Leserbrief zu „Kirchentag: Die Politik und der Garten Eden”
In diesem Artikel hat Helmut Ortner die Verquickung von Politik und Religion beim Kirchentag thematisiert. Hier veröffentlichen wir einen Leserbrief dazu mit weiteren Gedanken und Verweisen. Von Redaktion.
Sehr geehrte Redaktion,
ich möchte den Beitrag von Helmut Ortner noch um ein wichtiges Thema ergänzen. Warum werden die Kirchen in Deutschland vom Staat so üppig subventioniert – nicht nur bei Kirchentagen?
Meine Theorie ist, dass die Kirchen dafür belohnt werden, dass sie die militärischen Aktivitäten des Staates absegnen. Man stelle sich einmal vor, die Kirchen würden aus der Militärseelsorge aussteigen und öffentlich verkünden, dass der Kriegsdienst nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar ist. Man bräuchte wohl nicht lange warten, bis nach diesem Schritt – den effektivsten, den die Kirchen für den Frieden tun könnten – der Staat den Geldfluss an die Kirchen stoppen würde.
Im Nachfolgenden einige Indizien und Belege dafür, dass meine Theorie nicht ganz falsch sein könnte. Bevor ich auf den aktuellen Kirchentag zu sprechen komme, erst einmal eine kurze Rückschau.
„Ökumenischer Kirchentag mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg” lautete ein Artikel von Ekkehard Lentz, der am 14. Mai 2021 bei den Nachdenkseiten erschienen ist. Die Moderation dieses NATO-Auftritts „Wie gelingt Friedenssicherung in einer unsicheren Welt?“ übernahm der diesjährige Kirchentagspräsident und ehemalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière.
In einem Interview vom 5. April dieses Jahres mit dem Kirchentagspräsidenten Thomas de Maizière zeigt bereits das Zitat in der Überschrift „Freiheit ist wichtiger als Frieden” wie er zum Pazifismus steht. Dass von einem ehemaligen Verteidigungsminister nichts anderes zu erwarten ist, sollte eigentlich klar sein. Die Personalie de Maizière zeigt aufs eindrücklichste die Verflechtung von Kirche, Staat und Militär.
Die Seite militaerseelsorge-abschaffen.de kritisiert die starke Präsenz der Bundeswehr auf dem Kirchentag: militaerseelsorge-abschaffen.de/aktionen/2023-dekt-nurnberg/
Die Bundeswehr kündigt auf ihrer Internetseite an, dass sich die Evangelische Militärseelsorge wieder auf vielfältige Weise an dem Evangelischen Kirchentag beteiligen wird und führt entsprechende Veranstaltungen auf: bundeswehr.de/de/betreuung-fuersorge/militaerseelsorge/evangelische-militaerseelsorge/unser-angebot/kirchentag/kirchentag-2023
Nun zu den Indizien und Belegen, die der aktuelle Kirchentag bis jetzt geliefert hat.
Frei nach dem diesjährigen Kirchentags-Motto „Die Zeit ist jetzt” sagte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier gleich in seiner Rede zur Eröffnung des Kirchentages: „Neben all den anderen Anstrengungen – es ist auch Zeit für Waffen.“ Die taz schreibt: „Steinmeier hatte damit auf politisch-konventionellste Weise die Herzen des Publikums auch auf seiner Seite, brandenden Applaus erntete er jedoch nicht.”
taz.de/Evangelischer-Kirchentag-in-Nuernberg/!5939415/
Steinmeier legte damit gleich zu Beginn die Richtung fest, in die sich alle Diskussionen zum Thema Krieg hinzubewegen hatten – abgesehen von einzelnen Gegenstimmen wie zum Beispiel den Friedensbeauftragten der EKD Friedrich Kramer. Wohl aus Protest hat Margot Käßmann ihre Teilnahme abgesagt. Aber die EKD-Führung hat sich ja von Anfang an für Waffenlieferungen ausgesprochen und damit ihren Kurs festgelegt.
In einer von der taz organisierten Gesprächsrunde (Beginn der Gesprächsrunde ab Minute 6:23) mit der Bischöfin von Hannover, Petra Bahr, wiederholte diese nur die bekannten Argumente der Mainstream-Medien und kam dann ebenfalls zu dem Schluss: „Waffenlieferungen sind geboten“. taz.de/Bischoefin-Petra-Bahr-ueber-Pazifismus/!5936205/
Zur Rechtfertigung ihrer Position und wohl auch der taz-Journalisten wurden alle möglichen Argumente angeführt, z.B. was Martin Luther, Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer gesagt haben. Ausgeschlossen von diesem Gespräch waren aber offensichtlich Gott („Du sollst nicht töten”) und Christus („Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.” / „Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“).
Dass Frau Bahr ihr stattliches Bischofsgehalt vom deutschen Staat erhält, also letzendlich von der Bundesregierung bezahlt wird, macht verständlich, warum Frau Bahr eins zu eins die Argumente der Bundesregierung wiedergibt, aber Gott und Christus außen vor lässt.
Ich kann beim besten Willen keine Zeitenwende erkennen. Alles ist so, wie es immer war: Staatskirchliche Theologen segnen Kriege, Aufrüstung und Waffenexporte der Obrigkeit ab. Und so wie heute Dietrich Bonhoeffer als Alibi für das antichristliche Verhalten der ev. Kirche in der NS-Zeit herhalten muss, so vielleicht Frau Käßmann in einer späteren Zeit für das antichristliche Verhalten der ev. Kirche heute. Wenn es die ev. Kirche dann noch geben sollte.
Alles ist auch genauso so, wie schon Leo Tolstoi den Komplex „Staat-Kirche-Krieg” gesehen hat. Sinngemäß:
Der Staat benötigt für seine Kriegsapparatur vor allem einen Kirchenbau, welcher die Botschaft der Religion ins Gegenteil verfälscht, die Waffenproduktion absegnet und die Ermordung von Menschen im Namen einer angeblich von Gott verliehenen Vollmacht rechtfertigt. Seit der konstantinischen Wende zu Beginn des 4. Jahrhunderts erfüllen die großen „christlichen” Institutionen ohne jede Scham diese Aufgabenstellung. Sie erweisen sich als Dienstleister der Mächtigen und Besitzenden. Das authentische Christentum unschädlich zu machen, darin liegt Tolstoi zufolge die Funktion des mit dem Staat paktierenden Kirchentums.
telepolis.de/features/Leo-Tolstoi-und-die-Religion-des-Krieges-8582644.html
Zum Schluss noch die etwas satirische Frage:
Sind die Grünen so bellizistisch, weil sie so oft Kirchentage besuchen? Auf der Internetseite der Grünen in Paderborn heißt es padergrün.de/2019/06/gruene-treffpunkte-auf-dem-evangelischen-kirchentag-in-dortmund/ :
„Denn der Kirchentag ist nicht nur für Christ*innen interessant, sondern für alle Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen. ‚Kein Thema des Kirchentages, das nicht auch bei einem grünen Parteitag auf der Agenda stehen könnte‘, schrieb der SPIEGEL schon 2015 und zitierte eine Studie der Uni Leipzig: ‚Etwa die Hälfte der Kirchentagsbesucher würde die Partei der Grünen wählen.‘”
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Böhm