Die Anpassung weiter Teile der Kulturszene bei zentralen Themen ist beschämend, etwa bei Krieg/Wirtschaftskrieg, Corona, soziale Fragen. Zum Verhalten während der Corona-Politik hat Jens Fischer Rodrian aktuell Herbert Grönemeyer einen Offenen Brief geschrieben. Dass auch zahlreiche Künstler bei der Hetze gegen Andersdenkende mitgemacht haben, bleibt erschütternd – die sonst oft eingenommene Pose der künstlerischen „Superdemokraten“ wirkt dadurch lächerlich. Und „Einsicht“ ist nicht zu beobachten – im Gegenteil: Bezüglich Corona herrscht Schweigen, bezüglich des Ukrainekriegs wiederholt sich das unterwürfige Verhalten in der Kulturszene. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Gleich zu Beginn soll betont werden: Es gibt natürlich unangepasste Ausnahmen in der hiesigen Kulturszene, ihr Mut ist umso mehr zu würdigen: etwa die Beiträge von Lisa Fitz, auch Serdar Somuncu hat kürzlich mit eigenen Gedanken zum Ukrainekrieg auf sich aufmerksam gemacht, Michael Hatzius konnte ebenfalls bereits als gedanklich eigenständig auffallen, früher hätte man in dieser Reihe auch „Die Anstalt“ erwähnt, etwa wegen Beiträgen wie diesem. Es gibt sicher weitere positive Ausnahmen, etwa in der momentan beim Thema Krieg und Wirtschaftskrieg weitgehend versagenden TV-Kabarett-Kultur. Auch in der giftigen Stimmung der Corona-Kampagne war es sehr hoch einzuschätzen, wenn sich Kulturschaffende nicht einschüchtern ließen – darum soll an dieser Stelle nochmals die besondere Hochachtung gegenüber den Machern von „allesdichtmachen” und #allesaufdentisch ausgedrückt werden. Danke an Dietrich Brüggemann, Volker Bruch, Miriam Stein, Maxim Mehmet, Jeana Paraschiva und an die vielen anderen Beteiligten! Es gab und gibt sie also, die engagierten Ausnahmen – und selbstverständlich viele weitere engagierte Kulturschaffende verschiedenster Genres, die hier nicht namentlich erwähnt werden: Einige Beispiele haben wir etwa in der Liste „Musik und Politik“ verlinkt.
Leider sind die Gegenpole in der erdrückenden Mehrheit: Prominente Künstler, die sich etwa voll für die Impfkampagne einspannen ließen und dadurch indirekt die damit verbundenen gesellschaftlichen Spaltungs-Vorhaben gerechtfertigt haben, oder jene zahlreichen Künstler, die jetzt zum Russenhass des politisch-medialen Mainstreams schweigen oder ihn gar aktiv befeuern.
Kulturszene und „Schönwetter-Demokraten“
Ein aktueller Offener Brief des Lyrikers und Musikers Jens Fischer Rodrian an Herbert Grönemeyer erinnert vor allem an die Corona-Zeit, geht aber auch auf den Ukrainekrieg ein. Der Brief findet sich im Wortlaut auf der Internetseite von Paul Brandenburg. Rodrian schreibt darin unter anderem:
„Herr Grönemeyer, ich denke, man sollte Fehleinschätzungen eingestehen und korrigieren. Ich appelliere an Ihr Herz, Ihren Verstand und an Ihr Gespür für Fairness. Ich appelliere an den MENSCH Grönemeyer. Bauen Sie Brücken, gehen Sie in den Dialog. Eine Entschuldigung bei den Ungeimpften ist überfällig. Einige davon sind oder waren Ihre Fans.“
Es gibt bestimmt psychologische Erklärversuche für das verantwortungslose Schweigen von Mitläufern – mir ist die Motivation hinter der Untätigkeit aber mittlerweile egal. Mir fällt es angesichts des Wegduckens zusätzlich schwer, zu vergessen, dass viele Kultureinrichtungen und die dort auftretenden Künstler die Kampagne für eine schockierende Politik der Ausgrenzung mitgemacht haben. Das hat auch inhaltliche Auswirkungen, etwa auf die Rezeption aktueller Inszenierungen „kritischer“ Theaterstücke: Die „mutigen“ Phrasen von Demokratie, Grundrechten und Widerstand, die bis 2019 von deutschen Bühnen schallten, klingen plötzlich ganz schal nach Schönwetter-Demokraten – auch und gerade wegen des schwachen Verhaltens vieler Kulturschaffender in den Momenten, in denen es gesellschaftlich wirklich darauf ankam.
Kriegsverlängernde „Kabarettisten“
Künstler, die kritiklos die Regierungsposition verstärken* – diese Rolle füllen etwa einige hiesige TV-„Satiriker“ von Zeit zu Zeit aus: Sarah Bosetti, Browserballett, Extra Drei, Heute Show, Jan Böhmermann, Florian Schroeder und so weiter – die deutschen TV-Comedians stehen fast wie ein Mann hinter der Bundesregierung und ihrer den Krieg und das Leid der ukrainischen Zivilisten potenziell verlängernden Ukrainepolitik. Die Verstärkung des offiziellen Kurses mithilfe von Kraftausdrücken ist keine Satire. Wie wir hier beschrieben haben, muss sich Satire vornehmlich gegen Fehltritte von mächtigen Akteuren richten – und nur dann „darf sie alles“. Wer aber gemeinsam mit Regierung und großen Medien gegen die im Meinungskampf bereits schwer benachteiligte Friedensbewegung nachtritt, der macht Propaganda, keine Satire.
Prominente Künstler sind nicht grundsätzlich berufen, die Politik zu erklären. Prominenz allein verleiht noch keinen Weitblick und keine Weisheit – Ausnahmen bestätigen die Regel. Künstler sind auch nicht grundsätzlich aufgefordert, sich öffentlich politisch zu positionieren: Die Wahl einer weltabgewandten und vor allem der Kreativität verpflichteten Künstler-Existenz ist meiner Meinung nach zu akzeptieren. Wenn sie keine pseudo-engagierten Posen einnehmen, dann ist ein Schweigen von Künstlern zur Politik meiner Meinung nach hinzunehmen. Aber wenn sie einerseits bei politischem „Schönwetter“ doch ihre „kritischen“ Phrasen dreschen, aber andererseits in besonders kritischen Situationen wie Corona oder Wirtschaftskrieg verstummen oder in den Chor einstimmen, dann finde ich das fragwürdig.
Viele Künstler lieben Kriegspropaganda
In dem Offenen Brief geht Rodrian auch auf den Ukrainekrieg ein und wünscht eine neue Friedensbewegung. Doch auch bei diesem Thema ist das Verhalten zahlreicher Künstler von opportunistischer Anpassung geprägt: Die aktuelle Unterwerfung des Filmfestivals Berlinale unter die Kriegspropaganda wird hier beschrieben:
„Zwischen die kriegsverlängernde Politik der Bundesregierung und die Filmschaffenden passt anscheinend kein Blatt mehr. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski durfte bei der Eröffnung am Donnerstag seine emotionale Propaganda zelebrieren – und die Filmbranche lag dem begabten Politik-Darsteller verzaubert zu Füßen.“
Auch Teile der Literaturszene haben sich vollständig angepasst, wie etwa die kürzliche Verleihung des „Friedenspreises“ des deutschen Buchhandels an ein rassistisches antirussisches Pamphlet deutlich gemacht hat. Zu dem Vorgang hatten wir geschrieben:
„Als direkt mit einer Kriegspartei verbundener Künstler, unter dem subjektiven Eindruck der Erlebnisse an der Front und unter Einfluss der harten ukrainischen Propaganda kann er sich gegen eine solche Verrohung vielleicht nicht mehr wehren. Es ist aber etwas völlig anderes, ob man sprachliche Entgleisungen wegen schlimmer Erlebnisse des Autors gerade noch nachvollziehen kann – oder ob man diese teils rassistischen Entgleisungen dann auf einer großen Bühne auszeichnet.“
Dass es im Zuge zensorischer Cancelculture nicht „die AfD oder Viktor Orban“ sind, die aktuell die Kultur von „schädlichen“ Einflüssen säubern wollen, wird hier und hier beschrieben: Dieses Bestreben kommt demnach von Leuten, die sich in einer grotesken Selbstbeschreibung als „links“ darstellen – und das, obwohl sie bei ihren Vorstößen gegen unliebsame Künstler teils rassistische und/oder politische Kriterien anlegen.
Corona: Gute Künstler, böse Künstler
Nochmals zu dem Verhalten prominenter Künstler während der Corona-Politik: Im Artikel „Corona-Kritik: Gute Künstler, böse Künstler“ hatten wir beschrieben, wie der Deutschlandfunk in einem inzwischen „verschwundenen“ Beitrag Listen von Künstlern angefertigt hat: Auf der einen Seite die „Querdenker“ wie Nena etc., auf der anderen Seite die Positivliste: Als aufrechte künstlerische Verteidiger der Regierungslinie wurde etwa Kerstin Ott genannt, außerdem werden „positiv“ erwähnt: der Sänger Bosse, weil er es „wahnsinnig verantwortungslos“ findet, „dass sich Stars wie Nena nicht an geltende Regeln halten“. Peter Maffay habe laut Deutschlandfunk gesagt: „Leute, die Corona leugneten, schaden der Gesellschaft.“ Und der Rapper Bushido werde vom Deutschlandfunk erwähnt, weil „er sich die sogenannten Corona-Leugner vorknöpfte“.
Man hätte diese Liste der „braven“ Künstler laut dem Artikel noch erheblich verlängern können: Unter dem Stichwort #impfenschuetzt hatten einige Veranstalter und Künstler dafür geworben, sich impfen zu lassen – mit dabei waren Bands wie Die Toten Hosen, Beatsteaks, Tocotronic, Element of Crime, Isolation Berlin und Silbermond, die mit der Beteiligung an der Kampagne auch die durch die Corona-Politik und die aggressive Impfkampagne hervorgerufenen gesellschaftlichen Verwerfungen indirekt gerechtfertigt haben.
Auch die Band Die Ärzte gliederte sich auf ihrer Webseite voll in die dominante offizielle Darstellung ein: In einer Band-Mitteilung sollte wohl eine Schockwirkung mit Formulierungen wie „qualvollem Ersticken“ erzielt werden, die „Zukunft der Kultur“ wurde vom Impf-Fortschritt abhängig gemacht, ebenso war das Impfen laut „Die Ärzte“ (ganz Regierungslinie) Voraussetzung für „normale Bedingungen“ und dafür, dass „das Leben weitergeht“.
Im Artikel Künstler und Corona-Kritik: Wo seid ihr alle hin? beschrieben wir, dass das Schweigen vieler Künstler bei der Kritik an der Corona-Politik das ohnehin verbreitete Gefühl der Verlassenheit bei vielen Bürgern nochmals verstärkt hat. Zum anderen begnügten sich viele Kulturschaffende nicht mit einem Schweigen, sondern forderten gar eine Verschärfung der auf fragwürdiger Datenbasis ausgerufenen Lockdown-Politik. So befinden sich unter den Erstunterzeichnern bei der extrem fragwürdigen Initiative „Zero Covid“ auch viele prominente bildende Künstler, Autoren oder Filmemacher (die Webseite wurde vom Netz genommen, zu sehen ist sie noch im Webarchiv). Und auch der Deutsche Kulturrat verteidigte im Januar 2021 die Verlängerung des Lockdowns und übernahm dafür eine unseriöse Datenbasis:
„Diese Maßnahmen sind leider notwendig, wenn man sich die aktuellen Todeszahlen durch den Coronavirus in Deutschland alleine in den letzten 24 Stunden von mehr als 1.000 Menschen ansieht.“
Kulturszene muss sich Relevanz erst wieder erarbeiten
Einige hier geschilderte Phänomene waren auch schon vor dem Ukraine- und Wirtschaftskrieg und vor Corona zu beobachten. Eine Missachtung der sozialen Fragen durch Teile des Kulturbetriebs (etwa hier beschrieben) wurde schon lange deutlich. Auch sind Teile der deutschen Kulturszene schon früher als Verteidiger einer offiziellen Politik in Erscheinung getreten. Zudem wurde bereits vor Corona immer wieder „kulturelle“ Meinungsmache im Sinne einer westlichen Geopolitik betrieben.
Durch die in diesem Artikel geschilderten Handlungen haben in meinen Augen weite Teile der deutschen Kulturszene vorerst die gesellschaftliche Relevanz verloren: Wer sich (wenn es drauf ankommt) so anbiedert, verhält sich wie ein Schönwetter-Demokrat. Vielleicht liegt die Hoffnung für eine Wiedererlangung gesellschaftlicher Relevanz auf deutschen Bühnen in der Kleinkunst, wie uns kürzlich unser als „Kleinkünstler“ aktiver Leser Boris Steinberg beschrieben hat:
„Wie auch schon in den frühen 90ern kommen aktuell die meisten kritischen Stimmen der Kultur aus der Kleinkunst und der Zunft der Liedermacher…es wird noch eine längere Weile dauern, bis sich die allseits bekannten Kollegen aus Musik, Theater, Film und Literatur, kritisch(er) äußern werden, zu welchem Thema in dieser Zeit des Wahns auch immer… Umso wichtiger, dass WIR Kleinkünstler präsent sind und noch stärker in Erscheinung treten…!!!! Was nicht gerade leichter wird.“
*Aktualisierung 6. Juni 2023, 21:30 Uhr: An dieser Stelle wurde eine polemische Formulierung entfernt.
Leserbriefe zu diesem Artikel finden Sie hier.
Corona: Für eine echte Aufarbeitung gibt es keine Instanz mehr
Jämmerliches „Kabarett“: TV-Satiriker schützen die Kriegspolitik
Berlinale huldigt Selenski: Roter Teppich für die NATO
Ganser, Netrebko, Waters: Säubert die Bühnen!
Die Russen sind „Unrat“: Pamphlet erhält den „Friedenspreis“ des Buchhandels
Corona-Kritik: Gute Künstler, böse Künstler
Titelbild: Cagkan Sayin / shutterstock.com