Noch im Wahlkampf hatte der seit 2013 in unterschiedlichen, zweckdienlichen Koalitionen regierende Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) eine Koalition mit der FPÖ kategorisch abgelehnt. Gut eine Woche nach der bemerkenswerten, in Deutschland aber weitgehend unbeachteten Landtagswahl am 23. April 2023 folgte das berüchtigte Geschwätz von gestern: Haslauer verkündete wenige Tage nach der Wahl, dass er in Koalitionsverhandlungen mit dem vermeintlichen Schmuddelkind eintreten werde, denn „die Stimmung in der Bevölkerung ist im Wesentlichen, man solle es einmal mit der FPÖ versuchen. Die Freiheitlichen sollen nun zeigen, was sie können.“[1] Damit wäre Salzburg nach Oberösterreich und Niederösterreich das dritte (von neun) Bundesländern, in dem die Schwarzen und die Freiheitlichen in die Regierungsverantwortung treten. Von Norbert Wiersbin.
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Das ganze Geschehen verläuft zeitgleich zur richtungsweisenden Mitgliederbefragung um die zukünftige Führung der SPÖ im Bund. Neben der amtierenden Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner haben der burgenländische Landeshauptmann Peter Doskozil und der Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler ihren Hut in den Ring geworfen. Dabei gilt gerade der bundesweit weniger bekannte Babler als stiller Hoffnungsträger derer, die sich eine sozialere SPÖ und ein linkeres Profil der Partei herbeisehnen. Babler werden – die Befragung endet am 10. Mai – dabei durchaus Chancen eingeräumt. Kommt es nun zu einem “Linksruck“ in der SPÖ nach der amtierenden eher blassen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner? Lässt sich absehen, welche Auswirkungen die Salzburger Wahl auf die Mitgliederbefragung und damit auch im Bund hat? Oder bedeutet dies eher Aufwind für den designierten Kanzlerkandidaten der FPÖ, Herbert Kickl?
Doch zunächst zurück zu den Wahlen in Salzburg, deren Ergebnis anhaltenden Nachklang auch auf Bundesebene finden dürfte. Dazu habe ich in diesen Tagen zahlreiche Gespräche geführt und habe „Volkes Stimme“ eingeholt, aber auch Interviews mit dem pensionierten Historiker Dr. Helmut Hoyer und dem Politikwissenschaftler Mag. Michael Wögerer geführt, die deutlich unterschiedliche Positionen vertreten. Meine Aufgabe soll es hier sein, in bewährter Tradition der NachDenkSeiten ein Meinungsbild zu zeichnen, ohne eine dezidiert eigene Meinung kundzutun. Zu unterschiedlich sind die Positionen, immer tiefgreifender wird die Spaltung der Gesellschaft auch in Österreich, die soziale Unsicherheit, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht sind mit Händen zu greifen. Ein „gefundenes Fressen“ für Populisten jeglicher Couleur.
So verwundert es auch niemanden, wenn Landesfürsten wie Wilfried Haslauer sich um die im Wahlkampf herausposaunten Zusagen wenig scheren, laut Wögerer sollte man bezüglich der ÖVP „mittlerweile sogar davon ausgehen, dass sie sich nicht an ihre Wahlversprechen hält.“ Dr. Hoyer verortet einen durch und durch korrumpierten Sumpf, es gehe „um schnöden Machterhalt, um das Kleben am Sessel, auf dem man schon zu lange sitzt“. Das kommt hier in der Bevölkerung – ausgenommen die treuen Parteigänger der ÖVP – nicht wirklich gut an. Die Menschen spüren und vernehmen sehr deutlich, dass im politischen System vieles im Argen liegt, die Politik im Allgemeinen scheint zunehmend an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Wen wundert es da noch, dass in der Salzburgwahl die politischen Ränder deutlich an Zustimmung gewonnen haben?
Zu diesen Gewinnern zählen, wie von vielen Beobachtern erwartet, die FPÖ, aber auch – für deutsche Ohren kaum zu glauben – eine aufstrebende Kommunistische Partei Österreichs (KPÖplus), die beachtliche 11,25 Prozent hinzugewonnen hat, während die FPÖ einen Zuwachs von 6,91 Prozent erzielen konnte und damit der regierenden „Volkspartei“ immer näher auf die Fersen rückt. Wenngleich die Verschiebungen vor allem innerhalb der traditionellen politischen Lager stattfanden, ist in beiden eine gewisse Aufbruchsstimmung sehr wohl vernehmbar. Der FPÖ gelang es, vor allem bei den Konkurrenten der bürgerlich-konservativen ÖVP abzuräumen, die KPÖ konnte ehemalige Wählerinnen und Wähler der SPÖ, der Grünen und der NEOS für sich gewinnen, aber auch erhebliche Anteile der Nichtwähler.[2] Während die einen schon einen Kanzler Herbert Kickl am Firmament aufgehen sehen, schwadroniert der linksliberale „Falter“, „Die Debatte rückt nach links, endlich!“.[3] Schaun mer mal, nichts ist so alt wie die Zeitungen von gestern, nichts so alt wie die Aussagen vor und nach den Wahlen.
Da stellt sich die Frage, was zu den Erfolgen beider Parteien beigetragen hat und nicht zuletzt auch, welche Bedeutung dem auf Bundesebene beizumessen ist. Helmut Hoyer als auch Michael Wögerer sind sich einig, dass es neben den sozialen Verwerfungen der Unmut über die überzogenen Corona-Maßnahmen ist, die den Wahlsiegern die Protest- und Wanderwähler in die Arme getrieben haben. Dazu sagte Wögerer:
„Der Erfolg der Blauen lässt sich grob mit der katastrophalen Performance der anderen Parteien erklären. Die FPÖ punktet mit radikaler Oppositionspolitik – und dies auf allen thematischen Ebenen. In ihrer Kernkompetenz – Stimmung gegen AusländerInnen – braucht sie derzeit gar nicht viel tun.
Bei den Landtagswahlen in Niederösterreich und Salzburg wurde vor allem der Corona-Kurs aller Parteien zu Recht abgestraft, die FPÖ war die einzige Partei, die sich dezidiert gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hatte. Auch die hohe Inflation infolge der Russland-Sanktionen bzw. das weitere Aushöhlen der österreichischen Neutralität treiben die Menschen in die Fänge der Freiheitlichen. Und – bei aller Ablehnung ihrer rechten Demagogie – ist sie offenbar die einzige Partei, die in der Friedensfrage (zumindest rhetorisch) einen klaren Standpunkt hat. Dementsprechend scheinen die WählerInnen die Skandale rund um HC Strache vergessen zu haben und setzen wieder auf blau.“
Auch Hoyer betont die konsequente Oppositionspolitik eines Herbert Kickl in der Pandemiefrage, der damit auf Bundesebene ein Alleinstellungsmerkmal erzielt und an enormer Glaubwürdigkeit gewonnen hat. Kickl sei aktuell der einzige Politiker, der nicht in Skandale verwickelt sei, der sei sauber und frei jedweder Korruptionsvorwürfe. Wie er aus internen Zirkeln erfahren habe, sei Kickl jedenfalls fest entschlossen, die Regierungsverantwortung zu übernehmen und zu zeigen, dass seine Partei es besser kann. Und schließlich führe die ungebremste Inflation dazu, dass „die sozialen Spannungen dramatisch angewachsen sind, immer mehr Menschen bangen um ihre blanke Existenz“. Diese suchten nun nach einem Ventil, nach radikaler politischer Veränderung, bevor es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Alpenrepublik käme. Dabei verstehe es die FPÖ, sich als „Partei des kleinen Mannes“ anzudienen und die anderen Parteien vor sich her zu treiben. Ob damit die soziale Frage weiter in den Mittelpunkt rückt, bezweifelt hingegen Wögerer, der von der avisierten ÖVP/FPÖ-Koalition in Salzburg eher „more of the same: Geschenke für die Reichen und höchstens Almosen (Einmalzahlungen) für die arbeitende Bevölkerung und schwarz-blaue Korruption“ erwartet.
Auch der Erfolg der KPÖplus ließe sich auf soziale Themen zurückführen. Ihr zentrales Wahlkampfthema waren die horrenden Mieten in Salzburg und Umgebung, gegen die die Regierung Haslauer über Jahre nicht gegengesteuert habe. Davon betroffen sind vor allem einkommensschwächere Schichten bis weit in den Mittelstand hinein, der zunehmend zu erodieren drohe. Wögerer verweist ergänzend dazu darauf, dass die KPÖplus (so die Wahlbezeichnung der Kommunistischen Partei in Salzburg) bereits seit 2019 wieder im Gemeinderat in der Stadt Salzburg vertreten sei. Seither werde konsequente Oppositionspolitik, insbesondere zum Thema Wohnen, betrieben, ganz nach dem Vorbild der steirischen KPÖ. Gleichzeitig begrenze das Team um den Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl, wie in der KPÖ üblich, sein Gehalt auf einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn und beweise damit, dass es ihnen nicht um Geld und Posten gehe.
KPÖplus hat – im Gegensatz zu anderen (vermeintlich) linken Parteien wie SPÖ/Grüne – große Glaubwürdigkeit. „Der Erfolg in Salzburg ist aber auch Teil einer Neuorientierung und eines kontinuierlichen Aufbaus der Kommunistischen Partei auf Bundesebene. Darin unterscheidet sich die Partei auch vom viel beschworenen linken Populismus. Statt auf kurzfristigen Erfolg durch Sprache und Charisma, setzt die KPÖ jetzt auf den Aufbau einer aktiven Basis und Verankerung in der Gesellschaft.“[4] Und Wögerer skizziert auch gleich eine mögliche Perspektive auf Bundesebene: „Die bisherigen Parteien auf der „Linken“ (SPÖ/Grüne) haben den Spielraum für die KPÖ jedenfalls stark erweitert, indem sie jegliche Visionen einer grundlegenden Verbesserung der Gesellschaft aufgegeben haben. Sollte sich dahingehend bis zu den für den Herbst 2024 anberaumten Nationalratswahlen nichts ändern, wäre erstmals seit 1959 ein Wiedereinzug der KPÖ in den österreichischen Nationalrat gut möglich.“
So gerät auch die SPÖ weiter unter Druck, entscheidend für die zukünftige Ausrichtung der Partei dürfte das Ergebnis der laufenden Mitgliederbefragung sein. Mit dem eher dem rechten Flügel der Partei zugeordneten Peter Doskozil, unterstützt durch den Exkanzler Christian Kern, tritt ein politisches Schwergewicht gegen die amtierende Vorsitzende an. „Ich denke, Doskozil wird das Rennen für sich entscheiden, weil er innerhalb der Partei den größten Zuspruch hat. Nicht zuletzt wäre ihm für eine angestrebte Kanzlerschaft zuzutrauen, mit allen anderen im Nationalrat vertretenen Parteien eine Koalition zu bilden – selbst mit der FPÖ dürfte er dazu keine Berührungsängste haben,“ avisiert der Historiker Hoyer den möglichen Ausgang der innerparteilichen Richtungswahl.
Michael Wögerer engagiert sich hingegen für den Newcomer Andreas Babler, der noch zum 1. Mai in seinen kämpferischen Bewerbungsreden ein klares soziales Profil und eine deutlichere Linksausrichtung seiner Partei einforderte. Die SPÖ werde im Kampf um die sogenannte Mitte jedenfalls weiterhin verlieren. Andreas Babler verkörpere hingegen „den Wunsch innerhalb der sozialdemokratischen Basis nach einer deutlicheren Akzentuierung bei sozialen Themen. Es ist schwer zu sagen, wie das Rennen bei den knapp 150.000 Mitgliedern der SPÖ ausgehen wird, seriöse Umfragen gibt es dazu keine. Ich traue mich jedoch zu sagen, dass – egal wie sich die SPÖ entscheidet – das unbesetzte linke Feld in den kommenden Jahren in Österreich wieder sichtbar in Erscheinung treten wird.“
Schaun mer mal, in wenigen Tagen fällt die Entscheidung, ob alles beim Alten bleibt oder ob es zu einem Aufbruch in Österreich kommt.
Titelbild: Maxim Studio/shutterstock.com
Zur Person:
- Dr. phil. Helmut Hoyer studierte zunächst in Wien Rechtswissenschaften und dann Geschichte mit dem Schwerpunkt Osteuropa und Slawistik auch in Moskau. Nach einer Lehrtätigkeit an der österreichischen Militärakademie wechselte er zu einem deutschen Konzern und koordinierte von dort aus knapp dreißig Jahre lang das Osteuropa- und zweitweise auch das Chinageschäft. Helmut Hoyer ist bis heute in zahlreichen politischen und akademischen Netzwerken eingebunden und gilt als Kenner Osteuropas und der Mitgliedsstaaten der ehemaligen Sowjetunion.
- Mag. Michael Wögerer studierte Politikwissenschaften an der Uni Wien und ist aktuell der Vorsitzende/Präsident der Österreichisch-Kubanischen Gesellschaft (ÖKG). Zugleich ist er Herausgeber der progressiven Online-Zeitung „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE“. Michael Wögerer war bereits in früheren Jahren in seinem Heimatort Ratsmitglied der SPÖ und ist im Zuge der neuen Entwicklungen rund um die Kandidatur von Andi Babler wieder in die SPÖ eingetreten.