren Nachbarn, erneut mit einem „Ja“ zu beantworten. Wohl wahr, Macron mag das mit dem Sankt-Nimmerleins-Tag.
Die gesellschaftliche Lage in Frankreich – sie ist alles andere als stabil, friedlich, sozial, verbindend, zukunftsorientiert. Viele Menschen kämpfen sich in unserem Nachbarland (so wie zunehmend auch bei uns und in vielen Ländern Europas) Tag für Tag durch, um ihren Lebensstandard zu sichern, irgendwie würdevoll zu halten, im schlimmeren Fall wenigstens nicht ganz abzustürzen. Diese Lage zu verbessern, dafür stehen an und für sich der Präsident des Landes, die weiteren Entscheidungsträger, die dazu geschaffenen Gesetze und Regeln, das zum Wohl des Volkes getätigte Wirken der Mächtigen. Eigentum verpflichtet, Macht verpflichtet. Allein – er ist nicht vorgesehen: der große Wurf für ein wirkliches Aufatmen bei den einfachen Menschen des Landes. Aufgeatmet, gejubelt und gefeiert wird vor allem bei den Reichen, dessen Präsident Macron ist und es womöglich bleibt. Es hat ja enorme Vorteile, in deren Lage zu sein. Allein ist es mir vollkommen unverständlich, wie ein reicher, einflussreicher, schöner, chicer Mensch in Paris sein Glück finden kann, wenn er neben sich mehr und mehr Menschen sieht, denen es schlecht geht.
Was braucht es in Frankreich?
Präsident Macron kommentierte die tödlichen Schüsse des Polizisten mit dem Wort „unerklärlich“. Er weiß es besser, denn er (und auch Amtsträger vor ihm) gestalteten die Polizei zu einer Armee im Innern aus: paramilitärisch, aggressiv ausgestattet, gefährliche bis international geächtete Waffen bei Protesten einsetzend. Die Vorstädte Frankreich heißen Banlieues, sie gelten bis heute nicht als Orte der Hoffnung und des schönen französischen Lebens. Die Verarmung der Menschen dort, deren Herabwürdigung, deren gesellschaftliche Ausgrenzung haben noch zugenommen. Dagegen zeigt sich der Staat, die Bürokratie in all seiner zynischen Größe und Machtfülle. Die Polizei patrouilliert durch die Viertel, sie sorgt für Ordnung und Sicherheit, heißt es. Anders wird ein Schuh daraus, sie sorgt dafür, dass der Status quo, das Elend der Menschen der Banlieues aufrechterhalten wird. Wer aufmuckt…
Was muss angegangen werden, um die Gewalt zu beenden?
Viele Menschen fordern eine Reform der Polizei, die den Namen verdient. Ja es muss sogar eine Art Entwaffnung her, eine materielle, eine geistige Abrüstung. Nachhaltige, echte, ehrliche Programme in den jetzigen, sogenannten Problemgebieten Frankreichs, der Vorstädte, braucht es. Geld ist genug da, junge Leute auch, die darauf warten, ernst genommen zu werden anstatt diskriminiert, verhöhnt und belächelt. Eine aktive Eindämmung von Rassismus im Alltag, im beruflichen wie im gesellschaftlichen, sollte auf der Tagesordnung in den Kommunen, den Polizeistationen, den Regierungseinrichtungen stehen.
Die Rücknahme der Rentenreform muss auf den Weg gebracht werden. Die Neuausrichtung der Rentenfinanzierung unter Einbeziehung aller Finanzmöglichkeiten ist möglich und geboten. Abrüstung, Frieden, Solidarität, ja, das sind alles hehre Worte, es ist aber nicht schwer, das zu leben, es bedarf nur des politischen Willens. Viele haben diesen Willen, allein sie sind nicht an der Macht. Die Mächtigen sind an der Macht, allein aber nicht willens, die französische Losung, frei, gleich und brüderlich zu sein, mit Leben zu erfüllen.
Macron, der liebe Onkel der Jugend?
Macron bleibt in Frankreich, lautet eine aktuelle Nachricht, so kommt der französische Präsident diese Woche nicht nach Deutschland. Hier wollte er in Dresden eine Rede an die Jugend Europas halten. Nebenbei, vermessen und selbstgefällig war schon allein seine Ankündigung, dass er, der große Le President damit ja „alle europäischen Jugendlichen“ anspricht. Anmaßend ist das, so viel Kompetenz und Strahlkraft besitzen zu wollen, so belehrend und weise aufzutreten und inhaltlich berechtigt zu sein. Macron weise?
Macron muss daheimbleiben. Besser so. Denn es stehen Fragen im Raum. Wo war und ist Macron betreffs der Jugend in seinem Land? Wo war und ist er, wenn junge Leute von seiner Polizei drangsaliert, schikaniert und wie eben geschehen ein junger Mensch sogar erschossen wird?
Änderung ist nicht in Sicht. Die Polizei wird weiter aufgerüstet, die Armee auch, die Gesellschaft, die Feindbilder. Seine sozialen Reformen verdienen den Namen nicht. Sein Rentencoup soll, so der Plan, ja auf lange Zeit (nach seiner Amtszeit) fortdauern, sich „entwickeln“. Auf dass dann jetzige Jugendliche dereinst vielleicht bis zum 72. Lebensjahr arbeiten müssen, und das möglichst bei Löhnen, die mit „unternehmerischem Augenmaß“, also geizig ausgezahlt werden statt mit Fairness.
Den Jugendlichen kann es in ferner Zukunft auch passieren, wie es heute ihren Eltern geht: Sie wollten mit 50 plus zwar arbeiten, ihren Platz in der Gesellschaft verdienen. Sie werden aber nicht mehr eingestellt, weil sie „zu alt“ sind. Das allgegenwärtige Geschwafel von Fachkräftemangel ist entlarvt. Wie soll der Jugendliche später als Erwachsener die Lebenszeit zwischen 50 und dem Renteneintrittsalter überbrücken, Herr Präsident? Almosen empfangend, Sanktionen und Demütigung ausgesetzt sein? Wenn man sich kein Brot leisten kann, soll man halt Kuchen essen, nicht wahr, Herr Sonnenkönig-Präsident? Derlei werden Sie in Ihrer Rede an die europäische Jugend nicht erwähnen, Herr Präsident. Die werden Sie ja nun doch noch halten, denn mit Herrn Amtskollegen, Herrn Präsident Steinmeier, wurde ja besprochen, den Staatsbesuch nachzuholen, wenn in Frankreich der Rauch verweht ist.
Macron fällt nur ein, die Härte des Staates zu präsentieren
Macron hat zu tun, er veranlasst offiziell Maßnahmen „zur Eindämmung der abendlichen Angriffe auf öffentliche und private Einrichtungen im Nachgang des Todes eines jungen Mannes durch eine Polizeikugel“ für ganz Frankreich. In allen Städten und Gemeinden wurde der öffentliche Nahverkehr ab 21 Uhr eingestellt. Gepanzerte Fahrzeuge der Polizei stehen überall zum Einsatz bereit. Mehr noch, im Internetzeitalter hat Macron selbstverständlich die sozialen Medien im Visier: Betreiber solcher sozialen Seiten will er, ganz Demokrat und Verfechter von Freiheiten wie der der Meinung, der Presse und so weiter, zwingen, entlarvende Videos von nächtlichen Ereignissen aus dem Netz zu nehmen. Und in mehreren Gemeinden wurden sogar nächtliche Ausgangssperren für Jugendliche beschlossen. Ja, ja die Jugend…
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