Vor genau 30 Jahren hat die UNO den 3. Mai zum „Welttag der Pressefreiheit“ ausgerufen. Für Julian Assange wird es das vierte Mal sein, dass er diesen Tag im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh eingesperrt verbringt. Dem vorangegangen sind acht weitere „Welttage der Pressefreiheit“ in Unfreiheit, davon zwei mit elektronischer Fußfessel unter Hausarrest und sechs weitere im ecuadorianischen Botschaftsasyl. Aus diesem Anlass finden am morgigen Mittwoch einige Veranstaltungen statt, die an Julian Assanges untragbare Situation erinnern sollen. Von Moritz Müller.
Was bedeutet Welttag der Pressefreiheit im Kontext von 2023? Auf der Webseite der UNESCO zu diesem Tag wird der Zustand der Pressefreiheit in Deutschland im weltweiten Vergleich als „gut“ bezeichnet, wobei dies mit einem unspezifizierten Hinweis auf „verbale und physische Angriffe auf Medienschaffende“ relativiert wird.
Ich frage mich, wie man den Zustand der Pressefreiheit als „gut“ bezeichnen kann, wenn im betreffenden Land russische Medien wie RT Deutsch verboten sind und YouTube-Kanäle, z.B. von Ken Jebsen, gelöscht sind.
Im Zusammenhang mit RT hat die Löschung der YouTube-Kanäle auch dazu geführt, dass Archivmaterial gelöscht ist, welches mit dem vorgeschobenen Grund für die Zensur von RT, dem derzeitigen Krieg in der Ukraine, nicht unmittelbar in Verbindung steht. Eine bequeme Methode, um unbequeme Ansichten verschwinden zu lassen. Hier beschreibt der US-amerikanische Journalist Chris Hedges, wie seine RT-Show „On Contact“ mit ihren vielfältigen Themen zum Verschwinden gebracht wurde.
Dies ist ein generelles Problem des Internets. Es ist relativ einfach, Geschichte auf Knopfdruck verschwinden zu lassen. Julian Assange hat dies schon im Mai 2011 in einem Interview mit Hans Ulrich Obrist gesagt: „Teile unserer geistigen Aufzeichnungen verschwinden in einer Weise, sodass wir nicht einmal mehr erkennen können, dass sie jemals existiert haben.“
„Parts of our intellectual records are disappearing in such a way that we cannot even tell that they have ever existed.“
Eigentlich sollte man, wenn man interessante Artikel oder Webseiten findet, diese auf dem eigenen Rechner speichern, am besten auch noch auf einer Festplatte, die nicht mit dem Internet verbunden ist, anstatt einfach ein Lesezeichen zu setzen, welches dann beizeiten zu einer „page not found“-Seite oder zu einer Startseite führt.
In einem Artikel von mir vom Dezember 2020 habe ich folgenden Link gesetzt: ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Entkraeftet-Verschwoerungsberichte-ueber-Julian-Assange,assange190.html. In diesem NDR-Artikel wurde überzeugend dargelegt, dass die Guardian-Journalisten, die 2018 über angebliche Besuche von Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort bei Julian Assange berichteten, schon im Vorhinein wussten, dass die ecuadorianische Botschaft keine Anzeichen für diese Besuche hatte. Wenn man jetzt auf obigen Link klickt, kommt man auf die NDR-Startseite. Ich habe intensiv nach diesem Artikel gesucht, aber es findet sich keine Spur mehr. Leider habe ich ihn damals nicht auf einer Festplatte gespeichert.
Selbst wenn man dem NDR zugesteht, dass aus Speicherplatzgründen die Mediathek nur ein Jahr alt sein kann, so wäre es gut, es erschiene in diesem Fall der Hinweis, dass hier ein Artikel verschwunden ist. Auch dies hat im weiteren Sinn mit Pressefreiheit zu tun.
Ergänzung Moritz Müller, 3. Mai 2023: Ein hilfsbereiter Leser hat meinen nachlässigen Recherchefehler dankenswerterweise innerhalb von zwei Minuten behoben. Der oben genannte Artikel findet sich hier in der Waybackmachine.
Mein schlechtes Beispiel ändert wohl nichts an der Tatsache, dass digitale Daten vergänglicher scheinen als Dokumente aus Papier.
Die Frage, ob die Medien(schaffenden) die ihnen auf dem Papier zugestandene Pressefreiheit auch wirklich auszufüllen bereit sind, ist genauso wichtig wie diese Freiheit an sich. Diese Frage tauchte während der Corona-Krise auf, als Menschen, die das Narrativ hinterfragten, als Schwurbler oder Covidioten bezeichnet und deren Ansichten massiv unterdrückt wurden – nicht nur von den Regierungen, sondern von den meinungsführenden Medien selbst.
Dies setzt sich nun im Zuge des Ukraine-Krieges fort. Andersdenkende werden als „Putin-Trolle“ oder als „rechtsoffen“, was auch immer das heißen mag, verleumdet. Auch wer die inkonsistente Klimapolitik hinterfragt, wird als „unwissenschaftlich“ gebrandmarkt. Dabei ist nicht nur in der Wissenschaft eine ergebnisoffene Debatte unabdingbar. Wenn man die nicht zu führen bereit ist, gelangt man zu Bereichen der Glaubensdogmen.
Wenn wir zu unseren Schulzeiten in den 70ern über Neonazis und deren Aktivitäten diskutierten, wären wir nicht auf den Gedanken gekommen, deren Publikationen zu verbieten, sondern man versuchte, die besseren Argumente zu haben und diese zu publizieren.
Natürlich gab es auch damals schon Zensur. So musste z.B. die Schülerzeitung „Cannabis“ auf Anweisung unserer Schulrektorin von ihrem genialen und aufrechten Verleger und Chefredakteur in „Strebergarten“ umbenannt werden, und es galt auch, eine Helmut-Kohl-Karikatur mit dem Titel „Birne will Kanzler werden“ aus über eintausend gedruckten Exemplaren herauszuschneiden.
Wie vor einigen Monaten herauskam, wurden in den letzten Jahren Journalisten direkt aus Regierungsmitteln bezahlt. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass man es der AfD überlässt, hierzu im Bundestag einen Untersuchungsausschuss zu fordern.
Auch was im Zuge der aktuellen „Pentagon-Leaks“ passiert ist, wirft kein gutes Licht auf die Presse. Erst wurde versucht, die Leaks als von Russland gehackt, erzeugt oder gefälscht zu erklären. Als erkennbar wurde, dass es sich um authentische Dokumente handelt, war das Hauptaugenmerk nicht auf dem Inhalt, sondern die Medien machten, angeführt von den „Aufklärern“ von Bellingcat, Jagd auf die Quelle.
Diese Jagd war von Erfolg gekrönt, und der 21-jährige Air National Guardsman Jack Teixeira wurde verhaftet und angeklagt. Hier beschreibt Craig Murray die Details zu diesem Fall und das, was sich in den zehn Jahren seit Edward Snowdens Enthüllungen in der Presselandschaft verändert hat.
Wer ein kleines Zeichen für die Pressefreiheit setzen will, kann auf die Veranstaltungen am Mittwoch gehen und ein Licht hochhalten für die Freilassung von Julian Assange sowie für die Pressefreiheit insgesamt. Neben einem der Veranstaltungsorte, der US-Botschaft am Brandenburger Tor in Berlin, befindet sich die Akademie der Künste. Diese hat seit Monaten ein deutlich sichtbares #FREEASSANGE-Banner in ihrer Fassade. Ein gutes Zeichen in diesen Zeiten, und es wäre schön, wenn diese oder ähnliche, dem herrschenden Narrativ widersprechende Botschaften öfter an weithin sichtbaren Gebäuden zu sehen wären.
Vor vier Jahren war ich am Welttag der Pressefreiheit bei einer Mahnwache vor dem Free Word Centre in London anwesend, in dem der damalige Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn als Redner angesagt war. Das Free Word ist seitdem geschlossen, das Gebäude verkauft, Jeremy Corbyn ist abgesetzt und nicht mehr als Labour-Kandidat für den Londoner Wahlkreis nominiert, den er seit 1983 immer gewonnen hat, und Julian Assange sitzt weiterhin in Haft. Von den Londonern, die damals protestierten, machen die meisten auch heute weiter mit ihrem Protest. Der auf diesem Foto links neben dem großen „Free Julian Assange“-Poster zu sehende Eric Levy wäre heute 95 Jahre alt, aber auch er ist letztes Jahr gestorben. RIP Eric Levy!
Und wir machen da weiter, wo Eric unterbrochen wurde…