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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 11. Oktober 2011 um 9:27 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Staatstrojaner: Eine Spionagesoftware, unter anderem aus Bayern; Eurokrise; Bloomberg wettert gegen Wall-Street-Proteste; »Bankensystem unter öffentliche Kontrolle stellen«; Finanzkrise: Macht uns der Euro arm?; Weg mit dem Wirtschaftnobelpreis; Das Prinzip des Wett- bzw. Spieleinwandes als Mittel der Finanzmarktregulation; »Es geht auch um Wertschätzung«; Wulff lobt Gewerkschaften für Lohnzurückhaltung; Auf dem Holzweg; Die Unkündbaren schlagen zurück; Bahn AG droht Zerschlagung; Frank Wehrheim – Ein Insider packt aus: Über die Probleme, die Reiche, Superreiche und Regierende mit ihrer Gesetzestreue haben; Polnischer Pragmatismus; Quo vadis, Linkspartei? (MB/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Staatstrojaner: Eine Spionagesoftware, unter anderem aus Bayern
  2. Eurokrise
  3. Bloomberg wettert gegen Wall-Street-Proteste
  4. »Bankensystem unter öffentliche Kontrolle stellen«
  5. Finanzkrise: Macht uns der Euro arm?
  6. Weg mit dem Wirtschaftnobelpreis
  7. Das Prinzip des Wett- bzw. Spieleinwandes als Mittel der Finanzmarktregulation
  8. »Es geht auch um Wertschätzung«
  9. Wulff lobt Gewerkschaften für Lohnzurückhaltung
  10. Auf dem Holzweg
  11. Die Unkündbaren schlagen zurück
  12. Bahn AG droht Zerschlagung
  13. Frank Wehrheim – Ein Insider packt aus: Über die Probleme, die Reiche, Superreiche und Regierende mit ihrer Gesetzestreue haben
  14. Polnischer Pragmatismus
  15. Quo vadis, Linkspartei?

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Staatstrojaner: Eine Spionagesoftware, unter anderem aus Bayern
    Eine der Quellen für die vom CCC analysierte staatliche Spionagesoftware kommt aus Bayern. Insgesamt soll es aber mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen des CCC für die Spionagesoftware geben. […]
    Der Fall, in dem der Staatstrojaner eingesetzt wurde, ging keineswegs um Schwerstkriminalität oder Terrorismus. Betroffen war der Angestellte einer Firma, erklärte Schladt anfang des Jahres zum Verfahren um den Einsatz des Trojaners, die dem Handel von Pharmaprodukten zu tun hat, die in Deutschland nicht unter das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) fallen, unter Umständen aber bei der Ausfuhr juristisch zu Betäubungsmitteln “mutieren” […]
    Mittlerweile bestätigte das bayerische Innenministerium, dass zumindest einer der dem CCC zugespielten Staatstrojaner von bayerischen Strafverfolgern stammt. Die Erstbewertung des bayerischen LKA habe ergeben, dass “die dem CCC zugespielte Software einem Ermittlungsverfahren der bayerischen Polizei aus dem Jahr 2009 zugeordnet werden kann. […]
    Herrmann betonte weiter, dass die Quellen-TKÜ eine gesetzlich vorgesehene Maßnahme zur Strafverfolgung im Kampf gegen schwere Verbrechen sei. Bisher sei das Abhören verschlüsselter Telekommunikation stets im rechtlichen Rahmen erfolgt. Herrmann ging nicht weiter darauf ein, warum es sich in dem Strafverfahren, aus dem der von Rechtsanwalt Schladt an den CCC weitergeleitete Staatstrojaner stammt, um ein Schwerverbrechen gehandelt haben soll.
    Quelle: Heise

    Anmerkung JB: Einen erstaunlichen Hintergrundartikel über den konkreten Einsatz des bayerischen „Staatstrojaners“, um den es heute geht, hat der SPIEGEL im bereits im Februar veröffentlicht. Interessant ist auch der letzte Satz des Artikels:

    „Doch wo ist der Spion heute? Drei Monate durfte er laut Genehmigung des Amtsgerichts auf dem Laptop lauschen. Danach wurde der Computer bei einer Durchsuchung einkassiert und wanderte in die Asservatenkammer. Wenn das Programm der eigenen Leistungsbeschreibung gefolgt ist, hat es sich dort inzwischen selbst zerstört.“

    Natürlich kann sich ein Programm nicht „selbst zerstören“, wenn der betreffende Rechner ohne Stromanschluss in der Asservatenkammer untergebracht ist. Wie lange der Trojaner tatsächlich im Einsatz war, weiß wohl nur der CCC. Der justistische Hintergrund hat jedoch das Zeug zu einem handfesten Skandal: Die Genehmigung des Trojanereinsatzes wurde vom AG Landshut am 2.4.2009 erteilt und nach Klage des Beschuldigten am 20.1.2001 vom LG Landshut abgeändert [PDF – 740 KB]. Schon die Genehmigung des AG Landshut untersagte jedoch explizit Überwachungsmaßnahmen, die über die reine Telekommunikationsüberwachung hinausgehen. Wie das LG Landshut bestätigt, haben sich die Behörden jedoch nicht an diese klare Vorgabe gehalten. Nicht nur die Software als solche ist gesetzeswidrig, sie wurde auch mit Vorsatz von den bayerischen Behörden gesetzeswidrig eingesetzt, indem man die Einschränkungen des AG Landshut missachtete. Wenn der bayerische Innenminister Herrmann jetzt verkündet, man habe sich „stets im rechtlichen Rahmen“ bewegt, so ist dies eine klare Lüge. „Man“ hat von Beginn an gegen die klar formulierten Auflagen des AG Landshut verstoßen. Der beste Schutz gegen Gesetzeshüter, die das Gesetz nicht beachten, ist es, die Software so zu beschränken, dass sie gar nicht entgegen der Gesetze eingesetzt werden kann.

    dazu: Auf der Spur des Trojaners
    Die illegale Späh-Software stammt aus Bayern, programmiert hat den Staatstrojaner der hessische Sicherheitsspezialist DigiTask. Die Abhörspezialisten haben schon öfter negative Schlagzeilen gemacht.
    Quelle: Wirtschaftswoche

  2. Eurokrise
    1. Berlin hat mal wieder zu laut gedacht
      Eine Lehre lässt sich aus den Turbulenzen im Euro-Raum mittlerweile zweifelsfrei ziehen: Die Bundesregierung hat ein ganz ordentliches Talent dafür, die Krise mit ihrem Gerede zu verschärfen.
      Wir erinnern uns an den Gipfel in Deauville vor knapp einem Jahr, wo Bundeskanzlerin Merkel in den Raum stellte, private Gläubiger am Ausfall der Ausstände beteiligen zu wollen. Die Risikoaufschläge für die Schuldenstaaten schossen so steil in die Höhe wie lange nicht.
      Nun stehen die Chancen nicht schlecht, dass wir es wieder einmal mit einem kräftigen Merkel-Aufschlag zu tun bekommen. In Berlin nämlich ist man sich auf der Regierungsbank weitgehend einig darüber, dass Griechenland um eine Staatspleite nicht mehr herumkommt – und Merkel will mit ihrer relativ neuen Überzeugung offenbar nicht länger hinterm Berg halten. Mehr noch, Deutschland drängt die Partner hinter den Kulissen immer deutlicher vernehmbar in diese Richtung.
      Quelle: FTD
    2. Studie zur Volksgesundheit – Finanzkrise macht die Griechen krank
      Die Wirtschaftskrise macht den Griechen zu schaffen – und das nicht nur finanziell. Laut einer neuen Studie zerfällt das staatliche Gesundheitswesen, die Zahl von Suiziden und Krankheitsfälle steigt rapide. Schon warnen Mediziner vor einer “griechischen Tragödie”.
      Quelle 1: SPIEGEL Online
      Quelle 2: The Lancet: Health effects of financial crisis: omens of a Greek tragedy
    3. Die nationale Revolution – Aufstand gegen Brüssel
      Brüssel wird immer gern als bürokratisches Monster beschimpft, aber da gibt es noch brutalere Töne. Von “Diktatur” ist die Rede, und sogar den völkischen Begriff der “Zinsknechtschaft” nehmen einige in den Mund. Zum Beispiel in Ungarn. Dort regiert der rechtsnationale Ministerpräsident Orban, er träumt von der Wiedererlangung der nationalen Souveränität seines Landes, gern auch unterstützt mit Geld aus China. Aber auch anderen Populisten ist jedes Mittel im Kampf gegen Brüssel recht. In Frankreich wollen Rechte und Linke mit anti-europäischen Parolen Stimmen sammeln. An der Slowakei könnte morgen der Euro-Rettungsschirm scheitern. Wird das geschwächte Europa gerade auf einen neuen Kurs gedrängt?
      Quelle: hr2 Der Tag [MP3]
  3. Bloomberg wettert gegen Wall-Street-Proteste
    New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg hat der Anti-Wall-Street-Bewegung nun vorgeworfen, Arbeitsplätze in der Stadt vernichten zu wollen. Sollten Finanzmarktjobs aus New York verschwinden, gebe es kein Geld mehr, um die Stadtangestellten zu bezahlen, die Parks zu säubern oder sonstige Aufgaben zu erledigen, warnte Bloomberg in seiner wöchentlichen Hörfunksendung. Die Proteste seien zudem schlecht für den Tourismus. Unter den Demonstranten seien allerdings auch Menschen, die legitime Klagen hätten, sagte Bloomberg. Der Finanzplatz Wall Street ist eine Stütze der New Yorker Wirtschaft und stellt 13 Prozent des Steueraufkommens.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Einmal abgesehen davon, dass Michael Bloomberg selbst wie nur wenige die Wall Street verkörpert, zeigt das Beispiel New York fast klassisch den Gegensatz von Partikularinteressen und Gemeinwohl. Pikant ist, dass sich das Partikularinteresse auf einen ganzen Bundesstaat bezieht. Allerdings kennen wir in Europa dieses Phänomen auch. So muss jede Finanzmarktregulierung der EU zunächst vor den Augen der Londoner City bzw. ihrem verlängerten Arm in der Politik bestehen. Das Gemeinwohl in den USA erfordert eine deutliche Schrumpfung der Finanzdienstleistungen auf ihr Kerngeschäft, andererseits hängen Einkünfte, Beschäftigung und Steuern in New York deutlich vom Wohlergehen der Wall Street ab – wie auch mancher Wahlkämpfer in Washington.

    dazu: Paul Krugman – Panic of the Plutocrats
    It remains to be seen whether the Occupy Wall Street protests will change America’s direction. Yet the protests have already elicited a remarkably hysterical reaction from Wall Street, the super-rich in general, and politicians and pundits who reliably serve the interests of the wealthiest hundredth of a percent.
    Quelle: New York Times

  4. »Bankensystem unter öffentliche Kontrolle stellen«
    Internationaler Aktionstag: Am Samstag wird auch in über 40 deutschen Städten demonstriert. Ein Gespräch mit Mike Nagle
    Quelle: Junge Welt

    dazu: Internationaler Aufruf für den 15. Oktober (dt. Übersetzung) – 15. Oktober – Globale Revolution
    Am 15. Oktober werden wir Bürgerinnen und Bürger der ganzen Welt auf die Strasse gehen, um unsere Empörung über den Verlust unserer Rechte zu zeigen – Rechte, die uns durch ein Bündnis zwischen grossen Unternehmen und der politischen Klasse entzogen werden. Wir von der Bewegung «Democracia Real Ya!» laden euch ein, an dieser friedlichen internationalen Protestaktion teilzunehmen, indem ihr euch unserem Aufruf anschliesst oder indem ihr eure eigenen Aufrufe für dieses Datum erlässt. Es ist der Augenblick gekommen, die Stimme zu erheben. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel, und niemand kann der Kraft von Millionen von Menschen trotzen, wenn sie sich in gemeinsamer Absicht vereinen. «Democracia Real Ya!» ist eine spanische Koordinationsplattform von unterschiedlichen Gruppen zur Mobilisierung von Bürgerinnen und Bürgern. Unter der Devise «Wir sind keine Marionetten in den Händen von Politikern und Banquiers» gingen wir am 15. Mai zu Tausenden auf die Strasse, um mehr demokratische Teilhabe zu fordern, uns gegen die Korruption des politischen Systems aufzulehnen und unseren Einspruch gegen die Kürzungen im Sozialbereich zu bekunden. Nach dem Erfolg dieser ersten Kundgebung entstanden unterschiedliche Bewegungen, und auf vielen Plätzen des ganzen Landes wurden Zeltlager aufgebaut, ganz ähnlich der ersten Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo. Dort wurden Volksversammlungen durchgeführt, wo die BürgerInnen ihre Ziele in einem horizontalen, alle Anwesenden einschliessenden Entscheidungsprozess entwickelten. Die Bewegung 15M strahlte bald über die Landesgrenzen hinaus und ermutigte in vielen Städten der Welt zu Aktionen, darunter am vergangenen 19. Juni zu einer koordinierten Massenkundgebung gegen den Euro-Pakt. Unter dem Druck der Finanzherrschaft arbeiten unsere Regierenden zugunsten ein paar weniger, ohne sich um die sozialen, menschlichen und ökologischen Kosten zu kümmern, die dadurch entstehen können. Die herrschenden Klassen rauben uns das Rechts auf eine freie und gerechte Gesellschaft, indem sie Kriege mit wirtschaftlichen Zielen führen und ganze Völker ins Elend stürzen.
    Quelle: Attac

  5. Finanzkrise: Macht uns der Euro arm?
    Der Euro hatte es seit der Bargeldeinführung 2002 nie leicht: Bald wurde er als „Teuro“ abgestempelt, und seit der Dauerkrise der Gemeinschaftswährung wollen laut „Stern“-Umfrage 54 Prozent der Deutschen die D-Mark zurück. Doch tatsächlich war die Inflation zu DM-Zeiten höher als heute, das „Teuro-Gefühl“ hat eine andere Ursache. […]
    Das Teuro-Gefühl hat eine andere Ursache: Die politisch geförderte Ausuferung des Niedriglohnsektors und anderer prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Inzwischen sind hierzulande über 13 Millionen Menschen atypisch beschäftigt. 7 Millionen von ihnen befinden sich in den Armutskellern des deutschen Arbeitsmarktes. Die Folge: Beschäftigte haben real 1,4 Prozent weniger Geld in der Tasche als vor zehn Jahren, während sie in den zehn Jahren vor der Einführung des Euro – trotz höherer Inflationsrate – reale Lohnzuwächse von 8,5 Prozent verbuchen konnten (siehe Abbildung). Heute müssen sie einen immer größeren Teil ihres mickrigen Einkommens für die täglichen Ausgaben aufwenden. Das lässt viele Produkte teurer erscheinen, als sie tatsächlich sind.

    Finanzkrise: Macht uns der Euro arm?

    Quelle: DGB klartext

  6. Weg mit dem Wirtschaftnobelpreis
    Die Nobelpreisträger für Wirtschaft sind raus. Hoffentlich zum letzten Mal. Das Problem der Auszeichnung liegt in einer merkwürdigen Fehldeutung.
    […] Die Szene mit Herrn Mundell bei der Kanzlerin zeigt: Besser wäre es, wenn es keine Wirtschaftsnobelpreisträger gäbe. Keinen Preis für eine Disziplin, die sich oft so nachhaltig in ihren eigenen Untersuchungsgegenstand einmischt, ihn nach eigenen Wertvorstellungen verändern will wie die Wirtschaftswissenschaften. Dieser Preis sollte nicht mehr verliehen werden, denn er ermöglicht seinen Trägern eine öffentliche Rolle, die ihnen nicht zusteht. Eine Rolle, die auch nicht gedeckt wird durch die Erkenntnisfortschritte, für die die Ökonomen ausgezeichnet werden.
    Quelle: FTD

    Dazu passt: Wirtschaftsnobelpreis: Zwei große Pioniere in ihrem Beritt
    Die Leistung der neuen Preisträger steht außer Zweifel. Sargent und Sims haben die gesamtwirtschaftliche Analyse über Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Inflation grundlegend modernisiert. Unabhängig voneinander haben sie das Verhältnis der Wirtschaftspolitik im Zusammenspiel mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung untersucht. Erhöht die Notenbank etwa ihren Leitzins, wird üblicherweise erwartet, dass die Inflation sinkt. Doch gegenüber dieser unterstellten Wirkung der Politik auf die Gesamtwirtschaft gibt es Zweifel. Steuersenkungen oder Konjunkturprogramme, die die Wirtschaft ankurbeln sollen, verfehlen ihr Ziel, wenn die Wirtschaftssubjekte den Erwartungen nicht folgen. Es ist das Verdienst der beiden Nobelpreisträger, dass sie auf die Frage, warum möglicherweise eine gut gemeinte expansive Finanzpolitik die gesamtwirtschaftliche Entwicklung am Ende belastet, eine Antwort gefunden haben. Dadurch wurde eine neue Makroökonomik geschaffen. Denn während in den alten Theorien die Zukunft als Fortschreibung der Gegenwart wegdefiniert worden ist, rücken sie Wirtschaftsakteure in den Mittelpunkt, die die künftige Entwicklung möglichst korrekt vorherzusagen versuchen.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Das Lob Hickels ist dafür, dass er selbst nicht im Mainstream steht, recht seltsam, denn Sargent und Sims sind reinster Mainstream. Vor 30 Jahren war die Frage, welche Auswirkungen wirtschaftspolitische Entscheidungen auf die Erwartungen der Menschen haben, relativ neu. Spätestens seit der Finanzmarktkrise kann die Rationalität der Marktteilnehmer ganz offensichtlich in Frage gestellt werden.

    Dazu passt: Wirtschaftsnobelpreis: Ursache und Wirkung
    Sargent und Sims erhalten die Auszeichnung „für ihre empirische Forschung über Ursache und Wirkung in der Makroökonomie“, heißt es in der Begründung. Die Makroökonomie beschäftigt sich mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, untersucht also, welchen Einfluss Größen wie Zinsen oder Wechselkurse, Steuern oder Lohnniveaus auf die Volkswirtschaft eines Landes haben. Dabei spielt der Staat, also die Finanz- und Geldpolitik, eine entscheidende Rolle.  Um Fragen wie diese zu beantworten, hätten Sargent und Sims Methoden entwickelt, die überall auf der Welt angewendet würden, schreibt die Reichsbank. Das Problem: Die Politik beeinflusst die Wirtschaft und umgekehrt. Und es ist nicht immer klar, was Ursache und was Wirkung ist. In diesem Verhältnis spielten die Erwartungen von Verbrauchern und Unternehmern eine entscheidende Rolle, meint das Preiskomitee. Denn bei ihren Entscheidungen, die sich wiederum auf Löhne, Sparneigung oder Investitionen auswirkten, ließen sie sich von ihren Erwartungen leiten. Dies muss wiederum die Politik ins Kalkül ziehen. Sargent und Sims Leistung bestehen nun darin, dieses Zusammenspiel und die Rolle der Erwartungen erklären zu können. – Sargent hat längerfristige, „strukturelle“ Entwicklungen im Blick. Der wie Sims 68-jährige Ökonom ist einer der Begründer der höchst umstrittenen Theorie der rationalen Erwartungen. Dieses Modell geht davon aus, dass die Akteure in einer Wirtschaft, also Unternehmer oder Verbraucher, ziemlich gut einschätzen können, was die Zukunft bringt, und längerfristig nicht systematisch falsch liegen. Nach Meinung von Kritikern basiert diese Theorie aber auf völlig unrealistischen Annahmen: Das Modell geht davon aus, dass die Akteure sich immer ökonomisch rational verhalten und die Märkte perfekt funktionieren. Beides lässt sich jedoch in der wirklichen Welt nicht beobachten. Umso mehr verwundert die Preisverleihung an Sargent.
    Quelle: FR

  7. Das Prinzip des Wett- bzw. Spieleinwandes als Mittel der Finanzmarktregulation
    Was macht eigentlich die Finanzmarkregulation? Genau, da war doch was! Eine globale Wirtschaftskrise, ausgelöst durch deregulierte Finanzmärkte, in deren Folge doch tatsächlich diskutiert wurde, wie diese Finanzmärkte wieder so reguliert werden können, dass sie nur noch der realen Wirtschaft dienen. Diese Diskussion war natürlich blöd, für die – sagen wir mal – Wirtschaftseinheiten, die mittels der deregulierten Marktsituation ihr Geld verdienten. Und so war es unglaublich praktisch, dass ab Herbst 2009 immer weniger von einer Banken- und Finanzmarktkrise, dafür aber immer mehr von einer Staatsschuldenkrise gesprochen wurde. Tatsächlich glauben heute wieder viele maßgebliche Finanzpolitiker, dass zu hohe Staatsschulden die eigentliche Ursache der Krise waren.
    Quelle: futurefinanceblog
  8. »Es geht auch um Wertschätzung«
    Erfurt: Ausgegliederte Beschäftigte im Helios-Klinikum fordern gleiche Arbeitsbedingungen.
    Quelle: Junge Welt
  9. Wulff lobt Gewerkschaften für Lohnzurückhaltung
    Der Bundespräsident bedankt sich beim IG-Metall-Kongress in Karlsruhe bei der Gewerkschaft. Gleichzeitig geißelte er die Gier der Akteure an den Finanzmärkten.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung unseres Lesers S.H.: Ich würde als Gewerkschafter im Boden versinken vor Scham. Gerade wo heute klar wird, welche Auswirkungen diese “Lohnzurückhaltung” auf die Volkswirtschaften Europas hat. Ich weiss, die IG-Metall ist Christian Wulff dankbar und verbunden, aber das ist doch ein Schlag ins Gesicht.

    Ergänzende Anmerkung MB: Noch so ein paar Redetexte und ich sehne mich nach Horst Köhler zurück.

    dazu: Debatte Gewerkschaften: Wir brauchen eine neue Lohnpolitik
    Die Gewerkschaften könnten helfen, den Euroraum zu stabilisieren. Doch in Deutschland sind sie schon im Inland zu schwach. Von Europa nicht zu reden.
    Quelle: taz

  10. Auf dem Holzweg
    Vor drei Jahren hat die Kanzlerin die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen. Geändert hat sich am Flickenteppich aber nichts.
    Nimmt man diese Ziele ernst, hätten Bund und Länder fortan alle Hände voll zu tun. Noch immer leben in Deutschland 7,5 Millionen Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können. 17 Prozent der Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren haben keine abgeschlossene Ausbildung. Rund 60.000 Jugendliche verlassen Jahr für Jahr die Schule ohne einen Abschluss. Selbst bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine drei Mal so große Chance das Gymnasium zu besuchen. Gute Bildung bleibt ein vererbtes Privileg der höheren Schichten. Der Weg in die Bildungsrepublik Deutschland ist weit.
    Und der deutsche Bildungsföderalismus ist schlecht aufgestellt. Es mangelt an der Bereitschaft der Bundesländer, an einer gemeinsamen Bildungsstrategie zu arbeiten. Was wir zurzeit erleben, ist bestenfalls ein Neben-, wenn nicht gar ein Gegeneinander der Länder. Nach dem Nationalen Bildungsbericht 2010 gibt es in 14 Bundesländern derzeit 17 Programme zur Sprachförderung in der frühkindlichen Bildung. Gemeinsam evaluiert werden diese Programme nicht. Das ist das Grundproblem unseres Föderalismus: Alle ziehen an einem Strang, aber jeder in eine andere Richtung. Jeder Kultusminister werkelt in seinem eigenen Vorgarten. Der Blick über den eigenen Gartenzaun ist verpönt.
    Quelle: DGB – Gewerkschaften in der Schule
  11. Die Unkündbaren schlagen zurück
    Entlassene Flugzeugreiniger am Düsseldorfer Flughafen haben ihren Prozess vor dem Landesarbeitsgericht gewonnen und müssen weiterbeschäftigt werden. Damit wurde ein Präzedenzfall im Kampf gegen Outsourcing geschaffen. Gerade im Reinigungsgewerbe sind Arbeitskämpfe schwer zu führen. Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad unter den etwa 860 000 Beschäftigten liegt bei kaum zehn Prozent. Zumindest bei der zu Klüh gehörenden Flugzeugreinigung in Düsseldorf hatten die Beschäftigten in zähen Auseinandersetzungen bessere Arbeitsbedingungen erkämpfen können und damit auch den Zusammenhalt der Belegschaft gestärkt.
    Im Laufe des Konflikts war bereits deutlich geworden, dass die IG Bau kein Interesse hatte, der scheinbaren Schließung und der Beseitigung ihrer eigenen aktiven Mitglieder ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Versuche des Betriebsrats, weiterhin mit Aktionen Druck zu machen, brachten ihm seitens der Gewerkschaft den Vorwurf ein, er wolle den Konflikt politisch instrumentalisieren.« In dieser Situation gründeten die entlassenen Betriebsräte und Kollegen zusammen mit Unterstützern einen Solidaritätskreis, der die Aufgabe wahrnahm, Druck auf Klüh, DLG und Air Berlin auszuüben.
    Quelle: Jungle World
  12. Bahn AG droht Zerschlagung
    EU-Kommission will Trennung von Schieneninfrastruktur und Verkehrsbetrieb durchsetzen. Strikt gegen eine Trennung ist ferner die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Deren Vorsitzender Alexander Kirchner beschwor am Donnerstag den drohenden Verlust Zehntausender Arbeitsplätze im Falle der Zerschlagung des Konzerns. Wichtig sei die integrierte DB auch für die Sicherung der tariflichen und sozialen Standards für die Beschäftigten im Bahnverkehr. Diese vehemente Verteidigung des Holding-Modells ignoriert allerdings einige wesentliche Aspekte. Die Bahn AG befindet sich zwar zu 100 Prozent im Bundesbesitz, agiert aber seit 1994 in privatwirtschaftlicher Rechtsform auf Grundlage des Aktiengesetzes, was eine gemeinwohlorientierte Firmenpolitik faktisch ausschließt. Bei einer Überführung des Netzes in direkte öffentliche Verantwortung könnte die Schieneninfrastruktur somit den Gewinninteressen des DB-Konzerns entzogen und allen Schienenverkehrsbetreibern diskriminierungsfrei zur Verfügung gestellt werden. Diese Position vertritt auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Die Bahn AG nutze ihre Monopolstellung bei der Infrastruktur offenkundig aus, um Konkurrenten beim Netzzugang zu benachteiligen, sagte der GDL-Bundesvorsitzende Claus Weselsky in der vergangenen Woche in Frankfurt am Main. Diese Nachteile versuchten die Firmen durch Lohndumping auszugleichen. Weselsky forderte ferner, daß alle Pläne zur Privatisierung der Bahn AG endgültig beerdigt werden. »Wer dem Börsengang in Zeiten der weltweiten Finanzkrise das Wort redet, hat scheinbar überhaupt nichts begriffen«, so Weselsky und weiter: »Überhaupt muß Schluß sein mit der Verscherbelung von staatlichen Unternehmen.«
    Quelle: junge Welt
  13. Frank Wehrheim – Ein Insider packt aus: Über die Probleme, die Reiche, Superreiche und Regierende mit ihrer Gesetzestreue haben
    Irgendwie passt es zusammen, dass bestimmte politische Kräfte ständig Steuersenkungen verlangen oder versprechen und Steuerfahnder daran hindern, Steuerkriminellen das Handwerk zu legen. Das offensichtlich von diesen Politikern vertretene Prinzip: Wenn die Demokratie schon nicht in der Lage ist, die Reichen auf legalem politischen Weg zu begünstigen, müssen eben ihre gewählten Repräsentanten dafür sorgen, dass es möglich ist, ungestraft private Wege zu suchen, wie sie ihre Steuern senken können. Das führt zu der Absurdität, dass im Ernstfall nicht mehr die Steuerhinterziehung, sondern die gesetzeskonforme Steuerfahndung, nicht mehr der Unternehmer, sondern der Steuerfahnder bestraft wird. Der hessischen Landesregierung unter Roland Koch (heute Chef des weltweit aktiven Baukonzerns Bilfinger und Berger) gelang es, gleich mehrere erfahrene und erfolgreiche Steuerfahnder mit Methoden kaltzustellen und abzustrafen, die uns in den Zeiten des Kalten Krieges vor allem von der CDU (auch von Roland Koch) als Beweis für die Unmenschlichkeit der kommunistisch regierten Unrechtsstaaten vorgehalten wurden. Frank Wehrheim war einer dieser hessischen Steuerfahnder. Jetzt hat er seine Erfahrungen in einem Buch mit unglaublichen Berichten und Geschichten veröffentlicht. Die politischen und juristischen Auseinandersetzungen sind noch nicht abgeschlossen. Es ist zu befürchten, dass die Medien die Zusammenhänge zwischen diesen Entwicklungen und den nicht enden wollenden Finanzkrisen nicht erkennen oder verschweigen. Frank Wehrheim gab seine Erfahrungen am Sonntag, den 9. Oktober 2011 bei einer öffentlichen Veranstaltung [PDF – 100 KB] in Frankfurt am Main an ein sehr interessiertes Publikum weiter.
    Überraschend war auch der ehemalige Steuerfahnder Rudolf Schmenger anwesend. Er wurde von den Veranstaltern ursprünglich ebenfalls eingeladen, musste aufgrund eines anderen Termins zunächst absagen, schaffte es dann kurzfristig doch noch und ergänzte Frank Wehrheims Ausführungen um interessante Informationen.
    So war der amtierende hessische Finanzminister Dr. Thomas Schäfer 1998/1999 als als Anwalt bei der Commerzbank AG Frankfurt tätig, die von der Steuerfahnder-Truppe um Rudolf Schmenger 1996 durchsucht wurde. Einer der bei dieser Fahndungs- und Durchsuchungsaktion beteiligten Kollegen wurde 1999 ausgerechnet von der Commerzbank AG für ein Vielfaches seines Beamtensoldes abgeworben.
    Die Veranstalter Business Crime Control e.V. und KunstGesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem NachDenkSeiten-Gesprächskreis Frankfurt am Main zeichneten die Veranstaltung auf und stellen sie über die NachDenkSeiten als Audio-Datei im mp3-Format zur Verfügung: Ein Insider packt, ca. 2 Stunden, ca. 42,3 MB.

    Dazu auch:

  14. Polnischer Pragmatismus
    Premier Donald Tusk und seine „Bürgerplattform” (PO) werden wohl bald eine Premiere feiern dürfen: Zum ersten Mal in der Geschichte der polnischen Demokratie seit 1989 scheint sich eine Regierung bei der nächsten Parlamentswahl halten zu können. Es ist allerdings keineswegs die große Begeisterung über die amtierende Regierung, die Tusk an der Macht hält, sondern eher der Mangel an glaubwürdigen Alternativen. Von außen dagegen ist der Blick auf Polen in den letzten Jahren weit freundlicher geworden. Polens Wirtschaftswachstum nötigt Respekt ab. Noch vor vier Jahren war das westeuropäische Bild des östlichen EU-Nachbarn ein völlig anderes. Die westeuropäischen Medien verfolgten bestürzt die autoritäre, polarisierende Innen- wie Außenpolitik unter der Herrschaft von Jaroslaw Kaczynski als Premier und Lech Kaczynski als Präsident.
    Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik

    Anmerkung Orlando Pascheit: Jens Mattern hat mit seiner Einschätzung recht behalten, ja Donald Tusk hat mit fast 40 Prozent alle Prognosen deutlich übertroffen. Darüber bietet Mattern ein anschauliches Bild von den Schwierigkeiten der Transformation und den Mühen des Aufholprozesses eines osteuropäischen EU-Mitglieds zum europäischen Kern. Wie seinerzeit Spanien oder auch Irland wird das polnische Wachstum noch lange auf die Milliardenhilfen aus Brüssel angewiesen sein. Umso mehr erstaunt der Wunsch Tusks, bis 2015 den Euro einführen zu wollen. So ist Polen z.B. mit einem Haushaltdefizit von knapp 8 Prozent noch ziemlich weit von der Erfüllung der Maastrichtkriterien, ebenso mit einer Inflationsrate von deutlich über 4 Prozent. Seit Juni hat der Zloty um 10 Prozent abgewertet. Auch wenn die EU-Kommission sich wie zuletzt bei Estland unter Ausschluss der langen Frist mit punktgenauen Landungen der Kriterien zufrieden gibt, so hat doch die gegenwärtige Eurokrise deutlich gezeigt, dass mit den Maastrichtkriterien kein funktionierender Währungsraum zu definieren ist. Zeigt doch die aktuelle Krise, dass die realwirtschaftliche Konvergenz des Euroraumes stark vernachlässigt wurde und mit Polen ist die größte Volkswirtschaft Osteuropas noch weit davon entfernt. Hinzukommt, dass sich auch in Polen statistische Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. Die Handelsbilanz sei durch “Errors and Imissions’ in Höhe von 4 Prozent des BIP verfälscht worden, berichtete Mirosław Gronicki, Berater der polnischen Nationalbank, in einem Interview im Frühjahr. Die Unterschätzung der Importe wirkt sich natürlich auf die Berechnung des BIP und damit auf alle Zahlen relativ zum BIP aus, so z.B. auf die Höhe der Staatsverschuldung. – Es wird allmählich Zeit, dass sich Brüssel aber auch die übrigen Mitglieder der Eurozone gründlicher mit der Frage beschäftigen, ob auf Basis der gegenwärtigen Kriterien eine Euromitgliedschaft den infrage kommenden Volkswirtschaften selbst wie auch der Eurozone zuzumuten ist.

  15. Quo vadis, Linkspartei?
    Neoliberalismus, Sozialabbau, Postdemokratie und wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung: Eigentlich müsste DIE LINKE in der Wählergunst besser dastehen, als jemals zuvor.
    Aber das Gegenteil ist der Fall. Erreichte die Partei bei der Bundestagswahl 2009 noch einen Stimmenanteil von 11,9 Prozent, so sehen aktuelle Umfragen die Linkspartei mittlerweile nur noch bei Werten zwischen 6 und 8 Prozent.
    Woran liegt es, dass die Partei ihre Ziele und Grundsätze nicht überzeugend transportiert? Aus welchem Grund gelingt es ihr nicht einmal diejenigen Bevölkerungsgruppen, für die sie sich als einzige politische Kraft konsequent einsetzt, geschlossen für sich zu gewinnen. Und warum kann sie nicht stärker von einer krisenhaften Situation profitieren, vor deren Hintergrund immer mehr Menschen begreifen, dass Raubtierkapitalismus, Lohndumping, Sozial- und Bildungsabbau die Lage stetig verschärfen statt sie zu entspannen?
    Der Programmparteitag der Linkspartei vom 21. bis 23. Oktober in Erfurt bietet die Chance zu einer neuen Aufstellung in Sachen Programm, Personal und Strategie und birgt gleichzeitig das Risiko eines fortschreitenden Zerfalls.
    Quelle: Jacob Jung


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