Dass der US-Chipgigant Intel im strukturschwachen Magdeburg eine riesige Chipfabrik bauen will, ist sicherlich vor allem für die Region eine gute Nachricht. Dass die Bundesregierung diese Ansiedlung jedoch mit unglaublichen 9,8 Milliarden Euro subventioniert, ist ein regelrechter Skandal. Kurios und nicht weniger skandalös ist dabei, dass dieses Geld nicht etwa aus dem regulären Bundeshaushalt kommt, sondern über Tricksereien mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten querfinanziert wird. So geht künftig ein Teil auch ihrer Heiz-, Strom- oder Benzinkosten in die Taschen eines US-Großkonzerns, der in den letzten fünf Jahren fast 100 Milliarden Dollar Nettogewinn erwirtschaften konnte. Mehr noch: Da aus den Einnahmen aus den Emissionszertifikaten eigentlich Energiesparprojekte kleinerer Firmen finanziert werden sollten, werden künftig dank Intel einige von ihnen in die Röhre gucken. Die Begründung für die außergewöhnlichen Subventionen ist dabei hanebüchen. Von Jens Berger.
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Spätestens seit der Störung der Lieferketten während der weltweiten Coronamaßnahmen hat die Bundesregierung die strategische Bedeutung der Produktion von Halbleitern, also Mikrochips, entdeckt. Es kam zur so getauften „Chipkrise“, die auch und vor allem dem liebsten Kind deutscher Wirtschaftspolitik arg zu schaffen machte – der Automobilindustrie. Dass auch auf EU-Ebene ausgegebene Ziel: Man wolle sich unabhängiger von Halbleiterimporten aus Asien machen. Für Olaf Scholz war dies zumindest der Hauptgrund für die historisch einmaligen Subventionen. „Durch solche Investitionen diversifizieren wir unsere Lieferketten und ermöglichen deutschen und europäischen Unternehmen, die von ihnen benötigten Chips in der EU zu besorgen“, so der Kanzler. So weit, so gut. Doch stimmt das auch?
Nein, in Deutschland werden schon jetzt Chips produziert, die beispielsweise für die Automobilindustrie oder für den Maschinenbau benötigt werden, und Unternehmen wie Bosch, Infineon oder Wolfspeed bauen die Kapazitäten für diese Produktionslinien auch derzeit – sicher ebenfalls subventioniert – deutlich aus. Das hat jedoch wenig bis nichts mit der Ansiedlung von Intel in Magdeburg zu tun. Dort wird Intel nämlich Wafer für Hochleistungschips herstellen, die mit besonders niedrigen Strukturgrößen im Angström-Bereich für leistungsstarke Plattformen benötigt werden, die in Computern und Servern eingesetzt werden. Großkunden für derartige Chips sind beispielsweise Hersteller von Computern oder Chipsätzen wie Qualcomm, Nvidia oder Mediathek, deren Produkte wiederum von Herstellern von Computern und Servern verbaut werden. Nur – weder die Hersteller von Chipsätzen, noch die von Computern oder Servern sitzen in Deutschland. Die für die deutsche Industrie so wichtigen Chips haben fast ausnahmslos deutlich größere Strukturgrößen, sind also, um es umgangssprachlich zu formulieren, nicht derart hochgezüchtet, leistungsstark und damit teuer und energiehungrig. Oder um eine Metapher zu bedienen: Deutschlands Industrie ist abhängig vom LKW und die Bundesregierung fördert ein Werk für Sportwagen, um sich von dieser Abhängigkeit zu lösen.
Mit anderen Worten: Die Intel-Wafer, die künftig in Magdeburg produziert und im ebenfalls hochsubventionierten neugebauten Intel-Werk im polnischen Breslau zu fertigen Prozessoren weiterverarbeitet werden, haben mit der „Chipkrise“ überhaupt nichts zu tun. Diese Chips werden zum großen Teil erst einmal nach Asien exportiert, dort in mehreren Stufen in Plattformen verbaut, um dann auf der ganzen Welt als Vorprodukt oder direkt an Endkunden verkauft zu werden. Die Lieferketten bleiben anfällig und mit der deutschen Industrie hat das Ganze schon mal überhaupt nichts zu tun. Oder ist in ihrem VW ein Leistungsgigant vom Typ „Intel Core i9“ verbaut?
Intel ist der große Gewinner dieser Standortpolitik. Dass Intel seine Produktionskapazitäten in der EU in einem Jahrzehnt mit Investitionen im Wert von 80 Milliarden Dollar ausbauen wollte, stand bereits seit längerem fest und wurde von Intel auch so kommuniziert. Wo genau die neuen Produktionsstätten entstehen, war für Intel vor allem eine Frage der Subventionen durch die jeweiligen nationalen Regierungen. Am Ende gab es Geld von Deutschland, Polen, Italien, Frankreich und Irland – in all diesen Ländern werden entweder neue Produktions- und Entwicklungszentren entstehen bzw. vorhandene Produktionslinien erweitert. Selbstverständlich hätte Intel diese Investitionen auch ohne Subventionen getätigt – schließlich will man ja Produkte herstellen und Geld verdienen. Mit Asien hat das Ganze übrigens auch nichts zu tun. Intel fertigt vor allem in den USA, in Israel und der EU, aber nur zu einem kleinen Teil in seinem einzigen asiatischen Werk in Malaysia.
Und last but least – wenn es um die Abhängigkeit von Asien im Segment der Hochleistungschips geht, sollte man sogar die gigantischen Investitionen von Intel ruhig mal ins Verhältnis setzen. Das Werk in Magdeburg – technisch gesehen sind es übrigens zwei Werke – soll die Fläche von drei Fußballfeldern haben. Das klingt viel. Der südkoreanische Chipgigant Samsung erweitert sein Werk in Pyeontaek jedoch gerade um 25 Fußballfelder. Und das ist nur ein Samsung-Werk. Intel plant, 80 Milliarden Dollar im nächsten Jahrzehnt zu investieren. Auch das klingt viel. Samsung investiert jedoch jedes Jahr 25 Milliarden Dollar und der Branchenprimus TSMC aus Taiwan hat alleine in den letzten beiden Jahren grob so viel investiert, wie Intel es im kommenden Jahrzehnt plant.
Die „Abhängigkeit“ bleibt also. Wobei es schon ein recht vulgärökonomisches Verständnis ist, aus der geographischen Lage der Produktionsstätten auf mögliche Abhängigkeiten zu schließen. Jeder Hersteller, egal ob Intel, Samsung oder TSMC, verkauft nicht an den benachbarten Kunden, sondern an den Kunden, der am meisten bezahlt, und gerade bei Hochleistungschips mit ihren im Verhältnis zum Endpreis geradezu verschwindend geringen Transportkosten spielt die geographische Lage überhaupt keine Rolle. So werden die Chips aus Magdeburg ganz selbstverständlich auch in Produkten, die in Taiwan oder im chinesischen Shenzhen produziert werden, landen, während Chips von TSMC natürlich auch in Produkten deutscher Hersteller wiederzufinden sind. Die Weltwirtschaft ist global, die Standortpolitik der Bundesregierung erinnert eher an das Wilhelminische Zeitalter.
Aber zumindest der Region Magdeburg nützt die Investition doch. Oder? Um es mit Radio Eriwan zu sagen: Im Prinzip, ja. Arbeitgeber wie Intel sind dafür bekannt, ordentliche Löhne zu bezahlen und gerade die teils hochqualifizierten Arbeitsplätze werden sehr viel Geld in die Region pumpen. Auch regionale Zulieferer und Handwerksunternehmen dürften sich freuen – allein der Bau des Werkes und der dazugehörigen Infrastruktur samt Wohnraum für die Arbeitnehmer, Schulen, Freizeitangeboten, Gastronomie und Handel dürften die Region wirtschaftlich deutlich nach vorn bringen. Wo Licht ist, ist jedoch auch Schatten. Attraktive Arbeitgeber wie Intel werden gerade für qualifizierte Arbeitsplätze sicher vor allem Arbeitskräfte von anderen Unternehmen aus der Region abziehen und diese Unternehmen werden – Stichwort Fachkräftemangel – ernste Probleme bekommen, die nun vakanten Stellen adäquat zu besetzen. Des einen Freud’ ist des anderen Leid.
Gesamtwirtschaftlich bleibt zwar unter dem Strich ein Nutzen; die Frage ist jedoch, ob dieser Nutzen 10 Milliarden Euro wert ist und ob man mit anderen Subventionen in dieser Größenordnung keinen größeren gesamtwirtschaftlichen Nutzen erzeugen könnte. Und hier muss die Antwort lauten: Natürlich! Was könnte man beispielsweise nicht alles erreichen, wenn man stattdessen ein Förderprogramm in Höhe von 10 Milliarden Euro für Unternehmensgründer im Universitätsumfeld auflegen würde? Deutschland ist allen Unkenrufen zum Trotz immer noch ein Land, in dem Forschung auf hohem Niveau stattfindet. Es hapert jedoch daran, diese Forschung in Unternehmensgründungen und Arbeitsplätze zu transferieren. Beim Intel-Werk wird nun jeder einzelne Arbeitsplatz mit drei Millionen (!) Euro subventioniert. Würde man junge Unternehmensgründer mit 500.000 Euro subventionieren, könnte man mit diesem Geld 20.000 Unternehmen gründen, die mittelfristig bei zehn Mitarbeitern pro Unternehmen ganzen 200.000 Menschen einen Job geben könnten. Doch was macht die Bundesregierung? Sie überweist das viele Geld lieber nach Santa Clara im fernen Kalifornien. Auf dass die Aktionäre von Intel auch künftig fette Dividenden einfahren können. Das ist Standortpolitik aus dem Kuriositätenkabinett.
Das Sahnehäubchen auf der Kirsche des Kuriositätenkuchens ist jedoch, dass die Subventionen nicht wie üblich aus Steuermitteln kommen, sondern über den Umweg des Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung. Der wird mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten gespeist und soll bis 2026 die unvorstellbare Größe von 177,5 Milliarden Euro haben. Nur zur Erinnerung: Das ist das Geld, das die Endverbraucher, also wir, entweder direkt an der Zapfsäule und über die Energierechnung oder indirekt an der Ladenkasse „zu viel“ für Gas, Benzin und Strom bezahlen. Die Einnahmen sollten eigentlich dazu dienen, Unternehmen bei Investitionen zur Energieeinsparung und der Stromwirtschaft bei der Energiewende unter die Arme zu greifen. Stattdessen landet das Geld nun bei Intel. Der US-Konzern hat dafür aber auch brav angekündigt, die Subventionen des Bundes in „stromsparende“ Produktionsprozesse im Magdeburger Werk zu investieren. Und wenn Intel das sagt, wird es sicher auch stimmen. Oder?
Titelbild: Bandersnatch/shutterstock.com