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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 26. April 2011 um 8:30 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Jens Berger
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Fall Sarrazin; Hartz IV – Falsche Fragen, falsche Antworten; Mehrwertsteuer-Reform benachteiligt Geringverdiener; Die meisten Lehrlinge fühlen sich ausgenutzt; Arbeitnehmerfreizügigkeit – Arbeitsagentur sieht Zustrom aus Osteuropa positiv; Rösler hilft Privatkassen; Bildungspaket: Von der Leyen in Not – Ministerin planlos; Die Restrisiko-Lüge; Uniklinik Marburg: Ärzte schlagen Alarm; Der griechische Teufelskreis; Wikileaks enthüllt Geheimpapiere zu Guantanamo; Libyen; Stuttgart 21; Das Spiel mit dem Feuer; Michael Sommer: “Die SPD hat ihre Seele verloren”; Franz Müntefering verlässt Gremium zur Zuwanderung; Der Frust der Hauptstadtpolitiker; Walter van Rossum: Sender im Dienst der NATO; Deutsche Wehrmacht: Dokumente des Grauens; Keine Ermittlungen gegen Koch-Mehrin; Sarkozy – Präsident der Reichen; Bangladesch: Eine Milliarde T-Shirts im Jahr; zu guter Letzt: Volker Pispers und Gäste (MB/WL/JB/KR)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung unseres Lesers M.A.: Dieser Artikel zeigt deutlich auf, dass es der Elite dieses Landes nicht an irgendeiner Ressource (etwa Geld) mangelt, sondern am politischen Willen gesellschaftliche Mißstände auf Kosten von Profiten zu beheben. Die Energie, die zur Verschleierung dieser Tatsache eingesetzt wird, bestätigt dies eindrucksvoll!
Anmerkung WL: Würde die Spiegel-Redaktion ihren Gastautour Fred Grimm doch ernst nehmen.
Anmerkung WL: Es wäre ein einmaliger Fall, dass die voraussichtlichen Kosten für ein öffentliches Projekt nicht auf einen gewünschten Wert herunter gerechnet werden könnten.
Wenn erst einmal begonnen wurde und schon viel Geld investiert worden ist, kann man dann ja nicht mehr aus dem Projekt aussteigen, wenn es teurer wird als vorhergesagt. Außerdem gibt es immer genügend unvorhersehbare Gründe, warum ein Vorhaben teurer wird als geplant.
Anmerkung Orlando Pascheit: Erstaunlich, dass dieses Buch seit seinem Erscheinen noch keine größere Debatte hervorgerufen hat. Übertreffen doch die Abhörprotokolle bei weitem den Eindruck, den bereits die Wehrmachtsausstellung vermittelte: Die saubere Wehrmacht ist ein Mythos. Denn über die Tatsache hinaus, dass Wehrmachtssoldaten zu jedes Maß überschreitenden Untaten fähig waren, erfahren wir hier, was die Soldaten dabei empfunden haben – ob sie sich zu diesen Taten überwinden mussten, ob sie sie insgeheim ablehnten oder vielleicht sogar genossen. Anscheinend brauchten sie nur wenig Zeit, um sich an Gewaltexzesse zu gewöhnen: „Am ersten Tag ist es mir furchtbar vorgekommen. Da habe ich gesagt: Scheiße, Befehl ist Befehl. Am zweiten und dritten Tag habe ich gesagt: das ist ja scheißegal, am vierten Tag, da habe ich meine Freude daran gehabt“, heißt es in einem Gesprächsprotokoll vom 30. April 1940. – Vielleicht ist das Material aber auch so erdrückend niederdrückend, dass jede Kritik verstummt. Das gilt sicherlich für die Protokolle an sich, sofern man deren Echtheit nicht in Frage stellt – was mir als Reaktion im engsten Bekanntenkreis begegnet ist.
Dankenswerterweise haben die Autoren die ausgewählten und kommentierten Protokolle nicht einfach aneinander gereiht, sondern sich um eine Analyse der Grundeinstellung von Soldaten in der Wehrmacht bemüht. Hier könnte eine Diskussion ansetzen. Guido Knopp schreibt in der Bildzeitung: „Aber ich bin dennoch überzeugt: Allenfalls 10 Prozent der knapp 18 Millionen Wehrmachtsoldaten haben sich so verhalten. Die überwiegende Mehrheit hat versucht, sich soweit wie möglich anständig zu verhalten und zu überleben. Das mindert allerdings in keiner Weise die Morde an Zivilisten, vor allem Juden, die im Rücken des Vormarsches der Wehrmacht millionenfach geschahen.“ Und der Historiker Hans Mommsen verweist darauf, dass die Alliierten nur das aufgezeichnet haben, woran sie ein besonderes Interesse hatten. Daher müsse man sich fragen, wie repräsentativ das gesammelte Material ist für das, was wirklich in den Köpfen der Soldaten vorging. „Ich habe Vorbehalte, ob man ein zutreffendes Bild von diesen Kriegsgefangenen bekommt, wenn man nur nach den Todesszenen sucht.“
Nur, selbst wenn man nur die „Extreme des Soldatenlebens heraussucht, das Töten und Sterben“, so bleibt doch, wie Sönke Neitzel und Harald Welzer schreiben: “Nichts von der berichteten Gewalt gegen andere verstößt gegen Erwartungen der Zuhörer. Geschichten vom Erschießen, Vergewaltigen, Rauben gehören in den Alltagsbereich der Kriegserzählungen; fast nie kommt es bei solchen Themen zu Auseinandersetzungen, moralischen Einwänden, gar Streitigkeiten. Die Gespräche, so gewaltvoll ihre Inhalte oft sind, verlaufen stets harmonisch; die Soldaten verstehen sich.”
Problematisch ist meines Erachtens die Herausarbeitung des geringeren Einflusses der NS-Ideologie gegenüber der prägenden Logik des Krieges: “Die Gewalt, die Wehrmachtssoldaten ausüben, ist auch nicht ‚nationalsozialistischer‘ als die Gewalt, die etwa britische oder amerikanische Soldaten anwenden.“ Natürlich sind alle Greueltaten systematisch im Wesen eines Krieges angelegt, dennoch ist zu fragen, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, dass auf deutscher Seite das Grauen solch ein kaum vorstellbares Ausmaß erreichte. So verdienstvoll es ist, auf das Wesen des Krieges an sich zu zielen, der Vergleich mit dem Vietnamkrieg, mit dem Krieg im Irak und in Afghanistan schießt über das Ziel hinaus. Eine „Waffe oder ein Flugzeug, Adrenalin und das Gefühl von Macht über Dinge, über die man sonst keine Macht hat“ reichen eben nicht aus, um jeden Menschen alle Hemmungen verlieren lassen, da ein „sozialer Rahmen, in dem das Töten erlaubt, ja sogar erwünscht ist, gegeben ist“. Vielleicht ist ja nur Wunschdenken, aber man müsste darüber diskutieren, ob soziale Rahmen von heute auch für Soldaten ein anderer ist, der z.B. das gezielte Töten von Zivilisten in viel stärkerem Maße sanktioniert als im Zweiten Weltkrieg. – Dieser Einwand ändert nichts daran, dass auch heute die Zustimmung zu einem Krieg nicht nur Leib und Leben von Soldaten und Zivilisten gefährden, sondern in Kauf nimmt, dass Täter und Opfer seelisch deformiert werden. Nur kann man die Soldaten im Afghanistankrieg und die Wehrmacht nicht mit den Schlusssätzen gleichsetzen: „Menschen töten aus den verschiedensten Gründen. Soldaten töten, weil das ihre Aufgabe ist.“
Wer an weiteren Rezensionen des Buches interessiert sei auf die Website des „Kulturwissenschaftliches Instituts Essen“ verwiesen.
Anmerkung MB: Inzwischen scheint auch klar zu werden, warum niemand aus der FDP und erst recht nicht die Hauptbeiteiligte Stellung dazu nehmen möchte. S. dazu Telepolis vom 21.04.2011. Pikant ist der Fall aber auch deshalb, weil die FDP-Politikerin kurz nach ihrer Promotion eine Unternehmensberatung gründete, die 2003 Partner einer anderen Firma wurde, welche nach eigenen Angaben in Brüssel erfolgreich Lobbyarbeit für die Immaterialgüterrechteinhaberindustrie machte. Und in ihren Wahlkämpfen nutzte das FDP-Bundesvorstandsmitglied den (nun mit einem Fragezeichen versehenen) Doktortitel ausgiebig als Werbezusatz.
Anmerkung Orlando Pascheit: Neben H&M lassen der Jeans-Hersteller Levi Strauss, C&A, P&C, TCM (Tchibo), Triumph, Otto und KiK in Bangladesh arbeiten.
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