Der Chor der Bahn-Zertrümmerer wird vielstimmiger und lauter. Immer mehr Akteure fordern eine Zerlegung des Staatskonzerns in Netz und Betrieb bei natürlich noch mehr Wettbewerb. Die Kampagne ist so durchsichtig wie der Ausgang absehbar. Je radikaler die Begehrlichkeiten, desto leichter lässt sich das durchsetzen, was die Ampelparteien längst vorbereiten: die Zerschlagung unter dem DB-Dach. Die Folgen könnten nicht ganz so dramatisch sein, aber schlimm genug. Von Ralf Wurzbacher.
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Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Dieser Tage treten immer wieder neue Akteure auf den Plan, die für eine Zerschlagung der Bahn das Wort ergreifen. Richtig geballt waren ihre Auftritte in den zurückliegenden zwei Wochen. Erst die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, dann die Monopolkommission, kurz darauf die FDP. Alle verkündeten sie unisono, Infrastruktur und Fahrbetrieb gehören getrennt – zum Wohle des Wettbewerbs auf der Schiene, zum Wohle des Kunden.
Der Vorgang trägt deutliche Züge einer Kampagne, und beim Publikum bleibt hängen: Wenn so viele „Experten“ scheinbar unabhängig voneinander das Gleiche meinen, kann das so falsch nicht sein. Tatsächlich sind die Protagonisten ein eingeschworener Haufen, mehr noch, ein verschworener. Vorgelegt hatte schon zu Jahresanfang der Bundesrechnungshof (BRH) mit seinem Sonderbericht „zur Dauerkrise der Deutschen Bahn AG“. Das Papier ist ein Verriss des Bahn-Managements und der Bahn-Politik, wobei die Kritik über weite Strecken berechtigt und der Staatskonzern fraglos ein „Fass ohne Boden“ und „ein Sanierungsfall“ ist. Aber stimmen deshalb die Schlüsse, die der BRH zieht? Die Finanzprüfer plädieren unter anderem dafür, den „Wettbewerbs-Schutzschirm“ über der Deutschen Bahn (DB) zuzuklappen, die „integrierte Struktur“ aufzubrechen und „Optionen“ zu prüfen, „perspektivisch auch Eisenbahnverkehrsunternehmen der DB AG abzugeben“, sprich zu privatisieren.
Cui bono?
Dabei bezieht sich der BRH ausdrücklich auf entsprechende Positionen der Monopolkommission, die die Bundesregierung in Fragen von Wettbewerbsrecht und Regulierung berät und dabei zuverlässig Kapitalinteressen vertritt. Die Union verwies bei ihrem Vorstoß wiederum zielsicher auf den BRH, während sich der FDP-Verkehrspolitiker Valentin Abel bei seinem Verdikt für „eine konsequente Aufspaltung der jetzigen DB in die Infrastruktur und den Fahrbetrieb“ auf die Monopolkommission berief. Dazu kommt: BRH-Präsident Kay Scheller ist Mitglied der CDU, genauso wie Claus Weselsky, dessen Lokführergewerkschaft GDL im Verbund mit dem Fahrgastverband Pro Bahn die Unionsvorschläge prompt begrüßte.
„Die Statements der Zerschlagungsfürsprecher reihen sich aneinander wie Perlen auf einer Kette“, bemerkte Carl Waßmuth, Sprecher beim Bündnis „Bahn für Alle“, am Donnerstag gegenüber den NachDenkSeiten (NDS). So entstehe der Eindruck, die Forderung werde „von allen Seiten“ geteilt. „In Wirklichkeit sind es aber nur wenige Kräfte, die hier ein Konzept promoten, das erwiesenermaßen für fast alle zerstörerisch ist – mit Ausnahme von Privatbahnbetreibern und ihren kapitalstarken Eigentümern.“ Genauso sieht das der renommierte Bahnfachmann Winfried Wolf von der Initiative „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“: „Klar, die FDP spielt jetzt mit der Union und der Monopolkommission über die Bande“, sagte er den NDS. „Fehlen nur noch die Grünen, damit die SPD völlig isoliert dasteht.“
Ampel will Aufspaltung
Tatsächlich haben sich die Ampelparteien längst selbst eine Zerschlagung des Staatskonzerns auf die Fahnen geschrieben. Nach dem Wortlaut des rot-grün-gelben Koalitionsvertrags sollen die Bereiche DB Netz, DB Station und Service „innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt“ werden. Die Hoheit darüber hätte zwar der Bund inne, und die erzielten Gewinne flössen erklärtermaßen in den Ausbau der Schiene, gleichwohl solle die Gesellschaft „zu 100 Prozent im Eigentum der Deutschen Bahn als Gesamtkonzern“ verbleiben. Wie es heißt, ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) intensiv damit befasst, die Sparte als GmbH unter dem Namen InfraGO bis 1. Januar 2024 aufs Gleis zu setzen.
Das Problem dabei: Das Konzept ist zwar weniger radikal als das Modell von Union, FDP, BRH und Monopolkommission. Das allein macht es aber noch nicht gut. Der Hauptunterschied liegt darin, dass die DB als wenigstens formell integrierte Gesamtheit erhalten bliebe, wogegen das andere Rezept die „völlige Auflösung des Zusammenhalts der Deutschen Bahn zur Folge hätte zugunsten einer reinen Wettbewerbsstruktur“, wie Wolf klarstellte. Mehr Konkurrenz auf der Schiene soll aber auch der Koalitionsbeschluss bringen. „Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt“, liest man dazu im Ampelkontrakt. Durchaus denkbar wäre unter den Bedingungen der InfraGO, dass selbst der Fernverkehr im Ausschreibungsverfahren vergeben und so das DB-Monopol geknackt wird. Die Deutsche Bahn wäre dann nur noch ein Nutzer von Netz und Bahnhöfen unter vielen und würde absehbar geschrumpft.
Von wegen „integrierter Konzern“
Nicht belastbar erscheint vor diesem Hintergrund auch die Ansage im Koalitionsvertrag, den „integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum (zu) erhalten“. Laut einer Studie von „Bahn für Alle“ enthalte diese Zusicherung eben „nicht das Versprechen, den Betrieb des Netzes und den Betrieb der darauf verkehrenden Züge nicht auf unterschiedliche Firmen aufzuteilen oder zumindest diese Teilung nicht zu verstärken“. Vielmehr handele es sich um eine „inhaltsleere Floskel“. Die besagte Analyse ist im Kern der Frage gewidmet, ob eine Trennung von Netz und Betrieb „das Risiko der Privatisierung von Teilstücken, insbesondere des Betriebs, signifikant“ erhöhe. Im Lichte der Erfahrungen aus dem Ausland wird das eindeutig bejaht. Seit 30 Jahren befänden sich die europäischen Bahnsysteme in einem Prozess, in dem seitens der EU „vertikale Trennungen und Liberalisierungen“ forciert würden. „Formelle, funktionale und materielle Privatisierungen sind die Folge.“
Anders als „Bahn für Alle“ sieht „Bürgerbahn“ in der Koalitionsvereinbarung durchaus eine „Chance für einen Neuanfang“, wenngleich unter Bedingungen, die die Politik kaum erfüllen wird. Man befürworte nicht das Ampel-Modell, „unter anderem, weil dort DB Energie in der neuen Infrastrukturgesellschaft fehlt und weil der Begriff ‚gemeinwohlorientiert‘ dehnbar ist“, erklärte Wolf zuletzt im Interview mit dem Portal Telepolis. „Doch der Vorschlag kommt unter den gegebenen Kräfteverhältnissen unseren Vorstellungen am nächsten.“ Im NDS-Gespräch bekräftigte Wolf dann auch die Festlegungen im Koalitionsvertrag: „Dort steht: Erhalt des Konzerns. Zusammenlegung der Infrastruktur in eine neue, ‚gemeinwohlorientierte‘ Gesellschaft, keine Gewinnabführung an die Holding.“ Was Union und FDP wollten, hätte sich schon im Fall der Post und des Gesundheitswesens als falsch herausgestellt. „Und es ist erst recht falsch im Bereich Schiene, wie das Chaos im Schienenpersonennahverkehr zeigt“, beklagte Wolf.
Ablenkungsmanöver
Für Waßmuth sind die Attacken gegen den Koalitionsvertrag selbst nur ein Ablenkungsmanöver. „Der eigentliche Skandal ist, dass aktuell intensiv die Zerschlagung der Bahn vorbereitet wird, und nicht, dass Lobbyisten das gerade konzertiert fordern und dabei Fürsprecher in Parteien und Institutionen finden.“ Werden die Maximalforderungen womöglich nur deshalb unters Volk gejubelt, um die eingeschlagene Linie als „moderat“ erscheinen zu lassen? Das würde sich mit früheren Kampagnen decken, etwa bei der Anbahnung der „Autobahn GmbH des Bundes“, die vor zwei Jahren die Fernstraßenverwaltung der Bundesländer übernommen hat. Auch damals verlangten Hardliner eine materielle Privatisierung, und nach allerlei Aufregung bei SPD-Basis und Gewerkschaften setzte die große Koalition das „kleinere Übel“ einer funktionalen Privatisierung unter dem Dach einer privatrechtlichen Bundesgesellschaft ins Werk. Genau diese Konstruktion ist es, die der Union jetzt als Vorbild für die Bahn dient, obwohl derselbe Laden bis heute damit für Schlagzeilen sorgt, massenhaft Steuergeld zu verpulvern und seinen Aufgaben nicht nachzukommen, sowie neuerdings mit Vorwürfen der Vetternwirtschaft konfrontiert wird.
Die Vorgänge liefern ein starkes Argument mehr gegen jedwede Form der DB-Zerlegung. In Österreich verstrichen beim Aufbau der mit der „Autobahn GmbH“ vergleichbaren „Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) nicht weniger als neun Jahre. Man muss sich fragen, wie lange es dauert, eine Gesellschaft bis zur Funktionsreife hochzuziehen, die ein Schienennetz mit einem Anlagevermögen von fast 200 Milliarden Euro verwalten soll. Bei der Umstrukturierung würden nicht nur mehrere Jahre ins Land gehen, vor allem kostete dies Unsummen an Geld, das doch eigentlich so dringend für die Ertüchtigung des Schienennetzes gebraucht wird. Bei „Bahn für alle“ ist man sich sicher, dass der Konzernumbau der Generalsanierung des Netzes vorangestellt würde. Käme es so, drohe das Projekt „Klimabahn“ um wertvolle und vielleicht überlebenswichtige Zeit zurückgeworfen zu werden.
Verkehrsforscher für Zusammenführung
Erst recht gilt dies, sofern der Wettbewerb auf der Schiene wie geplant noch gepusht wird und mit der Zerklüftung noch mehr der Synergien verlorengehen, wie sie beim System „Netz und Betrieb aus einer Hand“ bestehen. Hier offenbaren sich der ganze Widersinn und die Verlogenheit der Diskussion. Ohne Beleg versucht man, den Menschen als reine Wahrheit aufzutischen, die Deutsche Bahn lasse sich in ihrer aktuellen Struktur nicht steuern. „Das ist Unsinn“, betonte Waßmuth. „Volker Wissing könnte sich den DB-Vorstand jeden Tag zum Rapport ins Ministerium einbestellen und seine Forderungen zur Niederschrift diktieren. Und wenn sie nicht spurt, könnte er die Führung austauschen.“ Woran es wirklich fehle, sei der politische Wille, die Bahn im Sinne des Gemeinwohls zu steuern. Statt sie zu zerschlagen, müsse sie als Ganzes gemeinnützig werden, bekräftigte der Aktivist. „Das ist eine kleine, leicht umzusetzende Veränderung – die ungemein wichtige, weitreichende Folgen hätte. Gewinne müssten reinvestiert werden. Und Klimaschutz könnte Unternehmensziel sein.“
Solche Stimmen finden in den Leitmedien bislang praktisch kein Gehör. Immerhin ein Abweichler vom Zerschlagungs-Blabla schaffte es dieser Tage, zu Wort zu kommen – der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Dem SWR sagte er: „Im Moment ist die Bahn zerfleddert, sie ist in Einzelunternehmen aufgeteilt, die Wertschöpfungsketten sind auseinandergerissen, um sie am Markt (…) über den Wettbewerb zu optimieren. Wir brauchen wieder eine Bahn, eine Bundesbahn oder eine Reichsbahn, die aus einem Guss ist und auch gegenüber dem Kunden in der Verantwortung steht.“ Ferner äußerte er bei n-tv: „Wir müssen jetzt alle Elemente, alle Konzernteile wieder zusammenfügen.“
Von den Regierenden will das keiner, nicht einmal die SPD. Und doch bleibt es wohl wieder einmal an ihr hängen, die Bahn vor den Attacken der Bahnzerstörer zu „retten“. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat schon Bereitschaft signalisiert, „den Prozess mitzugestalten“.
Kennt man ja: Ende gut, alles schlecht!
Titelbild: Tupungato/shutterstock.com
Zum Weiterlesen:
- „Wenn die Bahn für alle da sein soll, muss die Zerschlagung verhindert werden.“
- Kurzstudie: „Die Bahn in Deutschland: Trennung von Netz und Betrieb zu Lasten von Klima, Fahrgästen und Beschäftigten?”
- Unterschriftensammlung: „Zerschlagung stoppen, Privatisierung verhindern”
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