Der Sommer in Tschechien fühlt sich wundervoll an. Derlei Empfindung konnte ich beim jüngsten Besuch in unserem Nachbarland wieder erleben. Unsere europäischen Mitbürger beim Leben zu beobachten (einschließlich beim Protestieren), geriet zu einer freudigen Erfahrung. Mensch, wie ich es den Bürgern gönne, dass sie trotz allen Ärgers, teils großer, existenzieller Sorgen, trotz der heftigen (gemachten) Krise in vielen Bereichen, trotz fortwährendem Krieg im Osten und der damit näherkommenden Bedrohung geradezu trotzig charmant aufblühen. In diesen Tagen dreht der Sommer noch mehr auf, in Prag steigt ein grandioses Musikfestival, bei dem das Wort Courage keine leere Worthülse sein soll, es klingt nach einem politischen Statement. Derweil droht weiteres Ungemach, Tschechien könnte bald zu einer US-Militärbasis werden. Wir wissen, Deutschland ist schon eine. Ein Kommentar von Frank Blenz.
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Tschechien (CZ) – eine US-Base?
So wie von Tschechen der Frieden, die Freude, das Leben gefeiert wird, so agieren in Tschechien dagegen auf der anderen Seite ebenfalls tschechische Bürger, aber solche, die in hohen Ämtern, mit großem Einfluss und geradezu fanatischer Lust auf Aggression, Herrschaft, Militarismus versehen sind. Die organisieren kein Fest, sie planen, aus dem Land eine Basis zu machen; eine militärische für den großen Freund USA. Alles ist festgeschrieben in einem unsäglichen Vertragswerk, das noch nicht unterschrieben ist. Die Menschen im Sommer – noch ahnen viele von ihnen das mögliche Unheil gar nicht, sie werden das Machwerk sicher bald gar als Gewinn, als alternativlos, als Freundschaftsdienst verkauft bekommen. Es regt sich seit längerem Widerstand im Land, in der Bevölkerung, Demonstrationen am Wenzelsplatz in Prag finden regelmäßig und lauter werdend statt. Nun sollte das Protestieren aus einem neuen, sorgenbereitenden Grund, man lese die Schweizer Internetplattform „Globalbridge“, noch lauter werden.
Globalbridge hat in einem aktuellen Artikel Auszüge aus dem Vertragswerk zwischen Tschechien und den USA veröffentlicht, es läuft einem der kalte Schauer über den Rücken. Man erfährt, dass die Tschechische Republik und die USA einen bilateralen Vertrag aushandeln, der die USA in Tschechien berechtigt, beliebig viele Militärbasen zu eröffnen und beliebig viele Waffen zu lagern. Man bedenke: Die USA unterhalten in zahlreichen Ländern solche Einrichtungen, die USA betrachten Europa als Aufmarschgebiet, fern der eigenen Heimat, wie praktisch. Zudem sind Sonderrechte der dann in Tschechien stationierten Beschäftigten der US-Streitkräfte und ihrer Angehörigen vorgesehen:
„Der Vertragsentwurf zwischen den USA und der Tschechischen Republik enthält 30 Hauptartikel mit jeweils mehreren Unterartikeln. Dreimal steht darin die Formulierung „unter voller Respektierung der tschechischen Souveränität“ – eine völlige Leerformel, wie man beim Lesen des ganzen Vertragstextes leicht feststellen kann. Als Beispiel seien hier Kapitel 3 „Zugang und Nutzung von vereinbarten Einrichtungen und Gebieten“ und die ersten zwei der Unterkapitel wörtlich zitiert:
„1. Unter uneingeschränkter Achtung der Souveränität der Tschechischen Republik wird den US-Streitkräften, den US-Vertragspartnern, den tschechischen Vertragspartnern, abhängigen Personen und Anderen nach gegenseitiger Vereinbarung ungehinderten Zugang zu den vereinbarten Einrichtungen und Arealen und deren Nutzung für Besuche, Ausbildung, Übungen, Manöver, Transit, Unterstützung und damit zusammenhängende Aktivitäten, Betankung von Luftfahrzeugen, Betankung von Schiffen, Landung und Bergung von Luftfahrzeugen, vorübergehende Instandhaltung von Fahrzeugen, Schiffen und Luftfahrzeugen, Unterbringung von Personal, Kommunikation, Stationierung und Verlegung von Truppen und Material; Bereitstellung von Ausrüstung, Versorgungsgütern und Material; Maßnahmen der Sicherheitsunterstützung und -zusammenarbeit; gemeinsame und kombinierte Ausbildungsmaßnahmen; humanitäre Maßnahmen und Katastrophenhilfe; Maßnahmen für unvorhergesehene Ereignisse; Bauarbeiten zur Unterstützung gemeinsam vereinbarter Maßnahmen; und sonstige Zwecke, die die Vertragsparteien oder ihre Handlungsbeauftragten vereinbaren können, einschließlich der im Rahmen des Nordatlantik-Vertrags durchgeführten Maßnahmen.“
Und dann kommt das „kleine“ Detail:
„2. Die Vertragsparteien haben gemeinsamen Zugang zu diesen vereinbarten Einrichtungen und Arealen und nutzen sie gemeinsam, mit Ausnahme der vereinbarten Einrichtungen und Arealen oder von Teilen davon, die von den Handlungsbeauftragten ausdrücklich für den ausschließlichen Zugang und die ausschließliche Nutzung durch die US-Streitkräfte bestimmt wurden.“
„6. Die Tschechische Republik stellt den US-Streitkräften die vereinbarten Einrichtungen und Areale ohne Miet- oder ähnliche Kosten zur Verfügung.““
Respektierung der vollen Souveränität Tschechiens? Tschechien ist nicht souverän
Tschechien ist, bei aller Sympathie und Zuneigung, ein Land, das derzeit eine ungebremste neoliberale Gesellschaft ausprägt, Turbokapitalismus, Aufrüstung inklusive. Ausgewählte Nutznießer reden mit, wenige davon sind Tschechen. In Zeiten, in denen die Eskalationsschraube des Militärischen ins Rotieren kommt, muss das kleine Land nun auch vermehrt Stärke zeigen, die Armee modernisieren, den Verteidigungshaushalt erhöhen. Dazu bedarf es eines Feindbildes. Russland heißt dieser Feind, immer und immer wieder wird hervorgehoben, dass das riesige Land im Osten die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit sei. Hilfreich beim Hetzen und Nicht-Hand-Reichen ist, dass das Image der Russen in Tschechien als ambivalent betrachtet wird. Das Jahr 1968 ist bei den älteren Bürgern in unguter Erinnerung. Meine Bekannte Eva Kramerova hatte ich dazu einmal befragt. In Sachen Russland sagte meine Zeitzeugin Eva:
„Das Gefühl gegen Russland wird gern aufgenommen, um Stimmung zu machen. Es stimmt zwar, dass wir wegen 1968 gegenüber den Russen skeptisch sind, doch heute muss Vernunft her – wir können nicht ewig auf Ablehnung und Strafen und Sturheit setzen. Denn den einfachen Russen sind wir nicht fern. Leider ist es so, dass unsere Regierung, diese ganzen Großen, Wichtigen und Reichen nur mit sich zu tun haben und mit dem Kriege und Konfrontation Schüren. Wir einfachen Leute wissen das. Wir kommen nur schwer dagegen an. Ja, man muss wissen, dass das Jahr 1968 und die Jahre zuvor und danach bis heute traumatisch sind. Die Sowjets hatten uns gedemütigt. Ich musste Russisch lernen, um mein Abitur zu machen. Wir haben es gehasst. Aber es ist nicht so, dass ich das jetzige Russland mit der Sowjetunion von damals gleichsetze. Sie sind keine Feinde von uns, wird aber gesagt. Im Gegensatz dazu wird von uns permanent Freundschaft zu den Amerikanern verlangt. Die haben uns befreit, wird gesagt und so weiter. Richtiger ist, sie haben gerade ganz Europa in der Hand.“
Eva Kramerova sagt, was viele Tschechen denken und erleben: Es herrscht eine Omnipräsenz der Amerikaner vor, eine Lobhudelei, eine Steigbügelhalterei wichtiger Tschechen für den großen Freund aus Übersee. Die Amis mischten die Karten, die sagen, wo es lang geht. Aus den USA kommt dann auch schon mal eine gönnerhafte Finanzspritze von 200 Millionen Dollar für die tschechische Armee, damit die Tschechen ihre Streitkräfte ja auch ordentlich modernisieren können.
Was würde Vaclav Havel, der alte, geliebte Präsident aus Zeiten der Sanften Revolution zur machtpolitischen, übel militarisierenden Entwicklung seines Landes sagen? Seinen jetzigen Amtskollegen Petr Pavel, den noch recht frisch gewählten Präsidenten Tschechiens, würde Havel nicht als Friedensstifter, als Vermittler bezeichnen. Petr Pavel wird auch nicht als ein geliebtes Staatsoberhaupt so wie Vaclav Havel in die Geschichte unseres Nachbarlandes eingehen, so viel ist sicher. Leider macht Pavel einen guten Job (für seine Kreise), indem er die Fortsetzung seiner früheren Arbeitsaufgaben vorantreibt. Nicht lange ist es her, als Petr Pavel NATO-General war. Die drohende Militärpräsenz der USA im eigenen Land scheint ganz in seinem Sinne zu sein. Und wenn Pavel als Präsident unterwegs ist, dann kurbelt er schon mal die Rüstungsindustrie an, so wie vor Kurzem bei seinem Besuch in Wien. Dass Österreich ein neutrales Land ist, störte ihn wenig.
Phrasenhaft liest sich die Begründung des US-CZ-Vertrags über Militär-Basen, Pavel und Co muss die Lektüre wie Öl heruntergehen. Es bestünde eine Notwendigkeit, die gemeinsame Sicherheit zu erhöhen, zu internationalem Frieden und Stabilität beizutragen und die Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit zu vertiefen. Und natürlich …
„… in der Erwägung, dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, ihre Angehörigen und amerikanische Auftragnehmer im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik anwesend sein können und dass der Zweck einer solchen Anwesenheit von US-Streitkräften darin besteht, die Bemühungen der NATO zu unterstützen.“
Statt Spielzeugpanzer Rennautos, statt falscher Freundschaftsbekundungen Mut der Zivilgesellschaft
Die Zeiten sind verstörend. Das Genießen des Sommers wirkt beinahe wie das Betäuben vor dem Eintritt großen Unheils. Episoden wie diese bereiten Sorge: Ein Spielzeugladen in Holešovice, einem Stadtteil von Prag. Eine Mutter, der Sprache nach aus der Ukraine stammend, und ihr kleiner Junge schauen sich im Laden um. Der Sohn will einen Panzer und ein Schießgewehr. Der Panzer ist ein T34, die Waffe eine Spielzeugmaschinengewehr. Die Mutter erfüllt des Sohnes Wunsch. Ich fand die vielen Rennautos schöner.
So wie friedliche Spielzeuge gebraucht werden, so werden die Tschechen auch auf die Straße gehen müssen für den Frieden im eigenen Land. Bald sollten auf dem Wenzelsplatz mitten in Prag zahlreiche Bürger protestieren und rufen: Nein zu US-Militärbasen in Tschechien! Und weitere Nein-Rufe sind notwendig: Nein zur schlimmen Wirtschaftssituation, zu hohen Preisen, zu ruinöser Energiepolitik (Kauf von teuren Rohstoffen), zu kriegerischer Außenpolitik, zur Militarisierung der Gesellschaft! Die gesamte Gesellschaft ist gefordert, das Parlament, die Medien, diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.
Titelbild: Svystun_Roman/shutterstock.com