Drohende Wohnungskündigung: Kampf gegen Windmühlen?
Ein Erfahrungsbericht
In die Mühlen der Bürokratie kommt man schneller, als man denkt. Dass Wohnungslosigkeit zu etwa 80 % durch Mietschulden verursacht wird, ist nichts Neues. Neu ist vielleicht die Dimension und Perspektive darauf. Angeblich gibt es ja auch im Rechtsstaat noch genug Interventionsmöglichkeiten, um eine drohende Kündigung und Räumung abzuwenden. Soweit die Theorie. Denkste!
Denn in der Praxis kann ganz schnell mal die Wohnungskündigung im Raum stehen. Auch wenn man arbeitet und so gar nichts mit dem gängigen Klischee säumiger Mieter zu tun hat. Sogar nach nur einer ausstehenden Monatsmiete kann der Vermieter dem Mieter fristlos kündigen. Und das ist rechtlich sogar völlig legal und geschieht auf Grundlage verschiedener Urteile und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Grundlage ist die Mietrechtsreform von 2001, auf die ich nun nicht näher eingehe. Von Uwe Lammers, M.A.
In dieses Karussell nicht gezahlter oder verspäteter Löhne und Mieten, Kündigung, Rechtsstreit und finanziellen Schwierigkeiten kann man nämlich ziemlich schnell und unerwartet kommen. Das fängt schon damit an, wenn bspw. das Einkommen nicht regelmäßig fließt, man „Aufstocker“ nach Hartz IV ist, oder die Behörden mauern. Sie sehen dann keine direkte Veranlassung zum Handeln und appellieren an die Eigenverantwortung, wie auch Jger/Thomé vom Erwerbslosenforum Tacheles e.V. bundesweit feststellen. Oder die jeweiligen Stellen verschleppen Entscheidungen auf dem langen Bürokratieweg. Zuständig ist dann niemand so richtig – außer man selbst. Dabei kann man auch vor Wände laufen!
Mir ist nun selbst so was passiert. Durch eine zugegebenermaßen unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung seit April 2011 rechnet das Jobcenter mein Einkommen regelmäßig auf das ALG II an und fordert auch mal Geld zurück, wenn ich zuviel verdient habe. Da fängt nun schon das Problem an. Denn das reduzierte ALG II kommt in unterschiedlicher Höhe (ca. 200 – 600 Euro) zum 31. eines Monats für den Folgemonat aufs Konto; das Arbeitseinkommen erst zum 15. des Folgemonats. Da meine Miete mit rund 360 Euro der größte Posten ist und am Monatsanfang auch noch andere Buchungen samt Lebenshaltung und Altschulden finanziert werden müssen, habe ich meinen Vermieter, eine Genossenschaft, im Mai darüber informiert, dass ich meine Miete künftig aus diesen Gründen erst zum 15. zahlen kann. Pustekuchen! Der freundliche Sachbearbeiter informiert mich säbelrasselnd, dass die Miete pünktlich im Voraus bis zum 3. eines Monats gezahlt sein muss. Andernfalls drohen mir Abmahnung und Kündigung. Meine wiederholten Beteuerungen, dass ich gar nicht anders zahlen kann, helfen nichts. Die stolze Genossenschaft, bei der ich übrigens seit 11 Jahren Mitglied bin, droht mir also mit Rausschmiss, obwohl sich die Monatsmiete fortan regelmäßig nur um ca. 12 Tage einzig verspäten wird.
Als aufgeklärter Bürger wende ich mich also an den Mieterverein. Dort wird mir ebenfalls entgegnet, dass der Vermieter leider im Recht ist und mir durchaus sofort kündigen darf. Man kennt das Problem der verzögerten Zahlungen dort schon. Der Ratschlag ist, mich umgehend an das Jobcenter und die Wohnungssicherungsstelle zu wenden. Eine Mietschuldenübernahme – wenn auch als Darlehen – soll mein Ziel sein. Erste Versuche der Kontaktaufnahme scheitern aber. Zudem sprechen Jäger/Thomé davon, dass ein Antrag auf Mietschuldenübernahme bei den Ämtern oft erfolglos ist. Außerdem ist mein Problem ja nicht, dass ich meine Miete nicht zahlen kann, sondern nur die Verzögerung.
Leider gibt es dazu keine Rechtsprechung zugunsten der vielen Beschäftigten, die erst zum 15. ihr Geld bekommen. So bleibt es ein Kampf Einzelner gegen Windmühlen, der wohl erst noch politisch werden muss.
Literatur
Frank Jäger; Harald Thomé (2008): Leitfaden ALG II/Sozialhilfe von A – Z. Frankfurt/M.
Franz-Georg Rips; Holger Gautzsch (2009): Hartz IV. Unterkunftskosten und Heizkosten. Verlagsges. des Deutschen Mieterbundes. Berlin.
Uwe Lammers (39) ist Soziologe und Vertreter des akademischen Prekariats.