Empörender Umgang mit dem Tag der Befreiung: „Hier weht nur noch die Ukrainefahne“

Empörender Umgang mit dem Tag der Befreiung: „Hier weht nur noch die Ukrainefahne“

Empörender Umgang mit dem Tag der Befreiung: „Hier weht nur noch die Ukrainefahne“

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Es ist ein Triumph der Geschichtsrevisionisten: Das aktuelle „Gedenken“ an jene sowjetischen Befreier von der Nazidiktatur, die die größten Opfer dafür gebracht haben, muss als total unwürdig bezeichnet werden. Auch über den aktuellen Anlass hinaus gibt es in Deutschland massive Bemühungen, die Geschichte vor allem bezüglich Russland umzudeuten. Der grüne Zeitgeist des Militarismus möchte den Bürgern seinen Russenhass mit einer Schocktherapie überstülpen – im Dienste von US-Interessen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

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Der offizielle, mediale und juristische Umgang mit den Feierlichkeiten rund um den Tag der Befreiung von der Nazidiktatur ist skandalös. Man kann das Verhalten auch als vorläufigen Höhepunkt einer bereits laufenden Kampagne zur Geschichtsumdeutung interpretieren. Denn schon die offizielle Darstellung des Ukrainekriegs ist ja nur überlebensfähig, wenn gleichzeitig mit allen Mitteln die Vorgeschichte des russischen Einmarsches umgedeutet bzw. unterdrückt wird. Da sind Versuche, die sowjetischen (also auch russischen) Verdienste beim Kampf gegen die Nazis kleinzureden, nur folgerichtig.

Dieses „Gedenken“ ist eine Schande

Dass das offizielle Verhalten dem Datum völlig unangemessen ist und – neben behördlichen Flaggenverboten und Schikane – die Ampelregierung dieses Jahr noch nicht einmal Veranstaltungen plant, in denen explizit der Befreier und der von ihnen gebrachten Opfer gedacht wird, allen voran die Sowjetunion mit 27 Millionen Toten, das hat Sevim Dagdelen gerade in diesem Artikel beschrieben. Aber die fatale Entwicklung geht weit über das aktuelle Datum hinaus, wie auch Dagdelen betont: Mit Verweis auf den Ukraine-Krieg hat die Bundesregierung sämtliche Kooperationen mit Russland „in Bezug auf Gedenken und Forschung zu NS-Verbrechen“ auf Eis gelegt. Das gelte auf unbestimmte Zeit. Zivilgesellschaftlichen Projekten, die vom Bund gefördert werden, ist demnach jegliche Kooperation mit staatlichen Stellen in Russland untersagt, selbst wenn es nur darum geht, Ausstellungen zu deutschen Verbrechen in russischen Museen zu zeigen. Zusätzliche und bereits vorher bestehende Tendenzen in dieser Richtung haben wir etwa im Artikel „Alle Brücken zu Russland sollen abgerissen werden: Auch der kulturelle Austausch“ beschrieben.

Das Verhalten zum 8./9. Mai sticht dennoch heraus – es ist schlicht unwürdig. Zur auftrumpfenden, heuchlerischen und moralisch lächerlichen Verantwortungslosigkeit der Bundesregierung in den Kriegs-, Energie- und Russlandfragen sowie zum Duckmäusertum gegenüber den USA und bei der Frage des Nord-Stream-Terrors wurde schon viel gesagt. Beim Tag der Befreiung gesellt sich da noch eine unangenehme Kompromisslosigkeit gegenüber den Menschen hinzu, die sich dem Kampf der Roten Armee gegen den Faschismus verbunden fühlen: Um im aktuellen Meinungskampf ein paar Propagandapunkte zu sammeln, ist vor Teilen des grün-militaristischen Zeitgeistes nicht mal mehr die Geschichte der deutschen Niederlage sicher.

Das ist nicht nur ein Verrat an der historischen Verpflichtung Deutschlands, das macht auch einen extrem kleinlichen Eindruck: Manche Propagandisten vermögen es sogar angesichts der monumentalen Vorgänge des Zweiten Weltkriegs nicht, über den Schatten der täglichen Auseinandersetzungen zu springen, um die historischen Taten jener Befreier, die den größten Blutzoll entrichten mussten, angemessen zu würdigen. Dass die historischen Verdienste der Roten Armee nicht mutmaßliche Kriegsverbrechen der heutigen russischen Armee rechtfertigen können, ist selbstverständlich.

Flaggen von Befreiern werden verboten

Aktuell besonders aufreizend ist die Entscheidung, am Tag der Befreiung das Zeigen der sowjetischen Fahne zu verbieten, also die Fahne der wichtigsten Befreier (zu denen schließlich auch viele Ukrainer gehörten). Als zusätzliche Provokation wurde ein ähnliches Verbot für ukrainische Nationalfahnen wieder aufgehoben, weitere Infos zu diesen Vorgängen und die abzulehnende Begründung des Gerichtsurteils finden sich etwa bei der Berliner Zeitung. Neben diesem aktuellen und skandalösen Verbot sind aber auch längerfristige Bemühungen zur Umdeutung der Geschichte – vor allem bezüglich Russlands – zu beobachten, Beispiele folgen weiter unten.

Dem Gedenken unwürdige Szenen der Polizeipräsenz an sowjetischen Ehrenmalen in Berlin am Montag beschreibt die Junge Welt in diesem Artikel: Mit einem „Aufmarsch von mehr als 1.500 Polizisten zur Besucherüberwachung an den Gedenkstätten der Roten Armee beging Berlin den 78. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus“. Die Berliner Zeitung habe vom Tiergarten-Monument berichtet: „Derzeit übersteigt das Polizeiaufgebot die Besucherzahlen des Ehrenmals um ein Vielfaches.“ Unser Titelbild zeigt eine Szene am Ehrenmal von 2022.

Russenhass als Schocktherapie

Man liest dieser Tage etwa in Kommentarspalten manchmal das Argument, die Sowjets hätten die Nazis schließlich auch mit Waffen besiegt: Darum sei es heute nur eine moralische Parallele, wenn die Ukraine so hochgerüstet wird, dass der Krieg wenigstens extrem in die Länge gezogen wird. Diese Parallele ist streng zurückzuweisen. Es sei denn, man ist Holocaust-Relativierer und man möchte den Einmarsch Russlands in die Ukraine mit den Feldzügen der Wehrmacht gleichsetzen und das heutige Handeln Russlands mit dem der deutschen Nazimörder. Zusätzlich muss ja die Geschichte der Ukraine und der NATO mindestens seit 2014 massiv unterdrückt werden, damit die hierzulande dominante und vor doppelten politisch-moralischen Standards strotzende Deutung des russischen Einmarsches von 2022 nicht auffliegt.

Das Tempo und die Intensität der aktuellen Versuche der Geschichtsumdeutung – auch über die Gedenktage hinaus – ist atemberaubend. Das ist vermutlich Absicht: Wir sollen überrumpelt werden, sie wollen uns ihren Russenhass in einer Schocktherapie überstülpen – diese antirussische Therapie, die vor allem US-Interessen dient und Europa massiv schadet, lief schon vorher vonseiten zahlreicher Politiker und Journalisten auf Hochtouren, aber seit der Dominanz der grünen Militaristen ist sie als geradezu exzessiv zu bezeichnen. Die Motivation dafür ist wohl zum Teil ideologisch begründet – vor allem aber ist sie Ergebnis einer opportunistischen Unterwerfung unter kühle US-Interessen, für die ein Graben zwischen Russland und dem Rest Europas von zentraler geopolitischer Bedeutung ist.

Claudia Roth: „Putin missbraucht die Erinnerung an den 8. Mai in übelster Form“

Man kann sich kaum eine Person vorstellen, die dem pompösen Ausdruck „Kulturstaatsministerin“ weniger gerecht wird als Claudia Roth von den Grünen. Sie schreibt in einer Mitteilung zum Tag der Befreiung nach den üblichen antifaschistischen Floskeln:

„Während wir uns heute erinnern, herrscht wieder Krieg mitten in Europa, ein von Russland begonnener, verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine. Menschen verlieren deshalb ihr Leben, ihre Lieben, ihr Zuhause, und Putins Russland versucht, ihnen ihre gesamte eigenständige Kultur zu nehmen. Für die Propaganda zu diesem verbrecherischen Angriffskrieg missbraucht Putin auch die Erinnerung an den 8. Mai in übelster Form. Dem müssen wir deutlich entgegentreten.“

Roth praktiziert hier das, was sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorwirft: Sie nutzt sogar noch das Gedenken an die historische Befreiung für antirussische Meinungsmache.

„Hier weht nur noch die Ukrainefahne“

Weitere Entwicklungen in Richtung Geschichtsumdeutung haben wir kürzlich im Artikel „Karlspreis für das Kriegs-Maskottchen“ beschrieben, nämlich zum einen die absurde Karlspreisverleihung an Selensky und zum anderen das geplante „Ukraine-Zentrum“ in Frankfurt (Oder) als Forschungs- und Lehreinrichtung. Erstunterzeichner einer Initiative dafür sind etwa Roderich Kiesewetter, der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew und Marieluise Beck – die scharf antirussische Richtung ist also vorgegeben. Angeblich ist das Interesse für eine solche „Komprimierung von akademischer Lehre, Politikberatung und EU-Beitrittsförderung“ für die Ukraine bei Stiftungen, Außenministerium, EU und Bundestag groß, so Medien.

Zudem werden wichtige Erinnerungsorte geschliffen. So schreibt Claudia Roths Ministerium zum bisherigen „Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst“, dem Ort, an dem die Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet wurde:

„Zehn Jahre nach der Eröffnung der Dauerausstellung im Museum Berlin-Karlshorst wird nun eine Überarbeitung angestoßen, um neueste Forschungsergebnisse sowie die aktuellen Entwicklungen einzubeziehen. Auch bereitet die Kulturstaatsministerin im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium der Verteidigung sowie den deutschen Trägervereinsmitgliedern eine Neuaufstellung des Trägervereins Museum Berlin-Karlshorst e.V. vor. Zudem wird sich der wissenschaftliche Beirat des Museums neu konstituieren und die multiperspektivische Überarbeitung der Dauerausstellung begleiten.“

Man könnte wetten, dass „multiperspektivisch“ mutmaßlich mit „antirussisch“ zu übersetzen ist. Bereits zuvor wurde das Museum seines Namens beraubt und die taz konnte die frohe Botschaft für Geschichtsrevisionisten verkünden:

„Karlshorst – Hier weht nur noch die Ukrainefahne.“

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Titelbild: Lars-Goran Heden / Shutterstock

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