Wenn sich Paraden einer „Gegenkultur“ von Waffenschmieden sponsoren lassen, dann ist das Teil und Ergebnis der aktuellen Propaganda zur Verniedlichung des Militärischen. Die „Normalisierung“ von Krieg und Rüstung wird mit Macht vorangetrieben, sie ist erfolgreich und sie trifft auf viel zu wenig Gegenwehr. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Der laut Medien größte Waffenfabrikant der Welt, die US-Firma Lockheed Martin, hat an der diesjährigen „Pride Parade“ in Washington DC teilgenommen (siehe Titelbild und das unten folgende Bild). Etwa laut dem US-Medium „Military News“ wurde auch ein Pride-Event in Texas von Lockheed gesponsert.
Eine solche Instrumentalisierung der Regenbogenkultur ist kein Einzelfall: Im Artikel Wenn der Regenbogen zur Farce wird hat Jens Berger bereits beschrieben, dass weitere Rüstungsfirmen, Autokonzerne, private Lobby-Gruppen oder staatliche Organe wie die deutsche Polizei oder die EU-Grenzschützer Frontex inzwischen auf den Regenbogen-Zug zur Eigen-PR aufgesprungen sind. Die zehn momentan größten deutschen Rüstungsunternehmen finden sich unter diesem Link.
Russel Brand fragte anlässlich des aktuellen Vorgangs bei der Pride-Parade in einer seiner kürzlichen Sendungen treffend, ob es denn verwunderlich sei, dass Krieg gesellschaftlich so akzeptabel geworden zu sein scheint, wenn sogar ein Event, das doch einer Gegenkultur entstamme wie der „Pride-Month“, nun von Lockheed Martin gesponsert werden dürfe.
Ich finde es bereits fragwürdig, wenn Zuckerdrinks große Sportveranstaltungen instrumentalisieren dürfen. Aber die Akzeptanz von Waffenschmieden auf der eigenen Bühne ist ein erheblicher Schritt weiter – das findet auch Russel Brand: „Das ist Lockheed Martin! Sie produzieren Waffen, die auf die Kinder des Feindes niedergehen.“ Wie könne man das noch übertreffen, fragt er, wo sei noch die Grenze, wenn man solches Geld annehme? Ein Twitternutzer bringt die massiven moralischen Doppelstandards auf den Punkt: „Lockheed Martin möchte, dass Sie wissen, dass sie – obwohl sie Saudi-Arabien mit Raketen und anderer Militärausrüstung bewaffnen – große Unterstützer von LGBT-Rechten sind.“
Verniedlichung des Militärischen
Der Vorgang illustriert neben der Heuchelei vonseiten des Waffenkonzerns eine massive Verniedlichung des Militärischen, die auf viel zu wenig gesellschaftlichen Widerstand trifft. Leider muss man davon ausgehen, dass sogar solche offenen Strategien zur „Normalisierung“ von Krieg und Waffenschmieden erfolgreich sind – und das sagt einiges über die Wehrhaftigkeit unserer Psychen gegenüber Propaganda aus, wenn es sogar so deutlich sein darf.
Neben dem politischen „White-Washing“ und „Green-Washing“ gibt es also auch das „Pink-Washing“, das Wikipedia folgendermaßen beschreibt: „Strategien, die durch das Vorgeben einer Identifizierung mit der LGBT-Bewegung bestimmte Produkte, Personen, Organisationen oder Staaten bewerben, um dadurch modern, fortschrittlich und tolerant zu wirken.“ Entsprechend finden sich auch in der aktuellen Kriegspropaganda zahlreiche Vokabeln wie „divers“, ein Ausdruck, der wegen seiner teils irreführenden Nutzung inzwischen einen Eintrag in unserem „Wörterbuch der Phrasendrescher“ verdient hätte.
Eine Armee „in der Mitte der Gesellschaft“ wurde auch durch die Corona-Politik begünstigt (Stichwort: Soldaten im Impfzentrum), wie etwa „Telepolis“ beschreibt:
„Das gilt auch für die Militarisierungstendenzen im Zuge der Pandemie-Politik So wurde von Olaf Scholz Generalmajor Carsten Breuer zum Leiter eines Corona-Krisenstabs ernannt. Breuer machte im Interview mit dem Deutschlandfunk klar, dass es um eine Normalisierung des Militärischen und der Bundeswehr geht. Mittlerweile wird das Kontingent der Bundeswehr bei der Corona-Bekämpfung auf 12.000 Personen aufgestockt.”
Die Bundeswehr und der Regenbogen
Der Einzug des Regenbogens bei der Bundeswehr unterliegt einerseits ähnlichen Vorwürfen der Heuchelei wie bei Lockheed. Aber: Bezüglich der einstigen Diskriminierung von Homosexuellen bei der Bundeswehr ist es andererseits auch ein gutes Zeichen. Unter diesem Link finden sich Infos des Verteidigungsministeriums darüber, dass „erst durch die Aufhebung eines Erlasses zur Personalführung homosexueller Soldat*innen“ im Jahr 2000 die institutionelle Diskriminierung bei der Bundeswehr beendet worden sei. Das Gesetz ermögliche queeren Personen im Militärdienst, die bis zum Jahr 2000 diskriminiert worden seien, Rehabilitierung und Entschädigung.
Die geballte eigene Meinungsmache der Bundeswehr zur „Vermenschlichung“ und Normalisierung des Militärischen in unserer Gesellschaft findet sich in der Mediathek der Bundeswehr.
Dieser Text richtet sich selbstverständlich nicht gegen die LGBTQI+-Community, sondern gegen die Instrumentalisierung einer Bewegung und ihrer Symbolik, die einst als Gegenkultur wahrgenommen wurde. Die einzelnen Mitstreiter der Bewegung selber können nichts für die Vereinnahmung ihrer Symbole und die Instrumentalisierung des reichen schwul-lesbischen popkulturellen Kapitals, das in Jahrzehnten kreativ aufgebaut wurde. Aber prominente Vertreter von LGBTQI+ könnten sich laut gegen Vereinnahmungen durch Kriegstreiber aussprechen (vielleicht ist das geschehen, dann bitte ich um Hinweise). Und wenigstens die Veranstalter der erwähnten Pride-Märsche hätten doch eingreifen können: Sie hätten die Instrumentalisierung ihrer Parade durch einen riesigen Rüstungskonzern verhindern müssen. Abgesehen davon muss die Wut über solche Tendenzen die Konzerne treffen, nicht die Menschen.