Medienpreis für „Pleite-Griechen-Kampagne“ der BILD – geht es auch noch absurder?
Was sich zunächst so anhört wie ein verspäteter Aprilscherz, ist bei näherer Betrachtung die Bankrotterklärung für den Journalismus und ein an Dreistigkeit kaum zu überbietender Affront des Stiftungsunwesens im Lande. Die Johanna-Quandt-Stiftung zeichnet in diesem Jahr eine Serie der BILD-Kampagne gegen die „Pleite-Griechen“ mit dem mit 10.000 Euro dotierten „Herbert-Quandt-Medien-Preis“ aus. Damit wird ausgerechnet die Kampagne ausgezeichnet, die den Medienforschern Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz als Untersuchungsobjekt für deren vernichtende Studie »Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde« diente. Eine Berichterstattung, der man mit Fug und Recht das Attribut „journalistisch“ absprechen kann – ja sogar absprechen muss – gilt in der Belle Etage als journalistisches Meisterwerk. Das ist ein sehr trauriges Novum in der Mediengeschichte. Von Jens Berger
Mit der fünfteiligen Serie werden in der Hauptsache die Weltbilder und Stereotypen wiederholt, die in den Texten von „Bild“ ständig eine hohe Bedeutung haben: Die Griechen seien als Nation und Volk nicht zuverlässig, sondern griffen zu unlauteren Mitteln. […] „Bild“ nutzt die Schilderung der Sachverhalte, um zum wiederholten Mal zu belegen, wie Politik ihrer Ansicht nach funktioniert: überall Unzulänglichkeiten, Handeln gegen wirtschaftliche Vernunft, Halbherzigkeiten, falsche Nachgiebigkeiten, doppeltes Spiel, Schmiergelder, Fehleinschätzungen und Unzuverlässigkeiten. Der Schutz der Interessen der deutschen Steuerzahler sei nicht gewährleistet. […] Insofern liefert „Bild“ auf fünf Seiten eine abwechslungsreich erzählte Geschichte – mit Betonung auf: Geschichte –, wie politischer Mainstream entsteht und wirkt. „Bild“ stellt das als Skandal und Enthüllung dar, was für andere zwar ‚fehlbarer’, aber normaler politischer Alltag ist. […] Insofern wäre es in gewissem Sinne eine ‚Rechtfertigungs-Serie’ und ein Teil der Bemühungen, die Position als Leitmedium auch in politischen und gesellschaftspolitischen Themen gegenüber medialen und politischen Fachkreisen zu festigen: nur sehr bedingt mit entsprechenden journalistischen Inhalten – wenngleich in diesem Fall näher als in allen anderen von uns untersuchten Texten mit Journalismus in Berührung kommend –, aber vor allem mit der öffentlichen Inszenierung von journalistischem Aufwand (viele Seiten, viele Reporter, hoher Zeitaufwand). Und dem eigentlichen Publikum wurde via Headlines die Botschaft geliefert: Die Griechen tricksen. Die Rotgrünen tragen die Schuld. „Bild“ belegt das. „Bild“ bleibt dran. „Bild“ hat recht. „Bild“ scheut keinen Aufwand als Wächter der Interessen des deutschen Steuerzahlers.
Deutung der BILD-Serie „Geheimakte Griechenland“ durch Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz im Teil „Erweiterungen und Vertiefungen“ [PDF – 165 KB] zur BILD-Studie der Otto-Brenner-Stiftung.
Eine Laudatio ist diese Medienanalyse sicherlich nicht. Wie sollte man auch eine Laudatio auf ein Werk halten, das jedem Laien und erst recht jedem Fachmann höchstens ein Naserümpfen entlockt? Man darf gespannt sein, welche Medienpersönlichkeit die undankbare Aufgabe bekommen wird, bei der Preisverleihung anerkennende Worte für die BILD-„Journalisten“ Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer zu finden. Zur Erinnerung: Blome „glänzte“ bei der Griechenland-Kampagne seines Blattes vor allem durch seine tolldreisten Faktenverdrehungen und seine verwegene, meist beleidigende Polemik gegen die „faulen“ und „korrupten“ Griechen, denen er empfahl, „uns ihre Inseln zu verkaufen und die Akropolis gleich mit“ – ein widerlicher Affront gegen die Griechen, die uns Deutsche auch noch als Besatzer kennen. Ronzheimers großer Scoop war es, Griechen, die aus Sorge und Angst um ihre Zukunft auf dem Athener Syntagma-Platz demonstrierten, Drachmen in die Hand zu drücken, als seien sie Affen im Zoo, denen man Bananen zuwirft. Jeder Mensch, der auch nur einen Hauch von Empathie besitzt, sollte sich für Mitmenschen wie Blome und Ronzheimer schämen. Jeder Journalist, der sich nicht klipp und klar von solchen tiefschwarzen Schafen seiner Branche distanziert, sollte sich tunlichst noch einmal Gedanken über die Grundwerte seines Berufsstands machen.
Anstatt sich für den „Journalismus“ der BILD zu schämen, zeichnet die Johanna-Quandt-Stiftung ihn jedoch aus. Wer ist eigentlich diese Stiftung, wofür steht sie? Namensgebende Stifterin ist Johanna Quandt, ehemalige Sekretärin und dritte Ehefrau von Herbert Quandt, einem Spross einer Industriellen-Dynastie, die den Grundstock ihres sagenhaften Reichtums während des Nationalsozialismus legte. Heute kontrolliert die Familie ein ganzes Konglomerat aus Konzernen, das vom Automobilhersteller BMW über den Chemie-Riesen Altana bis hin zum weltgrößten Hersteller homöopathischer Arzneimittel reicht. Johanna Quandt ist laut Forbes-Liste die zweitreichste Frau Deutschlands – übertroffen wird sie lediglich von ihrer Tochter Susanne Klatten. Das aktuelle Vermögen der Quandts wird von Forbes mit 35 Milliarden US$ angegeben. Mit dem Herbert-Quandt-Medien-Preis zeichnet die Familie daher auch nicht sozialkritische Dokumentationen, sondern „Journalisten und Publizisten aller Medien [aus], die sich in anspruchsvoller und allgemeinverständlicher Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen in der Marktwirtschaft auseinandersetzen“ (Eigendarstellung).
Wer sich die Liste der vergangenen Preisträger anschaut, merkt schnell, dass es der Johanna-Quandt-Stiftung dabei nicht um kritischen Journalismus, sondern vor allem um beliebige PR-Artikel geht, in denen Unternehmer und Unternehmen in einem möglichst positiven Licht dargestellt werden. Den grandiosen Dokumentarfilm „Das Schweigen der Quandts“, der die dunkle Vergangenheit des Clans während der Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet, sucht man auf der Liste der ausgezeichneten Werke erwartungsgemäß vergebens. Ob es überhaupt eine Ehre ist, mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, der den Namen eines Mannes trägt, der nach Ansicht des ehemaligen Chefanklägers bei den Nürnberger Prozessen nach heutigem Wissensstand als Hauptkriegsverbrecher hätte angeklagt werden müssen, sollte jeder Preisträger mit sich selbst ausmachen. Nicht umsonst haben die ehemaligen Herbert-Quandt-Medien-Preis-Juroren Mathias Müller von Blumencron (SPIEGEL), Gabriele Fischer (brand eins) und Christoph Keese (Springer) ihr Mandat im Kuratorium der Stiftung niedergelegt als neuere Forschungsergebnisse die dunkle Vergangenheit der Familie Quandt aufdeckten.
Das Kuratorium der Quandt-Stiftung, das auch als Jury für den Medienpreis fungiert, besteht aus Johanna Quandt, ihrem Sohn Stefan Quandt und drei namhaften Journalisten. Als von Blumencron, Fischer und Keese ihr Mandat niederlegten, griff Roland Tichy dankbar zu. Tichy ist Marktliberaler aus Überzeugung. Als Autor des Buches „Die Pyramide steht Kopf“ zählte er zu den „Pionieren“ der unsäglichen Demographie-Debatte. Tichy geißelt „das Gerede von Konjunkturprogrammen“, betet regelmäßig das Mantra der Alternativlosigkeit von Steuerentlastungen, spricht gerne von „Sozialversicherungs-Imperialismus“ und hält – wen wundert es – den Sozialstaat für „nicht finanzierbar“. Zwischen Tichy, der aktuell Chefredakteur der Wirtschaftswoche ist, und BILD passt programmatisch kein Blatt. Es ist nicht sonderlich überraschend, dass ein Mann, der aus freien Stücken als Sprachrohr der Interessen der Superreichen arbeitet, von der Familie Quandt mit einem Sitz im Kuratorium der Familienstiftung belohnt wurde.
Ein weiterer Journalist, der damals kein Problem mit der Nazi-Vergangenheit der Stifterfamilie hatte, ist Helmut Reitze – besser bekannt als „der Mann mit der Fliege“ aus dem heute-journal. Reitze ist Intendant des öffentlich-rechtlichen Hessischen Rundfunks. Ein Mann, der qua Amt eine unabhängige und anspruchsvolle journalistische Arbeit leiten soll, zeichnet eine Kampagne der BILD aus, die diese Ansprüche nicht einmal im Ansatz erfüllt? Was sagt Reitze, der auch Vorsitzender des Beirats der ARD/ZDF-Medienakademie ist, den jungen Journalisten, die dort die Grundwerte des Journalismus vermittelt bekommen? Herr Reitze – warum haben Sie als Juror für die BILD-Kampagne gestimmt?
Neben Tichy und Reitze sitzt auch Stephan-Andreas Casdorff im Kuratorium der Stiftung. Casdorff ist nicht nur Sohn des legendären Monitor-Journalisten Claus Hinrich Casdorff, sondern auch Chefredakteur des zur Holtzbrinck-Gruppe gehörenden Tagesspiegels. Herr Casdorff, was würden Sie als Chefredakteur sagen, wenn einer Ihrer Mitarbeiter auf dem Syntagma-Platz Drachmen verteilen würde? Von Ihnen ist der Satz überliefert: „Wir Journalisten sollen denen, über die wir berichten, nahe kommen, ohne ihnen zu nahe zu treten – und uns nicht durch Nähe einnehmen lassen.“ Kann es sein, Herr Casdorff, dass Sie Sich durch die Nähe der Quandts haben einnehmen lassen?
Es ist zu hoffen, dass die Verleihung des diesjährigen Herbert-Quandt-Medien-Preises zumindest den Herren Reitze und Casdorff eigentlich peinlich ist. Wären sie Manns genug, würden sie aus dem Kuratorium zurücktreten und den Platz für andere Scheckbuch-Journalisten freimachen, die sich für keine Peinlichkeit zu schade sind.
Die Verleihung des Herbert-Quandt-Medien-Preises an Blome und Ronzheimer ist keine Bankrotterklärung des Journalismus, sondern eine Bankrotterklärung für den Journalismus. Welchen Stellenwert hat Journalismus in einer Gesellschaft, in der eine Jury, die mehrheitlich mit Journalisten besetzt ist, einen Medienpreis an eine Hetz-Kampagne eines Boulevardblattes verleiht, die bei neutraler Betrachtung noch nicht einmal die Kriterien eines journalistischen Werkes erfüllt? Vielleicht sollten sich Familienstiftungen wie die Quandt-Stiftung aber auch ganz einfach aus der Verleihung von Medienpreisen zurückziehen. Man kann willfährige Schreiberlinge auch mit einem Verrechnungsscheck im neutralen Kuvert beglücken. Das erspart allen Beteiligten wenigstens die Peinlichkeit einer solchen Farce. Die Preisverleihung ist jedoch auch ein Beispiel, wie die Reichen und Mächtigen in diesem Land, ihre journalistischen Hofhündchen pflegen. Normalerweise geschieht das diskret. Eigentlich ein Wunder, dass man sich so offen entblößt.