Brasiliens Initiative zur Stärkung der Integration findet Zuspruch. In der brasilianischen Hauptstadt hat diese Woche ein Gipfeltreffen der südamerikanischen Staatschefs stattgefunden mit dem Ziel, die Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) wiederzubeleben. Das Bündnis, dem nach der Gründung im Jahre 2008 alle zwölf unabhängigen Staaten Südamerikas angehörten, wurde um 2019 von den damals amtierenden rechten Regierungen auf Eis gelegt. Von Philipp Zimmermann.
Auf Initiative von Brasiliens Präsident Luis Inácio Lula da Silva soll die Unasur nun neu lanciert werden. In einer gemeinsamen Erklärung, dem “Konsens von Brasília”, bekräftigten die Regierungschefs ihre Absicht, wieder auf eine stärkere politische und wirtschaftliche Integration des Subkontinents hinzuarbeiten.
Konkret soll eine Kontaktgruppe unter Leitung der Außenminister eingesetzt werden, welche “die Erfahrungen mit den südamerikanischen Integrationsmechanismen auswerten und einen Fahrplan für die Integration ausarbeiten soll”. Das explizite Ziel ist es, “den Integrationsprozess in Südamerika voranzutreiben und der Region in der Welt eine Stimme zu geben.”
Die Liste der Bereiche, in denen mehr Kooperation angestrebt wird, ist lang und umfassend: Förderung des Friedens und der Demokratie, der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, Bekämpfung von Armut und Hunger, Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, Ausbau erneuerbarer und sauberer Energien, Stärkung des Gesundheitswesens und Bekämpfung der Kriminalität.
In seiner Eröffnungsrede betonte Lula, die südamerikanischen Länder müssten aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel, die Förderung des Handels, die Stärkung der sozialen Entwicklung und die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit gemeinsam angehen. Er betonte:
“Wir alle verlieren, wenn wir zulassen, dass die Ideologien uns trennen.”
Kein Land habe allein die Stärke, um den Herausforderungen der Geopolitik und der aktuellen Weltwirtschaft zu begegnen, so der Präsident.
Mit einer Bevölkerung von fast 450 Millionen Menschen und einem Bruttoinlandsprodukt von vier Billionen US-Dollar sei Lateinamerika ein wichtiger Markt und zusammengenommen die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. “Wir weigern uns, weitere 500 Jahre an der Peripherie zu verbringen”, sagte Lula mit Blick auf die traditionelle Rolle vieler lateinamerikanischer Staaten als Rohstofflieferanten der entwickelten Länder.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt Lulas Aufruf, die südamerikanischen Staaten sollten in ihren bilateralen Handelsbeziehungen von der Verwendung des US-Dollars wegkommen.
Während sich Politiker wie der argentinische Präsident Alberto Fernández und Boliviens Staatschef Luis Arce sehr optimistisch bezüglich einer Neulancierung der Unasur äußerten, sorgte Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou mit dem Ausspruch “Schluss mit Institutionen” für kritischere Töne. Doch auch er forderte “Handlungen”, um die Beziehungen innerhalb Südamerikas zu stärken.
Eine kleine Kontroverse entspann sich rund um die Teilnahme von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Während Lula Maduro zu einem offensichtlich herzlichen bilateralen Gespräch empfing und die Aufnahme Venezuelas in die Gruppe der Brics-Staaten in Aussicht stellte, kritisierten Lacalle Pou und Chiles Präsident Boric den Umgang mit Maduro und verwiesen auf “Demokratiedefizite” in Venezuela.
An dem Gipfeltreffen in Brasília nahmen die Präsidenten Lula (Brasilien), Alberto Fernández (Argentinien), Luis Arce (Bolivien), Gabriel Boric (Chile), Guillermo Lasso (Ecuador), Irfaan Ali (Guyana), Gustavo Petro (Kolumbien), Mario Abdo Benítez (Paraguay), Chan Santokhi (Surinam), Luis Lacalle Pou (Uruguay) und Nicolás Maduro (Venezuela) teil. Perus umstrittene De-facto-Präsidentin Dina Boluarte war per Videoübertragung aus Lima zugeschaltet, da sie in Ermangelung eines Vizepräsidenten derzeit ihr Land nicht verlassen kann.
Die Unasur wurde 2008 auf Initiative das verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez als progressives Projekt zur Integration gegründet und von anderen damaligen Präsidenten der Region wie Lula da Silva, dem 2010 verstorbenen Néstor Kirchner (Argentinien), Rafael Correa (Ecuador) und Evo Morales (Bolivien) unterstützt. Mit der Organisation sollte der gemeinsame Kampf gegen Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Hunger, Armut und Unsicherheit in der Region gestärkt werden.
Seit 2017, als sich die inzwischen mehrheitlich rechts regierten und neoliberal ausgerichteten Mitgliedsstaaten nicht auf einen neuen Generalsekretär einigen konnten, erfuhr das Integrationsprojekt Rückschläge, die durch kontroverse Positionen zur Krise in Venezuela noch verschärft wurden. Nach Kolumbien 2018 und Ecuador 2019 traten Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay, Peru und Uruguay aus.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
Titelbild: Ricardo Stuckert/PR – LIZENZ:CC BY 2.0