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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 19. August 2008 um 9:09 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(KR/WL)

Heute unter anderem zu folgenden Themen:

  • Kaukasus-Konflikt und die neue Außenpolitik
  • Deutsche Wirtschaftspolitik führt die Euro-Zone in eine Zerreißprobe
  • Irrwitzige deutsche Wirtschaftspolitik
  • Datenklau und Datenschutz
  • Wasser- und Strompreise
  • Bahn auf Börsenkurs – höhere Gewinne und höhere Fahrpreise
  • Gesundheitskosten
  • Werbeträger der INSM
  • Aus den Niederungen der Politik
  • Ypsilanti eine Gefahr für die Union
  • Die Linke – Kein Programm aber konkrete Forderungen
  • Besiegt Humboldt das Kapital?

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Joschka Fischer: Ich bin immer noch ein Linker!
    Fischer: Obama umgibt überhaupt kein Nebel. Ich teile das überhaupt nicht. Seine Rede in Berlin war Klartext. Er hat den Europäern gesagt: Mit mir wird in Zukunft gemeinsam entschieden und dann gemeinsam gekämpft, und wenn es sein muss, auch gemeinsam gestorben. Die Arbeitsteilung: Wir kämpfen und ihr baut auf, die wird so nicht mehr funktionieren…

    Ich war mit dem SPD-Politiker Ulrich Klose der Einzige, der sich getraut hat, öffentlich dafür einzutreten, dass wir uns im Süden Afghanistans mehr engagieren sollten, wissend um die Risiken. Faktisch treiben wir die Allianz in eine coalition of the willing mit unserer Verweigerung. Gerade für Deutschland ist das ein großer Fehler, wir werden international sehr viel Einfluss verlieren, ja, haben ihn schon verloren. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mir diese Geisteshaltung auf die Nerven geht, diese Form der billigen Kritik der Europäer an den USA, um dann sofort wieder auf das Trittbrett aufzuspringen und sicherheitspolitisch mitzufahren…

    Man kritisiert die USA, aber unternimmt nichts bis kaum etwas, um die europäische Macht zu entwickeln und dafür mehr Verantwortung und mehr Risiken in Kauf zu nehmen. Das ist Kritik aus dem Lehnstuhl heraus, wissend darum, dass, wenn es ernst wird, der große Bruder von der anderen Seite des Atlantiks uns schon helfen wird. Das geht mir völlig gegen den Strich. Da verstehe ich die Kritik der Amerikaner und bewundere sie, dass das nicht sehr viel mehr in Verachtung gegenüber den Europäern umschlägt…
    Quelle: Die Zeit

    Anmerkung WL: Gemeinsam entscheiden und dann gemeinsam gekämpft und gestorben. Dieses Weltbild unseres früheren obersten Chefdiplomaten ist bezeichnend für die Entwicklung auch des deutschen, außen- und sicherheitspolitischen Denkens. Krieg und Sterben nicht mehr als ultima ratio, sondern als ganz normales Mittel zur Durchsetzung der Entscheidungen, die man wohlgemerkt nicht in der UNO, sondern vielleicht im westlichen Bündnis trifft.

    Nichts mehr mit Diplomatie, nichts mehr mit Berücksichtigung der Interessen und Geschichte der anderen, nichts mehr mit Verständigung, nichts mehr mit fairem Aushandeln von fairen Kompromissen.

    Wenn die Deutschen und die Europäer da nicht mitmachen, sind sie nur noch der Verachtung der Amerikaner wert. Man muss „europäische Macht“ entwickeln!!
    In schlimmer Erinnerung könnte man auch übersetzen: Europa muss seinen „Platz an der Sonne“ erkämpfen. Joschka Fischer als „Willem Drei“ also: Konfrontatives Weltmachtdenken wie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Es kann einem angst und bange werden. Fehlt nur noch ein GröFaZ (größter Feldherr aller Zeiten).

    Siehe auch:

    Joschka Fischer: Europas Schwäche und Russlands Stärke
    Die EU ist zerstritten, Moskau hingegen teilt und herrscht. Nur wenn Europa seine eigenen Machtpositionen ausbaut, kann es der russischen Politik etwas entgegensetzen. Der Westen hat das Wiedererstarken Russlands zu lange ignoriert und war nicht bereit, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Aber nicht nur Russland, die ganze Welt hat sich geändert: Die amerikanischen Neokonservativen haben einen Gutteil der Macht und des moralischen Kredits der USA mit einem unnötigen Krieg im Irak vergeudet und damit die einzige westliche Weltmacht mutwillig geschwächt. China, Indien, Brasilien, Russland und der Persische Golf sind heute die neuen Wachstums- und morgen Machtzentren, mit denen zu rechnen sein wird. Angesichts dieser Realitäten wirkt die Drohung, Russland aus der Gruppe der G-8-Staaten auszuschließen, nicht gerade welterschütternd.
    Quelle: Zeit

    Anmerkung AM: Fischer sagt ja ein paar vernünftige Sachen. Aber der Gesamteindruck ist: Ein Schwadroneur war mal unser Außenminister. Interessant: die selbstverständliche Konfrontation zwischen Europa hier und Russland dort. Und kein Wort davon, dass die USA die Spaltung Europas fördern und diese auch de facto besteht. Was haben wir z.B. mit Berlusconi gemein? Und was mit dem polnischen Präsidenten? Dann ein Stehsatz aus den Analysen der Legationsräte des Auswärtigen Dienstes: X, Y … „sind heute die neuen Wachstums- und morgen Machtzentren“.

    Siehe z.B. für den besonders harten Kurs gegen Moskau auch in Tschechien:

  2. Gutes Georgien, böses Russland?
    Tschechien sucht eine harte Haltung gegenüber dem russischen Nachbarn.
    Quelle: DLF

    Siehe dazu auch:

    Huber macht mobil
    Gerhard Schröder kritisiert den georgischen Präsidenten, und schon stürzen sich deutsche Politiker auf ihn. Dabei hat der Altkanzler nur ausgesprochen, was sich andere nicht trauen. Nicht Schröder, sondern Huber mangelt es an Realitätssinn. Seine Mobilmachung gefährdet den Frieden.
    Quelle: stern

  3. Schnell noch unter Bush in die Nato
    Nach Angaben des deutschen Russland-Experten Alexander Rahr versuchte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili mit der Konflikteskalation in Südossetien einen schnellen NATO-Beitritt zu bewirken. “Er weiß, er hat dazu jetzt ein halbes Jahr Zeit. Präsident Bush ist offen für einen Beitritt Georgiens zur Nato. Was der Nachfolger tun wird, weiß man nicht. Deshalb muss Saakaschwili jetzt Südossetien und Abchasien mit Georgien vereinen, die beiden separatistischen Republiken, die sich seit 20 Jahren losgelöst haben. Ohne die Lösung der internen Konflikte wird es keinen Nato-Beitritt Georgiens geben”, sagte der Experte im Interview mit MDR aktuell.

    “Saakaschwili glaubt, es noch unter dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush schaffen zu können. Wenn der demokratische Kandidat Barack Obama an der Macht sein sollte, wird der georgische Beitritt zur Nato erstmal auf mehrere Jahre verlegt. Die Nato kann nur Staaten aufnehmen, die keine separatistischen Probleme auf ihren Territorien haben.

    Es klingt wahnsinnig, dass jemand einen Krieg führt, um in die Nato zu kommen. Aber bis die Frage um die separatistischen Republiken Südossetien und Abchasien nicht gelöst ist, kommt Georgien nicht hinein”, so Rahr im Interview mit dem “Stern”. Dem Experten zufolge ist nicht auszuschließen, dass es zwischen der EU und Russland zu einem Kalten Krieg kommen kann.
    Quelle: Linkszeitung

  4. Hermann Krause, ARD-Hörfunkstudio Moskau: Belohnung für einen Eroberungskrieg?
    Der letzte georgische Präsident, der Südossetien überfiel, war der Vorgänger von Eduard Schewardnadse, Swiad Gamsachurdia, ein schlimmer Nationalist. Kriege zwischen Georgien und Osseten hat es immer wieder gegeben: Der jüngste Konflikt passt in eine lange Reihe von Auseinandersetzungen.

    Dennoch wäre es ratsam, sich mit den Ursachen dieses Krieges zu beschäftigen. Die Augen davor zu verschließen, wer wen überfiel, ist falsch. Leider weigert sich auch die Bundeskanzlerin nachzuforschen, von wem die Aggression ausging. Trotz aller Provokationen der russischen Seite – letztendlich von Georgien. Dies ist mittlerweile erhärtet, Beweise gibt es ausreichend.

    Über sechs Jahre lang haben die USA Georgien aufgerüstet und mit jenen Waffen versorgt, die eingesetzt wurden, um gegen das wehrlose Ossetien zuzuschlagen. Georgien führte einen Eroberungskrieg, allein aus ethnischen Gründen. Moskau spricht von einem Genozid, dies mag übertrieben sein. Aber es kann doch nicht angehen, dass die Bundeskanzlerin so tut, als wäre nichts geschehen – und weiterhin Georgien die Aufnahme in die NATO zusichert.

    Überfallen NATO-Mitglieder mit brutalster Waffengewalt ihre Nachbarn, nur, weil diese nach Unabhängigkeit streben? Und welches Georgien will die Kanzlerin in die NATO aufnehmen? Das Kern-Georgien, bestehend aus Tiflis und Umgebung? Auch von der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice wurde gebetsmühlenartig die “territoriale Integrität” Georgiens beschwört. Wie aber soll diese hergestellt werden? Will man die Abchasen oder Südosseten zwingen, unter georgischer Herrschaft zu leben? Vielleicht mit Waffengewalt, wie es jetzt Saakaschwili versuchte?

    Seine Bekundungen, er sei ein Demokrat, sind mehr als absurd. Genauso wie in Russland wurden die Wähler bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen unter Druck gesetzt, genauso wurde am Ergebnis manipuliert. Die Wahlbeobachter der OSZE haben dies bekundet, im Übrigen die Deutschen deutlicher als die Amerikaner. Vergessen anscheinend, dass Saakaschwili im Dezember des letzten Jahres brutal die Opposition hat niederschlagen lassen, dass die Presse zum Teil unterdrückt wird. Seit Beginn seiner Amtszeit hat Saakaschwili nicht den Dialog mit Abchasen oder Osseten gesucht, sondern die Konfrontation. Dass er dafür vom Westen nun belohnt wird, ist mehr als unverständlich.

    Russland indes hat sein politisches Kapital zu leichtfertig verspielt. Seit mehreren Tagen bewegt sich die russische Armee wie in ihrem eigenen Land.
    Quelle: tagesschau.de

    Anmerkung WL: Ein bemerkenswert ausgewogener Kommentar.

    Aber so wird eben über Netzwerke Meinung gemacht. Siehe:

  5. Der Klub der “Weisen Männer”
    In Rundfunk und Fernsehen treten immer wieder die “gleichen Verdächtigen” auf, die uns einschärfen, zu einem engen Bündnis zu den USA gäbe es keine Alternative. Wir erfahren die Namen dieser “Experten” und ihren politischen oder wissenschaftlichen Rang. Aber jenes Kriterium, warum Hans Ulrich Klose, von Kläden, Özdemir, Lambsdorff (Vater und Sohn), Münkler, Lepenies, und wie sie alle heißen, so auffällig oft befragt werden, bleibt im Verborgenen.

    Sie alle sind nämlich Mitglied eines hocheffizienten Netzwerks. Sie sind Teil einer “transatlantischen Community”. Und alle Wege der Atlantik-Bücke, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik oder auch der Blogger-Gruppe “Achse des Guten” weisen konzentrisch auf das Netzwerk der Netzwerke – den Council on Foreign Relations in New York.
    Quelle: Telepolis

  6. Euro-Zone droht eine Zerreißprobe
    Die Konjunkturkrise offenbart eine ökonomische Spaltung innerhalb der Euro-Zone: es gibt ein großes Gefälle der Wettbewerbsfähigkeit. Ökonomen und Politiker sehen die Euro-Länder vor einer äußerst harten Zerreißprobe. Für Peer Steinbrück ist die Zeit gekommen für eine Grundsatzdebatte.

    Das Problem sei hauptsächlich, dass die Südländer in der Euro-Zone massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben vor allem gegenüber Deutschland. So nahmen die Lohnstückkosten seit 1998 in Spanien um 53 Prozent zu, in Portugal um 35 Prozent, in Italien um 29 Prozent, in Deutschland aber nur um zwei Prozent. Gleichzeitig stiegen im Süden die Verbraucherpreise schneller, und in der Leistungsbilanz haben sich enorme Defizite von bis zu 16 Prozent der Wirtschaftsleistung aufgetürmt. “Während Deutschland hart an seiner ökonomischen Fitness gearbeitet hat, haben sich einige Südländer ausgeruht – das rächt sich jetzt”, erläuterte Jean Pisani-Ferry, Chef des Bruegel-Instituts in Brüssel.
    Quelle: Capital

    Anmerkung WL: Es war vorauszusehen, dass der „Exportweltmeister“ mit seiner „ökonomischen Fitness“ (will sagen reale Lohnsenkungen, Niedriglohnsektor, permanente Unternehmenssteuersenkungen, Abbau des Sozialstaates) vor allem die Hauptimportländer niederkonkurrieren wird. Jeder Exportüberschuss bedeutet Verlust von Arbeitsplätzen in den Importländern. Reallohnabbau bedeutet Senkung der Lohnstückkosten. Senkung der Binnennachfrage und damit Abbremsen der Konjunktur bedeutet geringere Inflationsrate.

    Von den 88,3 Milliarden Euro Ausfuhren aus Deutschlands allein im Juni 2008 gingen Waren im Wert von 56,5 Milliarden Euro in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union; umgekehrt wurden nur Waren im Wert von 45,5 Milliarden Euro von dort bezogen. D.h. in einem einzigen Monat hatten unsere europäischen Nachbarn einen Bilanzverlust von 11 Milliarden Euro. Dies bedeutet wiederum, dass sich diese Länder gegenüber Deutschland um diesen Betrag verschuldeten.

    Da in einer Währungsgemeinschaft den einzelnen Staaten z.B. durch eine Abwertung ihrer Währung keine währungspolitischen Instrumente zur Verfügung stehen, bleibt ihnen im Wettbewerb auf Dauer nur die Anpassung an die „ökonomische Fitness“ der Deutschen. Und das heißt ein Einschwenken auf die Agenda-Politik. So geht das Rennen nach unten weiter, in Italien, in Frankreich, in Spanien. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo sich die Menschen in den anderen Ländern dagegen wehren, und es wird dann leicht sein, die Deutschen als Sündenbock auszumachen.

    Da werden auf der politischen Ebene große Töne zur europäischen Einigung gespuckt, doch wirtschaftspolitisch tut Deutschland alles, um Europa zu spalten.
    Siehe hierzu auch einen Text von Flassbeck, Spiecker und Jäckel aus dem Jahr 2005: Die deutsche Lohnpolitik sprengt die Europäische Währungsunion [PDF – 176 KB]

  7. Deutscher Irrwitz
    Wenn es demnächst noch mehr Leuten an Geld mangelt, weil es mit der Konjunktur weiter bergab geht, sollten sie sich indes nicht über die Nationalökonomie wundern. Sondern über den hierzulande in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten herrschenden Irrwitz. Er zeigt sich beispielsweise als Wahrnehmungsstörung. Was, die Wirtschaft ist geschrumpft und droht in eine Rezession abzugleiten? Alles halb so wild, schließlich ist das erste Halbjahr doch “recht ordentlich” gelaufen, meint Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. Immerhin scheint der CSU-Politiker aber mit Schlimmerem zu rechnen und hat deshalb schon einmal eine Art staatlichen Impuls ins Gespräch gebracht. Die SPD übt sich derweil in Verdrängen. Man möge doch bitte nicht mit Kanonen (Ankurbelungsprogrammen) auf Spatzen (die Konjunktur) schießen, findet die Partei-Linke Andrea Nahles zu einem Vergleich, der die manische Depression der Sozialdemokraten schön widerspiegelt.

    Den Vogel schießt jedoch Norbert Walter ab. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank rechnet zwar mit einer Rezession; gegen den Abschwung gebe es aber kein Mittel, er sei eine notwendige Korrektur und jeglicher Versuch, mit Geldspritzen dagegen zu halten, von Übel, behauptet Walter. Einmal in Fahrt, empfiehlt er der Europäischen Zentralbank, die Leitzinsen zu erhöhen, falls die Lohnabschlüsse in den bevorstehenden Tarifrunden “so hoch bleiben”. Der Wahnsinn hat Methode. Dahinter steht nicht nur der Glaube, dass es die Märkte schon richten, wenn sich der Staat nur heraushält, sondern auch die Vorstellung von der notwendigen, weil reinigenden Krise: Erst müssen Produktionskapazitäten und damit Arbeitsplätze vernichtet werden, damit es dann “ballastfrei” aufwärts gehen kann. Diese Haltung könnte man als Sado-Masochismus bezeichnen, würde sie nicht überwiegend von jenen Leuten vertreten, die gegen finanzielle Schmerzen immun sind und Qualen gern anderen überlassen.
    Quelle: FR

  8. Lucas Zeise: Gefährlicher Zweckoptimismus
    Bundesbankpräsident Axel Weber tut alles, um die Inflationsgefahr so groß wie möglich zu reden: Er verharmlost die Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft. Damit macht er vor allem eins: er zeichnet ein viel zu positives Bild der deutschen Konjunktur.

    Jetzt, wo der Export als treibende Kraft wegbricht, wird sich die Schwäche des inländischen Konsums und der Investitionen aber als verheerend erweisen. Es wird der Regierung nichts anderes übrig bleiben, als ihre Abneigung gegen Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft zu überwinden. Sie sollte eine mehrere zehn Milliarden Euro umfassende Zahlung an die schwächsten Einkommensschichten veranlassen. Finanziert werden kann das durch drei Bundesanleihen, was bei den schon wieder krisenhaft niedrigen Zinsen kein Problem darstellt. Die Alternative zu staatlichen Stützungsmaßnahmen ist allzu grässlich: Sie heißt, dass dieses Konjunkturtal tiefer und breiter wird als die letzte Stagnationsperiode 2001 bis 2005. Schon damals wurde Deutschland zum Wachstumsschlusslicht, weil sinkende Realeinkommen die Gesamtnachfrage massiv dämpften.
    Sich jetzt von Daueroptimisten ablenken zu lassen wäre ein grober Fehler. Die Zeit drängt.
    Quelle: FTD

  9. Das Misstrauen wächst
    Regelmäßig holt sich die Politik Rat bei den führenden Ökonomen. Die Bevölkerung aber misstraut beiden mehr und mehr: den Wirtschaftsweisen und den Politikern. Musterbeispiele für die Berechtigung solchen Misstrauens liefert mindestens jeden Monat der Mann, den die Bild-Zeitung zu Deutschlands klügstem und bedeutendstem Wirtschaftsprofessor ernannt hat und dem wir oft im Fernsehen begegnen, vor allem in so genannten Talkshows. Wenn er oder sein Institut Analysen vorlegen oder Voraussagen machen, servieren die Wirtschaftsjournalisten der Monopolpresse ihrer Leserschaft diese Verlautbarungen so, als wären sie der Weisheit letzter Schluss – obwohl sie sich ständig widersprechen.

    Sicher stellt mancher die Frage, wie es kommt, dass die Monopolpresse ihn unentwegt weiter zitiert, kein Wort über seine dicht aufeinander folgenden Widersprüche verliert, sondern ihn als einen der ganz großen Wirtschaftsweisen lobpreist. Die Erklärung ist einfach. Denn er äußert sich immer verlässlich im Sinne des Kapitals und der neoliberalen Profiteure, zu denen er selbst gehört. So zitieren sie mit Wonne seine Worte von Anfang Juni: “Hartz IV macht nicht arm. Auf jeden Fall ist es in anderen EU-Staaten noch schlimmer.”
    Quelle: Linksnet

  10. Datenklau im Praxistest
    llegal an Daten heranzukommen, ist ein Kinderspiel. Nach dem Skandal um den Missbrauch von Bankverbindungen vergangene Woche machte Verbraucherschützer Gerd Billen den Praxistest. Er beauftragte einen Rechercheur mit der Sondierung des grauen Datenmarktes.

    Innerhalb von Stunden wurde dieser fündig und kaufte für 850 Euro eine Sammlung von sechs Millionen Datensätzen, die größtenteils Kontonummern enthielten. Billen übergab die Daten am Montag dem Berliner Datenschützer Alexander Dix, der umgehend Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft stellte.
    Quelle: FR

  11. Bundesverfassungsgericht soll Vorratsdatenspeicherung aussetzen
    Bei dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist letzte Woche ein Antrag auf einstweilige Aussetzung des Gesetzes zur Vorratsspeicherung aller Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten in Deutschland eingereicht worden. Der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik stellt den Antrag im Namen von über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern, die gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben haben.Nachdem ein ähnlicher Antrag im März lediglich dazu führte, dass das Bundesverfassungsgericht die Herausgabe auf Vorrat gespeicherter Verbindungsdaten auf schwere Straftaten beschränkte, rechnen sich die Beschwerdeführer diesmal gute Chancen auf eine Aussetzung der Datenspeicherung selbst aus.
    Quelle: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
  12. Datenschutz ist Verbraucherschutz: 30 Jahre altes Datenschutzrecht muss dem Zeitalter der Informationstechnologie angepasst werden
    Der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) Gerd Billen, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar und der stellvertretende Vorsitzende beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Bernd Carstensen warnten in Berlin vor einem ungezügelten Datenhandel und zunehmendem Missbrauch. Sie forderten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Fraktionen des Deutschen Bundestages auf, die gesetzlichen Grundlagen zu verbessern. Die gerade vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwürfe zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes und zur Telefonwerbung böten die Grundlage hierfür. Zudem riefen sie dazu auf, die Laissez-Faire-Haltung bei der Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu beenden. Generell sollten Verbraucher auf Geschäfte verzichten, die ein Einverständnis zur Datenweitergabe voraussetzen. Zudem sollte man nur solchen Geschäftspartnern sensible Daten wie etwa die Kontoverbindung nennen, die man selbst aus freien Stücken kontaktiert hat und die vertrauenswürdig sind. Die Devise müsse sein: “Wen ich nicht kenne, der kriegt keine Daten.” Datensparsamkeit sei der beste Datenschutz: So wenig Daten wie möglich, nur so viele wie unbedingt nötig. Wer sorglos mit seinen Daten umgehe, müsse sich nicht wundern, Opfer von Werbeanrufen oder unseriösen Geschäften zu werden.

    “Datenmissbrauch muss endlich wirksam unterbunden werden und Geschäfte, die durch unerlaubte Anrufe angebahnt wurden, unwirksam sein”, sagte Gerd Billen. Die Datensammelwut müsse eingeschränkt, der Datenhandel erschwert und Kontrollen und Sanktionen verschärft werden. Ohne schriftliche Bestätigung müssten am Telefon abgeschlossene Verträge unwirksam sein. Eine Ausweitung der Widerrufsmöglichkeiten reiche hier nicht aus. Billen: “Der Missbrauch wird erst dann aufhören, wenn er sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt.”
    Quelle 1: Verbraucherzentrale Bundesverband
    Quelle 2: Verbraucherzentrale Bundesverband

  13. Warum Wasser in Deutschland so teuer ist
    Nirgendwo kostet Wasser mehr als in Deutschland. Die Deutschen zahlen fünfmal so viel wie die Amerikaner. Beim Trinkwasser gibt es keinen freien Wettbewerb, der Staat setzt die Preise fest, der Lieferant kann nicht frei gewählt werden. Das hat aber auch einen Vorteil: Der Wasserpreis bleibt über Jahre hinweg stabil.
    Quelle: Die Welt

    Anmerkung unseres Lesers P.F.: Der Artikel zeigt m.E. in eklatanter Weise, wie gezielt Meinung gegen die öffentlich-rechtlich organisierte Wasserversorgung in Deutschland gemacht werden soll. In dem Artikel finden Sie einen eher willkürlich anmutenden Referenzpreis für den Vergleich mit anderen Ländern (gewerbliche Wasserkunden mit einer Abnahmemenge von 10 000 Kubikmeter Wasser pro Jahr), wohl deshalb, weil er sich am besten zur Stützung der “These” der “Meldung” eignet. Ein Durchschnittspreis, ggf. noch regional differenziert, wäre inhaltlich angemessener gewesen, aber dann hätte es ja die Botschaft der Autoren “verwässert”.

    Zudem fehlen jegliche Verweise auf Beispiele in anderen Ländern (z.B. GB, Südafrika), welche die negativen Konsequenzen von Wasserprivatisierungen für die Menschen aufzeigen. Von einer Verbesserung zugunsten der Allgemeinheit durch Privatisierung kann doch keine Rede sein (s. z.B. auch hier ). Außerdem fehlen jegliche Vergleiche zur Qualität des Wassers, bspw. zwischen Deutschland (mit höchsten Standards ohne Chemiezusatz) und bspw. den erwähnten U.S.A.

    Noch ein Wort zu den quersubventionierten örtlichen Projekten: Ich denke mal, dass der Mehrheit der BürgerInnen eine Subventionierung örtlicher Projekte über den Wasserpreis zum Wohle des Gemeinwesens mit einer Wertschöpfung vor Ort lieber ist als ein entsprechender Shareholder Value für die Kapitaleigner auf Kosten der Allgemeinheit.

  14. Strompreise sollen 2013 noch einmal kräftig steigen
    Neue Kostenlawine für Verbraucher: Umweltminister Gabriel und die Energiebranche erwarten für das Jahr 2013 eine weitere Verteuerung der Strompreise um 15 bis 20 Prozent.

    “Wir gehen von jährlich bis zu zehn Milliarden Euro aus”, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) dem “Handelsblatt” zur geplanten Vollversteigerung von Verschmutzungsrechten in der Energiewirtschaft. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erwarte dann nochmals eine Erhöhung der Strompreise um 15 bis 20 Prozent. In den letzten zehn Jahren sei der Strompreis für einen durchschnittlichen Drei-Personen-Haushalt bereits um 26 Prozent gestiegen. Derzeit werden die Kohlendioxid-Anteile nur zu 10 Prozent versteigert, der Rest der staatlichen Zuteilungen weiterhin den Unternehmen geschenkt.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung: Hier werden schon die Argumente für die nächst Strompreiserhöhung vorbereitet.
    Statt auf höhere Energieeffizienz, Blockheizkraftwerke und alternative Energien zu setzen, wird einfach die bisherige Strategie der Großkraftwerke fortgesetzt, und die Kosten für die Verschmutzungsrechte werden auf den Verbraucher umgelegt.

  15. Atomstrom ist nicht billig
    Energie wird teuer? Dann muss eben Atomstrom her. Doch AKWs wirken nur kostengünstig, weil die staatlichen Subventionen konsequent verschwiegen werden
    Quelle: taz
  16. Mehdorn zockt ab
    Bahn AG steigert im ersten Halbjahr erneut Gewinn – und plant Preiserhöhungen. Verkehrsverbünde beklagen marode Infrastruktur und verlangen Zweckbindung von Zuschüssen.
    Quelle: junge Welt
  17. Mehdorn macht die Tickets teurer
    Trotz steigender Gewinne kündigt die Bahn eine Fahrpreiserhöhung an. Ungeklärt ist noch, wann der Konzern an die Börse geht. …Trotz deutlich geschrumpfter Investitionen im ersten Halbjahr, die um mehr als sieben Prozent gefallen waren, werde die Bahn laut Finanzvorstand Diethelm Sack 2008 ähnlich viel Geld ins Netz stecken wie im vergangenen Jahr. Die Zahlen würden sich während der nächsten Monate “auspendeln”.
    Quelle: FR
  18. Störfeuer
    Die Art, wie Mehdorn auf Kritik reagiert, lässt Zweifel aufkommen, dass dieser Börsengang wirklich Substanz besitzt. Zumal der Bahnchef alle Parameter offen lässt: Wie viel Geld er einnehmen und wohin er es stecken will, benennt er lediglich in Stichwörtern. Auch Unternehmensziele werden allenfalls so beschrieben: Die Deutsche Bahn soll das “weltweit führende Mobilitäts- und Logistikunternehmen” werden. Fraglich ist nur, ob das dem deutschen Fahrgast auch nützt.
    Quelle: FR
  19. Gesundheitssystem: Es geht um Merkels Macht
    Die Kanzlerin hat ihre Person mit der Gesundheitsreform verknüpft, jede Kritik daran ist auch eine Kritik an ihr. Der Fonds wird zu einer Projektionsfläche, um Merkel zu schaden.

    Viele Menschen hatten von der großen Koalition Großes erwartet. Sie hofften, zwei Mächtige würden genug Kraft entfalten, um gegen Lobbys zu regieren. Die Union hat aber früh der Mut verlassen, an die Macht von Ärzteverbänden und Privatversicherern wagt sie sich kaum heran. Das ist ungewöhnlich, da sich CDU und CSU als Volksparteien verstehen, und Edmund Stoiber oft sagt, dass er sich für die Menschen in der Leberkäs-Etage einsetzt.

    In der Gesundheitspolitik verkörpert er eher den Geist der Beletage. Die Not der Kassenpatienten, immerhin 90 Prozent der Deutschen, kümmert die Union wenig. Ihnen wollen CDU und CSU mehr und mehr aufbürden. Sie sollen neben dem normalen Kassensatz hohe Extrabeiträge zahlen und möglichst eine private Versicherung abschließen, um die Unfallkosten beim Fußballspielen abzudecken. Dagegen verurteilen die Unionsoberen jeden Hauch von Veränderung bei den Privatpatienten als sozialistische Verschwörung. Mit Volkspartei hat das wenig zu tun, eher mit Klientelpolitik.

    Die Aussichten für die Zukunft des Gesundheitswesens sind trüb. An die wahren Privilegien traut man sich nicht, dafür gibt es eine Reform, die am Grundproblem wenig ändert. Die Kassenbeiträge werden kräftig steigen, was es bei keiner Gesundheitsreform seit Helmut Schmidt gegeben hat.
    Quelle: SZ

    Rückblende 2006:

    Reformpläne: Schwarz-Rot gibt sich noch zwei Wochen
    Bis in die Nacht diskutierten die Spitzen der Koalition über die Gesundheits- und die Föderalismusreform, dann erklärte SPD-Vorsitzende Beck: “Wir kommen gut voran”. Der Durchbruch lässt jedoch weiter auf sich warten.

    Ein Hauptstreitpunkt ist die Frage, ob und wie die privaten Krankenversicherungen in einen Gesundheitsfonds zur Finanzierung des Systems einbezogen werden könnten. Ein Gesundheitsfonds würde Beitrags- und Steuergelder sammeln und als Pauschalen an die Krankenkassen weiterleiten. Er könnte damit einen Mittelweg zwischen den widerstreitenden Vorstellungen von Union und SPD eröffnen.

    Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber sprach vor der Spitzenrunde von einem „wichtigen Zwischenschritt“. Er betonte jedoch, die private Krankenversicherung dürfe „in keinster Weise“ in einen Fonds einbezogen werden. Dies sei klare Position der CSU. „Es wäre ein Treppenwitz, wenn wir ein funktionierendes System schleifen würden“, sagte der bayerische Ministerpräsident
    Quelle: SZ

  20. Wohnungsbau: Im freien Fall
    Der Wohnungsneubau befindet sich weiterhin im freien Fall. Die Baufertigstellungszahlen haben im vergangenen Jahr mit 211.000 Wohnungen einen Nachkriegstiefststand erreicht. Da die Genehmigungen ebenfalls auf einen Tiefststand von 182.000 gefallen sind, werden für dieses Jahr weniger als 200.000 Wohnungsfertigstellungen erwartet. Das teilt das ifs Städtebauinstitut in Berlin mit.

    Von den vor 1948 errichteten Wohnungen sind fast 8 Millionen sanierungsbedürftig. Dabei handele es sich nicht nur um Mehrfamilienhäuser, sondern auch um Einfamilienhäuser. Nach einer Untersuchung von Dekra sei fast jedes dritte Einfamilienhaus in Deutschland renovierungsbedürftig. Obwohl hier der Bestand noch relativ jung sei, wiesen die Eigenheime einen hohen Instandsetzungsbedarf auf.
    Quelle: FAZ

  21. Auch das Verwaltungsgericht Augsburg setzt sich über Bundesverfassungsgericht hinweg
    Das Verwaltungsgericht Augsburg hat Ende vergangene Woche die Klage eines Lehrers an der Volksschule Westheim in Schwaben gegen Kruzifixe in Klassenzimmern abgewiesen. Zur Begründung wurde auf die »besondere Gehorsams- und Neutralitätspflicht« von Beamten verwiesen. Damit bleibt es im Freistaat Bayern dabei, dass sich das Landesrecht über die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 zur Trennung von Kirche und Staat hinwegsetzt.
    Quelle: jungewelt
  22. Die deutsche Fabrik und ihre Opfer
    Nach dem Großbrand, bei dem im Dezember 2007 in Turin sieben Arbeiter ums Leben kamen, steht in Italien die Konzernleitung von Thyssen-Krupp vor Gericht. Der Führung des deutschen Konzerns werden fahrlässige Tötung, Brandstiftung und die bewusste Missachtung von Sicherheitsstandards vorgeworfen. Durch Entschädigungszahlungen versucht das Unternehmen, sich aus der Affäre zu ziehen.
    Quelle: Jungle World
  23. Vorgeführte Verführte
    Die Liste derjenigen Prominenten, die von der herrschenden Ideologie – auch wenn diese behauptet, vollkommen ideologielos zu sein – vereinnahmt und verführt wurden, ist schier unendlich. Jedenfalls macht die Riege der Prominenz, die sich für „Einstiege in Arbeit“ stark macht, nur einen kleinen Posten in der gesamten Auflistung aus. Schon oft gaben in den letzten Jahren bekannte Gesichter, die sich sonst eigentlich fern von Politik und Wirtschaft aufhielten, ihren mittelmäßig bis guten Namen her, um sich als Werbefigur für eine Initiative, Kampagne oder eines reformprofitierenden Unternehmens, als prominenter Antreiber zu neuen Reformen oder einfach nur als stillschweigender Optimist ausnutzen zu lassen. Eine kurze, ergänzungswürdige Auflistung.
    Quelle: ad-sinistram
  24. “Frau Raffzahn” zu krank für Schmiergeld-Prozess
    Die im Zusammenhang mit angeblichen Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe wegen schweren Betrugs, Falschaussage und Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagte CDU-Politikerin Agnes Hürland-Büning muss keine Verurteilung mehr fürchten. Das Landgericht Düsseldorf hat das Verfahren gegen die frühere Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium und Industrielobbyistin “wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten” endgültig eingestellt. Dies berichtet die in Essen erscheinende Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ, Montag).

    “Eine gerichtliche Verhandlung wäre für die Angeklagte in ihrem gegenwärtigen Zustand lebensbedrohlich”, sagte eine Sprecherin des Landgerichts Düsseldorf der WAZ. Nach einem neuen medizinischen Gutachten sei die inzwischen 82 Jahre alte Dorstenerin “aktuell und in Zukunft keinesfalls auch nur zeitweise fähig und in der Lage, unter kalkulierbarem Risiko an einer gerichtlichen Verhandlung teilzunehmen”.

    Wegen ihrer besonders zupackenden Art hatte Hürland sich im Ministerium den Spitznamen “Mutter Courage von der Hardthöhe” erworben. Als nach ihrem Abschied aus dem Ministerium bekannt wurde, sie habe für nach Angaben der Staatsanwaltschaft “wertlose Beratung” Millionenbeträge von Thyssen (Waffen), Elf Aquitaine (Öl) und E-Plus (Telekommunikation) erhalten, taufte die Boulevardpresse sie in “Frau Raffzahn” um.

    Nach dem Bericht des Untersuchungsausschusses zur Spendenaffäre schloss Hürland-Büning nach ihrer Zeit im Verteidigungsministerium Beraterverträge über 10 Millionen DM ab. Dafür setzte sie sich zum Beispiel gegen den Bau einer Pipeline von Wilhelmshaven nach Leuna ein, die das Raffinerieprojekt in Sachsen-Anhalt hätte gefährden können.
    Hürland-Büning, 1987 von Helmut Kohl ins Ministerium geholt, soll auch in die CDU-Spendenaffäre (illegale Parteispenden auf schwarzen Konten) verstrickt gewesen sein.
    Quelle: Linkszeitung

  25. Das Parlament blutet aus
    Rainer Wend, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, tritt 2009 nicht wieder für den Bundestag an, dem er seit 1998 angehört.
    Mit Wend, einem der letzten bekennenden „Frogs“ (Friends of Gerhard Schröder), verliert die SPD einen der wenigen Abgeordneten mit profundem wirtschaftspolitischem Sachverstand.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung: Wend, einen der lautstärksten Papagei-Papageien (Tucholsky) der Wirtschaftsverbände, nennt die FAZ einen Abgeordneten „mit profundem wirtschaftspolitischen Sachverstand“.

    Wetten, dass Wend zum Dank für seien Lobbyismus im Gewand eines Abgeordneten alsbald einen lukrativen Job bei seinen früheren Einflüsterern bekommen wird?

  26. Ein Grüppchen Parlamentarier fühlte sich nicht genug hofiert auf der Dienstreise nach Amerika
    Ihre Beschwerden sind ein Dokument der Peinlichkeit. Die Diplomaten im sonnigen Kalifornien werden oft heimgesucht von Parlamentariern. Die Beamten sind einiges gewohnt. Normalerweise schweigen sie. Aber dieses Mal haben sich die Volksvertreter offenbar so “unangemessen bis schikanös” verhalten, dass der Generalkonsul seinem Ärger Luft machen musste.

    Auch die Reisenden glühen noch Monate später vor Zorn, fast alle fühlen sich schlecht behandelt: “Es war nicht der Standard, den wir gewohnt sind”, sagt Widmann-Mauz. Deutlicher wird Randolph Krüger, Sekretär des Ausschusses: “Die Leute vom Konsulat sind wohl gewohnt, betrunkene Touristen aus einer Gefängniszelle zu holen, wissen aber nicht, welchen Service sie für Bundestagsabgeordnete zu leisten haben.”
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung unseres Lesers K.F.: Armes Deutschland

  27. Einschaltquote mit Elend: Verbände sprechen von “Hetzjagd”
    Am Mittwoch startet die Sat.1.-Dokureihe “Gnadenlos gerecht”. Darin ermitteln Sozialarbeiter angebliche Hartz-IV-Schmarotzer. Schon jetzt regt sich Protest. Veranstaltet der Sender eine “öffentliche Hetzjagd” auf sozial Schwache?
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung: Der SPIEGEL räumt den Bedenken gegen diese Sendung für seine Verhältnisse viel Platz ein.

  28. Ypsilanti und die Union
    18. August 2008 Politik ist kein Nullsummenspiel, in dem der Nachteil des einen zwangsläufig zum Vorteil des anderen ausschlägt. Die “erheblichen Risiken”, die sich nach dem Befund der SPD-Führung aus Frau Ypsilantis Machtstreben ergeben, bringen für die Union nicht besondere Sicherheit, sondern gleichfalls nicht abzuschätzende Risiken hervor.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung KR: Solche Einsichten sucht man in der SPD außerhalb Hessens vergebens: „Das größte Risiko für die Union – für CDU und CSU gleichermaßen – steckt jedoch in einem Erfolg von Frau Ypsilanti. Es wäre nicht das erste Mal, dass wesentliche Teile der Öffentlichkeit sich unvermittelt dem Sieger anschließen, obwohl sie im Fall der Niederlage desselben Politikers nur Hohn und Spott für ihn übrig hätten. Von da an hätte die SPD im westdeutschen, aber auch im gesamtdeutschen Fünf-Parteien-System die Nase leicht vorne. … Das Risiko der programmatischen Öffnung der SPD für die Zusammenarbeit mit der Linkspartei – das ist es, was neben der Wählerresonanz die rechten Sozialdemokraten wie Beck, Steinbrück und Steinmeier umtreibt – gebiert das Risiko für die Union, mit ihrer Programmatik reagieren zu müssen.“ Das klingt doch durchaus vielversprechend.

  29. Hundert Eckpunkte, aber kein Programm
    Die Fraktion der Linkspartei im Bundestag will den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen, die Partei habe kein Programm: Verkleidet als „100 wichtige Initiativen der Bundestagsfraktion“ hat sie lauter kurze Slogans auf einem Faltblatt mit dem Titel „Das 100-Punkte-Programm“ zusammengestellt. Es sei eine „Fundgrube“ für andere Parteien, heißt es.
    Quelle 1: FAZ
    Quelle 2: Das 100-Punkte Programm [PDF – 168 KB]

    Anmerkung WL: Sind 100 konkrete, politische Forderungen (ob sie nun richtig sind oder nicht, ob sie umsetzbar sein mögen oder nicht) nicht ein viel konkreteres Programm als die Quodlibets in den Grundsatzprogrammen von CDU und SPD mit beliebig vielen, schönen Grundsätzen?

  30. US-Wahl: Hintertürchen für Lobbyisten
    John McCain und Barack Obama wollen den Einfluss von Interessengruppen reduzieren. Doch die Nominierungsparteitage beider Parteien sind ein Fest für Lobbyisten. Mehr als 40 Millionen Dollar in bar will jede Partei akquirieren, um die gigantische, viertägige Show auf die Beine zu stellen. Dabei wird den Spendern unverhohlen politischer Nutzen in Aussicht gestellt.

    Nicht ohne Grund kritisiert das von mehreren Stiftungen finanzierte Campaign Finance Institute der George Washington Universität die Nominierungsparteitage als “die letzten Schlupflöcher für Großspenden”. Denn seit dem von John McCain vor sechs Jahren initiierten Wahlkampf-Finanzierungsgesetz sind hohe Barspenden von Unternehmen oder Interessenvertretungen schlichtweg verboten. Einzig die Planungsausschüsse der Parteitage dürfen solche Schecks noch annehmen.
    Quelle: Zeit

  31. Humboldt besiegt das Kapital?
    Der Senat der Universität Siegen setzt sich im Kampf um die Neuwahl des Rektors durch – gegen den mit Firmenchefs besetzten Hochschulrat. Doch der Streit um die Macht an der Uni in Nordrhein-Westfalen wird nur aufgeschoben.
    Quelle: TAZ

    Anmerkung: „Fremdbestimmung“ sei durchaus legitim, meint die Vertreterin des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung (INCHER) in Kassel, Barbara M. Kehm: “Die Universitäten haben mehr Freiheiten erhalten. Im Zuge dessen ist es natürlich, wenn gesellschaftliche Vertreter Mitspracherechte bekommen.” Das müsse kein Eingriff in die Freiheit von Lehre und Wissenschaft sein.

    Freiheit durch Fremdbestimmung. Statt demokratisch verantwortete und sich selbst verwaltende Hochschule von Unternehmern gesteuerte „unternehmerische“ Hochschule.

    Siehe dazu auch:

    Burgfrieden in Siegen – Streit um Rektorenstelle zwischen Hochschulrat und Senat
    Der Hochschulrat war streng nach den Buchstaben des Hochschulfreiheitsgesetzes vorgegangen: Laut Gesetz wählt das Aufsichtsgremium das Rektorat oder Präsidium, notfalls mit Zweidrittelmehrheit – auch gegen den Willen des Senats. In Siegen formierte sich prompt der Widerstand. Der Hochschulrat musste den Rückzug antreten – gegen eine so geschlossene Haltung konnte er seinen Favoriten Jörg Steinbach nicht durchsetzen.
    Quelle: DLF


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