Man sieht es allerorten, und es verdichtet sich. Die politische Rechte ist grün. Braun ist längst vergessen; Christlich-konservativ plagte die 1950er-Jahre, und National war gestern. Die heutige Rechte ist grün. Sie vereint dafür alle notwendigen Ingredienzen: Kriegsbegeisterung, Verbotskultur, geopolitischen und kulturellen Missionierungseifer, Affinität zum autoritären Staat und jede Menge erschaffene Feindbilder. Der Faschismus-Begriff ist für sie unpassend, steckte in diesem doch das Versprechen auf einen gemeinsamen Volkskörper mit entsprechender Abschottung nach außen, gepaart mit einer Betonung rassischer Überlegenheit. Das Gegenteil ist bei der neuen Rechten der Fall. Sie sagt es selbst, wofür sie steht: Weltoffenheit und die Betonung der Überlegenheit ihrer Werte bilden ein toxisches Gemisch, mit dem innere Repression und äußere Expansion gerechtfertigt werden. Von Hannes Hofbauer.
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Kriegsbegeisterung
Es war nicht zufällig ein grüner deutscher Außenminister, der im Verband mit den USA die europäische Nachkriegszeit beendete. Der Angriff der kurz zuvor auf 19 Mitglieder angewachsenen NATO-Allianz auf Serbien vom 24. März 1999 war der erste Feldzug des stärksten Militärbündnisses auf einen souveränen Staat in Europa nach 1945. Die Berliner rot-grüne Koalitionsregierung stellte dafür die deutsche Luftwaffe an die vorderste Front. Den jugoslawischen Zerfallsprozess der 1990er-Jahre hatten die alten Christkonservativen noch mit dem Schlagwort der „nationalen Selbstbestimmung“ befeuert, nun drehte die Rechtfertigung für Krieg in Richtung einer wertebasierten grünen Begründung. Im Slogan „Bomben für Menschenrechte“ kam erstmals dieses neue, post-nationale Narrativ zum Einsatz. Anstatt die kosovo-albanische Seite wegen ihrer Ansprüche auf nationale Selbstbestimmung zu unterstützen, taten es grüne (und bald auch andere) Kriegstreiber um der Menschenrechte willen; dass diese von den Kosovo-Albanern als nationale Rechte betrachtet wurden, tat dem antinationalen grünen Gerede keinen Abbruch. Das Resultat war ohnedies dasselbe: die Zerstückelung Jugoslawiens, die 1991 begonnen hatte, wurde mit einem internationalen Truppenverband fortgesetzt, der Kosovo aus Serbien herausgelöst. Die Folgen dieses ersten großen Kriegsgangs in Europa seit 1945 bestimmen bis heute Leben und Politik am Balkan.
Mittlerweile hat die Kriegsbegeisterung auch den grünen Bodensatz erreicht, die Grünwähler*innen stehen wie ein Mann hinter ihrer bellizistischen Außenministerin. Für die Zustimmung zum Krieg gegen Russland bedurfte es nur weniger Wochen und der militärischen Intervention eines bereits zuvor als Feind ausgemachten Russlands. Hatten die deutschen Grünen im Bundestagswahlkampf 2021 noch plakatiert, dass Waffenlieferungen in Kriegsgebiete mit ihnen nicht zu machen seien, zählten sie kurz darauf zu den heftigsten Einpeitschern, immer neuere und immer tödlichere Waffen gegen Russland ins Feld zu führen. Selbst im neutralen Österreich sind es die ebenfalls an der Regierung – hier zusammen mit den Christkonservativen – beteiligten Grünen, die am lautesten das Feindbild Russland pflegen und keine Gelegenheit verstreichen lassen, für härtere Sanktionen gegen möglichst alles Russische einzutreten.
Für den Waffengang gegen Russland wird nicht mehr, wie zu Großvaters Zeiten, rassisch – mit der Erzählung vom slawischen Untermenschen – argumentiert; die moderne grüne Rechtfertigung zieht Werte heran, durch die sie sich berechtigt fühlt, in den Krieg zu ziehen, oder konkreter: vorläufig andere, nämlich die Ukrainer, in den Krieg zu schicken. Ihnen wird eine den eigenen Wertvorstellungen angedichtete Identität unterstellt, die so freilich nicht existiert. Worin diese eigenen Werte bestehen, ist schwerlich definierbar. Auch Begriffe wie Diversität können über die Schwammigkeit der Definition eines grün-identitären Menschenbildes nicht hinwegtäuschen. Überspitzt formuliert und wissentlich provokant ausgedrückt, spricht sich der idealtypische deutsche Grüne – wie sein österreichisches Pendant – für den Einsatz von Waffen aus, wenn es gegen eine Macht geht, die sich weigert, einem Transgender-Paar die Adoption von Kindern zu erlauben. Die in diesem zugegeben übertriebenen Beispiel gipfelnde Wertvorstellung gibt sich post-politisch und universalistisch im schlechtesten Sinn, lässt kulturelle oder gar nationale Differenzen nicht gelten, weil das Menschenbild auf das Individuum reduziert ist und Vielfalt in erster Linie nach Geschlecht und sexueller Orientierung – eventuell noch nach körperlicher Gebrechlichkeit – definiert wird. Wer diesem Wertekanon nicht zustimmt oder gar dagegen auftritt, wird gecancelt, diffamiert und im schlimmsten Fall bekriegt.
Mit Verboten für eine „bessere Welt“
Rufen wir ein scheinbar nebensächliches und schon fast vergessenes Beispiel von Verbotspolitik in Erinnerung: das Rauchverbot in immer mehr öffentlichen Räumen. Dies ist freilich keine inhärent grüne Angelegenheit und muss auch nicht politisch zugeordnet werden. Und doch misst sich am gesellschaftlichen Umgang mit Tabakkonsum der Grad von Freiheit, den die jeweilige Herrschaft den unter ihr lebenden Menschen gewährt. Im 20. Jahrhundert zeigt sich das Auf und Ab eines freien bzw. repressiven Umgangs mit dem Rauchen deutlich. War in linken Aufbruchszeiten der 1920er-Jahre die Zigarette rauchende Frau geradezu ein Symbol weiblicher Emanzipation, hieß es in der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte: „Eine deutsche Frau raucht nicht“. Mit der Überwindung des Hitlerismus hin zu den revolutionären 68ern durfte die Zigarette bei keiner Zusammenkunft fehlen; politisch wegweisende Ikonen wie Jean-Paul Sartre oder Fidel Castro zogen bei jeder sich bietenden Gelegenheit an der unvermeidlichen Zigarre – bis in den wiederum reaktionärer gefärbten 2000er-Jahren das Rauchen erneut in Misskredit geriet. Es wurde aus dem öffentlichen Raum, diesmal mit gesundheitlichen Argumenten, nach und nach gesetzlich verbannt. Die älteren Semestern noch vertrauten lästigen Werbekampagnen der Tabakindustrie sind mittlerweile den PR-Aktionen der Pharmaindustrie gewichen.
Im Zuge der Verengung der Umweltfrage auf den sogenannten Klimawandel, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt, ergießt sich eine regelrechte Kaskade von Verboten über die Völker EU-Europas, die so freilich – aus sprachpolizeilicher Sicht – nicht genannt werden sollen. Es sind vor allem Grüne, die sich mit Verboten von allem, was den seltsamen Definitionen von „CO2-Neutralität“ oder „Klimaneutralität“ entgegensteht, hervortun. Darunter fallen Verbrennungsmotoren, Öl- und Gasheizungen, Flugreisen, nicht mit Dämmstoffen isolierte Häuser und vieles andere. Der damit ins Auge gefasste infrastrukturelle Umbau wird von einem Energiediskurs begleitet, der die Umstellung von Gas, Öl und Kohle auf Strom (wie immer dieser erzeugt und gespeichert wird) inklusive individueller Elektromobilität und umfassender Digitalisierung als „grüne“ Alternativen preist, ohne deren Energiebilanz oder Gefährlichkeit zu berücksichtigen. Was bleibt, sind ständig neue Verbote und – damit einhergehend – ein immer autoritärer auftretender Staat, der in der Lage ist, die Verbotskultur durchzusetzen. Die Corona-Maßnahmen haben jeder und jedem von uns vor Augen geführt, wohin eine solche Politik – Kontaktverbote, Impfzwänge etc. – führen kann; und es waren die Grünen, die in Deutschland und Österreich als härteste Verfechter dieser Maßnahmen auftraten.
Vom Feindbild zum Feind
Die Schaffung von Feindbildern gehört seit jeher zum Repertoire rechter Politik. Damit können das eigene Narrativ, die eigene Sicht auf die Welt von anderen Erzählungen oder Politiken perfekt abgegrenzt und diese anschließend bekämpft werden. In den Anfängen der grünen Bewegung sprachen sich deren GründerInnen Petra Kelly und Gert Bastian explizit gegen solche Praktiken aus. Ihr Einsatz in der Friedensbewegung Anfang der 1980er-Jahre kritisierte ja gerade die militärische Aufrüstung der eigenen nordatlantischen Allianz, die sowohl gegen die Sowjetunion als auch gegen missliebige Regime im Globalen Süden gerichtet war.
Die heutige grüne Führungsriege um Annalena Baerbock und Robert Habeck repräsentiert das genaue Gegenteil dieses frühen grünen Friedensprojektes. Überall außerhalb des engen Gesichtskreises werden Feinde ausgemacht. Russland sowieso, und das nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt. Bereits im Januar 2014, also noch vor dem Regimewechsel durch Majdan-Kräfte in Kiew, der dann zum Bürgerkrieg und später zur russischen Intervention führte, waren es die Grünen, die als erste Parlamentsfraktion für einen Boykott der Olympischen Spiele im russischen Sotschi eintraten und diesen auch umsetzten; und dies zu einer Zeit, als sich CDU/CSU und Angela Merkel noch gegen eine solche Maßnahme aussprachen. Nur Bundespräsident Joachim Gauck als eingefleischter Kremlhasser kam der grünen Bundestagsfraktion zuvor. Als Argument für den Russlandboykott musste damals ein zuvor in Moskau beschlossenes Gesetz herhalten, das Werbung für Homosexualität unter Strafe stellte, wenn diese Jugendlichen zugänglich war. Zwölf Jahre zuvor waren Olympische Spiele in Salt Lake City im US-Staat Utah abgehalten worden. Damals stand dort jede geschlechtliche Handlung unter Strafe, die nicht der Reproduktion diente. Nicht einmal die Sowjetunion protestierte dagegen, und auch bundesdeutsche Offizielle stießen sich nicht daran.
Neben dem Feindbild Russland pflegen Grüne auch ein türkisches und ein chinesisches Feindbild. Beiden Ländern wird eine autoritäre Staatsführung vorgeworfen. Das hat zwar seine Richtigkeit, sollte aber nicht zu zwanghafter Missionierung führen, umso weniger, als autoritäre Maßnahmen wie die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit gerade auch in der EU, insbesondere in Deutschland, um sich greifen. Zensur ist spätestens mit dem deutschen Verbot des russisch finanzierten Senders RT.de Anfang Februar 2022 – drei Wochen vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine – zu einer staatlichen Praxis geworden, die von den Grünen angeschoben wurde. Überall, wo es darum geht, dem eigenen eng gefassten Wertekanon entgegenstehende Positionen auszuschalten, stehen Grüne in vorderster Reihe. Das war beim Rausschmiss des weltbekannten Dirigenten Waleri Gergijev aus der Münchner Philharmonie so wie bei unzähligen Verboten palästinensischer Veranstaltungen und Gedenktage oder bei Auftrittsverboten von missliebigen Historikern wie Daniele Ganser oder Journalisten wie Ken Jebsen. Cancel culture ist zum Markenzeichen moderner rechter Politik geworden; und die Grünen treiben dieses Ausmerzen auf die Spitze.
Die sozio-ökonomische Grundlage
Die neue, grüne Rechte ist – wie die alte – von Kapitalinteressen getrieben. Die Änderung der Zusammensetzung führender Kapitalgruppen bringt es mit sich, dass sich das Kapital nach neuen Verbündeten in der Gesellschaft umsieht, die seine Interessen vertreten und diese in einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens einbauen. Die schleichende, aber stetig voranschreitende Ablöse des industriellen durch ein kybernetisches Zeitalter, wie sie die Wirtschaftshistorikerin Andrea Komlosy in ihrem Buch „Zeitenwende“ beschreibt, bringt neue Leitsektoren hervor. Dazu gehören Biotechnologie, Pharma- und Kontrollindustrie. Auch alle anderen Sektoren setzen auf immer mehr selbststeuernde Produktionsweisen mit neuen Techniken wie Nano, Robotik, additive Produktionsverfahren, kognitive Techniken und Künstliche Intelligenz. Personalisierte Produktentwicklung und optimierende Dienstleistungen – nicht nur im medizinischen Sektor – stellen neue Verfahren dar, die das Massenhaft-Serielle ablösen.
Der dabei ausgelöste – und, wie wir in Corona-Zeiten gesehen haben, vom Staat massiv unterstützte – Akkumulationsprozess benötigt eine neue ideologische Grundlage für seine Rechtfertigung. Altes rechtes Gedankengut ist dabei hinderlich. Die Historikerin Tove Soiland hat darauf hingewiesen, dass die bekannten rechten Ideologien, die auf Rassendiskursen, konservativer Werthaltung und Anti-Egalitarismus beruhen, „für die Erfordernisse der heutigen Kapitalakkumulation dysfunktional geworden sind.“ Neue Ideologen braucht das Land. In der von identitätspolitischen, besser: identitären Werten getränkten grünen Weltsicht scheint der ideale Partner für den herbeigesehnten kybernetischen Aufschwung gefunden. Ihn „links“ zu nennen, weil er Elemente einer gesellschaftskritischen Kultur beibehalten hat, wäre falsch, denn er beinhaltet, wie eingangs erwähnt, alle Ingredienzen einer rechten Praxis: Hass auf den Feind bis zur Kriegsbegeisterung, den Willen zur Ausmerzung anderer Meinungen sowie die Bereitschaft, im zunehmend autoritären Staatsgefüge die entsprechende Verantwortung, mehr noch: die Vorreiterrolle zu übernehmen.
Von Hannes Hofbauer ist zuletzt erschienen: „Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung.“, Wien 2022
Titelbild: shutterstock / 1take1shot