Kürzlich hieß es in zahlreichen Medienberichten sinngemäß, dass „die UNO“ das Vorgehen der deutschen Justiz gegen die „Letzte Generation“ kritisieren und „beobachten“ würde. Das waren Falschbehauptungen, die nun immer noch im Raum stehen, weil die Korrekturen keine Aufmerksamkeit erlangen. Der Vorgang lenkt den Blick auf die zentrale Rolle von Nachrichtenagenturen bei der Meinungsmache und der Herstellung des Gleichklangs. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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In der „FAZ“ wird in einem aktuellen Gastbeitrag beschrieben, dass deutsche Medien „Fake News zu UN und Letzter Generation“ verbreiten würden. Die Hausdurchsuchungen bei Klimaaktivisten am 24. Mai seien auch von Kritik und Fragen nach der Verhältnismäßigkeit begleitet gewesen, so die FAZ, und weiter:
„Einen Tag später sahen sich die hiesigen Kritiker aus New York unterstützt. Die Vereinten Nationen, so ‚spiegel.de’, hätten das deutsche Vorgehen gegen Klimaaktivisten kritisiert. Weiter hieß es dort: ‚Der harte Kurs der deutschen Behörden gegen Klimakämpfer wird auch bei der Uno genau beobachtet – nun setzt es Kritik aus New York: Die moralische Stimme junger Menschen müsse geschützt werden‘.“
Ähnliche Berichte seien auch bei „Welt online“, „Bild“-Zeitung oder „Frankfurter Rundschau“ erschienen. Auf „Tagesschau24“ vom 26. Mai sei ein Bericht mit dem Titel „Razzien gegen ‚Letzte Generation‘: UN fordern Schutz von Klimaaktivisten“ gebracht worden. In diesem Bericht wurde laut „FAZ” behauptet, Generalsekretär António Guterres habe seinen Sprecher beauftragt, diese Unterstützung zum Ausdruck zu bringen. Jedoch, so der FAZ-Bericht:
„Tatsächlich war die Aufgeregtheit in der deutschen Medienwelt (…) die Folge einer Falschmeldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die in deutschen Medien nicht weiter auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft wurde, sondern Anlass gab, immer neue Vermutungen und Anschuldigungen aufzubringen. Bis hin zu absurden Spekulationen – am phantasievollsten war ‚spiegel.de’.“
Das Fazit des FAZ-Beitrages lautet, dass weder Generalsekretär António Guterres noch sein Sprecher Stéphane Dujarric in den vergangenen Tagen „irgendetwas von sich gegeben“ hätten, das „auf eine Beobachtung von oder auf Kritik an der deutschen Justiz durch das Sekretariat der Vereinten Nationen schließen lässt“. Die auf einseitigen Zitaten beruhende Meldung der dpa habe dann in deutschen Medien dazu geführt, dass die passenden Geschichten dazu erfunden worden seien: Aus der Aufforderung zum Schutz von „friedlichen Klimaaktivisten“ sei die Aufforderung zum Schutz der „Letzten Generation“ konstruiert worden – daraus sei dann die von „Frankfurter Rundschau“, „Bild“-Zeitung, „Welt TV“, „tagesschau24“ und vielen Anderen verbreitete „Mär von der angeblichen Unterstützung der Vereinten Nationen für die Letzte Generation“ entstanden.
Die „absolute Spitze dieses meinungsgesteuerten, unprofessionellen Journalismus“ hätten dabei „Spiegel.de“, „Stern.de“ und die „Sächsische Zeitung“ geboten, die sich zu „der Behauptung verstiegen“ hätten, dass die Vereinten Nationen die Aktivitäten der deutschen Staatsanwaltschaften „beobachten“ würden, so die FAZ.
„Wir haben die Meldung angepasst…“
Dieser Vorgang lenkt den Blick einmal mehr auf die zentrale Rolle großer Nachrichtenagenturen wie der dpa bei der Meinungsmache und bei der Herstellung eines journalistischen Gleichklangs bei zentralen Themen.
Auch die FAZ nutzt dpa-Meldungen – trotzdem ist es meiner Meinung nach sehr verdienstvoll, dass sich die Zeitung mit dem Artikel zum „Nestbeschmutzer“ der deutschen Medienlandschaft macht: Das müsste öfter passieren.
Die Behauptungen zur UNO gingen durch zahlreiche große Medien, diese Falschinformation ist in der Welt und viele Bürger werden von den nachträglichen Korrekturen am Ende der jeweiligen Texte nichts mehr mitbekommen, etwa von dieser beim „Spiegel“:
„Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde der Eindruck erweckt, die Vereinten Nationen hätten die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ verteidigt und würden das Vorgehen der deutschen Behörden beobachten. Tatsächlich verwies der Sprecher sowohl auf das Recht auf friedlichen Protest als auch auf die Verpflichtung des Staates, Gesetze durchzusetzen. Eine Bewertung der Aktionen der ‚Letzten Generation‘, etwa des Festklebens auf Straßen, nahm er nicht vor. Wir haben die Meldung angepasst, um dies deutlich zu machen.“
Die dpa und das „blinde Vertrauen“
Die NachDenkSeiten haben sich in zahlreichen Artikeln mit der wichtigen und fragwürdigen Rolle von Nachrichtenagenturen befasst. Im Artikel „Faktencheck der Faktenchecker: Ein neues Projekt der NachDenkSeiten“ heißt es zur dpa:
„Die dpa arbeitet auf Basis ihrer ‚Faktenchecks‘ ebenso wie Correctiv mit Facebook zusammen. (…) Im Gegenzug ist kein einziger Fall bekannt, in dem die „Faktenfinder“ der ARD sich etwa Meldungen der dpa vorgenommen hätten oder vice versa. (…) Auch die dpa fiel beispielsweise schon öfters mit falsch zugeordneten oder sogar erfundenen Zitaten auf – so etwa bezüglich Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff im Februar 2021. Nur hat dies bisher kein einziger der ‚etablierten’ Faktenchecks aufgegriffen.“
Anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der dpa hatten wir im Artikel 70 Jahre Deutsche Presse-Agentur – 70 Jahre (konstruierte) „Seriosität“ bereits beschrieben, dass das Phänomen des medialen Gleichklangs auch durch das Prinzip „Nachrichtenagentur“ hergestellt wird, indem zahlreiche Zeitungen gleichlautende dpa-Artikel abdrucken. Durch diese Praxis könnten die Medien zum einen Kosten sparen, zum anderen können sie sich notfalls von den teils später als tendenziös enttarnten Beiträgen distanzieren. Die großen deutschen Medien würden sich so mit der nur scheinbar unabhängigen dpa einen Kronzeugen schaffen, den sie selber finanzieren und indirekt leiten, um ihn dann als „neutralen Beobachter“ in den eigenen Medien zu zitieren. Und während die Umsätze vieler großer Medien einbrechen, konnte die dpa diesen im letzten Geschäftsjahr (bezieht sich auf 2018) noch steigern. Zum Verhältnis zwischen dpa und großen Medien heißt es in dem Artikel:
„Kritikwürdig ist aber einmal mehr die Arbeitsverweigerung vieler Medien: Denn auch dort erscheint die Nachrichtenagentur als in grundsätzlicher Seriosität gesalbte ‚Höhere Gewalt‘ – und nicht als publizistischer Machtfaktor, der ebenfalls kontrolliert werden sollte.
Diese Kontrolle verweigert nicht nur der ‘Spiegel‘, für den die dpa am Montag ‘Gewinnerin des Tages’ und ‚Inbegriff für Seriosität‘ war:
‚Was für einen Lateinschüler der Kleine Stowasser ist, das deutsch-lateinische Wörterbuch, ist für einen Journalisten die dpa – ein treuer, zuverlässiger Begleiter durch das ganze Berufsleben hindurch, eine wichtige Stütze und auch ein Inbegriff für Seriosität: Wenn es die dpa meldet, kann es so falsch nicht sein, pflegte einer meiner älteren Kollegen bei der ‚Süddeutschen Zeitung’ zu sagen.‘
Neben zahlreichen anderen Medien fordert die ‘Rheinische Post‘ unter Missachtung wichtiger journalistischen Prinzipien „blindes Vertrauen“ in die dpa:
‚Alle Medien und die Bürger profitieren von einer objektiven Berichterstattung, auf deren Grundlage Meinungsbildung erst möglich ist. (…) Die Gesellschafter der dpa sind 180 deutsche Medienunternehmen. dpa gehört quasi ihnen allen und niemandem allein. Auch das schützt die dpa vor Einflussnahme. Es sollte allen bewusst sein, was eine Nachrichtenagentur bedeutet, die unparteiisch und unabhängig ist und auf die sich alle blind verlassen können.’“
Dass eine solche Blindheit in die großflächige Manipulation führen kann, ist offensichtlich. Auf den NachDenkSeiten wurde außerdem in diesem Artikel „die Macht der Nachrichtenagenturen und die Kultur der Ungenauigkeit“ beschrieben, anlässlich der Instrumentalisierung eines OPCW-Berichts zu angeblichen Giftgaseinsätzen in Syrien.
„Empfehlen Sie Ihrer Zeitung die Kündigung des dpa-Abos“
Auch im Artikel „Torwächter der Meinungsmache“ sind wir auf Nachrichtenagenturen eingegangen. Außerdem beschreibt etwa Albrecht Müller in diesem Artikel die Rolle unter anderem von Agenturen „beim Feindbildaufbau gegen Russland und Putin“. Anzuführen wären auch etwa zahlreiche dpa-Berichte zum „Maidan“ oder zum syrischen „Bürgerkrieg“. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung von März 2010 zum Thema „Wirtschaftsjournalismus in der Krise – Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik“ kommt zu folgendem Schluss: Die Informationsleistung von dpa in Sachen Finanzmarktpolitik sei „hoch defizitär“. Die Orientierung, die dpa in diesem Zusammenhang gebe, sei Desorientierung: „Der finanzmarktpolitische dpa-Journalismus ist Trivialjournalismus.“ Und der Blog „Swiss Propaganda Research“ schreibt unter dem Titel „Der Propaganda-Multiplikator“ über das Prinzip Nachrichtenagentur:
„Es ist einer der wichtigsten Aspekte unseres Mediensystems – und dennoch in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt: Der größte Teil der internationalen Nachrichten in all unseren Medien stammt von nur drei globalen Nachrichtenagenturen aus New York, London und Paris. Die Schlüsselrolle dieser Agenturen hat zur Folge, dass unsere Medien zumeist über dieselben Themen berichten und dabei sogar oftmals dieselben Formulierungen verwenden.“
Auch aus solchen Gründen hat Albrecht Müller bereits 2010 geschrieben:
„Klären Sie bitte in Ihrem Umfeld über die irreführende Berichterstattung von dpa auf und empfehlen Sie Ihrer Zeitung die Kündigung des dpa-Abos.“
Titelbild: 360b / Shutterstock