Wolfgang Schmidt, der Chef des Kanzleramts, ist dort. Der Grüne Anton Hofreiter auch. Ebenso: Norbert Röttgen von der CDU. Drei deutsche Politiker nehmen laut Teilnehmerliste an der Bilderberg-Konferenz teil, die bis Sonntag in Lissabon (Portugal) stattfindet. Es wäre die Aufgabe der Medien, darüber zu berichten – mit der gebotenen Kritik. Stattdessen agieren Journalisten im Drei-Affen-Modus: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
130 führende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Journalismus, Militär und weiteren zentralen gesellschaftlichen Teilbereichen treffen sich derzeit hinter verschlossenen Türen im Pestana Palace Hotel in Lissabon. Dazu gehören etwa die Chefs von Pfizer und Merck, der Oberste Alliierte Befehlshaber in Europa und Staatsoberhäupter europäischer Länder. Die demokratische Presse der Republik schaut über die Zusammenkunft der „Bilderberger“ hinweg, als handele es sich dabei um die Plauderrunde einer Stammtischgemeinschaft in Hintertupfingen. Journalisten in Deutschland ist es offensichtlich egal, wenn sich drei nicht ganz unbedeutende deutsche Politiker unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit drei Tage lang innerhalb eines Gremiums bewegen, das von Intransparenz und Verschwiegenheit geprägt ist.
Es grenzt geradezu an Absurdität, wenn Journalisten ein „Ereignis“ wie die Bilderberg-Konferenz als journalistisch „irrelevant“ einordnen. Wenn die Weltelite vier Tage unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu politisch und gesellschaftlich hochrelevanten Themen wie etwa Künstliche Intelligenz, Bankensystem, transnationale Bedrohungen, Russland, Ukraine, Energiewende usw. konferiert, dann hat das ein Thema für Journalisten zu sein. Wer das anders sieht, hat seinen Beruf nicht verstanden.
Bis zu Beginn der 2000er-Jahre lässt sich die fehlende Berichterstattung über die Zusammenkunft des erlauchten Gremiums zumindest in Ansätzen nachvollziehen. Selbst gestandene politische Journalisten wussten einfach nicht, dass die Gruppe existiert. Mittlerweile ist das aber anders. Zwischenzeitlich gab es auch in großen Medien „Berichte“ (häufig von sehr bescheidener Qualität) zum Treffen der Machteliten. Das heißt: Mangelndes Wissen über die Existenz der Konferenz ist mittlerweile bei Journalisten auszuschließen. Ein Politikjournalismus, der diesen Namen verdient, hat das Bilderberg-Treffen so auf seinem Kalender zu haben wie die Zusammenkunft des World Economic Forums in Davos.
Aber – Journalisten und Berichterstattung über die diskreten Zusammenkünfte von Machteliten? Das passt anscheinend nicht zusammen. Während sich beim Kachelmann-Prozess gar ein Journalist draußen auf der Straße unter ein Fenster gestellt hat, um so vielleicht ein paar exklusive Informationen des Gerichtes zu erlauschen, sind die Off-the-record-Gespräche bei Bilderberg für die Mehrzahl der Journalisten offensichtlich uninteressant.
Die Nichtberichterstattung ist ein journalistisches Armutszeugnis. Und diese Aussage baut gewiss nicht auf der Prämisse, dass es sich bei Bilderberg etwa um die Zusammenkunft einer „geheimen Weltregierung“ handelt. Sie baut nicht auf der Prämisse, bei Bilderberg handele es sich um die „große Weltverschwörung“. Das ist Unsinn. Sie baut aber auf der Erkenntnis, dass die Akteure, die bei Bilderberg zusammenkommen, allesamt über eine enorme „Reichweitenmacht“ verfügen. Ihr finanzielles Kapital, ihr Beziehungskapital usw. erlaubt es jedem Einzelnen von ihnen, Hebel zu bewegen, die der Durchschnittsbürger niemals bewegen können wird. Auch wenn bei Bilderberg keine konkreten Beschlüsse gefasst werden, wie es vonseiten der Gruppe heißt – Treffen wie Bilderberg verweisen auf einen den Parlamenten vorangestellten politischen Formationsprozess der Machteliten. Sie haben eine Scharnierfunktion zwischen den Vorstellungen von Eliten, wie die Politik zu relevanten Themen aussehen sollte, und der praktischen Politikumsetzung – die dann abends in der Tagesschau zu sehen ist.
Auch wenn das eine banale Erkenntnis ist: Es gibt Vordenker der Weltpolitik. Bei Bilderberg kommen sie zusammen. Ihr Agieren, die Motivationen ihres Handelns sichtbar zu machen, gehört mit zu dem, was ein politischer Journalismus in einer Demokratie zu leisten hat. Wenn Journalisten über jene Treffen, die im Windschatten der Demokratie stattfinden, hinwegsehen, blenden sie einen zentralen Teil der politischen Realität aus. Sie handeln somit im Gegensatz zu ihrem journalistischen Auftrag. Dass über Jahre hinweg hochrangige Journalisten der ZEIT sogar im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Gruppe aktiv waren und dann, wie Matthias Nass, auch noch selbst Politiker zur Bilderberg-Konferenz eingeladen haben, zeigt in verdichteter Form: Im Hinblick auf die Bilderberg-Treffen und das Verhalten von Journalisten läuft einiges aus dem Ruder.
Anmerkung: Seit einigen Jahren verfügt die Bilderberg-Konferenz über eine eigene, sparsam eingerichtete Webseite. Sie dürfte vor allem auf die Berichterstattung alternativer Medien zurückzuführen sein, die früh die journalistische Relevanz des Themas „Bilderberg“ erkannt haben. Alternative Medien haben immer wieder über die Konferenzen vor Ort berichtet. Bis Anfang der 2010er-Jahre war Bilderberg öffentlich nicht präsent.
Hier findet sich die aktuelle Teilnehmerliste. Hier die aktuelle Agenda.
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