Karlspreis – Kriegswütiger Namensgeber und gegründet von einem elitären Zirkel ehemaliger NSDAP- und SA-Mitglieder

Karlspreis – Kriegswütiger Namensgeber und gegründet von einem elitären Zirkel ehemaliger NSDAP- und SA-Mitglieder

Karlspreis – Kriegswütiger Namensgeber und gegründet von einem elitären Zirkel ehemaliger NSDAP- und SA-Mitglieder

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 14. Mai soll in Aachen der „Internationale Karlspreis“ an „S.E. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und an das ukrainische Volk“ für die „Verteidigung von Europa und der europäischen Werte“ verliehen werden. Anlass für die NachDenkSeiten, sich mit den politischen, ideologischen und auch historischen Hintergründen dieses Preises zu beschäftigen. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der „Sachsenschlächter“ Karl der Große als Namensgeber

„Sterben soll, wer Heide bleiben will“ – unter diesem Leitmotiv überzog der Namensgeber des Preises, Karl der Große, vier Jahrzehnte lang einen Großteil Europas mit Krieg. Besonders blutig gestaltete sich dabei die mit Waffengewalt erzwungene Christianisierung des damaligen Sachsenreiches, die sogenannten „Sachsenkriege“ in den Jahren 772 bis 804 nach unserer Zeitrechnung, denen abertausende Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Als selbst für die damalige Zeit außergewöhnlich grausam wird in diesem Zusammenhang in den Reichsannalen (Annales regni Francorum) auf das „Blutgericht von Verden“ im Jahr 782 verwiesen. Laut diesen Aufzeichnungen über Ereignisse im Fränkischen Reich des 8. und 9. Jahrhunderts sollen allein an einem Tag 4.500 unbewaffnete Sachsen auf direkten Befehl Karls enthauptet worden sein. Die aktuelle Geschichtswissenschaft geht mehrheitlich davon aus, dass die Angaben zur Verantwortung von Karl dem Großen für das Massaker korrekt sind.

Karl als historisches Vorbild für Hitler und Namensgeber einer SS-Division

Die historische Rolle von Karl und die von ihm mit Gewalt geschaffene „Einigung“ eines signifikanten Teils Europas zu einem „Reich“ wurde propagandistisch entsprechend vom NS-Regime genutzt. So bezeichnete beispielsweise Adolf Hitler regelmäßig Karl den Großen „als eine der größten Persönlichkeiten der Weltgeschichte“, da dieser die deutschen Stämme vereinigt hätte („… die deutschen Querschädel zueinander zu bringen“). Dass diese Einschätzung nicht alle in der NS-Nomenklatura so teilten, bezeugt die Erklärung des NS-Diktators am 31. März 1942, er habe sich gegenüber dem NSDAP-Chefideologen Alfred Rosenberg verbeten, „einen Heroen wie Karl den Großen als ‚Karl den Sachsenschlächter‘ zu bezeichnen“. Josef Grohé, Gauleiter des Gaus Köln-Aachen, erklärte bei einer Feierstunde im April 1942 anlässlich der groß aufgezogenen Feierlichkeiten zum zwölfhundertsten Geburtstag Karls des Großen, die von ihm gegründete Kaiserpfalz Aachen sei der „Ausgangspunkt für die Herausbildung des deutschen Volkes“ gewesen. Die 33. Waffen-Grenadier-Division der SS, aus deren Reihen die letzten fanatischen Verteidiger der Reichskanzlei sowie des SS-Hauptquartiers in den Kämpfen um Berlin Ende April 1945 stammten, trug den Namen des fränkischen Kaisers.

Natürlich wäre es albern, hier per se eine Kontaktschuld zu konstruieren, nur weil Hitler und andere NS-Größen sich äußerst positiv auf eine geschichtliche Persönlichkeit des Frühmittelalters bezogen haben. In der Gesamtschau bleibt aber dennoch festzuhalten, dass sich die Gründer des Karlspreises (darunter mehrere NSDAP-Mitglieder) nur vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs dafür entschieden, einen Preis auszuschreiben „für Dienste der westeuropäischen Verständigung, der Humanität und des Weltfriedens“, und dafür ausgerechnet eine Persönlichkeit wählten, die zum einen offensiv vom NS-Regime propagandistisch instrumentalisiert worden war und zum anderen sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie während ihrer gesamten 46-jährigen Regentschaft (768 bis 814) fast pausenlos (Angriffs-)Kriege in Europa führte, unter anderem gegen Sachsen, Spanien, Italien und die Awaren.

Die „illustren“ Gründer des Karlspreises aus NSDAP, SA und dem NS-Dozentenbund

Initiiert und gegründet wurde der Karlspreis vom Aachener Textilunternehmer Kurt Pfeiffer. Auf der offiziellen Website des „Internationalen Karlspreises zu Aachen“ liest sich das so:

„Dies war der Ausgangspunkt, als ein kleiner Kreis Aachener Bürger um den Textilkaufmann Dr. Kurt Pfeiffer nach Jahren geistiger Manipulation und Indoktrination einen Lesekreis, die „Corona Legentium Aquensis“, gründete.“

Was man aus den dortigen Ausführungen aber mit keiner Silbe erfährt, ist, dass besagter Dr. Kurt Pfeiffer direkt nach Machtantritt der Nazis 1933, wenn auch wohl nur aus kaufmännischem Opportunismus heraus, der NSDAP beitrat. Laut dem US-Geheimdienstoffizier Saul Kussiel Padover, der Pfeiffer nach der Befreiung Aachens Ende 1944 verhörte, soll dieser zudem noch Mitglied in fünf weiteren NS-Organisationen gewesen sein.

Ein weiteres Gründungsmitglied des Karlspreises sowie des Karlspreisdirektoriums war der aus einer bekannten Aachner Fabrikantenfamilie entstammende Philosophieprofessor Peter Mennicken. Dieser trat am 1. September 1933 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund sowie am 1. November 1933 der SA und etwas später der NSDAP bei. Ab 1939 übernahm Mennicken neben seiner Professorentätigkeit noch die Leitung des Presseamtes des Nationalistischen Deutschen Dozentenbundes. Zudem war er für die NS-Geheimorganisation „Mittelstelle für Heimatschutz“ tätig, in deren Auftrag er die Neuordnung der universitären Ausbildung in den besetzten westlichen Nachbarländern organisieren sollte.

Ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern des Karlspreises gehörte der damalige Aachner Oberstadtdirektor Albert Servais. Dieser wird in einer Auflistung des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) als Mitglied der NSDAP geführt, allerdings mit dem Vermerk versehen, er sei „heute noch katholisch gebunden“. Servais eigener Sohn spricht wiederum davon, dass sein Vater „förderndes Mitglied der SS“ gewesen sei. Der Rest der insgesamt 12 Gründungsmitglieder setzte sich vor allem aus Großindustriellen und Kadern der neugegründeten CDU zusammen.

Die politisch-ideologische Ausrichtung des Karlspreises

Der Karlspreis war von Beginn an als ein gegen den sowjetischen Raum gerichtetes Propagandainstrument im beginnenden Kalten Krieg gedacht. An dieser Ausrichtung des Preises ließ der Initiator, das ehemalige NSDAP-Mitglied Pfeiffer, keinen Zweifel aufkommen. In seinem Appell an die Aachner Bevölkerung zur Ausrufung des Karlspreises am 19. Dezember 1949 erklärte er:

„Der Machtzuwachs des Ostens ist ins Gigantische gewachsen und wir wissen nicht, wo die Expansion halt machen wird. Die Position der westlichen Mächte ist äußerst schwach. Deshalb muss die Öffentlichkeit auf ihre Selbstverantwortung im Schicksalskampf aufmerksam werden. Es geht um die Rettung der abendländischen Kultur. Der Grenzstadt Aachen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Aachen war einmal geistiges und politisches Zentrum des ganzen westeuropäischen Raumes von den Pyrenäen bis zur slawischen Sprachgrenze.“

Der Karlspreis als Werkzeug im „Schicksalskampf“ gegen die gigantisch böse Macht im Osten zur „Rettung der abendländischen Kultur“. Zeitgeist hin oder her, diese völkisch grundierte Sprache einer Rede, die laut WDR „die Geburtsstunde des sogenannten Internationalen Karlspreises zu Aachen markiert“, spricht für sich. Dieses Leitbild des angeblichen Schicksalskampfes gegen „den Osten“ lässt sich gut auch an der Vergabepraxis des Karlspreis-Direktoriums ablesen.

Bisherige Preisträger: Kriegsverbrecher und Kalte Krieger

Während CDU-Spitzenpolitiker, die für eine offene Systemkonfrontation standen, den Karlspreis erhielten, wurden die sozialdemokratischen Kanzler, die eher für eine neue und auf Entspannung setzende Ostpolitik standen, bewusst übergangen.

„Willy Brandt – dieser Name war undiskutierbar!”

Mit diesen Worten zitiert der SPIEGEL 1987 ein Direktoriumsmitglied auf die Frage, wieso zwar ein Walter Hallstein (Begründer der nach ihm benannten „Hallstein-Doktrin“), ein Konrad Adenauer, ein Carl Carstens oder ein Henry Kissinger den Karlspreis erhielten, nie aber Brandt als Begründer der neuen Ostpolitik. Auch Helmut Schmidt wurde bei der Preisvergabe explizit ignoriert.

Bezeichnend auch, wen und mit welcher Begründung das Direktorium zu Beginn von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion und einer zunehmenden Entspannungspolitik etwa als Preisträger für das Jahr 1987 aussuchte:

„Henry Kissingers Name ist das Symbol der Politik der Entspannung, des Friedens, der Abrüstung und der Partnerschaft. Daher hat das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen beschlossen, Ihnen, Herr Professor Dr. Kissinger, den Karlspreis für das Jahr 1987 zu verleihen.“

Das muss man Ende der 1980er Jahre erstmal so bringen: Ausgerechnet den Mann als „Symbol der Politik der Entspannung und des Friedens“ zu bezeichnen, der bereits 1957 als Berater der US-Behörde für Waffenentwicklung beim Vereinigten Generalstab einen auf Europa begrenzten Nuklearkrieg propagierte sowie unter anderem in seiner Rolle als Nationaler Sicherheitsberater maßgeblich den blutigen Putsch in Chile gegen Salvador Allende ebenso wie die massive Ausweitung des Vietnamkrieges inklusive der völkerrechtswidrigen Massenbombardierungen und späteren Invasion in Kambodscha zu verantworten hatte und in seiner Rolle als US-Außenminister grünes Licht gab für die Durchführung der koordinierten Terrormaßnahmen im Zuge der „Operation Condor“ in Südamerika sowie für die Invasion und darauffolgenden Massenhinrichtungen in Osttimor durch die indonesische Armee unter dem Diktator Suharto.

Dass es sich bei dem Karlspreisträger Kissinger um einen Kriegsverbrecher handelt, räumten im Rückblick selbst enge Mitarbeiter von ihm ein. So sagte beispielsweise der Außenpolitik-Analyst Roger Morris Folgendes über seinen langjährigen Chef im Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten:

„Wenn wir Henry Kissinger nach den gleichen Maßstäben beurteilen, wie wir es mit den anderen Staatschefs und Politikern in anderen Gesellschaften getan haben, zum Beispiel in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, dann wird er sicher irgendwann als Kriegsverbrecher verurteilt werden.“

Doch Kissinger ist bei weitem nicht der einzige mit dem Karlspreis geehrte Kriegsverbrecher. Vielsagend auch die Begründung für die Verleihung des Preises an den damaligen britischen Premierminister Tony Blair im Jahr 1999 für (!) „sein entschlossenes Handeln in der Kosovo-Krise, in der er den US-Präsidenten Clinton von einer klaren Haltung der NATO gegenüber Slobodan Milošević überzeugte und Grundzüge einer neuen Doktrin für die internationale Gemeinschaft festlegte“. Karlspreis für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg (im NATO-Jargon „Operation Allied Force“), der zur Zerstörung eines Großteils der zivilen Infrastruktur Restjugoslawiens führte.

In der Laudatio zur Preisverleihung an Blair heißt es dazu:

„Daher führen wir einen Kampf für die Zivilisation, für unsere europäische Zivilisation! Ein Kampf, in dem wir Gewalt solange anwenden werden, bis die Verhandlungen wieder beginnen können, die allein geeignet sind, zu einer langfristigen politischen Lösung zu führen.“

An Zynismus kaum zu übertreffen, ist auch die Inschrift auf der an Blair überreichten Karlspreis-Medaille, in die als angebliche Leistung Blairs eingraviert ist:

„Frieden und Zusammenwachsen in Europa“

Ein Jahr später war dann Bill Clinton der Preisträger. Jener US-Präsident, der, neben der Hauptverantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Republik Jugoslawien, kurz vor Weihnachten 1998 nach allgemeiner Einschätzung vor allem aus innenpolitischen Erwägungen heraus, um von dem drohenden Amtsenthebungsverfahren abzulenken, einen umfassenden und nicht UN-gedeckten Luftangriff gegen den Irak befahl. „Ohne Verzögerung, Diplomatie oder Warnung“, so hatte es der gekarlspreiste US-Präsident seinem damaligen Lieblingsfeind Saddam Hussein öffentlich angedroht und umgesetzt.

Es handelt sich bei dem Karlspreis laut Eigendarstellung, das sollten wir uns nochmals in Erinnerung rufen, vorgeblich um einen „Preis (…) für den wertvollsten Beitrag im Dienste der Humanität und des Weltfriedens”. 

Aktenfreigabe unerwünscht

Vor diesem skizzierten Hintergrund verwundert es nicht, dass laut einem Bericht der Aachener Nachrichten sich das Direktorium wegen „Bedenken (…) um politische Verwicklungen“ gegen eine umfassende Öffnung der Archive (Protokolle, Abstimmungsunterlagen etc.) rund um die Karlspreisverleihungen verwehrt:

„Um allen politischen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen, sollen daher die Akten aus den letzten 30 Jahren erst einmal ungenutzt bleiben.“

Fazit

Es sagt wohl einiges über die Verfasstheit der Europäischen Union aus, dass der mutmaßlich „renommierteste“ Preis für Dienste zur „europäischen Einigung“ den Namen eines Kaisers trägt, der gegen seine Nachbarn im Osten, Süden und Westen über Jahrzehnte Krieg führte und dessen Initiatoren aus der Aachner Oberschicht wie dargelegt zu relevanten Teilen aktive Mitläufer im NS-Regime waren und den Karlspreis bewusst als Instrument im „Schicksalskampf (…) um die Rettung der abendländischen Kultur“ gegen den „Osten“ ins Leben riefen. Dass dieses schon damals reaktionäre Leitmotiv des Preises nicht beschränkt war auf die Anfangsjahre des Karlspreises, bezeugen die aktuellen Veröffentlichungen auf der offiziellen Website des „Internationalen Karlspreises zu Aachen“, in denen nach wie vor unter anderem von der „Idee des christlichen Abendlandes als Leitgedanke für die künftige politische und wirtschaftliche Einigung Europas“ die Rede ist.

An der offensichtlich nötigen kritischen Aufarbeitung und Reformierung angesichts der einseitigen politischen Ausrichtung und intransparenten Auswahlprozesse zeigt sich das Direktorium, siehe beispielhaft die Verweigerung, die Karlspreis-Akten der letzten 30 Jahre zu veröffentlichen, in keiner Form interessiert. Der bis zum heutigen Tage proklamierte „abendländische Schicksalskampf“ der Organisatoren des Aachner Karlpreises erlaubt wohl keine kritische Reflexion des eigenen Tuns. Mit dieser Haltung sind sie wiederum tatsächlich ein gutes Sinnbild der aktuellen EU-Eliten um Ursula von der Leyen und ihrer desaströsen Eskalationspolitik.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Screenshot von karlspreis.de/de/aktuelles/karlspreis-2023