Schlagwort:
Existenzminimum

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Die Weißwäscher aus Nürnberg

Eine „grundsätzlich positive Einschätzung“ hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) [PDF – 895 KB] nach fünf Jahren Hartz IV. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn das IAB ist eine Abteilung der Bundesagentur für Arbeit und die BA hat „ihre Aufgaben, im Rahmen des für sie geltenden Rechts“ durchzuführen. Erstaunlich wäre allenfalls, wenn das IAB das geltende Recht der Hartz-Gesetze in Frage stellen würde. Das muss nicht heißen, dass die vorgelegten Zahlen falsch sind, aber bei ihrer Interpretation fungiert das IAB als Weißwäscher einer gescheiterten „Reform“. Wolfgang Lieb

Was uns noch bevorsteht: Sozialstaat im Abbruch

In der gegenwärtigen Weltfinanzwirtschaftskrise leidet unser Land mehr denn je unter den Arbeitsmarktreformen, die von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem damaligen Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier unter dem hochtrabenden Titel „Agenda 2010“ durchgesetzt wurden. Die rot-grüne Koalition hatte der Bundesrepublik eine Rosskur verordnet, die den „Wirtschaftsstandort D“ fit für die Globalisierung bzw. den Weltmarkt machen sollte: Beschönigend als „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ bezeichnet, schaffte Hartz IV mit der Erstgenannten eine für Millionen Menschen existenzielle Sozialleistung ab und schuf mit dem Arbeitslosengeld II einen fragwürdigen Ersatz, der nur das Existenzminimum abdeckt und eigentlich „Sozialhilfe II“ heißen müsste. Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD blieb trotz ein paar sozialen Zugeständnissen auf „Agenda“-Kurs und machte eine Regierungspolitik, die an das Matthäus-Evangelium erinnert, in dem es sinngemäß heißt: Wer viel hat, dem wird gegeben. Und wer nur wenig hat, dem wird auch das noch genommen. Von Christoph Butterwegge

Wie die Bertelsmann Stiftung neues Vertrauen zurückgewinnen will – Ein Rückblick

Am 17.09.2009 berichteten wir in den Hinweisen des Tages über die Bildung einer „Task-Force“ durch die Bertelsmann Stiftung zum Thema “Perspektive 2020 – Deutschland nach der Krise”.
Solche Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung, die gesellschaftspolitische Agenda zu bestimmen, sind nicht neu. Schon über 10 Jahre lang arbeitet die Stiftung auf ihre Weise z.B. auch an der Änderung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. So wurde auch die Hartz-Reform vorbereitet, mit Versprechen die nicht eingehalten wurden und die über die wahren Absichten täuschten.
Wenn jetzt nach dem Scheitern der Bertelsmann Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb und Flexibilisierung neues „Vertrauen in der Gesellschaft zurückgewonnen und stabilisiert“ werden soll, dann braucht man offenbar eine neue Strategie.
Man hat wohl erkannt, dass die alten Formeln vom “aktivierenden Sozialstaat” und vom “Fördern und Fordern” angesichts der Erfahrungen, die die Menschen mit dieser Politik gemacht haben, nicht mehr ausreichen. Man muss also nach neuen Formeln suchen, wie „Vertrauen in die demokratische und marktwirtschaftliche Ordnung in Krisen bewahrt und gestärkt werden“ kann.
Wie die Bertelsmann Stiftung bisher vorgegangen ist, um ihre Mission zu erfüllen, das lässt sich u.a. recht gut an der Vorbereitung und Begleitung der Hartz-Gesetze studieren. Um sich einen kritischen Blick auf die neue „Task-Force“ und hinter die wohlklingenden Ankündigungen zu bewahren, halten wir es für interessant noch einmal den Blick zurück zu werfen.
Welchen Einfluss die Stiftung auf die Vorbereitung und Begleitung der Hartz-Gesetze genommen hat, das kann man in der materialreichen Untersuchung von Helga Spindler nachlesen, die im Sammelband “Bertelsmann – Netzwerk der Macht” 2007 veröffentlich wurde. Die Autorin hat diesen Beitrag 2008 um ein Nachwort ergänzt.

Die Hartz-Gesetzgebung wirkt. Aber wie?

In einem Schwerpunktheft des Archivs für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit zu Erfahrungen, Auswirkungen und Schlussfolgerungen nach drei Jahren SGB II ist Helga Spindler speziell dem „Fordern und Fördern“ und seinen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nachgegangen. Nicht nur dass Sanktionen immer umfangreicher verhängt werden und immer mehr Menschen selbst die unzureichenden Regelsätze nur gekürzt erhalten, der Staat bleibt auch noch nicht einmal beim Fördern neutral, sondern greift durch den Umgang mit den Arbeitslosen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer in den Markt ein, nimmt ihnen Verhandlungsmacht und verhindert den Aufbau notwendiger Arbeitsplätze.

Nochmals: „Die Sarazzins der Wissenschaft: Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro ausreichend“

Einige Stunden nachdem wir gestern diesen Beitrag ins Netz gestellt hatten, schrieb uns ein Leser, dass der angegebene Link zu der „Studie“ der TU-Chemnitz ins Leere führe (HTTP Error 404: File not found). Im Laufe des Tages wurde der Link wieder geschaltet.
Der „Studie“ wurde jedoch zwischenzeitlich eine abwiegelnde „Präambel“ vorangestellt: Die Studie habe aus ihren Neuberechnungen der sozialen Mindestsicherung von 123 Euro „keine Konsequenzen abgeleitet“.
Daraus lassen sich nach meiner Meinung nur folgende Schlüsse ziehen:

  • Entweder die Hochschule oder die Autoren haben erkannt, dass sie mit Ihrem Vorstoß zur Senkung der Hartz-IV-Leistungen doch zu zynisch waren und versuchen nun abzuwiegeln.
  • Oder – und das ist die wahrscheinlichere Erklärung, da die „Studie“ ja wieder im Netz steht -: das ist die typische Art einer verantwortungslosen „Wissenschaft“, die irgendwelche inhumanen Berechnungen in die Welt setzt, ohne die Verantwortung für die Folgen übernehmen zu wollen und sich dann anschließend damit freizeichnen will, dass man ja daraus keine „Konsequenzen abgeleitet“ hätte. Genau so haben sich auch die „Wissenschaftler“ in der NS-Zeit etwa mit ihrer Rasse-„Forschung“ aus der Affäre ziehen wollen.

Wolfgang Lieb

Die Sarazzins der Wissenschaft: Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro ausreichend

Zwei Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler halten einen Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro für ausreichend, d.h. nur rund ein Drittel der bisherigen Höhe. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Mittwoch auf der Internetseite der Technischen Universität Chemnitz veröffentlicht wurde.Maßstab für die Berechung dieser „Wirtschaftswissenschaftler“ sind die einkommensmäßig unteren 20% der deutschen Haushalte, diese geben angeblich für Essen, Kleidung, Kommunikation, Reisen etc. knapp 500 Euro pro Monat und Person (Single-Haushalt) aus. Die Logik dieser „Studie“: Ist erst einmal das untere Fünftel der Gesellschaft arm genug, dann kann man auch Ärmsten der Armen noch ärmer machen oder anders gesagt: In den Elendsvierteln der Welt ist schon derjenige nicht arm, der eine handvoll Reis und einen Schluck Wasser hat. Wolfgang Lieb

BILD hetzt und die CSU kocht darauf ihr Wahlkampfsüppchen

„Der große Hartz-IV-Report“, unter diesem Motto hetzt die Bild-Zeitung mal wieder ihre Leserinnen und Leser gegen Alg II-Empfänger auf. Das Ziel dieser wiederholten Bild-Kampagnen ist immer das gleiche: Man versucht den Zorn der Verängstigten und der Verlierer auf diejenigen zu lenken, denen es noch schlechter geht, oder man säht Hass auf Minderheiten, die sich nicht wehren können. Bei den Rechtsextremisten und Neonazis sind das die Ausländer, bei Bild eben die „Hartz-IV-Abzocker“. Auf dieser „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ kocht die Politik ihr Süppchen und lenkt damit vom eigenen Versagen ab; wie früher Superminister Clement mit seiner „Sozialschmarotzer“-Broschüre, so jetzt die verunsicherte CSU im bayerischen Wahlkampf. Wolfgang Lieb

Maßnahmen gegen Kinderarmut

In letzter Zeit ist die Kinderarmut hierzulande beinahe zu einem Modethema avanciert, ohne dass die verantwortlichen Politiker bisher jedoch wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen hätten. Zwar hat sich die Bundesregierung erstmals auf ihrer Klausurtagung im August 2007 auf Schloss Meseberg mit dem Problem befasst, die Entfristung des vor dem 1. Januar 2008 nur drei Jahre lang gezahlten Kinderzuschlages in Höhe von maximal 140 EUR pro Monat war aber kaum mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf einen heißen Stein. Dass sich die Große Koalition von einer Entbürokratisierung des Kinderzuschlages, die am 1. Oktober 2008 in Kraft treten soll, der Erhöhung des Wohngeldes, seiner Ergänzung um eine Heizkostenkomponente, die den gestiegenen Energiekosten Rechnung tragen soll, und einer Anhebung der Mietobergrenzen, die zum 1. Januar 2009 geplant sind, eine spürbare Verringerung der (Kinder-)Armut verspricht, dokumentiert ihre mangelnde Bereitschaft, das Problem an der Wurzel zu fassen.
Dessen strukturelle Ursachen können viele der gegenwärtig in Politik, Massenmedien und Öffentlichkeit zirkulierenden Vorschläge zur Verringerung bzw. Verhinderung von Kinderarmut nicht beseitigen. Christoph Butterwegge hat uns diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Nachtrag zu Koalitionsausschuss: Merkel führt die SPD vor

Mehrere Leser haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich in meiner Bewertung der Ergebnisse des Koalitionsausschusses den Kinderzuschlag zu unkritisch dargestellt hätte. Deshalb möchte ich diese Ausführungen ergänzen.
Zum anderen ging gerade eine Meldung durch die Nachrichten, wonach die Bundesagentur für Arbeit (BA) angesichts der geplanten Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3% für das kommende Jahr 2008 wieder mit einem operativen Defizit von weit über 5 Milliarden Euro rechnet. Die Konsequenzen lassen sich leicht ausrechnen: Entweder müssen die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der BA noch weiter als schon geschehen zurückgefahren werden oder die Kosten für das Alg I müssen gesenkt werden, durch Kürzung oder durch kürzere Auszahlungsfristen. Wolfgang Lieb

Der menschenverachtende Populismus der Hartz-IV-Hardliner

Die Argumentation der Hardliner für die Beibehaltung der bisherigen Hartz-IV-Regelung basiert auf einer ziemlich menschenverachtenden Haltung gegenüber Arbeitlosen. Die angeblichen empirischen Evidenzen, wonach eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu einer Verlängerung der Arbeitslosigkeit führe, dass die Sozialkassen zusätzlich belastet, die sog. Lohnnebenkosten oder die Steuerbelastungen erhöht würden, sind sachlich schlicht falsch.
Der Vorwurf des Populismus fällt auf die Verfechter der Agenda zurück. Wolfgang Lieb

Christoph Butterwegge: Argumente gegen das bedingungslose Grundeinkommen

Sowenig eine Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht würde, sowenig eignet sich jedoch das Grundeinkommen, um die tiefe Wohlstandskluft in der Gesellschaft zu schließen. Letztlich würde es als Kombilohn für alle wirken. Weil das Existenzminimum seiner Bezieher/innen gesichert wäre, könnten diese noch schlechter entlohnte Jobs annehmen, wodurch den Unternehmen mehr preiswerte Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und die Gewinne noch stärker steigen würden. Gleichzeitig wäre die Regierung nicht nur ihrer Pflicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit enthoben, sondern auch die Durchsetzung weitreichender Deregulierungskonzepte möglich.
Christoph Butterwegge hat uns eine Langfassung seines am 24. Mai 2007 in der taz erschienenen Aufsatzes zur Verfügung gestellt.

„Das unbedingte und universelle Grundeinkommen stellt keine realistische Alternative zur Reform des deutschen Sozialstaats dar.

Es erforderte einen nicht aufzubringenden Finanzaufwand, und es hätte eine offene außenwirtschaftliche Flanke. Wegen der Verringerung der Arbeitsanreize und wegen der extrem hohen Steuerlast würde es zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und zu einer Blockade des Wirtschaftswachstums führen. Die Zieleffizienz wäre sehr gering, da ein wesentlicher Teil der Transferzahlungen von den Begünstigten selbst aufgebracht werden müsste.“
So beginnt die Zusammenfassung eines Essays von Richard Hauser, emeritierter Professor für Sozialpolitik in Frankfurt. Wenn Sie am gesamten Text interessiert sind – eine gute Übersicht über Grundsicherungen. Zugleich mache ich Interessierte darauf aufmerksam, dass am 15.12. in der taz ein Disput zur Finanzierbarkeit des Grundeinkommens zwischen Heiner Flassbeck und Wolfgang Strengmann-Kuhn erscheinen wird. Wir werden auf die Links hinweisen.

Sachverständigenrat will den Arbeitszwang erhöhen. Das Arbeitslosengeld II soll um 30% gekürzt werden.

Unsere Wirtschaftsweisen haben in ihrem im Auftrag der Bundesregierung erstellten Gutachten, mal wieder eine tolle arbeitsmarktökonomische Idee: Das Alg II, bisher als eine Sozialleistung zur Sicherung des Existenzminimums definiert, soll unter Umgehung des Grundgesetzes auf ein existenzbedrohendes Niveau von 240 Euro und außerdem die Einkommensgrenze für Mini-Jobs von 400 auf 200 Euro gesenkt werden. Zudem sollen Erwerbseinkommen bis zu 200 Euro künftig voll auf das Alg II angerechnet, sprich abgezogen werden. Der Hunger wird die Arbeitlosen und Mini-Jobber schon zur Arbeit um jeden Preis treiben. Mit den so eingesparten staatlichen „Transferleistungen“ sollen dann über ein Kombilohnmodell die Löhne der Arbeitgeber subventioniert werden.

Hartz IV: Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch? – oder: wie Herr Jörges vom Stern der raffinierten Verschwörung des Fürsorgestaats zugunsten von Familien auf die Schliche gekommen ist.

Sie erinnern sich sicher, im Mai 2006 hat Ulrich Jörges, der stellvertretende Chefredakteur des Stern, unter der Überschrift „Der Kommunismus siegt“, „Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“ eine Polemik gegen den Sozialstaat und gegen Hartz IV-Empfänger geschrieben, die Schlagzeilen und ihn zum Stammgast vieler Talk-Shows gemacht hat. Helga Spindler, Professorin für öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Essen, ist den Fakten nachgegangen und sieht in der Argumentation von Jörges ein Beispiel dafür, wie ein Teil der Gesellschaft Abschied vom Anspruch an Solidarität im Staatswesen nimmt und es offenbar für schick hält, die humanitären und verfassungsgeschichtlichen Wurzeln zu kappen und dabei vermutlich noch nicht einmal ahnt, was das für Folgen haben wird. Helga Spindler hat den NachDenkSeiten diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.