Ist das realistisch? Und unsere einzige Alternative? – Vor kurzem, am 21. April, erschien auf dem „Blog der Republik“ ein Artikel Europa: Anhängsel oder Partner der USA? | Blog der Republik (blog-der-republik.de) (wichtige Passage siehe Anlage I.) von Hans-Christian Hoffmann. Der Autor setzt sich kritisch mit der Vorstellung des französischen Präsidenten auseinander, Europa könne eine eigenständige Rolle in der Weltpolitik spielen. Hoffmann plädiert für die enge Anlehnung an die USA. Die Überschrift entspricht nicht der Kernbotschaft. Diese ist im letzten Absatz formuliert: Europa werde „absehbar allein niemals in der Lage sein, ein Gegengewicht zu der neuen Allianz aus Russland und China zu bilden“. Daraus folge: „Partnerschaft zu den USA aufbauen statt von einer europäischen Großmacht zu träumen.“ Albrecht Müller.
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Mit ähnlicher Tendenz war schon am 10. April ein Artikel vom gleichen Autor erschienen: EUROPA: DRITTE SUPERMACHT ZWISCHEN CHINA UND USA? Europa: dritte Supermacht zwischen China und USA? | Blog der Republik (blog-der-republik.de) Nebenbei: Interessant ist diese Häufung der gleichen Botschaft.
Ich greife diese Äußerungen und das Thema auf, weil ja nicht nur Macron, sondern auch andere wie beispielsweise der Oskar Lafontaine mit seinem Buch “Ami, it’s time to go. Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas“ eine andere politische Linie verfolgen. Einige, wie etwa Macron und Oskar Lafontaine, denken daran, Europa müsse sein eigenes militärisches Potential bündeln und – soweit noch nicht geschehen – aufbauen. Das kann man so sehen. Aber erstens: Ist das realistisch? Und zweitens: Ist militärische Stärke das einzige und sinnvolle Mittel, um Sicherheit zu erreichen?
Zum Ersten:
Der Aufbau einer einheitlichen europäischen militärischen Macht ist schwierig – nicht nur wegen der Gründe, die Autor Hoffmann nennt: die Vielfalt der Sprachen zum Beispiel – sie ist auch deshalb schwierig, weil die Vorstellungen über das Verhältnis Europas zu den USA und zu Russland deutlich divergieren. Nehmen wir mal Polen, einige baltische Staaten und die Ukraine im Vergleich zu Deutschland und Frankreich. Insbesondere bei Polen ist deutlich sichtbar, dass die USA voll im Spiel sind. Polen wird schon dem gerecht, was Autor Hoffmann an Vorstellungen hegt: enge Partnerschaft mit den USA und Aufrüstung in enger Partnerschaft, möglicherweise unter Einbeziehung der Ukraine und immer zu verstehen als Teil der als unveränderlich gedachten Konfrontation mit Russland.
Darüber hinaus ist ja deutlich erkennbar, dass die USA, verschiedene ihrer Einrichtungen und Dienste großen Einfluss auch auf die Politik und Politikerinnen und Politiker in Frankreich und Deutschland haben. Bei uns reicht ja schon alleine ein Blick auf die Grünen – von Joschka Fischer über Özdemir bis zur amtierenden Außenministerin. Über weite Strecken fremdbestimmt, US-bestimmt. Bei der CDU und CSU und der SPD und selbst bei der Linkspartei gilt das leider in weiten Teilen auch. Wir müssen also gar nicht nach Polen blicken, um zu erkennen, dass ein von den USA unabhängiger Aufbau eines militärischen europäischen Potenzials ziemlich illusionär ist.
Zum Zweiten:
Das strategische Denken folgt in der Regel alten Kategorien: dem Aufbau und der Konzentration militärischer Macht. Unsere Rolle als Teil Europas könnte aber genau darin bestehen, nicht in Konfrontation mit Russland und auch nicht in Konfrontation mit China oder mit anderen Völkern und Ländern der Welt zu existieren und zu florieren, sondern ganz bewusst statt auf Militär auf gute Nachbarschaft zu setzen. So wie wir das übrigens in der Zeit der Entspannungs- und Friedenspolitik schon einmal und erfolgreich gemacht haben. Warum der Rückfall auf das Militär, auf militärische Stärke statt auf Vertrags- und Entspannungspolitik zu setzen? Warum diese Restauration, warum diese Rückwärtsentwicklung?
Was spricht denn notfalls dagegen, Polen und seine potenziellen Partner ihren militärischen Konfrontationskurs fahren zu lassen, diesen aber nicht mitzumachen und stattdessen auf Sichvertragen zu setzen? Das könnte dann damit verbunden sein, die Konzentration auf das militärische Potenzial im Falle Polens nicht auch noch finanziell zu unterstützen, durch Subvention, wie das heute geschieht.
Diese andere Politik hätte selbstverständlich Konsequenzen für die Politik der NATO und vermutlich dann für das Verhältnis zur NATO. Da die Auflösung der NATO, wie zum Beispiel von der SPD in ihrem Berliner Grundsatzprogramm vom Dezember 1989 vorgesehen, offensichtlich nicht möglich ist, könnte Deutschland (zusammen mit Frankreich und anderen) auf Distanz zur Aufrüstungspolitik der NATO gehen. Dafür wären dann die Polen, die Balten und ihre potenziellen Verbündeten bei der weiteren Militarisierung Europas zuständig. Die für diese vorgesehenen US-Panzer zum Beispiel würden dann nicht mehr in Bremerhaven angelandet und auf der Eisenbahn nach Polen transportiert, sondern in Danzig oder einem anderen polnischen oder baltischen Hafen. Und selbstverständlich müssten wir im Rahmen dieser Politik die deutsche Souveränität über Ramstein wiederherstellen.
Das wären insgesamt schon sehr gravierende Schritte. Aber sie brächten uns nicht weniger, sondern mehr Sicherheit. Weil wir nicht mehr das herausragende Ziel von Militärschlägen wären, das aus militärischer Stärke und Aufrüstung folgt.
Unser Land hätte in Zusammenarbeit mit ähnlich gesonnenen Ländern und Völkern in der Welt eine ausgesprochen große Chance: Wir würden Ressourcen sparen, wir könnten weiter und wieder vom Austausch mit anderen Ländern wie Russland und China profitieren, zum Beispiel die Energieversorgung aus Russland wieder aufnehmen, zum Beispiel den Handel mit China unbehindert und ungestört durch die imperialistischen Träume und realen Aktionen der USA weiter pflegen.
An dieser Stelle muss man mal gedanklich anhalten und betrachten, was zurzeit eigentlich geschieht und welche Änderung unseres Verhaltens wir auf Betreiben und auf Anweisung anderer vollzogen haben: Unsere Versorgung mit russischem Gas wurde zerstört, vermutlich von den USA, möglicherweise mit Unterstützung anderer Staaten im Umfeld des Anschlags, die man unsere Freunde nennt, und ohne Sanktionen unsererseits. Unsere guten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu China werden infrage gestellt. Man zwingt uns zu unfreundlichen Akten gegenüber China, wie etwa die Untersagung der Beteiligung und Investitionen in Unternehmen bei uns, während wir gleichzeitig die Übernahme deutscher Unternehmen durch US-Unternehmen klaglos hinnehmen.
Wir haben diese Politik mitgemacht, ohne unsere eigenen Überlegungen und Interessen mit einzubeziehen. Der helle Wahnsinn. Von diesem Wahnsinn sollten wir uns möglichst schnell befreien und wieder auf Zusammenarbeit und Zusammenleben setzen statt auf Konfrontation. Es geht dabei um die alten konzeptionellen Unterschiede: Wollen wir ein Volk der guten Nachbarn sein oder wollen wir ein Volk der militärischen Stärke sein, der Abschreckung und allen anderen Unrats?
Anhang I.
Auszug von
EUROPA: ANHÄNGSEL ODER PARTNER DER USA?
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen so geht, wenn man die letzten Jahre im Weltgeschehen so Revue passieren lässt. Wir in Deutschland und wohl auch in anderen Teilen Europas fühlten uns in alten Gewissheiten gestört und verunsichert.
…
Die unschöne Wahrheit ist: Europa war bis heute nach dem 2. Weltkrieg niemals Partner sondern nur Anhängsel am langen Arm der USA. Statt sich um eine Weiterentwicklung der Beziehungen hin zu einer wirklichen und dauerhaften Partnerschaft, die unabhängig von den jeweils amtierenden Präsidenten ist, zu bemühen, schwelgt man hier zu Lande und besonders in Frankreich in der Vorstellung von einem politisch unabhängigen Superstaat Europa. Mir persönlich fehlt die Vorstellungskraft, dieser Vision auch nur einen Hauch von Realitätsnähe beizumessen. Wer alt genug ist, die würgende Abfolge der Verhandlungen seit Gründung der EWG durch die sechs Staaten der ersten Stunde aus eigener Erinnerung nach zu vollziehen, wird sich die Frage stellen, in welchem künftigen Jahrhundert der Eisprung für einen Staat Europa erfolgen könnte. Die Vielfalt der Kulturen, Sprachen und Interessen in unserem alten Kontinent lässt sich eben nicht so leicht nivellieren.
Europa ist in seiner derzeitigen und für die mittlere Zukunft absehbar allein niemals in der Lage, ein Gegengewicht zu der neuen Allianz aus Russland und China zu bilden. Und die USA sind von ihrer Wirtschaftskraft und der Dynamik einer möglichen Entwicklung ebenfalls nicht fähig, die Bipolarität als Ordnungsmacht in der Welt auf Dauer aufrecht zu erhalten. Europa und die USA und in deren Gefolge die Staaten Mittel- und Südamerikas haben nur dann eine Chance auf Erhalt der Unabhängigkeit von anderen weltpolitischen Entwicklungen, in die auch Indien eingreifen wird, wenn sie ihre Interessen ordnen und dauerhaft bindende zwischenstaatliche Vereinbarungen treffen. Daraus folgt: Partnerschaft zu den USA aufbauen statt von einer europäischen Großmacht zu träumen.
Europa: Anhängsel oder Partner der USA? | Blog der Republik (blog-der-republik.de)
Anhang II.
EUROPA: DRITTE SUPERMACHT ZWISCHEN CHINA UND USA?
In einem spektakulären Interview mit dem amerikanischen Magazin Politico hat der französische Präsident Macron auf der Rückreise von seinem China Besuch seine Vision einer künftigen Weltordnung zum Besten gegeben: Europa als dritte Weltmacht zwischen China und den USA!
….
Was muss in den Köpfen verantwortlicher amerikanischer Politiker angesichts eines solchen Affronts eigentlich vorgehen? Kann Europa wirklich bereit sein, Taiwan einem möglichen Schicksal wie der Ukraine zu überlassen und damit die Solidargemeinschaft mit den USA zu verlassen? Der sächsische König hat 1918 bei seiner Abdankung ausgerufen: „ Macht Euren Dreck doch alleine!“ Genau so kann es der „Supermacht“ Europa auch gehen.
Europa: dritte Supermacht zwischen China und USA? | Blog der Republik (blog-der-republik.de)
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