Die Bundesregierung und namentlich das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock sehen kein Problem im Einsatz von westlicher Uranmunition gegen die Russische Föderation. Der Einsatz dieser Art von panzerbrechender Munition habe angeblich keine messbaren Auswirkungen auf Menschen und Umwelt. Dies geht aus Antworten auf parlamentarische Anfragen zur Haltung der Bundesregierung in Bezug auf die Lieferung von Uranmunition durch NATO-Partner an die Ukraine hervor. Den NachDenkSeiten liegen die Dokumente vor. Mit ihrer Darstellung ignoriert die Bundesregierung bewusst Erkenntnisse aus dem Einsatz im Irak- und Jugoslawien-Krieg. Von Florian Warweg.
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Unter dem Titel „Uranmunition: geplante Lieferung durch Großbritannien an die Ukraine sowie mögliche Folgen für Mensch und Umwelt“ fragte der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron (AfD) mit Stand 25. April die Bundesregierung unter anderem, ob dieser Kenntnisse „zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Uranmunition auf den Menschen (…) und die Umwelt“ vorliegen. Ebenso wird abgefragt, ob die Bundesregierung „die Sicherheit und Gesundheit der Bürger Deutschlands durch die Lagerung von US-Uranmunition in Deutschland gefährdet (sieht).“ Die Antwort der Bundesregierung erfolgte letzte Woche (Bundesdrucksache 20/6742).
Zuvor hatte bereits der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (DIE LINKE) im Rahmen einer Fragestunde im Bundestag gefragt, ob die Bundesregierung „den Einsatz sogenannter Uranmunition (DU-Munition, depleted uranium) in militärischen Konflikten angesichts zahlreicher Berichte und Untersuchungen über toxische und radiologische Langzeitschäden, über den Anstieg von Fehlbildungen und Krebs bei Erwachsenen und Kindern sowie Umweltschäden wie die Kontamination des Bodens nach der Anwendung dieser Munitionsart verurteilt, und wenn nein, warum nicht?“ Hunko verwies in seiner Frage unter anderem auf die Ergebnisse einer Studie der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ mit dem Titel: „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition“.
Zudem wollte er wissen, wie die Bundesregierung „mögliche Konsequenzen der Lieferung von Uranmunition in die Ukraine für den Kriegsverlauf (siehe z.B. die Ankündigung der russischen Seite, den Einsatz solcher Waffen wie den Einsatz einer schmutzigen Atombombe zu bewerten)“ einschätzt.
Die Antworten der Bundesregierung schwanken zwischen unverschämt und zynisch.
Die Fragen des europapolitischen Sprechers der Fraktion DIE LINKE bezüglich der gesundheitlichen Aspekte von Uranmunition ignorierte die Bundesregierung komplett und erklärte, vertreten durch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt mit Grünen-Parteibuch, Dr. Anna Lührmann, lapidar:
„Diese von Russland hergestellte Verbindung von Munition mit abgereichertem Uran als „nukleare Komponente“ weist die Bundesregierung in aller Deutlichkeit zurück. Die Bundesregierung steht bezüglich der Unterstützung der Ukraine im engen Austausch mit Partnern und Alliierten, kommentiert den Inhalt dieser Gespräche aber nicht öffentlich.“
Diese „Antwort“ ist blanker Hohn, nicht nur gegenüber der politischen Opposition, sondern auch gegenüber den Menschen in der Ukraine, die im Zweifel mit den gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von Uranmunition leben müssen.
Die hier von der grünen Staatsministerin an den Tag gelegte Arroganz der Macht und Doppelmoral wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass es die Grünen waren, die 2014 bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zogen und das sogenannte „Rüstungsexporturteil“ erstritten – just für das Recht auf Antworten der Bundesregierung, die sie, kaum sitzen sie mit an der Macht, Fragestellern der Opposition im Bundestag verweigern. In dem Urteilsspruch des BVerfGs heißt es unter anderem:
„Die Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Anfragen und auf Fragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages sollen dazu dienen, dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die Bundesregierung schafft mit ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen so die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit innerhalb des Parlaments.“ (BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 2 BvE 5/11 –, BVerfGE 137, 185-273, Rn. 130)
Man könnte im Umkehrschluss daher folgern, dass das Grünen-geführte Auswärtige Amt mit dieser Form der (Nicht-)Beantwortung „eine sachgerechte Arbeit innerhalb des Parlaments“ und damit auch die Kontrollfunktion der Legislative gegenüber der Exekutive hintertreibt. Dass dies bei Weitem kein Einzelfall ist, sondern System zu haben scheint, zeigten die NachDenkSeiten bereits in einem Artikel vom Januar 2023 unter dem Titel „Unglaublicher Vorgang – Bundeswirtschaftsministerium unter Habeck verweigert Antworten zu Rüstungsexporten“ auf.
Auf die Nachfragen der AfD zeigte sich die Bundesregierung interessanterweise etwas auskunftsfreudiger, dafür aber um so zynischer. Auf die Frage „Liegen der Bundesregierung Studien und Untersuchungen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Uranmunition auf den Menschen vor, und wenn ja, welche (bitte Quelle und Auftraggeber nennen)?“ erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Andreas Michaelis (der im Sommer 2023 als Botschafter nach Washington gehen wird) mit Verweis auf Untersuchungen zum Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran in „Kosovo, Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Irak und Kuwait“:
„Die gemessenen Umweltkontaminationen waren im Hinblick auf die damit verbundene Radioaktivität gering. Dementsprechend sind gemäß Umweltprogramm der Vereinten Nationen und Internationaler Atomenergie-Organisation keine signifikanten Strahlenexpositionen der Bevölkerung zu erwarten.“
Dieser Darstellung der Bundesregierung stehen zahlreiche Studien und Statistiken zu nach dem Einsatz von Uranmunition massiv gestiegenen Zahlen an Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen entgegen. Besonders eindrücklich ist dies beispielsweise im Falle der irakischen Stadt Falludscha zu beobachten, die im Zuge der US-geführten „Operation Phantom Fury“ (gespenstische Wut) dem Erdboden gleichgemacht und exzessiv mit Uranmunition beschossen wurde.
Die Welt berichtet in einem Artikel über die Auswirkungen der Bombardierung Serbiens und Kosovos mit abgereichertem Uran (DU-Munition) unter dem Titel „Diese Schäden werden uns noch viele, viele Jahre beschäftigen“ unter anderem davon, dass der NATO-Partner Italien Tausende von ehemaligen Soldaten, die beim NATO-Einsatz im Kosovo den Nachwirkungen von Uranmunition ausgesetzt waren, mit Zahlungen zwischen 700.000 bis eine Million Euro pro Fall entschädigt habe, da diese „unter anderem an dem Balkan-Syndrom, einer speziellen Leukämieform, erkrankt waren. Weiter heißt es in dem Artikel:
„Laut Nato selbst wurden 15 Tonnen Munition abgereichertes Uran auf Gebiete in Serbien und im Kosovo abgeworfen. (…) Überhaupt ist seit der Bombardierung mit DU-Munition die Krebsrate stark angestiegen.“
In Serbien steigen seit der NATO-Bombardierung 1999 nachweislich die Krebsraten, insbesondere bei Lungenkrebs. Das Land belegt inzwischen seit Jahren den zweiten Platz weltweit bei der Verbreitung dieser Krebsart.
Auch britischen Soldaten wurden, wie unter anderem t-online berichtet, Pensionszahlungen zuerkannt – da zum Beispiel die Missbildungen von Kindern der Kosovo-Veteranen auf den Einsatz der dort verwendeten Uranmunition zurückgeführt werden konnte. Wenn man weiß, wie umfassend und eindeutig diese Kausalität belegt werden muss, bevor Soldaten Anspruch auf Entschädigungen haben, bleibt wohl wenig Zweifel an den, von der Bundesregierung negierten, direkten Auswirkungen von Uranmunition auf die menschliche Gesundheit.
Ähnlich fragwürdig mutet auch die Antwort auf die Frage an, ob die Bundesregierung „die Sicherheit und Gesundheit der Bürger Deutschlands“ durch US-amerikanische Uranmunition in Deutschland gefährdet sieht:
„Uranmunition enthält abgereichertes Uran. Die Strahlung, die von abgereichertem Uran und seinen durch radioaktiven Zerfall entstehenden Folgenukliden ausgeht, wird durch den Penetrator selbst, das ihn umgebende Material der Patrone, den Lagerbehälter sowie die umgebenden baulichen Strukturen (zum Beispiel Munitionsbunker, Lagergebäude) vollständig (Alpha- und Betastrahlung) oder weitgehend (Gammastrahlung) abgeschirmt.“
Hier sei in diesem Zusammenhang auf den Absturz eines US-amerikanischen Erdkampfflugzeugs A-10 Thunderbolt II (Donnerkeil) am 8. Dezember 1988 im nordrhein-westfälischen Remscheid verwiesen, bei dem zwei Wohnhäuser sowie eine Fabrik komplett zerstört wurden. Der Absturz forderte sieben Tote und Dutzende von Verletzten. Die NachDenkSeiten hatten erst am 8. April 2023 in der „Serie alter, interessanter Dokumente“ über diesen Vorfall mit dem Titel „Uranmunition hatte schon 1988 in Deutschland Auswirkungen“ berichtet.
In einem Beitrag des Deutschlandfunks anlässlich des 30. Jahrestags des Unglücks wird unter der Überschrift „Flugzeugabsturz über Remscheid 1988 – Was war an Bord des abgestürzten US-Kampffliegers?“ darauf verwiesen, dass die Bordkanone einer Thunderbolt A 10 darauf ausgelegt ist, „hochexplosive, panzerbrechende Uranmunition abzufeuern“ und dass das Krebsregister in Mainz seit dem Vorfall „sehr wohl eine höhere Erkrankungsrate für Remscheid anzeige“.
Aufschlussreich ist auch die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 7 der Kleinen Anfrage, ob „die Bundesregierung über eigene oder fremde Erkenntnisse (auch geheimdienstliche) verfügt, dass Russland im Ukraine-Krieg Uranmunition einsetzt bzw. plant, diese einzusetzen“. Dazu heißt es:
„Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.“
Das ist insofern bemerkenswert, als dass die Bundesregierung damit Berichte unter anderem der FAZ zumindest indirekt dementiert, die impliziert hatten, Russland würde ebenfalls über „Uranmunition“ verfügen und diese auch einsetzen.
Der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Petr Bystron, erklärte in Bezug auf die Antwort der Bundesregierung:
„Die Bundesregierung verurteilt die britische Lieferung von Uranmunition an die Ukraine nicht, obgleich die Bundeswehr selbst diese Munition aufgrund der Gefährdung der eigenen Soldaten gar nicht einsetzt. Auch bezeichnend: Über den angeblichen Einsatz von Uranmunition durch Russland liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor, womit klar ist, dass es sich bei dieser Behauptung um reine Kriegspropaganda handelt.“
Gegenüber den NachDenkSeiten nannte Andrej Hunko, Europapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, die Lieferung von Uranmunition „hochgradig unverantwortlich“ und die unterstützende Haltung der Bundesregierung „skandalös“. Er fordert eine Ächtung dieser Munitionsart:
„Die Entscheidung Großbritanniens, sogenannte Uranmunition an die Ukraine zu liefern, ist gefährlich und hochgradig unverantwortlich. Die Eskalationsspirale wird dadurch weitergedreht, denn auch ein verstärkter Einsatz von Uranmunition durch Russland kann im Gegenzug nicht ausgeschlossen werden.
Bereits im März hatte ich die Bundesregierung nach ihrer Position zum Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran in militärischen Konflikten befragt. Leider bleibt die Bundesregierung bis jetzt eine schlüssige Antwort schuldig, trotz einer Beschwerde meinerseits über unzureichende Beantwortung meiner Frage.
Dass die Bundesregierung sich ungeachtet zahlreicher Berichte und Untersuchungen, beispielsweise von der internationalen Ärzteorganisation IPPNW, über toxische und radiologische Langzeitschäden, über den Anstieg von Fehlbildungen und Krebs sowie über schwerwiegende Umweltschäden nach der Anwendung von Uranmunition nicht zu einer Verurteilung des Einsatzes dieser Munitionsart durchringen kann, ist absolut skandalös. Die Herstellung, Lieferung sowie der Einsatz von Uranmunition – egal durch wen – sollten weltweit geächtet werden.“
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Titelbild: Screenshot Bundesdrucksache 20/6742