Der US-geführte „Krieg gegen den Terror“ verwüstet Länder und Leben. Die guten Nachrichten zuerst. Im Mittleren Osten spricht man wieder miteinander, aus langjährigen Gegnern werden Partner. Die beiden Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran haben ihren Konfrontationskurs verlassen und nehmen wieder direkte diplomatische Beziehungen auf. Von Karin Leukefeld.
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Vorbereitet wurde die Annäherung von Irak und Oman, zwei arabische Staaten am Persischen Golf, die mit beiden Ländern verbunden sind. Russland, seit 2015 in Syrien militärisch aktiv, drängt seit 2019 auf ein Kollektives Sicherheitskonzept für die Persische Golfregion. Die Vermittlung lag schließlich in den Händen Chinas, das die beiden Regionalmächte im März 2023 in Peking zusammenführte. Die direkten Folgen waren schnell zu sehen: Gefangenenaustausch und Friedensgespräche im Jemen. Syrien, dessen Mitgliedschaft in der Arabischen Liga seit 2011 auf Eis lag, wurde Mitte Mai beim 32. Gipfeltreffen des arabischen Staatenbündnisses wiederaufgenommen.
Bilaterale Konflikte zwischen Bahrain und Libanon, Syrien und Marokko und Ägypten wichen dem neuen Klima von Dialog, lange geschlossene Botschaften wurden wieder geöffnet. Die Staaten im Mittleren Osten rücken zusammen, um die unübersehbaren Probleme in der Region gemeinsam zu überwinden: die Rückkehr von syrischen Kriegsflüchtlingen, der Wiederaufbau Syriens, Reaktivierung des Handels, die Lösung weiterer Probleme im gegenseitigen Dialog. Einzig Israel, wichtigster US-Verbündeter in der Region, bleibt außen vor. Die Besatzung der palästinensischen Gebiete bleibt bestehen, die neue, rechtsradikale Regierung von Benjamin Netanyahu setzt auf Konfrontation, Tod und Vertreibung.
Zur Kritik aus Washington, Brüssel, Berlin und anderen europäischen Hauptstädten, man dürfe die Beziehungen mit Assad, der sein Volk ermorde, nicht normalisieren, erklärte der stellvertretende Generalsekretär der Arabischen Liga, Hossam Zaki, gegenüber dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera, nach dem schweren Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion habe man in der Region eingesehen, dass es „keine klare internationale Aufmerksamkeit für eine Lösung in Syrien gibt“. Der Krieg in Syrien habe sich „sehr negativ auf die Nachbarländer“ ausgewirkt und man habe „die Notwendigkeit erkannt, dass die Krise in Syrien gelöst werden muss“.
Und der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud sagte vor Journalisten, die „anhaltenden Herausforderungen verlangen einen neuen Ansatz, was ohne Dialog nicht möglich ist.“ Auch mit den Amerikanern und mit den Partnern in Europa werde man im Dialog stehen, um deren Sorgen zu berücksichtigen. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte eine namentlich nicht genannte „Quelle am Golf, die Regierungskreisen nahe“ sei, mit den Worten: „Wir, die Golfstaaten, sind diejenigen, die hier in der Region leben. Wir versuchen unsere Probleme so gut es geht mit unseren eigenen Möglichkeiten zu lösen.“
Hoffnung für die Menschen?
Die neue Annäherung bietet den Menschen eine Chance. Sie können in ihre Heimat zurückkehren, die zukunftslosen Lager verlassen, um in ihrer Heimat ihre Häuser und Betriebe wiederaufzubauen. Sie könnten für sich und ihre Kinder an einer neuen Zukunft bauen. Das verwüstete Land könnte neu bewirtschaftet werden, die heruntergekommene Wirtschaft und den brachliegenden grenzüberschreitenden Handel könnte man wiederbeleben.
Wenn da nicht der Würgegriff von westlichen Sanktionen wäre. EU und USA verhindern mit ihren einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, dass Ersatzteile, Medizin, Baumaterial und Dünger Syrien erreichen. Regionale und internationale Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen, die mit Syrien kooperieren und in den Wiederaufbau investieren wollen, werden bestraft. Das syrische Öl wird unter dem Schutz von US-Soldaten aus dem Nordosten Syriens in den Nordirak abtransportiert und verkauft. Ausländische Besatzungstruppen und verbündete Milizen halten den Norden des Landes besetzt. Die US-Armee hat im südlichen Dreiländereck Irak, Jordanien, Syrien zudem eine Militärbasis gebaut, wo sie Kämpfer ausbildet und den wichtigen Grenzübergang Al Walid/Al Tanf zwischen Syrien und Irak besetzt hält. Die einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen verletzen das internationale Recht und die UN-Charta. Die Präsenz ausländischer Truppen in Syrien, zumal in den ressourcenreichen Gebieten im Nordosten, verletzt ebenfalls die UN-Charta und die staatliche Souveränität und territoriale Integrität Syriens.
Wie der Tod den Krieg überlebt
Je länger das Unrecht anhält, desto größer die Verwüstungen, die an Mensch und Natur, an der Wirtschaft und an der Gesundheit der Menschen angerichtet werden. Der Kern von Krieg ist, dass die reichen Länder und ihr Kapital verdienen, während die armen, zumeist Entwicklungsländer ausgezehrt und gesellschaftliche, staatliche und wirtschaftliche Strukturen zerstört werden. Aus Weizenfeldern werden Schlachtfelder, wie ein Gesprächspartner der Autorin im Libanon sagte. Der Krieg bringt Macht und Profit.
Um die Zerstörung nach Krisen und Kriegen geht es auch in dem neuen Bericht des Watson-Instituts, das an der Brown-Universität (Rhode Island, USA) angesiedelt ist. Seit 2001 dokumentiert das Institut die Folgen und die Kosten des US-geführten „Kriegs gegen den Terror“.
Der jüngste Bericht trägt den Titel „Wie der Tod den Krieg überlebt“, befasst sich mit den Folgen der „Kriege gegen den Terror“, die von den USA und ihren Bündnispartnern in Afghanistan, Irak, Pakistan, Syrien, Jemen, Libyen und Somalia geführt wurden und werden. Zwar hat der „Krieg gegen den Terror“ insgesamt mehr als 85 Länder weltweit involviert, doch die genannten sieben Länder sind diejenigen, die nach den Untersuchungen des Watson-Instituts am meisten unter den US-geführten Angriffen gelitten haben.
Mindestens 4,5 Millionen Menschen wurden seit Beginn des „Kriegs gegen den Terror“ allein in diesen Ländern getötet, schreibt das Watson-Institut. Diese Menschen starben nicht in Kriegshandlungen, sondern an den Folgen (sic!) der Kriege. Ursache ihres eher indirekten Todes seien der wirtschaftliche Kollaps ihrer Heimat, der Verlust der Lebensgrundlagen, was zu Nahrungsmittelunsicherheit und Verarmung führe. Als weiteren Grund für den millionenfachen Tod benennt das Institut die Zerstörung öffentlicher Dienstleistungssysteme und der medizinischen Infrastruktur in den betroffenen Ländern. Hinzu kämen Umweltverseuchung und die anhaltende Traumatisierung und Gewalt in den Nachkriegsgesellschaften. Zusätzlich auftretende Probleme wie Naturkatastrophen, Trockenheit, Vertreibung und Umsiedlung verschärften die genannten Todesursachen, heißt es in dem Bericht weiter. Die genaue Zahl ließe sich nicht benennen, die genannte Zahl von 4,5 Millionen Toten seit Beginn der „Kriege gegen den Terror“, die nach dem 11. September 2001 zwischen Afghanistan und Somalia geführt wurden, sei eher „konservativ“.
Die Gruppe, die am meisten unter den Folgen dieser Kriege leide, seien die Kinder, heißt es in dem Bericht. Das gelte insbesondere für die Länder Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen und Somalia. Dort seien mehr als 7,6 Millionen Kinder im Alter bis zu fünf Jahren mangelernährt und gelten in der UN-Fachsprache als „ausgezehrt“. Im Englischen wird dafür der Begriff „wasted“ benutzt, verschwendet.
Schließlich wirft der Bericht „Wie der Tod den Krieg überlebt“ noch einen Blick auf die Täter und Opfer. Während Männer eher im direkten Krieg getötet würden, kämen Frauen und Kinder zumeist indirekt, durch die Kriegsfolgen, ums Leben. Die „Kriege gegen den Terror“ würden vor allem in Ländern geführt, deren Bevölkerung mehrheitlich schwarz oder braun seien, heißt es. Die kriegführenden Länder wiesen häufig „eine Geschichte weißer Vorherrschaft und Islamophobie“ auf.
Kosten des US-Krieges im Irak und Syrien
Die US-Administration begann vor 22 Jahren den „Krieg gegen den Terror“. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, rief der damalige US-Präsident George W. Bush, nachdem zwei Flugzeuge in das Welthandelszentrum im Finanzbezirk von Manhattan/New York geflogen waren. Zunächst schickte Washington US-Bomber nach Afghanistan und dann eine US-geführte Truppenallianz in den Irak. Seitdem haben die „Kriege gegen den Terror“ kein Ende genommen.
Im März 2023 veröffentlichte das Watson-Institut eine Übersicht über die finanziellen und menschlichen Kosten, die die USA in 20 Jahren Krieg im Irak und in Syrien (2003-2023) bezahlt hat.
Grundlage sind die offiziellen – wenn auch nicht immer öffentlichen – Operationen von Pentagon und US-Außenministerium in beiden Ländern. Einschließlich der Folgekosten für US-Veteranen belaufen sich die US-Kosten – nur für die Kriege in Irak und Syrien – hochgerechnet bis 2050 auf 2,89 Trillionen US-Dollar. Die Zahl der Toten in beiden Ländern wird auf bis zu 600.000 Personen geschätzt. Mehr als 7 Millionen Menschen verließen infolge der Kriege ihre Heimat, 8 Millionen Menschen gelten als Inlandsvertriebene im Irak und in Syrien. Bis zu 122 Millionen Tonnen Kohlendioxidemissionen wurden durch US-Militäroperationen im Kriegsgebiet ausgestoßen, das entspricht bis zu 15 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen des US-Verteidigungsministeriums (im Zeitraum 2003-2021).
Aus Weizenfeldern werden Schlachtfelder
Obwohl die Kosten bekannt sind, die die US-geführten „Kriege gegen den Terror“ den US-Haushalt zu einer immer höheren Verschuldung führen, gibt es seit 22 Jahren weder bei den US-Regierungen noch bei den Wählern dieser Regierungen, noch bei den Partner- und NATO-Staaten oder bei der EU ein politisches Einlenken. Nach dem Motto „nach uns die Sintflut“ wird ein Land nach dem anderen in Krieg verwickelt.
Im Irak wurden – unter dem Vorwand, das Land besitze und produziere Massenvernichtungswaffen – 2003 intakte Regierungsinstitutionen und die Armee aufgelöst, was zu einem mörderischen innerirakischen Kampf und einer weiteren Eskalation der US-Invasion führte. Millionen Menschen wurden vertrieben, Städte wie Falluja und später auch Mossul wurden in Grund und Boden gebombt, weite Landstriche im Südirak wurden mit abgereicherter Uranmunition verseucht. Die Folgen waren tot oder mit schweren Fehlbildungen geborene Kinder, die Gesundheitsversorgung des Landes hat bis heute nicht den Status erreicht, den das Land vor den UN-Sanktionen (1990-2003) hatte.
Sehen Sie dazu den Film: Was von Kriegen übrig bleibt.
Die Gesellschaft ist politisch und religiös gespalten, Milizen unterschiedlicher Ausrichtung, die von regionalen und internationalen Akteuren unterstützt werden, verhindern eine stabile Regierungsbildung. Im Norden des Landes operieren verschiedene kurdische Akteure mal mit, mal gegen die Türkei und tragen zur anhaltenden Instabilität des Landes bei.
In Syrien wurden religiöse und politische Akteure seit 2011 mit Waffen, Geld, Medien und Logistik unterstützt, um die Regierung in Damaskus zu stürzen. Die USA kooperierte dabei mit reichen Golfstaaten, die Türkei und Jordanien wurden zu Drehscheiben für Waffenlieferung und das Einschleusen von Kämpfern. Aus dem Irak rückte der Islamische Staat auf das syrische Schlachtfeld. Syrien wurde vom Iran, der libanesischen Hisbollah und schließlich Russland verteidigt, was den militärischen und politischen Einsatz der USA erhöhte. Einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen (Sanktionen) wurden von der EU und der US-Administration verhängt. Sie sind bis heute in Kraft, um die Kooperation unter den arabischen und regionalen Staaten mit Syrien zu knebeln. Gebiete im Umland und in der Stadt Aleppo wurden zerstört, Afrin und Idlib besetzt, die Stadt Rakka wurde zerbombt, die syrischen Ressourcen Öl, Weizen, Baumwolle und Wasser wurden von US-Truppen besetzt, die auch im Süden Syriens eine illegale Militärbasis bauten.
Die US-geführten „Kriege gegen den Terror“ haben den „Fruchtbaren Halbmond“ – das reiche Zweistromland vom Persischen Golf über Euphrat und Tigris und die Küste der Levante, verwüstet. Aus Weizenfeldern wurden Schlachtfelder, wie ein libanesischer Gesprächspartner sagte. Krieg bringt mehr Macht und Profit als der Anbau von Weizen.
Titelbild: Katrevich Valeriy/shutterstock.com