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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 20. Juli 2011 um 9:07 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Jens Berger
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Normalverdiener können sich weniger leisten als im Jahr 2000; Ulrike Herrmann: Der Crash wird geleugnet; Nachtrag zu unserem gestrigen Hinweis #3; ZEW: Konjunkturerwartungen wegen Schuldenkrise gesunken; Anleger flüchten in Gold – Metall der Angst; Arbeitgeberverband lehnt Steuersenkungen ab; Dringend notwendig: Internationaler Gerichtshof für Globale Finanzverbrechen; “Es kommt offenbar vor, dass Studien nicht publiziert werden”; Altenpflege; Die meisten neuen Jobs gehen an Leiharbeiter; Diakonisches Werk Württemberg: Armut und Reichtum; Klinikum Offenbach: Ver.di warnt vor Verkauf; Grünes vergessen machen; NRW – Schulministerium und Bertelsmann Stiftung besiegeln Kooperation zur Lehrerfortbildung; Macht und Massenmedien – Der britische Umsturz; Fragen an den Autor: W. Hetzer „Finanzmafia“; Rezension: Stéphane Hessel, Engagiert Euch!; So teuer wie möglich – Der letzte Kampf der Atomindustrie (WL/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung J.K.: Na sowas möchte man ausrufen, dass der Spiegel auch schon darauf kommt. Recht viel deutlicher lässt sich auf das hier betriebene Lohndumping wohl nicht hinweisen. Die Folgen für Deutschland und Europa dürften inzwischen hinlänglich bekannt sein. Unverständlich die etwas dümmliche Einleitung des Artikels, die versucht das Aufschwungsmärchen zu kolportieren, sich aber im ersten Satz gleich selber widerspricht.
Anmerkung Orlando Pascheit: Es mag ganz interessant sein, auf Heller und Pfennig ausgerechnet zu bekommen, dass die meisten Arbeitnehmer in den letzten 10 Jahren an Realeinkommen verloren haben, nur ist die grundsätzliche Tendenz schon seit Jahren bekannt. Die NachdenkSeiten haben immer wieder auf Meldungen zum Reallohnverlust, zum Anstieg der Gewinne und Vermögenseinkommen, zum Anstieg des Niedriglohnsektors, die Zuhnahme an Leiharbeit hingewiesen. Diese Meldungen, wie z.B. die gestrige Meldung des statistischen Bundesamtes zur Bedeutung der Zeitarbeit im gegenwärtigen “Beschätigungszuwachs”, standen den Journalisten dieses Landes schon immer zur Verfügung.
Der Skandal im Skandal ist, dass diese Entwicklung nicht skandalisiert wird. Sie ist heute eine Schlagzeile und morgen vergessen. Selbst die Gewerkschaften schwächeln, wie oft haben sie schon einen heißen Herbst angekündigt und nichts ist passiert. Auch die jetzt wieder einmal diskutierten Sofortmaßnahnem wie gesetzlicher Mindestlohn, Gleichbezahlung von Leiharbeitern und Stammbelegschaft und Rückkehr zur paritätischen Beteiligung bei der gesetzlichen Krankenversicherung sind jedem informierten Bürger, der Politik, den Gewerkschaften und der Presse schon längst geläufig. Wann endlich wird gehandelt? Wann wählt der Bürger endlich die Parteien ab, die den Lebensstandard so vieler bedrohen zugunsten einiger weniger? Wann wagen die Gewerschaften endlich einmal den politischen Kampf, nachdem sie sich tarifpolitisch ganz offensichtlich jahrelang über den Tisch ziehen ließen? Wann endlich realisieren die Medien, wohin eine polarisierte Gesellschaft führt? – Und kommt ja nicht mit den Löhnen in Peking, oder der Ungleichverteilung in Brasilien oder den USA.
dazu: Schwache Lohnentwicklung – Kalkulierte Kehrseite des Aufschwungs
Das Ausland staunt wieder, wenn es auf Deutschland blickt. Einen “Hafen in Europas Sturm” hat das “Wall Street Journal” ausgemacht, vor allem für verunsicherte Investoren. […]
Doch diese Stärke hat ihren Preis: Deutschland gewinnt an Wettbewerbsfähigkeit, während Arbeitnehmer mit sinkenden Reallöhnen zu kämpfen haben, vor allem solche mit geringen Einkommen. Sich über die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts und die Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu wundern wäre allerdings vermessen. Diese Kehrseite des Booms war kalkuliert.
Der wachsende Niedriglohnsektor ist nicht einfach entstanden, er wurde geschaffen. Deutschland erfährt im Guten wie im Schlechten die Folgen der Hartz-Reformen. Sie sind Folgen einer bewussten politischen Entscheidung: Als Deutschland rund fünf Millionen Arbeitslose zählte, war es ein breiter Konsens, dass eine schlecht bezahlte Arbeit besser ist als gar keine. Das ist volkswirtschaftlich gesehen berechtigt. […]
Sinkende Reallöhne sind inzwischen ein Charakteristikum der deutschen Wirtschaft, schwache Binnennachfrage bei starkem Export eingeschlossen. Vieles deutet darauf hin, dass die Arbeitsmarktreformen überreizt wurden. Offenbar geht die geringfügige Beschäftigung – mit der Arbeitslose leichter im Jobleben Fuß fassen sollten – zum Teil zu Lasten bislang gut bezahlter Vollzeitstellen.
Quelle: FTD
Anmerkung Jens Berger: Auch wenn die Kernaussage des Artikels zynisch und technokratisch klingt, trifft sie jedoch mitten ins Schwarze. Die miserable Lohnentwicklung war und ist kein Unfall, sondern eine Entwicklung, die mit Vorsatz herbeigeführt wurde. Ansonsten liegt der FTD-Leitartikler jedoch meilenweit daneben:
Anmerkung J.A.: Hier durfte mal wieder ein Neoklassiker diese hanebüchene Theorie in Reinstform ausbreiten: niedrigere Löhne führt zu mehr Arbeitsplätzen.
Daß das nicht einmal oberflächlich stimmt – die Anzahl der Arbeitsstunden 2011 liegt unter der von 2000 -, scheint nicht zu stören. Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie mit der Theorie nicht übereinstimmt! Aber wenigstens ist der Artikel klar und deutlich und ehrlich über die Absichten der Hartz-“Reformen”.
Völlig unlogisch und widersprüchlich die letzte Passage mit dem Vorschlag die Sozialabgaben zu senken, ohne “das Einkommen von Konsumenten zu schwächen, die Sozialkassen leiden zu lassen und Millionen Arbeitnehmer auf Kosten der Steuerzahler in die Altersarmut zu entlassen”. Genau das ist bzw. wäre doch das Resultat einer Senkung der Sozialabgaben. Die Neoklassiker verheddern sich im Gestrüpp ihres eigenen Geschwätzes.
Liebe Nachdenkseiten,
heute, am 19.07, hatten sie in den “Hinweisen des Tages” einen Link zu einem kritischen Beitrag auf n-tv über den angeblichen Fachkräftemangel angegeben.
Wie irrsinnig in Deutschland Debatten geführt werden kann man gerade an diesem Link nachverfolgen. Der Text legt einleuchtend und, wie ich dachte, für jeden verständlich da, warum die Debatte über den Fachkräftemangel eine Scheindebatte ist. So verständlich, wie ich dachte, ist der Artikel aber dann doch nicht, jedenfalls nicht für den durchschnittlichen n-tv-Reporter. Denn genau unter dem letzten Satz des Artikels (“Mit Fachkräftemangel hat das aber nichts zu tun” !) ist ein Video eingebettet, dass “Deutschland braucht Fachkräfte – Eine Million freie Stellen” betitelt ist und, unter anderem mit dem lieben Herrn Hund als Zeugen, sich einen Dreck schert über den Inhalt des Artikels darüber.
Anscheinend wird man im Privatfernsehen nur noch eingestellt, wenn man schizophren ist!
Ich frage mich immer mehr, wie man diesen ganzen Quatsch ertragen soll, ohne dauerhaft in hysterische Lach- oder Schreianfälle zu verfallen!Beste Grüße,
C.M.
Anmerkung Jens Berger: Wie sagte doch der alte Börsen-Grandseigneur André Kostolany? Wenn Dir die Schuhputzer Aktientips geben ist es höchste Zeit aus dem Markt auszusteigen. Wenn – wie gestern geschehen – sogar schon das Pro7-„Wissensmagazin“ Galileo und die BILD kräftig die Werbetrommel für Gold drehen, kann man getrost davon ausgehen, dass die großen Spieler schon dabei sind, auf fallende Kurse zu wetten. Leider klären die Medien ihre Leser/Zuschauer nicht auf, dass Gold keine sicherer Anlage, sondern ein hochvolatiles Spekulationsobjekt ist. Wer beispielsweise im Januar 1980 für 873 US$/Unze gekauft hat, hat binnen weniger Wochen mehr als die Hälfte seines Einsatzes verloren.
dazu auch: Paul Krugman – The Glenn Beck / DeBeers Connection
Quelle: New York Times
Anmerkung J.A.: Wenn sogar die FDP-nahen Arbeitgeberverbände – völlig zu Recht und mit sehr guten Argumenten – gegen Steuersenkungen protestieren, dann müssten doch bei der Ein-Themen-Partei alle Warnglocken bimmeln. Aber weit gefehlt. Soviel zum Thema “die FDP muß sich breiter aufstellen”.
Anmerkung T.M.: Im Ansatz richtig, aber halbherzig: Öffentliche Institute müssen angemessen finanziell ausgestattet werden, die Verteilungsfrage stellt sich auch hier.
Anmerkung Jens Berger: So langsam sollte es selbst dem unkritischsten Leser auffallen, dass in letzter Zeit in den Medien sämtliche Fakten, die den viel zitierten Aufschwung in Frage stellen, durch einen selbstaffirmativen Hinweis auf den Aufschwung eingeleitet werden. Solche Selbstaffirmationen kennt man im medialen Bereich eigentlich eher aus den Wochenschauen des Dritten Reichs oder der Aktuellen Kamera der DDR.
Anmerkung Orlando Pascheit: Es gilt leider immer noch in der Haushaltspolitik des Bundes, der Kommunen von Berlin bis nach Athen über Brüssel: Was kümmern die langfristigen Kosten der Privatisierung in Form von schlechterer und teurer Versorgung der Bevölkerung, wenn man sich die Kosten öffentlicher Aufgabe kurzfristig entledigen kann. Natürlich jubelt die Privatwirtschaft ob der Profite in neuen Wirtschaftsfeldern.
Anmerkung WL: Da kann die Bildungsgewerkschaft GEW noch sehr eine Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung ablehnen, das NRW-Schulministerium bezieht diese Stiftung mit ihrer Wettbewerbsideologie in der Bildung nun auch noch vertraglich in die Lehrerfortbildung ein. Man kann sich ausmalen, wie die Evaluationitis als Instrument zur Verbesserung der Unterrichtsqualität in die Lehrerfortbildung eingehen wird, wie, statt auf die Urteilskraft der Pädagogen zu bauen, nunmehr gemessen und gerankt wird. (Und zwar nach den Kriterien der Bertelsmann Stiftung.) Da Wettbewerb und Konkurrenz zur Grundphilosophie der Bertelsmann Stiftung für die Steigerung von Qualität auch in der Bildung gehören (z.B. die Ideologie der „Selbständigen Schule“), werden diese Steuerungsprinzipien nun auch noch in der Lehrerfortbildung verankert.
Man fragt sich, warum gerade die Bertelsmann Stiftung mit ihrer eindeutigen Mission nun in besonderem Maße gerade in der Lehrerfortbildung Einfluss nehmen können soll, statt z.B. einer Konferenz aus Lehrern, Wissenschaftlern, Eltern und Schulträgern – also aller am Schulwesen Beteiligten. Wieder einmal haben diejenigen das Sagen, die die nötigen finanziellen Mittel haben, solche Projekte durchzuführen. Die Lehrerfortbildung wird in NRW von nun an ein Public- Private-Partnership-Projekt. Wie heißt es doch so treffend: Bertelsmann macht Schule.
Anmerkung Jens Berger: Der Sturz Murdochs erinnert an die griechische Sage von Ikarus, der der Sonne zu nah kam und dessen Flügel von Wachs zusammengehalten wurden. „Gut“, dass Liz Mohn und Friede Springer hitzebeständige Fluggeräte haben.
Anmerkung Orlando Pascheit: Die Verfilzung von Massenmedien und Politik muss auch immer vor dem Hintergrund der Verflechtung von Politik und Wirtschaft gesehen werden. Wenn die Murdoch-Medien z.B. versuchen den amerikanischen Präsidenten bei der Verbesserung der Krankenversicherung in das Abseits zu stellen, so ist das eben auch ein Einsatz im Interesse der Versicherungswirtschaft und der Pharmakonzerne. Die Problematik wird durch die ungeheuren Konzentrationsprozesse in der Medienlandschaft nicht gerade kleiner.
dazu: News of the World- Affäre: Schlammschlacht um Scotland Yard
Es ist längst nicht mehr nur ein Skandal um illegale Recherchepraktiken bei der mittlerweile eingestellten Sonntagszeitung News of the World (NoW). Es ist auch nicht mehr nur ein Skandal um die parteiübergreifende Nähe des britischen politischen Establishments zum Medientycoon Rupert Murdoch und seinem Zeitungs- und TV-Imperium. Es wird zu einem Imagekrieg und zu einer Affäre über mögliche Korruption auf höchster Ebene bei der Polizei. Der Rücktritt des Londoner Polizeichefs Paul Stephenson am späten Sonntagnachmittag war zeitlich kalkuliert, um Premierminister David Cameron in maximale Nöte zu bringen. In seiner Rücktrittserklärung verglich er sich und seine Beschäftigung des ehemaligen NoW-Vizechefredakteurs Neill Wallis mit Cameron und dessen Beschäftigung des ehemaligen NoW-Chefredakteurs Andy Coulson. Kommentatoren witterten darin eine implizite Rücktrittsforderung an Cameron. – Die Labour-Opposition versucht, aus der Affäre politisches Kapital zu schlagen, aber sie kommt bei der Sache selbst nicht gut weg.
Quelle: taz
Anmerkung: Wolfgang Hetzers Buch „Finanzmafia“ ist bei Westend erschienen und kostet 19,95.
Siehe auch: Rezension: Wolfgang Hetzer, „Finanzmafia – Wie Banken und Banditen unsere Demokratie gefährden“
Anmerkung: Die Dokumentation wird am Mittwoch, den 20. Juli, zur zuschauerfreundlichen Zeit 23:30 in der ARD ausgestrahlt.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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