Wenn Amerikaner sich auf Partnersuche begeben, beschreiben sich Männer wie Frauen gern und oft als „hard working“, als arbeitsam, als fleißig. In den USA zieht das auf dem Beziehungsmarkt. In Deutschland dagegen würde der oder die Bindungswillige gewiss nicht selten den Rat bekommen, erst einmal zum Arzt zu gehen. Und das nicht nur, um sich krankschreiben zu lassen, um ein paar freier Tage willen.
Natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns nicht als arbeitsam empfinden. Wir sind es nur nicht gern, es wird uns aufgezwungen. Arbeit ist kein Wert an sich, sie wird erduldet: Stillschweigend das Jahr über, nur damit es dann, pünktlich zur sommerlichen Ferienzeit, vielstimmig herausbricht aus all den ach so geschundenen Leibern: endlich abschalten, endlich mal Ruhe vor dem ganzen Arbeitswahn. Jährlich wiederkehrend wird inzwischen in deutschen Medien eine „Entschleunigung“ beschworen. Der „Spiegel“ hob die Sache in seiner diesjährigen Version sogar auf den Titel („Ich bin dann mal off“) - und sehnte „die Kunst des Müßiggangs“ herbei. Als ob wir die je verlernt hätten.
Gewiss, viele Menschen arbeiten viel, auch in Deutschland. Vor allem aber ist die Arbeit ungerecht verteilt. Denn gerade Mindestlöhne und andere vermeintliche sozialstaatliche Wohltaten schließen einen skandalös großen Teil der potenziellen Erwerbsbevölkerung vom Arbeitsleben aus - während der Rest in vielen Fällen umso härter ranmuss.
Von weniger als drei Stunden pro Tag muss alles bezahlt werden
Arbeiten wir aber nun, insgesamt betrachtet, viel oder wenig? Einer quasiamtlichen Schätzung zufolge dürften in diesem Jahr 55.953.000 Stunden Erwerbsarbeit absolviert werden. Darin ist die Hausarbeit nicht enthalten, die Schwarzarbeit und das ehrenamtliche Engagement nicht - und auch nicht inoffizielle Überstunden wie die Heimarbeit am Computer, bei der abends und am Wochenende dienstliche Mails beantwortet und Dateien bearbeitet werden.
Um so viel Prozent soll die Wirtschaft in den kommenden Jahren wachsen...(Prognose der Weltbank, Juni 2010)
Aber dennoch ist in jenen knapp 56 Millionen Stunden das Gros der Zeit enthalten, die wir zur Erwirtschaftung unseres materiellen Wohlstands aufbringen. 55.953.000 Stunden im Jahr, das heißt: Pro Kopf der Bevölkerung werden in Deutschland etwa 690 Stunden offizielle Erwerbsarbeit geleistet. Das sind weniger als eine Stunde und 54 Minuten pro Tag. Selbst wenn man zu der offiziellen Erwerbsarbeit 50 Prozent aufschlägt, um die inoffizielle zu berücksichtigen, landen wir bei weniger als drei Stunden. Von weniger als drei Stunden also muss letztlich alles bezahlt werden: alles, vom Frühstücksbrötchen bis zur Urlaubsreise, vom Pflegeheimplatz für Oma über die Zinsen für die Staatsschulden bis hin zum Einsatz in Afghanistan.
Schrumpfung der Arbeitszeit lässt nur zwei Alternativen zu
Na, ist doch toll, mag man da rufen, dass wir uns das alles leisten können: Das zeigt doch nur, wie wir reinklotzen können, wenn wir den Müßiggang gelegentlich unterbrechen. Das stimmt. Nur wird, wenn nichts passiert, die demografische Alterung die Arbeitszeit pro Tag und Kopf weiter unerbittlich schrumpfen lassen. Ein Teil davon wird mutmaßlich kompensiert werden durch den technischen Fortschritt, der uns dann noch effizienter arbeiten lässt in den Müßiggang-Pausen. Aber vermutlich eben nur ein Teil. Vor allem aber kann es keine Geschäftsgrundlage einer ganzen Gesellschaft sein, sich auf technischen Fortschritt - etwas, was mannagleich kommt oder auch nicht - zu verlassen.
Was folglich bleibt, ist die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Entweder suchen wir uns aus, auf was wir verzichten: die Urlaubsreise? Omas Pflegeheimplatz? Die Bedienung der Staatsschulden, vielleicht kaschiert durch 110-Rufe an die internationale Gemeinschaft, das griechische Modell also sozusagen? Oder wir nehmen die Alternative: Wir arbeiten wieder mehr. Viel mehr. Und nicht nur jene, die heute, obwohl sie könnten, aus welchem Grund auch immer gar nicht arbeiten.
Die erste Alternative mag in einem entschleunigungssüchtigen Land die attraktivere sein. Wäre da nicht ein anderer Umstand: Er nennt sich Globalisierung. Deutschland ist keine Felseninsel, sondern eine offene Volkswirtschaft. Das ist auch besser so, die Hälfte unseres Wohlstands erwirtschaften wir inzwischen dadurch, dass wir Güter und Dienstleistungen ins Ausland verkaufen. Wenn Deutschland gerade wieder einen Aufschwung erlebt, dann liegt das fast vollständig an der heimischen Exportwirtschaft und an deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit.
Der Wettbewerbsdruck steigt mit fortschreitender Globalisierung
Aber wie lange noch? Gerade in den Nullerjahren haben wir die Globalisierung in vollen Zügen genießen können. Da gab es China und Co., die dynamisch wuchsen und wichtige Abnehmer wurden, ohne ernsthafte Wettbewerber zu sein. Und da waren jene europäischen Partner, die einen nicht nachhaltigen Boom erlebten. Der ließ sie als Kunden immer wichtiger werden, während sie sich zugleich aber über steigende Lohnstückkosten als Konkurrenten ins Aus schossen.
Was aber, wenn sich die anderen in Europa einer Rosskur unterziehen? Und wenn jene in Übersee die Unverschämtheit besitzen, einfach nicht mitzumachen bei der Entschleunigung? Wenn sie stattdessen sogar noch Tempo aufnehmen und auch dadurch zu wirklich ernsthaften Wettbewerbern werden? Dann haben wir, über kurz oder lang, ein nicht kleines Problem. Dann können wir zwar weiter Müßiggang betreiben. Aber sind dann mal weg – in mehr als einem Sinne.