Rund 350.000 Menschen haben in Argentinien gegen die rasante Zunahme von Hunger und Armut protestiert. Die Protestierenden sehen darin die Folgen der Kürzungen im Sozialsystem, die die Regierung von Alberto Fernández vorgenommen hat, um die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Von Hans Weber.
Fernández unterzeichnete 2022 ein Abkommen mit dem IWF zur Refinanzierung der Milliardenschulden, die sein Vorgänger Mauricio Macri (2015–2018) hinterlassen hatte. Die von Macri aufgenommenen Schulden entsprachen dem 127-fachen der Kreditfähigkeit des Landes, wie die Nationale Aufsichtsbehörde unlängst feststellte.
Das Ergebnis der Schuldenpolitik sei „ein unterworfenes und hungerndes Volk“, sagte ein Sprecher der Koordination für die Soziale Veränderung. Argentinien hat derzeit eine jährliche Inflationsrate von 108,8 Prozent und die Lebensmittelinflation ist mit 115 Prozent die zweithöchste weltweit. 18 Millionen Argentinier:innen leben unterhalb der Armutsgrenze, das sind 39,2 Prozent. 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind arm. Rund zehn Millionen Menschen sind auf Suppenküchen angewiesen.
Doch gerade die Programme zur Nahrungsmittelhilfe wurden von der Regierung Fernández gekürzt. „In den Suppenküchen gibt es nichts mehr zu essen“, klagt Eduardo Belliboni vom Bündnis der Erwerbslosenorganisationen Unidad Piquetera (UP). Während der Wirtschaftsminister Sergio Massa Sozial- und Rentenprogramme, Nahrungsmittelhilfen, Ausbildungsbeihilfen und Strompreissubventionen kürzte, stiegen die Ausgaben für Schuldzinsen.
Der Druck des IWF, die Anpassung der öffentlichen Finanzen zu beschleunigen, ist in den letzten Monaten immer größer geworden. „Wenn der IWF in Argentinien mitregiert, ist das Ergebnis das Elend“, empörte sich Oscar Isasi, Chef der Vereinigung der Staatsangestellten der Provinz Buenos Aires (ATE-Buenos Aires).
„Wir glauben, dass dies eine historische Mobilisierung ist“, sagt ein Demonstrant. „Schluss mit dem Hunger, Schluss mit den Sparmaßnahmen“ hieß es bei der Demonstration, die einer der Teilnehmer über ein Megafon als die größte der letzten Jahrzehnte bezeichnete.
Im Unterschied zu früheren Protesten unter der Regierung Fernández beteiligten sich diesmal nicht nur die oppositionellen sozialen Bewegungen wie die UP. Auch Basisorganisationen wie die Vereinigung von Arbeitern und Arbeiterinnen der informellen Ökonomie (UTEP), die der Regierungskoalition Bündnis von Allen (Frente de Todos, FdT) nahestehen, nahmen mit einer regierungskritischen Haltung teil.
„Dies ist zweifellos ein sehr wichtiger Meilenstein für die Einheit der sozialen Bewegungen“, sagte Hugo Godoy, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CTA Autónoma. „Die Einheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, der formell und informell Beschäftigten ist unerlässlich, um Druck auf die Regierung auszuüben, sich nicht länger den Rezepten des IWF zu ‘unterwerfen’.“ Andernfalls würden Armut und Hunger weiter zunehmen, so Godoy.
Der Großdemonstration waren landesweite Protestaktionen vorausgegangen, darunter der Bundesmarsch der Piqueteros (Marcha Federal Piquetera), der zwei Tage zuvor als Sternmarsch aus dem ganzen Land zum Entwicklungsministerium in Buenos Aires gezogen war und am Vorabend der Demonstration auf der Plaza de Mayo campierte.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
Titelbild: CTA Autónoma