Gekaufte Republik. Staatssekretär bei Bundespräsident Köhler arbeitet ohne Gehalt – sein Geld bekommt er von einer Finanzgruppe
Der Vorstandsvorsitzende des Finanzkonzerns Wüstenrot & Württembergische (W&W) Gert Haller wird ab 1. März 2006 Nachfolger von Michael Jansen als Chef des Bundespräsidialamtes. Im Rang eines Staatssekretärs wird er sein Amt ohne Salär ausüben. Er kann sich das leisten, denn für seinen Lebensunterhalt wird weiter sein Konzern durch eine Pension sorgen.
„Solche Männer braucht das Land!“ schwärmt BILD. Nur weiter so. Bald stellen DaimlerChrysler oder E.ON die Staatssekretäre im Wirtschaftsministerium, Siemens vielleicht den Chef des Kanzleramtes oder der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ordnet kostenfrei die Amtschefs für das Sozialministerium ab. Das spart Geld – dem Staat und natürlich auch den Konzernen. Letztere könnten sich nämlich dann die teure Lobby- und PR-Arbeit ersparen, denn ihre Leute säßen dann gleich unmittelbar an den Hebeln des Staatsapparates.
Es ist ja bekannt, dass Bundpräsident Köhler dafür eintritt, dass der Sozialstaat nur noch die „großen Lebensrisiken“ absichern soll und etwa eine angemessene Altersvorsorge oder die Altenpflege „eigenverantwortlich“, also privat versichert werden sollen. Mit dem Vertreter eines Finanzkonzerns als Chef seines Amtes hat er nun jemand aus der Versicherungswirtschaft, von der wiederum bekannt ist, dass sie an der privaten Vorsorge ein massives Geschäftsinteresse hat.
Bisher mussten die Versicherer teure ganzseitige Anzeigenserien schalten und massive Lobbyarbeit betreiben, um ihre Umsatzinteressen in die Politik einzuspeisen, jetzt hat ein Versicherungskonzern einen ihrer Fürsprecher gleich zur rechten Hand des Staatsoberhauptes gemacht. Für diesen direkten Draht können die Versicherer locker für dessen Gehalt gerade stehen. Das zahlt sich um ein Vielfaches aus.
Damit keine Missverständnisse aufkommen:
Es geht bei diesem Personalwechsel nicht um einen der heutzutage hoch gelobten Austausch zwischen Wirtschaft und Politik – was, wie wir erleben, so unproblematisch ja auch nicht ist -, sondern es geht um die Frage, ob es der demokratischen Kultur in diesem Lande gut tut, dass der „1. Staatssekretär“ (BILD) vom Konzern einer Branche „gesponsert“ werden soll, die schon durch ihre Werbeanzeigen öffentlich bekundet, dass sie für die Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen politisches und staatliches Entgegenkommen erreichen will.
Nichts wäre auch dagegen einzuwenden, wenn der Bundespräsident seinen ihm offenbar seit langer Zeit freundschaftlich verbundenen ehemaligen Kollegen zu einem ehrenamtlichen Beauftragten etwa für einen wohltätigen Zweck gemacht hätte. Der „Bürger“ Gert Haller hätte für ein derartiges Ehrenamt Respekt, Anerkennung und öffentlichen Dank verdient. Beim Chef des Bundespräsidialamtes, handelt es sich aber nicht um ein Ehrenamt oder um einen Ehrenbeamten, sondern um einen in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehenden Berufsbeamten mit hoheitlichen Befugnissen, der die Behörde des obersten Staatsorgans zu leiten hat, der wichtigste Berater des höchsten Repräsentanten aller Deutschen ist und deshalb einer der höchstbesoldeten Beamten ist. Ein solcher Staatsdiener darf nicht einmal den Anschein erwecken dürfen, Diener zweier Herrn zu sein.
(Ob Hallers Dienst am Staat wirklich so selbstlos ist, wie er das selbst darstellt, soll einmal dahingestellt bleiben, es wäre ja nicht ungewöhnlich dass die Pension eines Vorstandsvorsitzenden erheblich über dem Gehalt eines Staatssekretärs liegt.)
Übrigens: Es gab mal eine Zeit, da durfte und konnte ein Beamter von Rechts wegen seine staatliche „Alimentation“ gar nicht ablehnen, denn die staatliche Absicherung eines angemessenen Lebensunterhalts sollte die Unabhängigkeit des „Staatsdieners“ garantieren.
Zugegeben: Das Alimentationsprinzip hat Abhängigkeiten von privaten Interessen oder gar Korruption nie ganz verhindern können. Die Zahl der Affären, Skandale oder sogar Korruptionsvorwürfe hat in den letzten Jahren eher zugenommen. Können und dürfen aber solche Auswüchse ein Grund dafür sein, auf dieses Prinzip gleich ganz zu verzichten und damit Abhängigkeiten des Beamtenapparates Tür und Tor zu öffnen?
Die Sensibilität für die zur demokratischen Kultur gehörenden Unabhängigkeit des Staates und seines Beamtenapparates von privaten gesellschaftlichen Interessen scheint leider nicht nur dem Bundespräsidenten, sondern auch dem Altkanzler, ja – wenn man das Presseecho zur Neuberufung des „unbezahlten“ Chefs des Präsidialamtes liest – auch in der Öffentlichkeit abhanden gekommen zu sein. Vielleicht weil man in weiten Kreisen der Politik und bei vielen Repräsentanten unseres Staates zwischen privaten Wirtschaftsinteressen und der Rolle des Staats gar nicht mehr unterscheidet oder nicht mehr unterscheiden will oder kann.
Quelle: BerlinOnline