Auf diese politisch interessante Rede – mit geringer Halbwertszeit –machte mich ein früherer Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes aufmerksam, verbunden mit einer Anmerkung zum Thema. Ich zitiere E.H.: „Die verdienstvolle Serie der NDS ‚alter interessanter Dokumente‘ veranlasst mich, Genschers Parteitagsrede vom 6./7. Juni 1980 in Freiburg zur Aufnahme in diese Serie zu empfehlen.
Insbesondere in den Karten 12-17 legt sich Genscher so eindeutig und uneingeschränkt auf die Fortführung der sozialliberalen Koalition nach der Bundestagswahl vom 5. Oktober 1980 für die gesamte Legislaturperiode fest (in einer förmlichen Parteitagserklärung). Zentraler Satz und späterer Slogan auf FDP-Großplakaten im Wahlkampf 1980 ist: „Wer FDP wählt, garantiert, dass Helmut Schmidt Bundeskanzler bleibt, …, ohne wenn und ohne aber.“ (Kärtchen 16).
Diesen Satz haben wir Helmut Schmidt für seine letzte Bundeskanzler-Rede im Bundestag am 1.10.1982 ins Manuskript geschrieben und er hat ihn ja auch gesprochen im Deutschen Bundestag und Genscher direkt adressiert!! – Insoweit war der SPD-Slogan „Verrat in Bonn“ nach dem 1. Oktober 1982 zu Recht plakatiert.“
Zum historischen Hintergrund will ich noch etwas anmerken, was in den NachDenkSeiten mindestens schon einmal zur Sprache kam: Als die Sowjetunion im Dezember 1979 in Afghanistan militärisch intervenierte, erklärte der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß die Entspannungspolitik als gescheitert. Der Koalitionspartner des damaligen Bundeskanzlers Schmidt, die FDP mit Hans-Dietrich Genscher, war davon offensichtlich beeindruckt und kungelte im April 1980 schon mit dem Oppositionsführer Helmut Kohl (CDU). Daraufhin machte die nordrhein-westfälische SPD in Absprache mit der Parteiführung und dem Bundeskanzler Schmidt in Bonn die Friedenspolitik zum Hauptthema der Landtagswahl vom 11. Mai 1980. Eine der markantesten Anzeigen hatte die Überschrift „Nie wieder Krieg“. Darunter waren 49 Kriegerwitwen abgebildet – jeweils mit einer persönlichen Äußerung zu ihrer Lebenserfahrung.
Die Einführung dieser wichtigen bundespolitischen Thematik und damit zugleich das Wackeln der FDP in dem NRW-Landtagswahlkampf hatte den erhofften Erfolg: Die SPD erreichte das Traumergebnis von 48,4 %, die FDP flog aus dem Landtag.
Das hatte eine tiefe Wirkung auf die nach außen bekundete Strategie der FDP – so sichtbar in der heute dokumentierten Genscher-Rede vom Juni des gleichen Jahres. Die FDP hatte begriffen, dass eine Gefährdung der sozialliberalen Koalition und der Kanzlerschaft Helmut Schmidts für sie bei Wahlen gefährlich wird.
Eine kleine, persönlich erlebte Geschichte belegt die beschriebene Wirkung: Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte damals einen Redenschreiber, der Mitglied der FDP war. Er hieß Rolf Breitenstein und er war wie alle Redenschreiber bei der morgendlichen Lagebesprechung im Bundeskanzleramt mit dabei. Zwei Tage nach der NRW-Wahl vom 11. Mai meldete sich der Kollege Breitenstein mit folgender Anmerkung zu Wort: Gestern Abend habe das FDP-Parteipräsidium getagt und über das Ergebnis der NRW-Wahl und den Rauswurf der FDP aus dem NRW-Landtag gesprochen und beschlossen, dass sie wieder zur sozialliberalen Koalition im Bund stehen wollen.
Lange hielt dieser Schwur nicht.