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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 5. Mai 2009 um 10:00 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Kai Ruhsert
(KR/WL/AM)
Heute unter anderem zu diesen Themen:
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise schlägt sich massiv auf die Staatshaushalte nieder. Deutschland wird entgegen früherer Prognosen schon im laufenden Jahr wieder zum Defizitsünder. Die Neuverschuldung werde 3,9 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt erreichen, im kommenden Jahr sogar 5,9 Prozent. Erlaubt sind höchstens 3 Prozent. Wegen der Milliarden-Ausgaben für Konjunkturprogramme und Banken-Rettungspakete werden in diesem Jahr voraussichtlich 20 der 27 EU-Staaten den Stabilitätspakt verletzen. Die Neuverschuldung werde 2009 durchschnittlich 6 Prozent des BIP erreichen, 2010 sogar 7,3 Prozent, schreibt die Kommission.
Die EU-Kommission schließt ein neues Konjunkturpaket für ganz Europa nicht aus. „Das ist eine Debatte, die wir im Juni auf dem nächsten EU-Gipfel führen werden“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia.
Quelle 1: FAZ
Quelle 2: Frühjahrsprognose der Europäischen Kommission [PDF – 1,2 MB]
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat die Bundesregierung aufgefordert, den Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate umgehend zu enteignen, sollte das in der Nacht von Montag auf Dienstag auslaufende Übernahmeangebot des Bundes scheitern. “Der Steuerraub muss endlich beendet werden. Die parteipolitische Taktiererei der großen Koalition und die Angst der Union vor dem bösen Wort Enteignung ermöglichen J.C.
Flowers und anderen Großaktionären der Hypo Real Estate erst ihr skandalöse Pokerspiel auf Kosten der Steuerzahler”, sagte Detlev von Larcher vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Dem müsse endlich ein Ende gemacht werden.
Das weitere Vorgehen der Bundesregierung werde zeigen, wessen Interessen sie tatsächlich vertrete: die der Bürgerinnen und Bürger oder die der Großaktionäre, die ihre Verluste der Allgemeinheit aufbürden, künftige Gewinne aber weiter für sich behalten wollen.
Flowers und Co. könnten nur deshalb so hoch pokern, weil sie wüssten, dass der Bund die HRE als so genannte systemrelevante Bank nicht Konkurs gehen lässt. Nach den Regeln der Marktwirtschaft hätte die HRE dagegen längst geschlossen werden müssen. Die Aktionäre wären vollkommen leer ausgegangen. “Politiker, die sich vor diesem Hintergrund weiterhin gegen eine Enteignung der Hypo Real Estate sperren, bestehlen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler”, betonte Detlev von Larcher.
Laut einem Bericht des Handelsblatts vom heutigen Montag sind bei der Hypo Real Estate im ersten Quartal 2009 erneut Verluste von etwa 500 Millionen Euro aufgelaufen. Die Kernkapitalquote sei bereits unter die vorgeschriebenen vier Prozent gesunken. Die HRE müsste geschlossen werden, stünde nicht ihre Rettung durch den Bund an.
Der Widerwille von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer Partei gegen eine Enteignung der HRE und die von ihnen betriebene Entschärfung des Enteignungs-Gesetzes zeigen, was sie wirklich wollen: Den Reichen und Superreichen auch in der Krise die Möglichkeit geben, ihre Vermögen weiter zu vergrößern. Statt die Profiteure zur Kasse zu bitten, wird das Steueraufkommen privatisiert”, sagte Alexis Passadakis, ebenfalls Mitglied im Attac-Koordinierungskreis.
Enteignungen nach Artikel 14 des Grundgesetzes (“Eigentum verpflichtet”) seien in Deutschland gang und gäbe. Besonders häufig seien Enteignungen von Grundstücken, etwa für Straßenbauprojekte im angeblichen Interesse der Allgemeinheit. Alexis Passadakis: “Der Unterschied ist nur, dass diesmal nicht kleine Häuslebesitzer, sondern Großaktionäre betroffen wären.
Sehr geehrte Damen und Herren,
(…) Deutschland ist in den Sog der globalen Finanzkrise geraten. Die von den USA ausgehenden Schockwellen haben den deutschen Finanzmarkt im Sommer 2007 nahezu unverzüglich erreicht; die sich im letzten Halbjahr entwickelnde Weltrezession hat den Exportweltmeister Deutschland schwer getroffen. (…)
(…) In all diesen Jahren wird man die unterschiedlichsten Ausdrücke gefunden haben, um die jeweils aktuelle konjunkturelle Lage möglichst blumig zu umschreiben. In diesem Jahr fällt das Beschönigen indes schwer. (…)
Die jüngste Entwicklung am deutschen Finanzmarkt zeigt erste vorsichtige Anzeichen von Besserung. Einige Anlageklassen, unter anderem offene Immobilienfonds und Aktienfonds, verzeichnen mittlerweile wieder Nettozuflüsse bzw. Wertsteigerungen des Fondsvermögens. (…)
Durch die Finanzkrise ist uns das Ausmaß der Globalisierung mehr als deutlich vor Augen geführt worden. (…), die Schockwellen nach dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers machten an keiner Grenze halt. (…)
Quelle: Bundesbank [PDF – 108 KB]
Kommentar AM: Ein weiterer Versuch eines unmittelbar Verantwortlichen, die Ursache für die Finanzkrise direkt und ausschließlich den USA zuzuschreiben. Wir haben in den NachDenkSeiten schon mehrmals auf die Verantwortung hierzulande und auch auf die Verantwortung des Personals in den Kontrollorganen hingewiesen, siehe unter anderem die Rubrik Sachfragen/Kapitalmarkt.
Was für tolle Chancen für Journalisten, die wirklich recherchieren wollen: Warum verfälscht Professor Weber die Krisenursachen? Wusste er von früheren (2003) Gesprächen der Spitzen der Finanzindustrie und der Bundesregierung über den Plan, eine Bad Bank zu gründen? Wie sind die Zusammenhänge mit dem Förderer des Finanzplatzes Deutschland durch die Einführung von „modernen Finanzprodukten“, dem Staatssekretär Jörg Asmussen? Warum ist Axel Weber 2004 ins Amt gekommen statt des ursprünglich vorgesehenen Peter Bofinger? Usw..
Nach den neuen Verfassungspassagen darf der Bund in normalen Konjunkturphasen von 2016 an Kredite nur noch in Höhe von 0,15 Prozent der Wirtschaftsleistung zeichnen, den Ländern ist von 2020 an gar keine Neuverschuldung mehr gestattet. Ausnahmen gelten für Abschwungphasen und zudem für Notsituationen wie die aktuelle Weltwirtschaftskrise oder Naturkatastrophen, wobei solche Kreditaufnahmen mit Tilgungsplänen verknüpft sein müssen. Fünf arme Länder sollen zwischen 2011 und 2019 Konsolidierungshilfen von 7,2 Milliarden Euro erhalten, um ihnen den Weg zur Nullverschuldung zu ermöglichen.
Für Feld ist die Grundgesetzänderung effektiv und lässt gleichwohl bei der Handhabung der Schuldenbremse die nötige Flexibilität zu. Zu bemängeln sei indes, dass den Ländern keine Steuerautonomie zuerkannt werde. Der Druck zu einer solchen Reform wird nach Meinung von Wolfgang Renzsch (Magdeburg) jedoch wachsen, da strukturschwache Länder ansonsten ihre Probleme nicht lösen könnten. Nach Auffassung von Joachim Wieland (Speyer) wird die Schuldenbremse dazu führen, dass der Bund finanzschwache Länder mit mehr Geld unterstützen muss. Wieland kritisierte, dass die Föderalismusreform die Länder eigentlich habe stärken sollen, jetzt aber werde deren Eigenstaatlichkeit durch die neuen Verfassungsauflagen zur Kreditpolitik “zumindest gefährdet”. Dieser These widersprachen Ulrich Häde (Frankfurt/Oder) und Peter Huber (München): Die im Grundgesetz geplante Schuldenbremse stelle die Eigenstaatlichkeit der Länder nicht in Frage.
Fuest erklärte, nach den Erfahrungen innerhalb der OECD habe die Einführung von Kreditbegrenzungen tatsächlich positive Erfolge gezeitigt. Renzsch sagte, die durch die Tilgungspflichten erzeugte Transparenz und der damit einhergehende “Rechtfertigungszwang” würden in der Praxis eine “schuldendämpfende Wirkung” entfalten. Mehrere Sachverständige wie etwa Feld oder Huber bemängelten jedoch, dass der Stabilitätsrat, der die Kreditpolitik von Bund und Ländern überwachen soll, im Falle von Verstößen keine Sanktionen verhängen könne: Dieses Gremium habe “zu wenig Zähne”, so Huber. Thomas Lenk (Leipzig) monierte, dass keine grundlegende Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gelungen sei. Aus seiner Sicht geht von den neuen Grundgesetzbestimmungen keine stärker disziplinierende Wirkung als von den bisherigen Verfassungsvorgaben aus. Hans Meyer (Berlin) forderte, die Tilgungsauflagen strikter zu fassen.
Für Horn ist es verfehlt, mit dem “mechanischen Versuch” der Kreditbremse das an sich richtige Ziel zu verfolgen, der ausufernden Staatsverschuldung entgegenzuwirken. Hätte man die jetzt geplante Politik schon 2001 bis 2004 praktiziert, so wären damals bei einem um 2,5 Prozent niedrigeren Wachstum rund 500.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Als Alternative plädierte Horn dafür, in Zeiten eines Konjunkturaufschwungs staatliche Ausgaben stärker einzuschränken. Stefan Korioth (München) sah die Gefahr, dass wegen der Kreditbegrenzung eine sinnvolle Schuldenaufnahme künftig möglicherweise unterbleibe. Der Sachverständige bemängelte, dass die Länder zwar durch den Bund auferlegte Aufgaben erledigen müssten, ihnen zu deren Finanzierung jedoch eine Neuverschuldung wie auch die Erhebung eigener Steuern untersagt sein sollen. Verschuldung sei eine Frage “politischer Entscheidungen”, betonte Wieland, “nicht des Verfassungsrechts”. Ungeklärt ist aus seiner Sicht, ob die Kreditbegrenzung mit der “Notwendigkeit der Konjunktursteuerung” zu vereinbaren sei.
Quelle: Deutscher Bundestag
Anmerkung WL: Siehe dazu auch Schuldenbremse = ÖPP-Beschleunigung + Rot-Rot-Grün-Behinderung.
Siehe ferner Heiner Flassbeck: „Eine Schuldenbremse ist lächerlich“
Anmerkung Orlando Pascheit: Man fragt sich, was der in den Medien sehr beliebte Konsumklimaindex des Nürnberger Marktforschers GfK eigentlich soll, wenn der statistische Zusammenhang mit dem tatsächlichen privaten Konsumausgaben so miserabel ist. Man könnte fast meinen, dass die auftraggebende Europäische Kommission die Auflage vorgegeben hätte, in Optimismus zu machen. Die Prognose des GfK vom 27. April lautete: “Das Konsumklima in Deutschland bleibt robust.” Die FTD titelte: “Deutsche kaufen trotz Krise”, im März gab sie “Entwarnung für die Binnennachfrage”. Immer wieder straft die Realität, siehe oben, die optimistischen Aussagen der GfK und der sie wiedergebenden Medien Lügen. Die FTD muss sich, wie viele andere, die Frage gefallen lassen, warum sie in unverantwortlicher Weise immer wieder auf die GfK-Prognose zurückgreift und damit den Konsum als Hoffnungsträger aufbaut. Das ist unverantwortlich, weil die Medien damit ein Meinungsbild unterstützen, dass die Krise nicht so schlimm sei und dass es ganz im Sinne der Bundesregierung keiner weiteren konjunkturpolitischen Maßnahmen bedürfe.
Des Weiteren enthält das Aktiengesetz in den Paragrafen 87, 93 und 116 Bestimmungen, wonach der Aufsichtsrat nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, die Bezüge von Vorstandsmitgliedern herabzusetzen, wenn deren Weiterzahlung gegenüber der Gesellschaft eine schwere Unbilligkeit wäre. Das ist der Fall, wenn die Gesellschaft nur mit Hilfe des Staates vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet werden kann. Bei Vernachlässigung ihrer Pflichten können die Aufsichtsratsmitglieder als Gesamtschuldner in Haftung genommen werden.
Selbstverständlich ließe sich ein »Wegfall der Geschäftsgrundlage« auch auf Verträge über Abfindungen oder Ruhestandsvereinbarungen anwenden, beispielsweise auf die 20-Millionen-Zahlung der Post an den vorbestraften Klaus Zumwinkel. Ob solches geschehen kann, ist allerdings nicht allein eine Rechtsfrage, sondern vor allem eine Frage des politischen Willens, der erfreulicherweise unter den Druck der Öffentlichkeit zu geraten scheint.
Quelle: Ossietzky
Jenseits der politischen Propaganda führt die Soziale Marktwirtschaft ein recht bescheidenes Dasein. „Wohlstand für alle“ – hinter diesem Leitbild versammelte sich einmal ganz Deutschland, nicht nur in Parteipamphleten und politischen Sonntagsreden, sondern in der konkreten Lebenswirklichkeit. Das war zu einer Zeit, „die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen“ vermochte, wie sich das der politische Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, zum Ziel gesetzt hatte. Erhards Kalkül war dabei recht einfach: Die Politik müsse nur dafür sorgen, dass der Kuchen wachse, dann würde für alle ein entsprechend größeres Stück davon abfallen.
Nun wächst der Kuchen heutzutage nicht mehr so kräftig wie zu Erhards Zeiten, aber zumindest in den letzten zehn Jahren wuchs er nach wie vor. Gleichwohl vermochten Erhards politische Erben sein Versprechen nicht mehr einzulösen: Der reale Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts entfiel fast zur Gänze auf Unternehmensgewinne und Kapitalerträge, während sich die Arbeitnehmer mit Reallohnstagnation bescheiden mussten.
Nach jüngsten Erhebungen vereinigen die reichsten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung mehr als sechzig Prozent des privaten Vermögens auf sich, die reichsten zwanzig sogar achtzig Prozent. Dieser Vermögenskonzentration steht rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung gegenüber, die gar kein Vermögen besitzt.
Wer wollte angesichts solcher Verhältnisse noch ernsthaft Ludwig Erhards Geist beschwören? Wer würde sich nicht der Unredlichkeit schuldig machen, wenn er es täte? Muss es in den Ohren der meisten Bürger nicht wie blanker Hohn klingen, wenn die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) allen Ernstes schreibt, die „Neider“ würden sich zu Unrecht über die Vermögenseinbußen der Superreichen im Zuge der Finanzkrise freuen, weil die doch mit ihrem Geld Arbeitsplätze schafften? Müsste man also nach Ansicht der INSM für eine dermaßen ungerechte Vermögensverteilung auch noch dankbar sein?
Mit solchen Zuständen kann man sich nicht mehr zufriedengeben. Wir sollten der Politik und den Verbänden nicht länger gestatten, uns mit der wohlklingenden, aber inhaltsleeren Chiffre „Soziale Marktwirtschaft“ für dumm zu verkaufen.
Quelle: FAZ
Anmerkung WL/KR: Lesenswert, auch wenn wir nicht mit allen Vorschlägen für eine Kursänderung von Thomas Strobl einverstanden sind. So wäre etwa zur Forderung nach vollständiger Umstellung der sozialen Sicherungssysteme auf eine Finanzierung durch Steuern zu fragen, welche Steuern es denn sein sollen. Höhere indirekte (Verbrauchs-)Steuern würden die nächste Runde der Umverteilung von unten nach oben einleiten.
Aber die FAZ druckt hier einen Text, den man sonst eher auf den NachDenkSeiten vermuten würde.
Es war klar, dass ein solcher Beitrag in der FAZ nicht ohne Widerspruch bleiben durfte. Da darf dann Karen Horn erklären, Wirtschaftskrisen seien wie ein Vulkanausbruch, „niemand weiß, wann“ es geschehe. Damit gibt sie schon in der Einleitung zu, dass sie Krisenursachen mit den auch von ihr favorisierten Gleichgewichtsmodellen nicht erklären kann. Geradezu lachhaft ist ihre Aussage, „Neoliberalismus ist eben nicht einseitig – und deswegen auch nicht ideologisch.“
Der Beitrag zeigt auch, dass Ludwig Erhards Hinterlassenschaften geradezu ein Steinbruch sind, aus dem jeder sich mit den gerade passenden Zitaten bestücken kann.
Gegen die Wertblindheit von Märkten argumentiert Horn:
Märkte (sind) nämlich nicht nur Wohlstandsmaschinen. Sie sind als Plattform der Interaktion auch soziale Räume – Räume, in denen es wesentlich, wie in den anderen Sphären der Gesellschaft auch, um individuelle Würde, Selbstbestimmung und Freiheit geht, und darauf aufbauend um gegenseitig vorteilhafte Kooperation im Rahmen allgemeiner Regeln gerechten Verhaltens.
Die Krisenanfälligkeit sei nicht das Ergebnis instabiler Märkte, sondern sie sei „dem Menschsein an sich immanent“.
Gegen Thomas Strobls Satz „Die Politik hat eine Verantwortung für die Gesellschaft, und dieser muss sie nachkommen“ fährt Karen Horn gleich das ganz große Geschütz auf: Dies sei „der Abschied von Eigenverantwortung und Privatsphäre, der Freibrief für staatliche Bevormundung, zu Ende gedacht letztlich die totalitäre Versuchung“. Derart extremisierende Argumentation ist natürlich weder „einseitig“ noch „ideologisch“, wie Horn für sich in Anspruch nimmt.
Zitat Horn:
Der Kapitalismus ist das einzige System, das sich aufgrund der idealerweise von externen Eingriffen unverzerrten, die individuellen Interessen abbildenden und koordinierenden Rückkopplungsprozesse immer wieder selbst korrigieren kann. Er ist das einzige System, das einen Mangel an Moral oder an Regeln nach gewisser Zeit anzeigt und uns dazu bringt, Moral oder Regeln neuerlich einzufordern. Nur in der Marktwirtschaft kann es solche Krisen überhaupt geben – und vor allem die damit verbundene Selbstreinigung und Innovation.
Diesem Credo folgend wäre es doch nur konsequent, die „Selbstreinigungskräfte“ walten und die Banken pleite gehen zu lassen. Was ist das für ein Zynismus, die Finanzkrise zu einem Indikator für einen Mangel an Moral zu erklären und die Allgemeinheit dafür haften zu lassen? Bei Ratschlägen zur Bewältigung der Krise ist der Neoliberalismus natürlich rat- und sprachlos, bestenfalls gibt es Regeln für die Zukunft – und dennoch kommt die nächste Krise dann so unvermeidlich wie ein Vulkanausbruch.
Nur nebenbei: Karen Horn leitet das Berliner Hauptstadtbüro des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft. Selbstverständlich völlig unideologisch!
Zum Beitrag des IW passt:
Das durch die drei “Booms” aufgebaute “Absturzpotenzial” wurde von den Eliten in Wissenschaft, Medien und Politik nicht realisiert – ihre Marktgläubigkeit war zu groß. Bis heute lauten ihre Glaubenssätze: Die freiesten und bestregulierten Märkte, die Börsen für Finanzderivate, können doch nicht systematisch falsche Preissignale setzen! Im Gegenteil: Wenn das Geld an der Börse so wunderbar arbeitet, wird und soll es auch für das Alter sorgen.
Das Haupthindernis auf dem Weg zu einer nachhaltigen Bekämpfung der großen Krise besteht im “Kognitive-Dissonanz-Syndrom” der Eliten: Einsichten, welche dem neoliberalen Weltbild widersprechen, werden aufgrund einer Mischung aus Marktgläubigkeit, Dummheit sowie einer Art cleveren Zynismus blockiert.
Quelle: TAZ
Dazu auch noch:
Unbeschränkte Handelsfreiheit führt laut ökonomischen Standardlehrbüchern zu maximalem Wohlstand. Jede Form von Regulierung würde demnach die internationale Arbeitsteilung und damit die Effizienz der Weltwirtschaft beeinträchtigen. Allerdings blendet diese Theorie einige wichtige Punkte aus, wie der Juraprofessor Felix Ekardt in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung erläutert. Beispielsweise übersieht sie die ungleiche Einkommensverteilung: Von der angeblichen ökonomischen Effizienz profitieren nur wenige. Die gesamte Wirtschaftsleistung würde Ekardt zufolge sogar noch wachsen, wenn ein Teil des von Entwicklungsländern im Export verdienten Geldes genutzt würde, um die soziale Sicherheit der Arbeitenden zu verbessern. Denn das dürfte sich positiv auf ihre Motivation und Bildungsanstrengungen auswirken. Was in der traditionellen Freihandelstheorie außerdem nicht vorkommt: Umweltprobleme und die psychischen Folgen eines unbegrenzten “weltweiten Wettstreits um immer längere Arbeitszeiten und immer mehr Leistungsdruck”. Der Experte für internationales Recht tritt dafür ein, globale ökologische und soziale Mindeststandards im Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) zu verankern.
Quelle: Böckler Impuls 07/2009
Anmerkung WL: Große Worte, praktisch nichts dahinter. Der Gesetzentwurf soll sich auf Länder beziehen, welche die OECD-Standards nicht erfüllen. Aktuell ist aber auf dieser OECD-Liste gar kein Land verzeichnet [PDF – 89,1 KB].
Obama scheint das Problem der Steueroasen anders anzugehen:
NachDenkSeiten-Leser J.A. schrieb uns dazu: „Die höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften und von Reichen ist also nur eine Frage des politischen Willens und trotz der “Globalisierung” möglich. Außer natürlich in Deutschland, wo andere Gesetzmäßigkeiten gelten.“
Weil die Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sehr viel niedriger ist als die von der Versicherung an Hand eigener Sterbetafeln kalkulierte durchschnittliche Lebenserwartung, profitieren mehrheitlich die Riester-Sparenden nicht von der Riesterförderung.
Prof. Dr. Jaeger berechnet, dass Riester-Sparende im Durchschnitt 90 Jahre alt werden müssten, soll sich das Riestern für sie lohnen. Denn erst ab Erreichen dieser Altersgrenze erhielten sie ihre selbst eingezahlten Beiträge in Form von Netto-Renten zurück. Erst ab dann profitieren die Sparenden tatsächlich von den staatlichen Zuschüsse in Form ausgezahlter Netto-Renten.
Laut den Berechnungen von Prof. Dr. Jaeger profitieren Riester-Sparende im unteren Einkommenssegment (20 000 bis 30 000 Euro Brutto-Jahreseinkommen) und Kinderlose wenig bis gar nicht von den staatlichen Zuschüssen.
Prof. Dr. Jaeger hat ebenfalls die Struktur der Risikogewinne untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass pro Vertrag durchschnittlich 29 Prozent der bis zum Rentenbeginn gezahlten Zuschüsse als Risikogewinne beim Versicherungsunternehmen anfallen – wiederum vorausgesetzt, der/die Versicherte stirbt mit 91 Jahren. Hochgerechnet auf alle zum Untersuchungszeitraum abgeschlossenen ca. 11 Millionen Riester-Verträge ergäbe dies ein Volumen von ca. 50 Mrd. Euro an Gewinnen für die Versicherungsunternehmen. Sterben die Versicherten hingegen vor dem 90. Lebensjahr, was gerade bei Menschen mit geringem Einkommen häufig der Fall ist, erhöhen sich die Gewinne der Versicherungsunternehmen entsprechend.
Prof. Dr. Jaeger ist deshalb der Ansicht, dass die staatlichen Zuschüsse nichts weiter als eine Subventionierung der Versicherungswirtschaft sind, die aber praktisch keinerlei rentenerhöhende Wirkung haben.
Quelle: Deutscher Bundestag Kleine Anfrage der Fraktion der Linken [PDF – 48,4 KB]
Es kann doch nicht sein, dass sich gerade die Reichen einen schlanken Fuß machen und den Staat um die Steuern prellen. Also müssen wir verschärft gegen Steuerhinterziehung vorgehen. Es kann auch nicht sein, dass wir in diesem Land unsittlich hohe und unsittlich niedrige Löhne haben. Das macht eine Gesellschaft kaputt. Also brauchen wir eine ganz klare Deckelung der Managergehälter, und wir brauchen Mindestlöhne. Kurzum: Wir müssen den Primat der Politik wieder stärker betonen und der sozialen Marktwirtschaft wieder Geltung verschaffen.
Quelle: FAZ Net
Anmerkung WL: Natürlich verschweigt Franz Müntefering, dass die Regierung Schröder und die SPD in der Großen Koalition den von ihm jetzt kritisierten Kapitalismus selbst gefördert und auch seit 1998 nichts dagegen unternommen haben. Und schaut man sich die konkreten Änderungsvorschläge an (verschärft gegen Steuerhinterziehung vorgehen, Niedriglohn, Deckelung der Managergehälter), so wird von der von Müntefering kritisierten Form des Kapitalismus gewiss nicht viel in der Mülltonne landen. Das erinnert doch sehr an die „Heuschrecken“-Debatte. Damals hatte Münte mit seiner Verbalattacke auch nur eine Art Paravant aufgespannt, hinter dem das Treiben der Heuschrecken munter weiter ging. In Wahrheit wurde nichts dagegen unternommen.
Ein kritischer Blick auf 20 Jahre deutscher Geschichte. Ein Gespräch mit Arno Luik
Ich glaube, dass kein Kanzler dieses Land so verändert hat wie Schröder: Abbau des Sozialstaates, Privatisierung, Kriegsführung etc. Da habe ich schon noch einige Fragen an den Exkanzler, der unter anderem mit der Agenda 2010 schuld daran ist, dass die Kluft in diesem Land – zwischen Arm und Reich – immer größer wird.“ „Mir war anfangs nicht klar, wie sehr sich dieses Land in den letzten beiden Jahrzehnten verändert hat, wie sehr es nach rechts gedriftet ist.
Quelle: junge Welt
Wenn nun, wie in Niedersachsen geplant, auch integrierte Gesamtschulen auf den Schnellweg zum Abitur verpflichtet werden sollen, kommt ein Systemelement in ein anders gedachtes System hinein. Das wird dann als eine Art Sprengsatz wirken. Die integrierten Gesamtschulen werden gegen ihre Philosophie und Praxis gezwungen, frühzeitig Gymnasialzweige (Turbozweige) einzurichten.
Zwei Wege und Tempi zum Abitur sind für viele Schüler und Schülerinnen nach wie vor sinnvoll. Sie eröffnen Chancen, statt sie zu verringern.
Insofern sind die Strukturen des deutschen Schulwesens eben doch von zentraler Bedeutung: Wege bauen, Zeit geben, möglichst viele Schüler mitnehmen – das geht mit rigiden Regelungen nicht. Moderne Bildungspolitik ist toleranter, einfallsreicher und pädagogischer!
Quelle: FR
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Politik aufgefordert, milliardenschwere Sonderprogramme für Hochschulen und Wissenschaft nicht bis nach der Bundestagswahl zu verschieben. Gerade in dieser schwierigen Wirtschaftsphase wünsche er sich “mehr Mut für Zukunftsinvestitionen”, sagte DFG-Präsident Matthias Kleiner. Auch die Unternehmensberatung McKinsey warnt in einer aktuellen Studie zum Thema davor, “Bildungsinvestitionen zu verzögern”. Dagegen sehen die Finanzminister von Bund und Ländern keine Notwendigkeit, die Bildungsausgaben über das bisher vereinbarte Maß hinaus zu erhöhen.
Quelle: Handelsblatt
Anmerkung WL: An typisches Beispiel dafür, was von der Phrase „Vorrang für Bildung“ zu halten ist.
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: Die linke Partei hat ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Der Antikapitalismus, die Kritik an der Gier der Managerklasse und am destruktiven Wirken des Kapitals, ist jetzt auch bei der SPD und sogar bei der Union preiswert und zumindest deklamatorisch zu haben.
Wenn die Leute in der Klemme sitzen, dann wollen sie nicht immer nur hören, warum das so ist. Sie wollen wissen, wie sie da wieder herauskommen. Dazu ist von der Linkspartei nicht viel zu hören. Das ist der zweite Grund für die neue Schwäche der Linkspartei. Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat, verlässt sich vorderhand lieber auf die Konjunkturpakete der Regierung (…)
Erst als sich die größeren Parteien wieder von den wirtschaftsliberalen Positionen absetzten, begann die Hausse der FDP.
Quelle: SZ
Anmerkung WL: Lieber Heribert Prantl, könnte es nicht einfach so sein, dass die oberen 10 Prozent und dazu noch die Yuppies, die meinen, dass sie auch dazu gehören, sich in der Krise deswegen besonders hartnäckig an die FDP klammern, weil diese Partei als Mitglied einer Regierungskoalition ein Garant für ihre Pfründe ist? Und könnte es nicht sein, dass über die Lösungskonzepte der Linken – auch in der Süddeutschen Zeitung – deswegen nicht viel zu hören ist, weil sie entweder totgeschwiegen werden oder die Zusammenarbeit mit ihnen als Pakt mit dem Teufel stigmatisiert wird?
Siehe dazu:
und
Wie Steinbrück hoch- und Lafontaine niedergeschrieben wird – zwei Musterbeispiele für gelungene PR.
Wo bitte hat die SPD Abstand genommen von der Agenda 2010, die „sich wie eine Neuauflage das FDP-Wirtschaftspapiers von 1982“ las? Und warum möchte eigentlich die Union mit der FDP koalieren? Doch wohl nur deshalb, weil die CDU/CSU mit den Liberalen ihren wirtschaftsliberalen Kurs noch härter durchsetzen kann als derzeit bereits mit der SPD.
Zweifel sind angebracht. Denn “Ernst & Young” in Deutschland steht in direkter Verbindung mit Asklepios – und vor allem mit dem Gründer und Alleingesellschafter des Klinikkonzerns Dr. Bernard Broermann.
Quelle: Hamburger Morgenpost
Das ist schon ein erstaunliches Vorgehen: Man nimmt ein Eigen-PR-Filmchen von RTL, entfernt den Absender, bappt den eigenen Namen drauf und gibt es als Journalismus aus?
Quelle: BildBlog
Anmerkung WL: So erstaunlich ist das nun auch wieder nicht: RTL und stern gehören Bertelsmann, da sucht man gern nach Synergien.
Viele Journalisten haben sich in der Vergangenheit allzu häufig als Stenographen statt als “Watchdogs“ verstanden, indem sie ihren Presseausweis als Eintrittskarte missbrauchten, um den Mächtigen möglichst nahe zu sein. Wir brauchen aber Redaktionen, die voll sind von aufmerksamen Wachhunden und nicht mit fetten und zufriedenen Schoßhündchen (…)
Die Tage, in denen uns eingebildete Wichtigtuer diktierten, was wichtig ist und was nicht, sind vorbei – Gott sei Dank!
Arianna Huffington, 58, Gründerin und Herausgeberin von The Huffington Post, der einflussreichen politischen Online-Nachrichtenzeitung aus den USA.
Quelle: SZ
Anmerkung WL: Den Vergleich mit Pitbulls lehnen die NachDenkSeien natürlich ab, aber dass wir an Themen dranbleiben und die Wichtigtuer hinterfragen, das nehmen wir für uns schon in Anspruch.
Anmerkung WL: Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung bringt das Handelsblatt eine Aneinanderreihung von Zitaten deutschen Ökonomieprofessoren aus dem Ausland. Gerade so, als ob der Lehrstuhl im Ausland schon ein Ausweis von wissenschaftlicher Exzellenz wäre. Zugegeben, die Wirtschaftswissenschaften in den USA oder in Frankreich sind vielfältiger aufgestellt als bei uns, aber sie haben vor der Finanzkrise genauso versagt. Wie eindimensional in Deutschland die Debatte in der Wissenschaft, in den Medien und in der Politik verläuft, beweist die Rezeption des Memorandums, einer Streitschrift linker Ökonomen. Es wird weitgehend totgeschwiegen.
Siehe dazu:
Das MEMORANDUM 2009 in der Langfassung kann ab sofort über unsere Kontaktadresse ([email protected]) zum Preis von 15.- Euro (einschließlich Porto) bezogen werden.
Quelle: Memorandum-Gruppe [PDF – 168 KB]
Anmerkung WL: Wenn die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die Bertelsmann-Stiftung oder das Institut der deutschen Wirtschaft eine Studie veröffentlichen, dann wird diese in den Medien von Flensburg bis Passau zitiert, und dies meist sogar ohne den Interessensbezug dieser PR-Organisationen zu benennen. Man könnte ja durchaus darauf hinweisen, dass sich in der Memorandum-Gruppe „linke“ Ökonomen zusammengefunden haben, und man könnte in der Berichterstattung oder in Kommentaren die dort vertretenen Positionen durchaus kritisieren. Aber dazu müsste man erst einmal in der Lage sein. Da ist es doch viel einfacher, den neoliberalen Think-Tanks nachzuplappern und alternative Positionen zu verschweigen.
Heiner Flassbeck, früher Staatssekretär bei Oskar Lafontaine, jetzt Chefökonom der Uno-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD in Genf, wirft einen schonungslosen Blick: «Gescheitert – Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert», lautet sein jüngstes Buch. Er hat aber auch mit seinem Genfer Team einen Plan entworfen, um die Krise zu meistern. Dabei schöpft er aus seiner Erfahrung als Wissenschaftler (so war er in der Leitung des angesehenen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung) und als Politiker: Als Lafontaine deutscher Finanzminister war und vergeblich die Weltwirtschaft reformieren wollte, entwickelte namentlich sein Staatssekretär Flassbeck die Konzepte. Roger de Weck führt mit dem linken Ökonomen ein Krisengespräch.
Buchtipp:
Heiner Flassbeck: Gescheitert – Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert.
Westend Verlag, 2009.
Wiederholung der Sternstunde Philosophie:
Montag, 04. Mai 2009 um 00.30 Uhr auf SF1
Dienstag, 05. Mai 2009 um 12.00 Uhr auf SFinfo
Mittwoch, 06. Mai 2009 um 04.30 Uhr auf SF1
Samstag, 09. Mai 2009 um 08.55 Uhr auf SF1
Sonntag, 10. Mai 2009 um 09.15 Uhr auf 3sat
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3923