Hinweise der Woche
Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf „weiterlesen“ klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Höllenfeuer oder grünes Paradies – Ein Anschlag auf die Mittelschicht
- Die schmutzige Wahrheit hinter Flüssiggas-Importen aus den USA
- Nord gegen Süd: Darum droht großer Streit um den Strompreis
- Verwirrspiel um Verteilung
- Die Grünen und der Krieg
- Die Ukraine wird nicht siegen – Nur ein Friedensplan der Großmächte kann den Krieg beenden
- Die neue Ehe zwischen Krieg und Tugend
- Neue Weltordnung Mark II
- Die Vierte Gewalt und die Kriegsbegeisterung
- Kai Wegners Wahl zum Regierenden Bürgermeister: Mangelndes Demokratieverständnis
Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnenswertesten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Höllenfeuer oder grünes Paradies – Ein Anschlag auf die Mittelschicht
Die Ampel ist bereit, das Land für eine ideologische Luftnummer zu spalten, anstatt die Akzeptanz für Klimaschutz zu erhöhen. Aber nicht nur Habecks Klimanationalismus verteuert das Leben der Bürger und vernichtet mühsam Erspartes.
Während die „Letzte Generation“ mit gezielten Aktionen gegen Normalbürger versucht, den Alltag lahmzulegen, peitscht die Bundesregierung ihr Heizungsgesetz in den Bundestag. Der Klimaeffekt der Habeck-Ideologie ist aber maximal dürftig. Das Wirtschaftsministerium hat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Auskunft gegeben: Sagenhafte 1,4 Prozent CO2-Emissionen werden durch das Heizdiktat der Ampel und die geplante Installation von sechs Millionen Wärmepumpen eingespart. Nicht etwa Ende 2024, wenn Habecks Harakiri Fahrt aufnehmen soll, sondern im Jahr 2030 – im Vergleich zu heute.
Angesichts der Debatte könnte man den Eindruck haben, es ginge nicht um 1,4 Prozent, sondern um alles oder nichts – Höllenfeuer oder grünes Paradies. In einer wieder einmal moralisch überfrachteten Debatte spielen weder Fakten noch die finanziellen Möglichkeiten der Bürger eine besondere Rolle. […]
Pro Kopf verbraucht ein Deutscher nur rund ein Viertel eines Katarers. Wir können gegen den horrenden Zuwachs der weltweiten Emissionen nicht als klimapolitische Insel ansparen. Das ist Klimanationalismus aus dem Hause Habeck. Selbst wenn Deutschland morgen klimaneutral wäre, würde dies global nichts ändern. Und in Spanien würde es in diesen Tagen trotzdem nicht regnen.
Die Ampel ist aber bereit, das Land für eine ideologische Luftnummer zu spalten, anstatt die Akzeptanz für Klimaschutz durch sinnvolle Maßnahmen zu erhöhen. Häufig wird Norwegen als ein Wärmepumpen-Vorbild genannt, aber dort sind, anders als bei uns, die Emissionen seit 1990 um 17 Prozent angestiegen.
Was das Heizungsgesetz eventuell im Jahr 2030 klimapolitisch leistet, macht der deutsche Sonderweg beim Atomausstieg schon in diesem Jahr zunichte. Kein großes Industrieland macht Energiewende ohne Atom. Und anstatt nützliche Einsparmaßnahmen im Verkehrssektor anzubieten, schafft die Koalition lieber das komplette Sektorziel ab.
Quelle: Cicero - Die schmutzige Wahrheit hinter Flüssiggas-Importen aus den USA
LNG-Terminals und Fracking: Menschen in den USA leiden unter dem Exportboom. Denn das Gas-Business vergiftet wichtige Lebensräume und das Klima. Was Betroffene Europa vorwerfen.
In einem “neuen deutschen Tempo” hat die Bundesregierung es geschafft, andere Quellen für die Versorgung mit Erdgas zu finden, so Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist die Versorgung mit Erdgas durch den einstigen Partner unsicher geworden, seit dem Sabotageakt auf die Nord-Stream-Pipeline sind Gaslieferungen ohnehin kaum noch möglich.
LNG, oder Liquified Natural Gas, bietet derzeit nicht nur für Deutschland eine attraktive Lösung. Importiert wird LNG über die sogenannten “FSRUs,” oder “Floating Storage and Regasification Units”. Diese gigantischen Tankschiffe sind dafür ausgerüstet, verflüssigtes Erdgas zu regasifizieren und per Pipeline in das deutsche Energienetz zu speisen. In Wilhelmshaven, Lubmin, Stade und Brunsbüttel entstehen insgesamt sechs FSRUs mit notwendigen Dockanlagen, wovon die Hälfte schon im Einsatz sind.
Für Deutschland ist damit ein maßgebliches Problem der Versorgung gebannt, denn Erdgas macht bis heute einen beachtlichen Teil des inländischen Energiemixes aus. Rund zehn Milliarden Euro hat die Bundesregierung unter Führung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für LNG zugesagt, mit deutlichen Erfolgen.
Sollte sich die Versorgungslage stabil halten, könnte die Bundesrepublik innerhalb weniger Jahre sogar mehr Erdgas in Form von LNG importieren, als einst aus Russland kamen. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck zufolge könnte der Überschuss dann aus Deutschland in europäische Nachbarländer weiterverkauft werden.
Doch woher, wenn nicht aus Russland, kommt das neue Gas?
Quelle: Telepolis - Nord gegen Süd: Darum droht großer Streit um den Strompreis
Strom ist in Deutschland dort am teuersten, wo am meisten davon produziert wird. Das muss sich ändern, meint unser Kolumnist.
In der deutschen Politik droht großer Streit. Und ausnahmsweise mal nicht zwischen Finanzminister Christian Lindner und einem anderen Ampel-Minister.
Erst waren es ja Robert Habeck und Karl Lauterbach, die mit Lindner um Geld stritten, jetzt ist es Familienministerin Lisa Paus, die Milliarden für die Kindergrundsicherung braucht. Der große Streit droht zwischen den Bundesländern, genauer: zwischen denen im Norden und denen im Süden. Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gegen Bayern und Baden-Württemberg.
Streitpunkt: der Strompreis. Im Norden ist Strom nämlich teurer als im Süden, obwohl im Norden viel mehr günstiger Strom aus Erneuerbaren produziert wird. Das liegt an den Netzentgelten. Die sind laut „Verivox“ in Schleswig-Holstein rund 60 Prozent teurer als in Bayern. Für einen Haushalt macht das bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden rund 186 Euro Unterschied im Jahr. Für Betriebe, die deutlich mehr Strom verbrauchen, entsprechend mehr.
Quelle: Maurice Höfgen in der Berliner Zeitung - Verwirrspiel um Verteilung
Warum die Bundesbank zu Unrecht weniger Ungleichheit beim Vermögen sieht, während sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertieft.
»Die Deutschen würden »immer reicher – und auch etwas gleicher« titelte dieser Tage eine große konservative Tageszeitung. Der Verfasser des Artikels berief sich auf die Resultate einer Befragung der Bundesbank zu den Finanzen privater Haushalte in Deutschland, wonach die Vermögensbestände, »insbesondere auch bei Haushalten mit geringem Vermögen«, zwischen 2017 und 2021 »starke Zuwächse« erfahren haben. In diesem Zeitraum sei das Durchschnittsvermögen um 36 Prozent auf 316.500 Euro gestiegen. Auch wenn vermutlich kein Durchschnittsbürger auch nur annähernd so viel Geld besitzt, sondern sich angesichts der Energiepreisexplosion und der Inflation fragt, wie er über die Runden kommt, geht die Bundesbank von einem »leichten Rückgang der Ungleichheit« aus. Sie begründet das mit der Covid-19-Pandemie und von dieser beeinflussten Maßnahmen wie den Lockdowns, Restaurantschließungen und Reisebeschränkungen, welche die Konsummöglichkeiten der Menschen eingeschränkt und sie zu verstärktem Sparen motiviert hätten. Methodisch fragwürdig ist bei solchen Umfragen, dass sich Hochvermögende entweder gar nicht an ihnen beteiligen oder falsche Antworten geben und ihren wahren Reichtum verschleiern. Um auch Hyperreiche zu berücksichtigen, griffen Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf eine Spezialstichprobe von Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zurück, nahmen eine Sonderbefragung von Vermögensmillionären vor und bezogen die Reichenliste eines Wirtschaftsmagazins ein. Demnach entfallen heute 67,3 Prozent des Nettogesamtvermögens auf das oberste Zehntel der Verteilung, 35,3 Prozent des Nettogesamtvermögens konzentrieren sich beim reichsten Prozent der Bevölkerung und das reichste Promille kommt immer noch auf 20,4 Prozent des Nettogesamtvermögens. Aufgrund der neuen Untersuchungsmethode zeigte das DIW, wie sich die Verteilungsschieflage zugespitzt hat. Von einer leichten Abnahme der Ungleichheit kann also keine Rede sein.
Quelle: Christoph Butterwegge in junge Welt - Die Grünen und der Krieg
Die ersten Grünen hatten einen pazifistischen Ursprung. Ihre Friedfertigkeit haben sie nicht erst in der Zeitenwende verloren. Seit mindestens zwanzig Jahren sind sie kriegsbereit.
Stefan Luft und Sandra Kostner haben zusammen das Buch »Ukrainekrieg. Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht« herausgegeben, in dem Texte verschiedener Autoren zum aktuellen Konflikt in der Ukraine zu finden sind. Unter anderem haben sich darin Wolfgang Streek, Sabine Schiffer und Klaus von Dohnanyi geäußert.
Die Grünen verstanden sich in den 1980er-Jahren als »parlamentarischer Arm der Friedensbewegung«. Die Friedensbewegung gehörte zum Substrat der 1979 gegründeten Partei wie die Anti-Kernkraft- und die Frauenbewegung. Die Proteste gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland zwischen 1979 und 1983 im Rahmen des »NATO-Doppelbeschlusses« gaben den Grünen einen wichtigen »Mobilisierungsschub« auf dem Weg in die Parlamente. Die strikte Ablehnung von Gewalt innerstaatlich wie international, die Auflösung der Militärblöcke und weltweite Abrüstung gehörten zu den zentralen Inhalten grüner Programmatik.
In diesem Kontext steht auch die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO sowie nach einer Auflösung von NATO und Warschauer Pakt. Für die Grünen war noch 1988 klar, dass »es der NATO weniger um diese Werte [Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, S.L.] als um die Durchsetzung und Aufrechterhaltung der ökonomischen und politischen Ordnung des Kapitalismus geht«.
Quelle: Overton Magazin - Die Ukraine wird nicht siegen – Nur ein Friedensplan der Großmächte kann den Krieg beenden
Wenn man durchgesickerten Dokumenten aus dem Pentagon Glauben schenken darf – und ich denke, das tun sie – brauchen die Vereinigten Staaten einen Plan B für die Ukraine. So sehr wir uns alle eine rasche Befreiung des ukrainischen Territoriums wünschen, ist es unwahrscheinlich, dass die unterausgerüsteten und untertrainierten ukrainischen Streitkräfte, die sich jetzt für eine Frühjahrsoffensive rüsten, weitreichende Erfolge gegen die russische Verteidigung erzielen werden.
Die kühnen Versprechungen der Regierung über einen möglichen ukrainischen Sieg werden sich wahrscheinlich nicht bewahrheiten, und die Ukraine wird in der Zwischenzeit zusätzlichen Schaden erleiden. Was die Ukraine braucht, ist Frieden und keinen langwierigen Zermürbungskrieg gegen einen bevölkerungsreicheren Gegner, dessen Führer sich nicht darum schert, wie viele Menschenleben in diesem Strudel geopfert werden.
Ich vermute, dass die meisten Spitzenbeamten in der Regierung von Joe Biden diese grausame Realität verstehen, was auch immer sie in der Öffentlichkeit sagen mögen. Obwohl in Kriegszeiten alles möglich ist, erwarten sie nicht, dass die Ukraine einen dramatischen Durchbruch erzielt oder die russische Armee zusammenbricht. Stattdessen hoffen sie, dass die ukrainischen Streitkräfte gut genug abschneiden, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin davon zu überzeugen, einen Waffenstillstand anzustreben und schließlich ein umfassendes Friedensabkommen auszuhandeln.
Quelle: FR Online - Die neue Ehe zwischen Krieg und Tugend
Die Großmächte kleiden ihre außenpolitischen Ambitionen meist in tugendhafte Leitbilder universeller Tragweite. In jüngster Zeit werden vor allem “linke” Werte für die strategischen Ziele des Westens mobilisiert.
Kampf gegen den Terrorismus, Demokratisierung oder Bevölkerungsschutz – die Vereinigten Staaten lassen sich viel einfallen, um ihre militärischen Interventionen oder Einmischungen in die Angelegenheiten anderer Staaten zu legitimieren. Verliert eine Rechtfertigung an Glaubwürdigkeit, wird eine neue konstruiert.
Doch in den letzten Jahren hat sich Washington auf eine gänzlich neue Ebene begeben: die der sozialen Gerechtigkeit. Die im Westen beliebten gesellschaftlichen und kulturellen Kämpfe werden für den Export recycelt. Die Würdenträger des Pentagons und des Außenministeriums, die Köpfe der einflussreichen Think Tanks, aber auch Vertreter von NGOs sowie die Leitartikler der großen Medien – kurzum alle, die in der Außenpolitik eine Rolle spielen – reden plötzlich vom Kampf gegen die Unterdrückung der Frau, von der Verteidigung ethnischer Minderheiten, von den Rechten der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT). Sie entwickeln ein neues strategisches Narrativ, mit dem sich alle Arten von Einmischungen rechtfertigen lassen: “culture forming” auf Grundlage westlicher Normen und Sitten.
Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass Themen, die von bestimmten progressiven militanten Kreisen – dem Milieu der Woken (wörtlich: “erwachte”) – vorangetrieben werden, eine interventionistische und expansionistische, oftmals bewaffnete Politik befeuern. Übersehen wird dabei aber, dass sich die USA seit jeher auf die Moral berufen, um ihre imperialistische Machtpolitik zu verschleiern.
Quelle: Christopher Mott auf MakroskopAnmerkung unseres Lesers H.-M. B.-R.: Ein sehr lesenswerter grundsätzlicher Aufsatz über den Irrsinn “woker” Kriegsbegründungen!
dazu: Der Westen muss mit sich selbst verhandeln oder die Diplomatie China überlassen
Meinung China hätte als Parlamentär im Ukraine-Krieg den Vorteil, gegenüber der Kiewer Führung keine Verpflichtungen und auf die russische Führung Einfluss zu haben
Präsident Xi Jinping hat Wort gehalten. Während des China-Besuchs von Emmanuel Macron beteuerte er, mit Wolodymyr Selenskyj telefonieren zu wollen, sobald sich das vom Zeitpunkt und den Umständen her anbiete. Am 27. April war es so weit. Mittlerweile ist die Rede von einem chinesischen Emissär, dem Diplomaten Li Hui, der in Kiew und Moskau sondieren könne. Für das westliche Staatenkartell wäre es von Vorteil, einer solchen Vermittlung nicht in die Parade zu fahren, sondern abzuwarten und damit auf mehr zu warten als den Ausgang der seit Wochen beschworenen ukrainischen Offensive gegen russische Stellungen.
Die westliche Protektion für die Führung in Kiew ruht auf vier Säulen: dem weitgehend bedingungslosen politischen Beistand, einer finanziellen Alimentierung, ohne die es keinen ukrainischen Staatshaushalt mehr gäbe, einem stetig aufgestockten Waffennachschub, dem bisher eine dadurch ermöglichte Angriffsfähigkeit gegen russisches Territorium (noch) Grenzen setzt. Schließlich die logistische Assistenz auf dem Schlachtfeld. Wollte das westliche Lager verhandeln – und sei es nur über eine Feuerpause –, müsste es das vorzugsweise mit sich selbst tun. Man hätte zu entscheiden, wie schwer dieses Paket künftig sein soll, um die Ukraine als Staat und System über die Zeit zu bringen.
Eine andere Option wären direkte Gespräche zwischen den USA und Russland, deren geostrategische Konkurrenz der Kern des Konflikts ist.
Quelle: Lutz Herden in der Freitag - Neue Weltordnung Mark II
Die sich abzeichnende Krise des ukrainischen Ultranationalismus steht im Zusammenhang mit einem beginnenden Kampf um eine neue globale Ordnung. Deren Konturen können nur dann verstanden werden, wenn man China mit ins Spiel bringt. […]
Verglichen mit Afghanistan, Syrien, Libyen und ähnlichen Orten ist das, was die Amerikaner in diesen Sommer in der Ukraine zurücklassen dürften, nicht annähernd in einem ähnlich chaotischen Zustand. In Zusammenarbeit mit den baltischen Staaten und Polen ist es den Vereinigten Staaten in den letzten Monaten gelungen, Deutschland allmählich in so etwas wie eine europäische Führungsrolle zu drängen, in der es die Verantwortung für die Organisation und vor allem die Finanzierung des europäischen Beitrags zum Ukrainekrieg übernimmt. Im ersten Jahr des Krieges wurde die EU Schritt für Schritt zu einer für die wirtschaftliche Kriegsführung zuständige Hilfstruppe der NATO umgebaut, während die NATO mehr denn je zu einem Instrument der als “westlich” firmierenden amerikanischen Politik wurde.
Wenn Mitte 2023 NATO-Generalsekretär Stoltenberg für seine harte Arbeit mit einer wohlverdienten Pfründe, der Präsidentschaft der norwegischen Zentralbank, belohnt wird, soll Gerüchten zufolge Ursula von der Leyen, derzeit Präsidentin der Europäischen Kommission, seine Nachfolge antreten. Dies würde die Unterordnung der EU unter die NATO vervollständigen – unter jene andere, viel mächtigere internationale Organisation mit Sitz in Brüssel, der im Gegensatz zur EU die Vereinigten Staaten angehören und die von diesen auch dominiert wird. In ihrem früheren Leben war von der Leyen bekanntlich deutsche Verteidigungsministerin unter Merkel. In dieser Eigenschaft ist sie zwar mitverantwortlich für den angeblich desolaten Zustand der deutschen Streitkräfte zu Beginn des Ukraine-Krieges; anscheinend hat man ihr das aber wegen ihres glühenden Amerikanismus-als-Europäismus bzw. Europäismus-als-Amerikanismus verziehen. Jedenfalls haben EU und NATO im Januar 2023 ein Dokument über engere Zusammenarbeit unterzeichnet, was nicht zuletzt dadurch möglich wurde, dass Finnland und Schweden ihre Neutralität aufgegeben haben, um der NATO beizutreten. Laut FAZ schreibt das Abkommen “unmissverständlich den Vorrang der Allianz bei der kollektiven Verteidigung Europas fest“ und bestätigt damit die führende Rolle der Vereinigten Staaten nicht nur in der europäischen Sicherheitspolitik.
Quelle: Wolfgang Streeck auf Makroskop - Die Vierte Gewalt und die Kriegsbegeisterung
Die Medienkritik von Harald Welzer und Richard David Precht in Buchform hat im vergangenen Jahr viel Zustimmung, aber auch Kritik erhalten. Ein Manko: Es fehlten die Daten für die Behauptung, die Medien würden über Krieg und Frieden in der Ukraine zu einseitig berichten und die Eskalation befördern. Nun hat Harald Welzer nachgelegt und präsentiert Details, die die Thesen des Buches stützen. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 28. April 2023 fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen. (…)
Uns wird dadurch wieder einmal klar, wie wichtig die Alternativmedien, die Medien der Gegenöffentlichkeit, die Oppositionsmedien sind. Für den letzten dieser drei Begriffe plädiert Paul Schreyer. Der Journalist und Mitherausgeber des Online-Magazins Multipolar verweist dafür in einem aktuellen Interview mit Daniele Ganser auf die Verwendung des Begriffs in anderen Ländern (Daniele Ganser auf Youtube). Das ist durchaus schlüssig, wobei dadurch der Fokus auf die Opposition zur Regierung gelegt wird. Will man das Verhältnis zum Meinungsdiktat der Leitmedien beschreiben, sind vielleicht die anderen beiden Begriffe treffender.
Doch wie man sie auch nennen will: Das Interview von Ganser und Schreyer macht die Bedeutung der Medien abseits des Mainstream mit Blick auf die Themen dieser Zeit deutlich. Corona, die Ukraine, der 11. September 2001 kommen zur Sprache. Und Schreyer berichtet von einem Gespräch, das er vor zehn Jahren mit einem Journalisten der Zeit geführt hat. Die Zeitung konfrontiere die Leser nicht mit kontroversen Positionen, weil das die Leserschaft verunsichern könnte. Womit wir wieder bei den Themen Krise, Schwarz-Weiß-Berichterstattung und Meinungsmache wären. Und bei der Haltung der Medien, die missionieren und nicht informieren wollen. Positiv könnte man gleichwohl sagen, dass die Mehrheitsmeinung zwar konstruiert wird, aber nicht verfängt. Zumindest noch nicht bei allen.
Quelle: Hintergrunddazu auch: Warum die westlichen Kriegsberichte einseitig sind – das Beispiel Pawlowhrad
Seit mehr als einem Jahr berichten die Medien über den Krieg in der Ukraine. Doch wie zuverlässig und glaubwürdig sind die Berichte? Zweifel sind erlaubt, wie das Beispiel des russischen Angriffs auf die Stadt Pawlowhrad zeigt.
Die Stadt im Gebiet Dnipropetrowsk wurde in der Nacht zu Montag von russischen Marschflugkörpern angegriffen. Es gab gewaltige Explosionen, wie auf diversen Videos zu sehen ist. Offenbar wurde ein “explosives” Ziel getroffen – genau wie zuvor in Sewastopol, wo die Ukraine ein Öllager attackiert hatte.
Doch die “Tagesschau” zeigt nur Bilder von zerstörten Häusern und schreibt: In der ukrainischen Großstadt Pawlohrad wurden nach Behördenangaben mindestens 34 Menschen verletzt. Unter den Verletzten seien fünf Kinder, teilte der Gouverneur der Region Dnipropetrowsk, Serhij Lyssak, mit. Zwei Frauen seien auf der Intensivstation.
Ähnlich halten es die meisten deutschen Medien, z.B. die “Süddeutsche”. Sie stützen sich auf den Governeur oder auf den ukrainischen Botschafter in Deutschland: “Erneuter russischer Raketenangriff auf zivile Objekte. Dabei galt der Angriff offenbar militärischen Zielen, wie u.a. der “Guardian” berichtet.
Quelle: Lost in Europe - Kai Wegners Wahl zum Regierenden Bürgermeister: Mangelndes Demokratieverständnis
Es ist nicht klar, ob Kai Wegner mit Stimmen der AfD zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt wurde. Die Opposition zeigt sich trotzdem empört und beweist damit vor allem eins: Ihr Demokratieverständnis ist sanierungsbedürftig
Um mal Wasser in den Wein der Empörung über einen erst im dritten Wahlgang gewählten, nach Behauptung der AfD nur durch deren Stimmen möglich gemachten CDU-Bürgermeister der nunmehr schwarz-roten Hauptstadt zu gießen: Das Demokratieverständnis sowohl so mancher Genossen als auch mancher Grüner und Linker scheint ähnlich sanierungsbedürftig wie die Toiletten der Berliner Schulen.
Als Erste springt Ricarda Lang artig übers AfD-Stöckchen. „Die SPD und die CDU in Berlin haben der Stadt, der Demokratie und der politischen Kultur heute großen Schaden zugefügt“, tönt sie auf Twitter – nicht etwa durch politische Entscheidungen, sondern „indem sie ohne sichere Mehrheit in den dritten Wahlgang gegangen sind“. – Skandal! In einer Demokratie gibt es eine Abstimmung, deren Ergebnis nicht vorher feststeht! Da wünscht sich wohl so manche glatt die gute alte DDR zurück. Dort gab es auch nicht dieses lästige Geheime an den Wahlen. Das erleichterte die Gesinnungsprüfung ungemein. Im BRD-Berlin dagegen regt sich die Grünen-Bundesvorsitzende darüber auf, dass Schwarz-Rot „so zugelassen haben, dass die AfD die Wahl Wegners für sich reklamieren kann“. Auch hübsch. Erinnert an die Rhetorik eines Donald Trump, der Wahlen als persönliches Eigentum betrachtet, das man „stehlen“ kann. Oder eben, wie bei den Grünen, „für sich reklamieren“.
Der Linken-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Jan Korte, schäumt ähnlich unreflektiert: „Wegner lässt sich ohne Skrupel vereidigen, trotz des Verdachts, Regierender Bürgermeister von Gnaden der AfD-Faschos zu sein.“ Das dreht die demokratieferne Schraube noch etwas weiter, hin zum Gottesgnadentum. Mehr Ehre kann man den – übrigens ebenfalls demokratisch gewählten – Rechtspopulisten kaum machen. In deren Parteizentrale knallen sicherlich die Sektkorken ob des gelungenen Coups: So erfolgreich politischen Inhalt zu verdrängen, gelingt halt nur den Blauen. Wenn man das mal zu Ende denkt, reicht schon der „Verdacht“ aus, um ein Wahlergebnis zum „Fascho“-Sieg zu machen. So einfach machen sie es der AfD.
Quelle: der Freitag