Ende Mai 2023 stürmten die auf Seiten der Ukraine kämpfenden russischen Neonazis des „Russischen Freiwilligenbataillons“ zusammen mit der Legion „Freiheit Russland“, die offiziell Teil der ukrainischen Fremdenlegion ist, Ortschaften im russischen Grenzgebiet der Region Belgorod. Zuvor wurden dortige Wohnsiedlungen massiv mit Artilleriefeuer eingedeckt. Sowohl US-amerikanische Regierungsvertreter als auch Medien wie Washington Post und DER SPIEGEL räumten ein, dass dabei an die Ukraine gelieferte NATO-Waffen zum Einsatz kamen. Zahlreiche verifizierte Videoaufnahmen belegen dies ebenso. Doch die Bundesregierung erklärt all dies in einer aktuellen Antwort zu reinen „Behauptungen“. Auf die Frage nach deutschen Waffenlieferungen in Händen der Neonazi-Miliz wird mit einer nichtssagenden Floskel „geantwortet“. Von Florian Warweg.
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„Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung (auch nachrichtendienstliche) über die Bewaffnung der Neonazi-Miliz „Russisches Freiwilligenkorps“ mit Militärmaterial aus NATO-Staaten, die zusammen mit der Legion „Freiheit Russlands“ laut Presseberichten „vom ukrainischen Militärgeheimdienst aufgestellt, bewaffnet, ausgerüstet, bezahlt und unterstützt“ ins russische Grenzgebiet der Region Belgorod vorgedrungen ist und Wohngebiete unter Dauerbeschuss genommen hat, und inwiefern kann die Bundesregierung ggf. ausschließen, dass auch aus Deutschland an die ukrainische Regierung gelieferte Waffen an Neonazi-Milizen weitergegeben werden?“
Die lapidare Antwort der Bundesregierung auf die Frage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss während der Fragestunde im Deutschen Bundestag am 14. Juni 2023 lautet:
„Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Die Bundesregierung macht sich die in der Fragestellung enthaltenen Tatsachenbehauptungen ausdrücklich nicht zu eigen.“
Diese kurz angebundene Antwort der Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann (mit Grünen-Parteibuch), im Namen der Bundesregierung wirft zahlreiche Fragen zum Demokratie- und Wahrheitsverständnis der amtierenden Exekutive auf. Zum einen wird mit dieser Form der „Antwort“ erneut Bundestagsabgeordneten der Opposition das ihnen verfassungsrechtlich garantierte Informations- und Fragerecht de facto verwehrt. Zum anderen erklärt die Bundesregierung die in der konkreten Frage einer Bundestagsabgeordneten aufgezählten und belegbaren Tatsachen, die so auch offiziell von US-Regierungsvertretern eingeräumt wurden, zu angeblichen „Behauptungen“. Doch diese Darstellung der Bundesregierung ist nachweislich falsch:
Verifizierte Videoaufnahmen, westliche Leitmedien und US-Regierungsvertreter bestätigen den Einsatz von NATO-Waffen bei der Neonazi-Miliz „Russisches Freiwilligenkorps“
Am 23. Mai veröffentlichte die Washington Post (WP) einen investigativen Artikel unter der Überschrift „Einsatz von NATO-Waffen für Angriffe in Russland weckt Zweifel an Kiews Kontrollen“.
Darin heißt es gleich zu Beginn mit Verweis auf US-Regierungsbeamte:
„Die gegen Moskau gerichteten russischen Kämpfer, die letzte Woche einen grenzüberschreitenden Überfall von der Ukraine auf die russische Region Belgorod starteten, benutzten mindestens vier taktische Fahrzeuge, die der Ukraine ursprünglich von den Vereinigten Staaten und Polen zur Verfügung gestellt worden waren, so US-Beamte (…).“
Ein von der WP in dem Artikel präsentiertes Video trägt folgende Beschriftung: „Ein am 22. Mai vom Russischen Freiwilligenkorps, einer Anti-Putin-Miliz mit Neonazi-Anleihen, veröffentlichtes Video zeigt Kämpfer und einen MRAP nahe der Grenze zu Belgorod.“ MRAP steht für „Minen widerstehendes und Hinterhalt-geschütztes Fahrzeug“ und wurde auf Betreiben des United States Marine Corps entwickelt.
Weiter führt der Bericht aus, dass die WP die zu dem Überfall kursierenden Videos und Fotos ausgewertet und verifiziert habe:
„Den von der Washington Post überprüften Fotos zufolge trugen die Kämpfer auch Gewehre aus Belgien und der Tschechischen Republik sowie mindestens eine AT-4-Panzerabwehrwaffe, die von den US-amerikanischen und westlichen Truppen häufig eingesetzt wird.“
Diesen Bericht der WP nahm die belgische Regierung zum Anlass, umfassende Ermittlungen aufzunehmen und von Kiew Aufklärung zu fordern. In einem Interview erklärte der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo unter anderem:
„Unser Verteidigungsministerium und seine Geheimdienste haben eine Untersuchung eingeleitet und bitten um Informationen, um festzustellen, was genau passiert ist.“
Waffen seien an die Ukraine unter der strengen Bedingung geliefert worden, dass sie nur auf ukrainischem Territorium „zum Zweck der Verteidigung dieses Territoriums“ eingesetzt werden. Abschließend erklärte er:
„Wir führen strenge Kontrollen durch, um sicherzustellen, dass dies der Fall ist.“
DER SPIEGEL griff die Berichterstattung der WP in einem Artikel unter der Überschrift „Belgorod unter Beschuss – Kiews gefährliches Ablenkungsmanöver“ auf.
Unter anderem befragte DER SPIEGEL dazu auch den Berater des Kiewer Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak. Dieser erklärte gegenüber dem Hamburger Blatt, es sei offensichtlich, dass der Krieg allmählich auf das Territorium Russlands übergreife, weil die russischen Behörden die Kontrolle verlören. DER SPIEGEL ordnet die Aussage des ukrainischen Präsidentenberaters wie folgt ein und bestätigt dabei auch die ukrainischen Angriffe auf russische Wohngebiete:
„Diese Erzählung vom im Chaos versinkenden russischen Staat, der sich immer weniger gegen wachsenden inneren Widerstand wehren könne, hat Podoljak schon häufiger öffentlich vorgetragen. Sie ist Teil des Informationskriegs zwischen den beiden Ländern und erlaubt es Kiew, auf elegante Weise die eigene Rolle bei den Angriffen auf russische Wohnhäuser wie in der Kleinstadt Schebekino zu verschleiern.“
Zudem interviewte DER SPIEGEL den britischen Russland-Experten Mark Galeotti, Leiter der staatlichen Denkfabrik „Zentrum für Europäische Sicherheit am Institut für Internationale Beziehungen“ mit Sitz in Prag, zu dessen Einschätzung der Rolle der Ukraine hinsichtlich der Neonazi-Miliz „Russisches Freiwilligenbataillon“. Galeotti zeigt sich im Interview überzeugt, dass Kiew diese Einheiten nicht nur toleriert oder mit ihnen kollaboriert, sondern sie leitet. Weiter führt er aus:
„Sie werden von den Ukrainern und insbesondere vom ukrainischen Militärgeheimdienst aufgestellt, bewaffnet, ausgerüstet, bezahlt und unterstützt.“
Halten wir fest: Führende westliche Medien, auf die sich die Bundesregierung sonst auch gerne beruft, ebenso wie im westlichen Sinne renommierte „Russland-Experten“ sowie ranghohe US-Beamte räumen öffentlich ein, dass die Ukraine Neonazi-Gruppierungen mit NATO-Waffen ausrüstet und diese Angriffe auf zweifelsfrei zu Russland gehörendes Territorium ausführen lässt. Die belgische Regierung leitete eine offizielle Untersuchung ein, um herauszufinden, wie an die Ukraine gelieferte Waffen in den Händen der Neonazi-Miliz landeten. Doch was macht die Bundesregierung in ihrer Antwort an Mitglieder des Bundestages? Sie gibt vor, sie würde alle diese Aussagen und Belege nicht kennen und erklärt sowohl die Präsenz von NATO-Waffen bei Neonazi-Milizen also auch den gezielten Beschuss russischer Wohngebiete durch die Ukraine zu angeblichen „Tatsachenbehauptungen“, die sie sich „ausdrücklich“ nicht zu eigen mache. Diese Chuzpe muss man erst mal als Regierung gegenüber den gewählten Parlamentariern des Bundestages aufbringen.
Sevim Dagdelen, Obfrau im Auswärtigen Ausschuss und Initiatorin der Anfrage, erklärte auf Nachfrage der NachDenkSeiten, wie sie die Antwort der Bundesregierung bewerte:
„Das vorgegebene Desinteresse der Bundesregierung an der militärischen Ausrüstung von Neonazi-Milizen durch die ukrainische Armee mit Waffen aus NATO-Ländern für Angriffe auf Kommunen und Infrastruktur in Russland ist erschreckend, noch dazu, da der Kopf der Terrorgruppe „Russisches Freiwilligenkorps“, Denis Kapustin, Beziehungen zu Neonazis in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas unterhält.
Der „Kampf gegen rechts“ der Ampel-Regierung richtet sich selbst, wenn man keine Probleme darin sieht, dass hier Neonazis mit NATO-Kriegsgerät aufmunitioniert und bei ihren Vorstößen in Russland offensichtlich von der ukrainischen Führung unterstützt, wie auch mit Geheimdienstinformationen aus der NATO über Zieldaten versorgt werden. Nicht abzusehen ist, welche Folgen das Agieren dieser schwer bewaffneten Neonazi-Gruppen langfristig für die Sicherheit Europas hat und ob hier nicht ein „brauner ISIS“ entsteht, der ähnlich wie islamistische Terrorgruppen wie ein Frankensteinmonster auf diejenigen losgeht, die sie einst ausgebildet und bewaffnet haben.“
Grün-geführte Ministerien und die Arroganz der Macht
Abschließend bleibt festzuhalten, dass in letzter Zeit insbesondere von den Grünen geführte Ministerien wie das Wirtschaftsministerium (BMWK) unter Robert Habeck sowie das Auswärtige Amt (AA) unter Annalena Baerbock dadurch auffallen, dass sie zumindest versuchen, den Bundestagsabgeordneten der beiden kleineren Oppositionsparteien, Linke und AfD, das ihnen verfassungsrechtlich garantierte Informations- und Fragerecht zu verwehren. Über einen diesbezüglich besonders eklatanten Fall hatten die NachDenkSeiten am 3. Januar 2023 berichtet. Der Habeck-Vertraute und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Sven Giegold, hatte versucht, in einem wohl einmaligen Akt der Demokratieverachtung Antworten auf Fragen zu Rüstungsexporten der Ampel-Koalition zu verweigern.
Nicht viel besser sieht es im aktuellen Fall der de facto Antwortverweigerung des AA aus. Die ministerielle Führung der Grünen braucht, allem Anschein nach, einen Intensivkurs in Sachen parlamentarischer Demokratie, der ihr vermittelt, dass das Element der Kontrollfunktion durch die Legislative einen zentralen Platz in dieser Demokratieform einnimmt und dass hierfür das verfassungsrechtlich verankerte Fragerecht von Bundestagsabgeordneten eine fundamentale Rolle spielt.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte diesbezüglich bereits in einem Urteil von 2014, wohlgemerkt erstritten von den Grünen, die damals noch die Oppositionsbank drückten:
„Die Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Anfragen und auf Fragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages sollen dazu dienen, dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die Bundesregierung schafft mit ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen so die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit innerhalb des Parlaments.“
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Titelbild: Screenshot washingtonpost.com